Bildende Kunst

Noomi (*1937) und Hans Gantert (1934-2004)

Submitted by ottavio.clavuot on Fri, 09/22/2023 - 03:39

Noomi Hurwitz wurde 1937 als zweites Kind in eine jüdische, russisch-schweizerische Familie geboren. Der Grossvater väterlicherseits war vor dem Militärdienst in der Armee des Zaren aus Riga nach Deutschland geflohen, wo er in Dresden eine Aargauer Jüdin kennenlernte. Nach der Heirat lebte die Familie seit den 1890er Jahren in Luzern in bescheidenen Verhältnissen. Der Grossvater wirkte als Kantor und Religionslehrer. Der 1904 geborene Vater, Siegmund (+ 1994), studierte 1923-28 Zahnmedizin an der Universität Zürich und befreite sich aus dem streng orthodoxen Milieu. 1933 heiratete er in Zürich die Baslerin Lena Eisner (1902-65), deren Eltern, polnische Juden, um 1908 über Deutschland in die Schweiz eingewandert waren. Das junge Paar fühlte sich dem säkularen Zionismus verpflichtet, mit dem es in der jüdischen Wanderbewegung in Kontakt gekommen war, und trug sich zeitweilig mit dem Gedanken, nach Israel auszuwandern. Prägend wurde die Begegnung mit Carl Gustav Jung (1875-1961) und die Auseinandersetzung mit seiner Psychologie. Beide entwickelten eine tiefe Verehrung für Jung, zu dessen innerstem Kreis sie gehörten. So begann Siegmund Hurwitz später auch als Psychoanalytiker zu arbeiten. In den 1930er Jahren und während des Zweiten Weltkriegs unterstützte er jüdische Flüchtlinge bei der Beschaffung von Auswanderungspapieren, so dass im Haus der Familie immer viele Leute verkehrten. In den frühen 1950er Jahren waren es israelische Studenten, die Aufnahme fanden.

Noomi Gantert
Noomi Gantert, im Atelier vor ihrem Webstuhl mit „Ahnen“. Foto 2021. 

Bereits als Dreizehnjährige interessierte sich Noomi für die bildende Kunst. Während ihrer Gymnasialzeit an der Hohen Promenade fand sie unter Anleitung des antibürgerlichen Juristen und passionierten Malers Max Billeter (1900-80), in dessen Atelier am Rindermarkt sie 1953-56 jeweils am Mittwochnachmittag zeichnete und malte, zur Malerei. Angeregt fühlte sie sich auch durch die Werke und Tagebücher von Paula Modersohn-Becker (1876-1907). Als sich der Plan, nach Israel zu gehen, mit dem Ausbruch der Suez-Krise vorerst zerschlug, nahm sie 1956-58 ein Kunststudium an der Ecole des Beaux-Arts in Genf auf, das sie mit dem Diplom als Malerin und einem Preis abschloss. Hier lernte sie 1957 den deutschen Grafiker Hans Gantert kennen, mit dem sie schliesslich eine lebenslange Gemeinschaft verbinden sollte. 1958-60 lebte sie in Israel: Zunächst in Jerusalem, wo sie beim Religionswissenschaftler und Freund Walter Benjamins (1892-1940) Gershom Sholem (1897-1982) Aufnahme fand, Hebräisch lernte und allgemeinbildende Kurse für ausländische Studenten besuchte, dann in Tel Aviv, wo sie an einer Kunstschule studierte und an einer Volksschule Zeichnen unterrichtete. In beiden Institutionen konnte sie nicht Fuss fassen. So kehrte sie nach Europa zurück und vertiefte ihre Ausbildung in Paris an der Académie de la Grande-Chaumière. Wieder in Zürich, heiratete sie 1961 gegen den Willen der Eltern Hans Gantert.

Hans Gantert
Hans Gantert beim Zeichnen. Foto um 1980.

Hans Gantert wurde 1934 als ältestes von drei Kindern eines Bauernsohns aus Bonndorf im Schwarzwald geboren. Da der Vater den Hof nicht erben konnte, schlug er nach der Küferlehre eine Laufbahn als Berufssoldat ein. Bis zum Kriegsausbruch Korporal in der Kaserne von Konstanz, danach an der Front und schliesslich in sowjetischer Kriegsgefangenschaft, kehrte er 1948 als Kriegsinvalider zurück. So war der cholerische Vater kaum präsent und die Sorge um die in bescheidenen Verhältnissen in Konstanz lebende Familie oblag der aus dem Rheinland stammenden Mutter. Hans, der bereits als Kind gerne zeichnete, war viel bei seinen Verwandten in Bonndorf. Hier begegnete er dem Freiburger Maler, Zeichner und Radierer Hans Lembke (1895-1959), der seit 1939 im Ort lebte und ihn förderte. 1948 begann er eine Grafikerlehre in Konstanz. Gleichzeitig nahm er jede Gelegenheit wahr, um seinen Horizont zu erweitern. Prägend wurde für ihn der Kontakt zu dem von Kirchner, Liebermann und Jaeckel beeinflussten Maler und Sgraffiti-Künstler Hans Sauerbruch (1910-96), der sich nach seiner Entlassung aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft 1946 in Konstanz niedergelassen hatte. Nach dem Lehrabschlusss 1951 besuchte er die drei Jahre zuvor von Hans Lembke mitgegründete Kunsthandwerkerschule in Bonndorf und studierte an der Landeskunsthochschule in Hamburg, wo er unter anderem den wenig älteren Zeichner und Grafiker Horst Jansen (1929-95) kennen lernte. Studienreisen führten ihn nach Holland, Dänemark und Finnland, in späteren Jahren auch nach Italien, Frankreich und Spanien. Seit 1956 arbeitete er als Grafiker und Schriftenmaler in Zürich, zunächst im Atelier des Sgraffitimalers und Grafikers Anton Leuthold (1900-75), in den 1960er Jahren für die Leuchtschriften produzierende Zürcher Firma Gebrüder Reichert Söhne. Daneben wirkte er weiterhin künstlerisch. 1957 lernte er während eines Studienaufenthalts an der Ecole des Beaux-Arts in Genf Noomi Hurwitz kennen.

Hans Gantert Volkskunstkröte
Hans Gantert, Volkskunstkröte, Radierung und Aquatinta, 1974, 64 x 92 cm.

Mit der Gründung eines gemeinsamen Hausstands und der Geburt des ersten von drei Kindern begann für beide – bei weitgehend konventioneller Rollenteilung – eine neue Lebens- und Schaffensphase und zugleich eine einzigartige künstlerische Arbeitsgemeinschaft, über die Noomi rückblickend bemerkt: „Was immer [Hans] als Grafiker und Künstler und ich als Künstlerin taten – wir blieben im Gespräch und mischten uns gegenseitig ein.“ Nach einer Vorlage von Hans wob Noomi 1962 erstmals einen Wandteppich für die neue Wohnung. Während der folgenden zehn Jahre entwarf Hans dekorativ angelegte, grosse Bildteppiche für sie, die sie in enger Kooperation mit ihm umsetzte und dabei ihr künstlerisches und technisches Können weitgehend autodidaktisch schulte und erweiterte. So realisierte sie nach dem Konzept von Hans 1972 einen Wandteppich für das Lehrerzimmer der Oberrealschule (heute MNG Rämibühl). Ihren ersten Bildteppich nach eigenem Entwurf gestaltete Noomi inhaltlich und formal angeregt durch die Abbildung eines Sklavenschiffs in einem NZZ-Artikel über die Sklaverei in den USA 1974-76: Eine schwarz-weisse, geometrische Ordnung und reduzierte menschliche Figuren kombinierende, ornamental wirkende Komposition.

Noomi Gantert, Sklavenschiff
Noomi Gantert, Sklavenschiff, Kelimtechnik, Wolle auf Leinen, 506 x 180 cm, 1974-76. Bei der Vorlage handelt es sich um den von der Society for effecting the abolition of the slave trade 1788 zur Unterstützung ihres Anliegens herausgegebenen und seither immer wieder reproduzierten Druck, der die „Brooke“ aus Liverpool mit einer Sklavenladung zeigt.

Seither arbeitete sie nach eigenen Entwürfen und entwickelte ihre eigene Formensprache. Neben kleineren, experimentellen Teppichen gestaltete sie ausschliesslich Grossformate. So fertigte sie 1988 den Wandteppich für das Konferenzzimmer des MNG Rämibühl.

Noomi Gantert Entwurf
Noomi Gantert, Aquarellentwurf zum Wandteppich für das Konferenzzimmer des MNG Rämibühl, 1988.

Anregung sind ihr beim Weben immer wieder die spätmittelalterlichen Teppiche von Angers, in denen sich Form, Inhalt und Technik zum lebendigen Kunstwerk zusammengefunden haben. Wie für Hans so ist auch für Noomi die Welt des alltäglich Gegenständlichen – besonders die Natur – Ausgangspunkt für das künstlerische Schaffen. Während er dem Figürlichen – wenn auch verfremdet und ironisiert – verpflichtet blieb, machen bei ihr figurative Elemente zunehmend zeichenhaft reduzierten Eindrücken Platz als Ergebnis „intuitiv-wohlüberlegten“ Konzipierens und Webens. 1984-2004 gab Noomi im Rahmen des pädagogischen Grundjahrs der Lehrerausbildung ihr handwerkliches Können weiter. 

Noomi Gantert Keine Zeit
Noomi Gantert, Bildteppiche, Kelimtechnik, Wolle auf Leinen, in der Ausstellung „Keine Zeit“ im Helmhaus Zürich, 2017: Mitte: Kopfüber, 220 x 540 cm, 1996. Links: Spiegelungen, 230 x 300 cm, 1999. Rechts: Stroemungen/random walks, 233 x 344 cm, 2001.
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Noomi charakterisiert ihr künstlerisches Schaffen.

1965 ermunterte Noomi Hans, der sein künstlerisches und technisches Können sowie sein umfassendes und profundes kunsthistorisches Wissen immer gerne mit anderen teilte, die Ausbildung zum Zeichnungslehrer an der Kunstgewerbeschule Zürich aufzunehmen, die er 1967 mit dem Diplom abschloss. Bereits im folgenden Jahr wurde er als Hauptlehrer an die Oberrealschule (heute MNG Rämibühl) gewählt, wo er bis zur Pensionierung 1998 unterrichtete.

Hans Gantert Kohlhaldentanne
Hans Gantert, Tanne auf der Kohlhalde (Ebnet) bei Bonndorf, Bleistiftzeichnung, 276 x 201 cm, Halle MNG Rämibühl, 1977.

Parallel zum Unterricht setzte er seine künstlerische Tätigkeit fort – nach eigenen Worten „mit den Schwerpunkten grossformatige Zeichnung und Druckgrafik, daneben Malerei, Plakat und Wandbild. … Gegenstände, Gerät und Werkzeug sind mit Pflanzen und Tieren zusammen …  bevorzugte Motive. … Kröten und Frösche seit 1971, Hühner und Eier seit ca. 1974. Auch Wildsauen, Truthähne, Enten, Schlangen, Echsen, Fische und anderes Getier“.

Hans Gantert, Kürbis
Hans Gantert, Kürbis, Radierung und Aquatinta auf Velin, 37 x 48 cm, 1974.

Wie in Noomis künstlerischer Arbeit war auch für Hans die unbedingte Hingabe ans Handwerk zentral: Mit ungeheurer Akribie, technischer Rafinesse, präzisem Strich und Stich setzte Hans seine minutiösen Beobachtungen und Ideen in Zeichnungen und Radierungen um.

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Noomi liest eine Selbstcharakterisierung von Hans.

Seit 1972 engagierten sich Hans und Noomi in der GSMBA (Gesellschaft Schweizerischer Maler, Bildhauer und Architekten), die sich in diesem Jahr für Frauen geöffnet hatte, waren dadurch in der lebendigen Kunstszene der 1970er Jahre bestens vernetzt und erhielten immer wieder Gelegenheit auszustellen. Zu Beginn der 1990er Jahre wurde die Begegnung mit Hans Josephsohn (1920-2012) menschlich und künstlerisch wichtig für Hans und Noomi. O.C.

Eugen Gomringer (geb. 1925), Textkünstler

Submitted by raphael.kost on Mon, 04/25/2022 - 04:20

Eugen Gomringer, oft als Vater der konkreten Poesie bezeichnet, wird am 20. Januar 1925 in Bolivien geboren, seine Mutter ist bolivianische Halbindianerin, sein Vater ein Schweizer Kautschuk-Kaufmann. Er wächst mit Spanisch als Muttersprache auf, wird aber der besseren Bildungschancen wegen als Zweijähriger in die Schweiz geschickt.

Seine Kindheitsjahre beschreibt Gomringer folgendermassen:

Nachdem ich 1927 den Umzug von Bolivien mit meinem Vater nach Herrliberg am Zürichsee gut verkraftet und im Jahr 1929 dank der Pflege und Liebe meiner Grosseltern auch den Umzug von Herrliberg nach Zürich an die Baurstrasse aufmerksam mitgemacht hatte, wurde ich 1930 ein Bub, dessen Spielplatz sich begrenzen lässt vom Tiefenbrunnen bis zum Zürichhorn und bis zum Stadttheater. So nahmen mich die Strassen und Wege entlang dem Seeufer am meisten in Anspruch. Dazu kam die Spielwiese an der Baurstrasse, just neben dem Haus, wo wir zur Miete wohnten. Ich hatte die Wiese im Ausmass eines Fussballplatzes meist zu meiner fast alleinigen Verfügung. Handballspiele fanden nur an Sonntagen statt. (...)

Mehr oder weniger süss verlief auch die ganze Schulzeit, zuerst im Seefeldschulhaus an der Seefeldstrasse mit wunderbaren Lehrern, dann für zwei Jahre Sekundarschule im Schulhaus Münchhalden. Nach acht Jahren bestand ich die Aufnahmeprüfung an die Oberrealschule an der Rämistrasse in Zürich, womit ein neues und ganz anders geartetes Kapitel in meinem Lebenslauf einsetzte.

(Gomringer 2014, 121ff.)

Eugen Gomringer am Poesiefestival Berlin (2018)
Eugen Gomringer am Poesiefestival Berlin (2018)
schweigen

Gomringers Zeit an der Zürcher Oberrealschule (heute MNG Rämibühl) in den 1940er Jahren ist stark geprägt durch den Aktivdienst in der Armee:

Die beste amtliche Auskunft über meinen Lebensabschnitt bis 1950 ist im Dienstbüchlein enthalten. Es ist wohl für manchen Schweizer zum verlässlichen Nachschlagewerk  geworden. Das Erstaunlichste mag an der Auflistung der Dienstleistungen sein, dass ich vor Beginn der Rekrutenschule am 7. Februar 1944 schon 118 Aktiv-Diensttage eingetragen bekommen hatte. Es waren die Tage und Wochen im Fliegerbeobachtungs und -meldedienst, abgekürzt FLBMD. Dieser Dienst begann mit einem Einführungskurs am 31. März 1941. Da war ich gerade sechzehn Jahre jung. Der Meldedienst bestand aus einer Gruppe von zehn Schülern des Gymnasiums und der Oberrealschule. Der Gruppenführer war einer der ihren. Arbeitsort war ein Aussichtsturm oder sonst ein geeigneter Aussichtsposten im Gelände gegenüber den badischen oder schwäbischen Ortschaften entlang des Rheins. (…) Wir Schüler waren Selbstversorger und mussten jeden Tag beim Nachbarn, einem Bauern, Milch holen. Oft wurden wir dort von der Familie eingeladen und wenn es am Abend war, sahen wir den Sternenhimmel auf dem Rückweg durch Wald und Flur durch einen Schnaps etwas vergrössert.

Ein Dienstabschnitt dauerte jeweils zwischen zehn und vierzig Tagen, je nachdem, wie wir und neben der Schulzeit und anderen Diensten freistellen konnten. Die Schüler der fast schon kriegstauglichen Jahrgänge wurden mehrfach beansprucht und manche Unterrichtsstunde fiel zusätzlich aus, weil Rektor und Lehrer wichtige Artillerieoffiziere waren. Neben dem FLBMD gab es auch noch den freiwilligen militärischen Vorunterricht, der so streng ausgeführt wurde, dass es mir einmal beinahe zur Flucht in die deutsche Wehrmacht gereicht hat.

(Gomringer 2014, 123f.)

In seinem berühmten Gedicht "schwiizer" (1973) charakterisiert Gomringer die Eidgenossen auf pointierte Art und Weise:

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Mit 19 Jahren ist Gomringer Leutnant und will Instruktionsoffizier werden. In Bern und Rom studiert er Volkwirtschaftslehre, Kunst- und Literaturgeschichte. Er lernt die lokalen Kulturszenen in Bern und Zürich kennen und wird später beauftragt, kurze Texte und Essays für Künstlerbücher und Ausstellungsrezensionen zu schreiben.

ping pong

Zu Beginn der 50er Jahre beschliessen Gomringer und seine Freunde Marcel Wyss und Dieter Roth, die neue Zeitschrift Spirale herauszugeben, worin bildende Kunst, Grafik, Architektur und Poesie präsentiert und diskutiert werden soll. Als 1953 die erste Ausgabe erscheint, würdigt Gomringer diesen Anlass mit dem Gedicht «Ciudad» (öfter «Avenidas» genannt). Dieses Gedicht wird oft als Gomringers erste veröffentlichte Konstellation bezeichnet, die auf die Verwendung von Verben und eine klassische syntaktische Struktur verzichtet.

1954 bewirbt sich Gomringer erfolgreich um die Stelle des Sekretärs von Max Bill an der Hochschule für Gestaltung in Ulm und veröffentlicht in der NZZ eine erste Fassung seines Manifests «Vom Vers zur Konstellation», worin er die zentralen Ideen einer neuen, nichtlinearen Poesie beschreibt:

an der stelle des verses tritt die konstellation: die gruppe aus worten. an stelle der syntax genügt es, zwei, drei oder mehrere worte wirken zu lassen, die äusserlich vielleicht unverbunden und mit leichter, zufälliger hand hingespielt erscheinen, bei näherer betrachtung (falls die anspringende wirkung eines wortes an und für sich nicht genügen sollte) aber zu zentren eines kräftefeldes, zu markierungen eines spielraumes werden.

(Eugen Gomringer: vom vers zur konstellation, in: NZZ, Sonntagsausgabe Nr. 1879, 36.)

Max Bill, Architekt, Designer und Autor, der als einer der einflussreichsten Figuren der Schweizer Grafikdesignerszene galt, prägte Gomringers Werk und Leben massgeblich. Vor allem Max Bills Überlegungen zur konkreten Kunst beeinflussten Gomringers Vorstellungen von einer neuen Form der Poesie deutlich.

kein fehler im system

In den 1960er Jahren arbeitet Gomringer als Werbefachmann in der Industrie. 1962 wird er Geschäftsführer des Schweizerischen Werkbundes. Rund 30 Jahre lang textet Gomringer, inspiriert von konkreter Poesie, die Werbung der Warenhauskette ABM (Au Bon Marché). Von 1977-90 ist er Professor für Theorie der Ästhetik an der Kunstakademie Düsseldorf.

Seit 1967 wohnt er im bayrischen Rehau, wo er 2000 das Institut für Konstruktive Kunst und Konkrete Poesie (IKKP) gründet. R.K.

Alex Walter Diggelmann (1902-87), Grafiker und Zeichenlehrer

Submitted by ottavio.clavuot on Fri, 01/28/2022 - 05:23

Geboren im bernischen Unterseen als Sohn des Lehrers, Gemeindepräsidenten und -schreibers, unterrichtete Alex Walter Diggelmann nach der Ausbildung zum Primarlehrer im Seminar Hofwil bei Bern während drei Jahren an der Schule in Unterseen. 1925 erwarb er an der Gewerbeschule in Bern einen Abschluss als Zeichenlehrer. In Paris und Leipzig, wo er sich intensiv mit Buchdruck und Grafik beschäftigte, setzte er sein Kunststudium fort. Zurück in der Schweiz liess er sich 1928 als freischaffender Grafiker in Zürich nieder. 1938-67 war er als Zeichenlehrer an der Kantonalen Oberrealschule (heute MNG) tätig.

Alex Watler Diggelmann
Alex Walter Diggelmann. 

In seinem grafischen Schaffen konzentrierte er sich – selbst ein begeisterter Leichtathlet und Alpinist – besonders auf Sport – und Fremdenverkehrswerbung und war damit bereits Mitte der 1930-er Jahre sehr erfolgreich, so z.B. beim Kunstwettbewerb der Olympischen Spiele in Berlin 1936, wo er Gold in der Kategorie „Gebrauchsgrafik“ gewann.

Diggelmann Olympia 1936
Im Gegensatz zu anderen Künstlern, die sich nicht durch das nationalsozialistische Regime instrumentalisieren lassen wollten, beteiligte sich Alex Walter Diggelmann am olympischen Wettbewerb und gewann mit dem Arosa-Plakat in Berlin 1936 eine Goldmedaille.

In seinen Plakaten setzte Diggelmann auf eine nüchterne, serifenlose, gut lesbare Typografie, die in den frühen Werken mit der erzählerischen und illustrativen Bildgestaltung kontrastierte, in den späteren mit der grafisch verknappten Darstellung korrespondierte.

Diggelmann Château d'Oex
Werbeplakat für die Compagnie du Chemin de fer Montreux Oberland bernois und den Wintersport in Château d'Oex 1936.
Zürich 1940
Tourismuswerbung für Zürich und die Schweiz im Auftrag des Verkehrsvereins Zürich 1940.
Diggelmann Radquerweltmeisterschaften 1967
Plakat zu den Radquerweltmeisterschaften in Zürich 1967.

Neben Plakaten gestaltete er auch Briefmarken, Medaillen, Wappenscheiben, Buchillustrationen, Wandbilder und -mosaiken, wie z.B. für das Sportzentrum Kerenzerberg oder die Eidgenössische Turn- und Sportschule Magglingen. 1974 organisierte er die erste Ausstellung „Sport in der Kunst“ des „Schweizerischen Landesverbands für Leibesübungen“ in Luzern. O.C.

Diggelmann J+S-Briefmarke 1971
Jugend- und Sport Briefmarke 1971.
Sport in der Kunst 1977
Plakat zur zweiten Ausstellung „Sport in der Kunst“ im Helmhaus in Zürich 1977 auf der Grundlage des Entwurfs von 1974.

Karl Schmid (1914-98), Zeichner und Maler

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 07/08/2021 - 13:32

In Zürich geboren, liess sich Karl Schmid zum Möbelschreiner ausbilden. In Kursen der Kunstgewerbeschule und autodidaktisch entwickelte er seine Zeichenkunst und Aquarelltechnik, bevor er sich seit 1934 auf wissenschaftliche Illustration spezialisierte. Neue Welten eröffnete ihm die Begegnung mit Ernst Ludwig Kirchner und dessen expressiver Malerei in Davos. Zudem hatte er vor und während des Zweiten Weltkriegs Kontakt zu avantgardistischen Künstlern, unter ihnen Hans Arp (1886-1966), Mitbegründer der dadaistischen Bewegung, dessen spielerischer Umgang mit Formen ihn tief beeindruckte. 1944 wurde er von Johannes Itten an die Kunstgewerbeschule in Zürich berufen, wo er bis 1971 unterrichtete.

Karl Schmid Zeichnung
Zeichnung Karl Schmids auf dem Blatt einer Schülerin der Kunstgewerbeschule.

Seit 1965 lebte er in dem von seinem Freund Eduard Neuenschwander erbauten Wohn- und Atelierhaus in Gockhausen. Sein Werk zeichnet sich durch eine grosse Breite in materieller und formaler Hinsicht aus: Zeichnungen, Aquarelle, Wandmalereien, plastische Werke in Holz, Beton, Stein und Metall. In der Kantonsschule Rämibühl sind die Mauerflächen der Korridore und Schulzimmer nach einem von ihm entworfenen Farbkonzept in verschiedenen, teils kräftigen Pastelltönen gestrichen worden. Seine Wandmalereien und Reliefs bestimmen zudem die künstlerische Ausgestaltung der Mensa. O.C.

Karl Schmid 1951
Karl Schmid beim Zeichnen. Foto 1951.
Ober- und Ordnungsbegriffe

Schweizerische Landesausstellung 1939 und Geistige Landesverteidigung (Enge / Zürichhorn)

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 07/08/2021 - 02:18

Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, der den Bundesstaat einer inneren Zerreissprobe ausgesetzt, die international stark vernetzte Schweizer Wirtschaft massiv getroffen und den sozialen Frieden schwer erschüttert hatte, führten zur Rückbesinnung auf nationale Werte und Interessen. In den 1920er Jahren forcierten die von der russischen Revolution und vom italienischen Faschismus ausgehende Bedrohung zusammen mit den neuen Möglichkeiten von Radio und Film zur Verbreitung totalitärer Ideologien das Bestreben, die Unabhängigkeit und den demokratischen Rechtsstaat auch in Friedenszeiten mit politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Mitteln zu verteidigen. Mit der Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland 1933 intensivierten Schweizer Politiker, Intellektuelle und Medienschaffende ihre Bemühungen um die Stärkung der kulturellen Grundwerte der Eidgenossenschaft und um einen inneren Schulterschluss über alle Klassen- und Parteigrenzen hinweg. Bundesrat Philipp Etter formulierte in der Botschaft vom 9. Dezember 1938 die Idee der Geistigen Landesverteidigung offiziell: Als Willensnation gründet die Schweiz auf der Bereitschaft der Bürger, für die gemeinsamen Werte der Menschenwürde, der Freiheit, der Demokratie und des Föderalismus mit ihrem Leben einzustehen. Diese geistigen Werte und die nationale Schicksalsgemeinschaft, die sich im Gotthardmassiv als Symbol der Einheit und Vielfalt, der Freiheit und Wehrhaftigkeit providentiell verkörpern, gilt es neu ins Bewusstsein zu rufen.

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Aus der Botschaft des Bundesrats vom 9.12.1938

Das Konzept war so offen und allgemein, dass sich mit Ausnahme der Frontisten und eines Teils der Kommunisten alle politischen Strömungen damit identifizieren konnten. Im gleichen Jahr entstanden auch ikonische Inszenierungen der Geistigen Landesverteidigung, wie z.B. der von Hermann Haller und Leopold Lindtberg gedrehte Film „Füsilier Wipf“ oder die Aufführungen des „Götz von Berlichingen“ und des „Wilhelm Tell“ am Zürcher Schauspielhaus mit Heinrich Gretler in den Titelrollen. Mit dem Beginn des Kalten Krieges Ende der 1940er Jahre erfuhr die Geistige Landesverteidigung bis in die ausgehenden 1960er Jahre eine Wiederbelebung.

Plakat Füsilier Wipf

Bereits 1925 wurde die Idee einer Landesausstellung in Zürich lanciert, doch erst 1935 beschloss der Bundesrat deren Unterstützung. Seit der Bundesstaatsgründung 1848 dienten die Landesausstellungen der Inszenierung der nationalen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Erstmals 1914 wurde eine Landesausstellung zur Demonstration des Willens zur bewaffneten Neutralität instrumentalisiert. Ganz im Dienst der Geistigen Landesverteidigung stand die Zürcher Landesausstellung 1939. Der 1936 zum Direktor der „Landi“ bestellte Architekt Armin Meili konzipierte eine thematisch geordnete Schau, die das Bild einer wehrhaften, innovativen, modernen, bodenständig in ihren regionalen und bäuerlichen Traditionen verwurzelten Schweiz vermitteln sollte. Auf dem linken Seeufer wurde die Schweiz als Industrie-, Wissenschafts-, Technik-, Tourismus- und Modenation präsentiert.

Halle des Strassenverkehrs von Architekt L.M. Boedecker, Zürich. Aufnahme: Michael Wolgensinger 1939
Halle des Strassenverkehrs von Architekt L.M. Boedecker, Zürich.

Neben Themen wie Energieversorgung, Städtebau und Verkehr standen vor allem „Heimat und Volk“ im Zentrum. Der von Fahnen überdachte „Höhenweg“ durchzog auf 700 Metern als Rückgrat und sakrale Selbstvergewisserung der Eidgenossenschaft das Ausstellungsgelände. Er erschloss Pavillons zu Geschichte und Werten der Schweiz, so auch zur „Wehrbereitschaft“, die durch eine monumentale Soldatenskulptur des Bildhauers Hans Brandenberger verkörpert wurde.

Landesausstellung 1939 Wehrbereitschaft
Plastik "Wehrbereitschaft" von Hans Brandenberger. Ein Original-Bronzeabguss steht heute vor dem Bundesbriefarchiv in Schwyz, eine Nachbildung bei den Turnhallen an der Rämistrasse 80.

Die „Landi“ sollte nicht nur durch Belehrung, sondern auch als kollektives Erlebnis zur Gemeinschaftsbildung beitragen. Das Vergnügen durfte daher nicht zu kurz kommen. Dieses garantierte u.a. der „Schifflibach“, der sich grosser Beliebtheit erfreute.

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„Schifflibach“ und „Schifflibach-Lied“. Das war die Landi, SRF 18.6.1989.

Ausstellungsgelände, Pavillons, Skulpturen, Wandbilder und Ausstellungsgut waren als szenografische Einheit konzipiert. Als Chefarchitekt der Landesausstellung setzte Hans Hofmann (1897-1957), ein Schüler Karl Mosers, konsequent auf eine funktionalistische Holz-Leichtbauweise in Kombination mit neuen Materialien, wie Aluminium, und mit experimentellen Formen.

Landesausstellung 1939 Aluminiumpavillon
Aluminium-Pavillon von Architekt Jos. Schütz, Zürich. Aluminium wurde in seiner Schlichtheit und Abnutzungsresistenz als typisches schweizerisches Material propagiert.
Landesausstellung 1939 Betonbogen
Betonparabel von Hans Leuzinger (Architekt) und Robert Maillart (Ingenieur) mit Pferdebändiger von Alfons Maag.

Die gemässigte architektonische Moderne der „Landi“ hob sich damit deutlich von den wuchtigen Prestigebauten der totalitären Diktaturen ab und galt fortan als schweizerische Form der Moderne. Durch eine Luftseilbahn über den See war das Gelände in der Enge mit dem der traditionellen, bäuerlichen Schweiz gewidmeten Teil der „Landi“ am rechten Seeufer verbunden. Inspiriert von der Natur- und Heimatschutzbewegung verklärte im „Dörfli“ am Zürichhorn ein Potpourri ländlicher Bauten in verschiedenen Regionalstilen das vormoderne Leben und zelebrierte mit Trachtenschau und -fest die nationale kulturelle Eigenständigkeit.

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„Dörfli“ und „Dörfli-Lied“. Das war die Landi, SRF 18.6.1989.

Die von Anfang Mai bis Ende Oktober 1939 dauernde Landesausstellung wurde durch Kriegsausbruch und Mobilmachung am 1. September endgültig zum nationalen Wallfahrtsort. Schliesslich verzeichnete sie 10 Millionen Besucher. 40‘000 Artikel und 15‘000 Bilder in der Schweizer Presse, Plakate und Postkarten, Briefmarken und Broschüren feierten das Ereignis, so dass die „Landi“ auf lange Zeit tief im kollektiven Gedächtnis verankert blieb. O.C.

Landi-Prospekt 1939
"Landi-Dörfli" am Zürichhorn. Landesausstellungsprospekt 1939.

Escher-Häuser, Zeltweg 7-15 / Steinwiesstrasse 3-9

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 19:27

Bauherr der sogenannten „Escher-Häuser“ war der 1795-1814 in den USA mit Grundstück- und Kolonialwarenhandel reich gewordene Grosskaufmann und Vater Alfred Eschers, Heinrich Escher-Zollikofer (1776-1853). Seine Absicht, nach der Niederlegung des barocken Schanzenrings ein ganzes, einheitlich geplantes, städtisches Quartier an der neuen Anbindung des Hottinger Zeltwegs an die Altstadt anzulegen, stiess auf grossen Widerstand und konnte schliesslich nur in reduzierter Form realisiert werden. Dennoch sind die „Escher-Häuser“ Ausdruck der neuen wirtschaftlichen Dynamik im Kanton Zürich und der Urbanisierung der stadtnahen Bauerngemeinde Hottingen nach der liberalen Revolution 1830.

Escher Häuser

Escher-Häuser, Gebäudezeile am Zeltweg. Zeichnung um 1860.

Die stattliche, klassizistische, durch Risalite und den zentralen Hofdurchgang gegliederte Gebäudezeile am Zeltweg mit den zugehörigen Hinterhäusern errichtete der Architekt Leonhard Zeugheer 1836-40. Der sich über 31 Fensterachsen ersteckende Frontbau war das erste vornehme, als Kapitalanlage errichtete Mietshaus in Zürich.

Escher-Häuser Zeltweg 7-15
Die durch Grösse und zurückhaltende Gliederung wirkenden Vorderhäuser mit den herrschaftlichen Wohnungen. Foto 1962.

Die herrschaftlichen Wohnungen waren mit Wandtäfer, Kachelöfen mit Goldornamentik, Wand- und Deckenmalereien ausgestattet. In das repräsentative Appartement im Mitteltrakt (Nr. 11) zog die Tochter des Bauherrn, die Malerin Clementine Stockar-Escher (1816-86) mit ihrer Familie ein. Am Zeltweg 13 wohnte Richard Wagner 1849-57. Im Haus Nr. 9 lebten die Kinderbuchautorin Johanna Spyri 1886-1901 und der Komponist Paul Burkhard 1935-57. In Nr. 7 logierte der Komponist Rolf Liebermann 1948-50.

Escherhäuser Kachelofen
Klassizistischer Kachelofen in einer der Wohnungen des Vorderhauses. Foto 1989.

In den Hinterhäusern befanden sich die Wohnungen für die Dienstboten – ebenfalls ein Novum im städtischen Umfeld und Zeichen eines erwachenden sozialen Bewusstseins. Die dreiteilige, schlichte Häuserzeile mit Satteldach orientiert sich sowohl in der äusseren Gestalt als auch im Grundriss der für damalige Verhältnisse grosszügig dimensionierten Etagenwohnungen an den Kosthäusern der ländlichen Industriebetriebe des frühen 19. Jahrhunderts. O.C.

Escher-Häuser Steinwiesstrasse 3-9
Die schlicht gehaltenen, klassizistischen Hinterhäuser für das Dienstpersonal. Davor der Hof zwischen den beiden Häuserzeilen. Foto 1937.
Spinnerei Wollishofen Kosthäuser
Zum Vergleich: Pläne der Kosthäuser der Spinnerei Wollishofen, 1872.

Kantonsschule Rämibühl - Technik und Kunst am Bau

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:23

Jenseits des politischen Zwangs die Baukosten der Kantonsschule Rämibühl zu senken, hat der Architekt Eduard Neuenschwander Rationalisierung und Reduktion konsequent als gestalterische Prinzipien genutzt. Grundlegend war die Entscheidung, den Beton als Material der tragenden Strukturen nicht zu verputzen. Die darin zum Ausdruck kommende Vorliebe für rohen Beton als plastisch formbarem Material erinnert eher an Le Corbusier als an Aalto. Für die Herstellung der Betonteile wählte Neuenschwander die jeweils kostengünstigste Variante, so dass ganz unterschiedliche Oberflächen entstanden, zu denen Material, Form und Farbe der anderen Bauteile in Bezug gesetzt werden: Die industriell vorgefertigte Aussenhaut der Fassadenpfeiler der Schulhäuser mit glatter, homogener, nur durch die Fugen zwischen den einzelnen Elementen strukturierter Oberfläche korrespondiert mit den Aluminiumrahmen und den Glasflächen des Fensterrasters.

Fassade Technik und Kunst

Fassadenpfeiler des MNG mit glatter Oberfläche.

Ganz anders die vor Ort produzierten Teile des Gebäudeinneren mit ihrer rauen Oberfläche, auf der sich Holzstruktur und unterschiedliche Schalungsrichtungen abzeichnen, und die mit den rauh verputzten Backsteinwänden kommunizieren.

Pfeiler und Wand im Treppenhaus des MNG

Pfeiler und Wand im Treppenhaus des MNG mit Struktur der Rohschalung.

Vollends zum Instrument der Gestaltung wird die Schalung der Wandscheiben der Eingangsfront der Aula, in die Neuenschwander Schwartenbretter einlegen liess, so dass eine vertikal gerippte Oberfläche entstand.

Pfeiler und Wand im Treppenhaus des MNG

Wandscheibe der Aula-Hauptfront mit Relief der eingelegten Schwartenbretter.

Die Gebäudetechnik wird offen gezeigt und durch die Farbgebung thematisiert: Die graublauen Heizungsrohre sind nicht unter Putz gelegt, die orangeroten Lüftungskanäle in der Mensa nicht durch eine tiefer gehängte Decke versteckt.

Kunst und Technik MNG

Skulptural vor die Glasbausteinwand gesetzter Heizkörper im Treppenhaus des MNG.

Rämibühl Mensa Lüftungskanöle
Offen liegende, farblich akzentuierte Lüftungskanäle der Mensa.

Die serielle Produktion vieler Bauteile – Zimmertüren, Heizkörper, Lavabos, Stahlblechgarderobekästen, Beleuchtungskörper – , die Wiederkehr gleicher Motive, wie z.B. die zurückversetzten Haupteingänge mit Doppeltüren mit konkav geformtem Aluminium Türblatt, und die konsequente Verwendung der gleichen Materialien in analogem Kontext, lässt die Schulanlage als Einheit erscheinen. So wurde in sämtlichen Eingangshallen und Treppenhäusern, in der Mensa und der Aula ein Terrazzoboden eingebracht, in den Korridoren und Schulzimmern ein olivgrauer Nadelfilz, im Naturwissenschaftstrakt ein PVC-Belag. Zwischen den Trägern erhielten die Betondecken teilweise eine Dämpfung aus Holzfaserplatten. Dieser Logik wurde auch das zum Teil eigens entworfene Mobiliar unterworfen.

Rämibühl LGRG Gangnische

Gangnische im Erdgeschoss des LG mit integrierten Sitzbänken.

Speziell für die Aula entworfene Sitzbänke.
Büro Neuenschwander, Zuschauerraum der Aula mit den eigens entworfenen Sitzbänken.

 

Zentrale Bedeutung kommt der Farbgebung zu, die zusammen mit dem Material und dem künstlerischen Schmuck stimmungsbildend wirken soll. Nach Vorschlägen von Karl Schmid wurden im Innern Farbakzente gesetzt. Indem einzelne Mauerflächen in verschiedenen, teils kräftigen Pastelltönen gestrichen sind, sollen Korridore und Schulzimmer einen individuellen Charakter erhalten. Für die künstlerische Ausschmückung der Schulanlage mit Wandbildern und plastischen Kunstwerken hat Eduard Neuenschwander unter anderem auf seine Freunde in der Gockhauser Künstlerkolonie zurückgegriffen. Die grossen Wandflächen der Zugänge zur Mensa und des Esssaals gestaltete Karl Schmid durch geometrisch- ornamentale Wandmalereien, Eisenplastiken und Holzreliefs.

Mensa Zugang

Karl Schmid, geometrisches Wandbild im Treppenzugang zur Mensa.

Karl Schmid - Mensa Relief

Karl Schmid, geometrisches Holzrelief im Esssaal der Mensa.

In der Eingangshalle des MNG beleben die organischen Formen der auf bunte Wandflächen montierten Holzplastiken Raffael Benazzis (1933*) die materielle und geometrische Strenge des Raums.

Raffael Benazzi, Holzskulpturen in der Eingangshalle des MNG.

Raffael Benazzi, Holzskulpturen in der Eingangshalle des MNG.

Bronzeplastiken Benazzis setzen auch an den Aufgängen von der Rämistrasse und der Freiestrasse her künstlerische Akzente.

Raffael Benazzi, Bronzeskulptur

Raffael Benazzi, Bronzeskulptur am Aufgang von der Rämistrasse her.

Über der Zufahrt zur Tiefgarage markiert die streng geometrische Aluminiumstele Ernst Faesis (1917-2017), 1950-82 Zeichenlehrer am MNG, den Zugang zum Schulareal. Am Aufgang zur Aula empfangen die „Stèles“ von François Stahly (1911-2006) den Ankömmling. O.C.

Ernst Faesi, Aluminiumstele

Ernst Faesi, Aluminiumstele über der Tiefgarageneinfahrt.

Ober- und Ordnungsbegriffe

Kantonsschule Rämibühl - Mensa

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:16

Am Bau der in den Hügel hineingeschobenen Mensa werden Formelemente der Schulhäuser aufgenommen und variiert. Da deren unteres Geschoss in eine Geländemulde eingebettet ist, ist von der Mensa nur die grosszügig verglaste, durch schlanke, vorspringende Betonwandscheiben in grossen Abständen regelmässig gegliederte Front der Esssäle sichtbar. Als gegen die Glasfront sich neigendes Vordach ist die Brüstung der Betonpflanztröge ausgebildet.

Rämibühl Aula Mensa

Hauptfront der Mensa – Mittel- und Verbindungsstück der Fassadenbogens zwischen Aula und LG/RG, 1970.

Der leicht wirkende Bau lässt vergessen, dass er als Substruktion des Vorplatzes von LG und RG dient. Ebenso wenig wird die sich nach Südosten öffnende, westlich von den Buchen des „Olymp“ und der malerischen Gruppe exotischer Koniferen gerahmte Terrasse vor den beiden Gymnasien als Dach der Mensa erfahren. Einzig die vier aus dem Boden wachsenden, teilweise von Betonbänken umgebenen, ursprünglich überkuppelten Kegelstümpfe der Oberlichter des Esssaals erinnern daran.

Mensa

Mensadach mit Oberlichtern des Esssaals als Vorplatz von LG/RG.   

Die tiefe, durch scheibenartig ausgebildete Stützen und Träger in vier Schiffe gegliederte Halle der Mensa ist von aussen und innen nur über Treppen beziehungsweise Rampen erreichbar, die auf das Niveau des Esssaals hinabführen. Hinter der mächtigen Fensterfront erstreckt sich der Essbereich der Schülerinnen und Schüler und, davon räumlich abgetrennt, der Essraum für die Lehrerschaft. Nahtlos geht der Essbereich in die dunklere, durch Oberlichter beleuchtete Verkehrszone zwischen den Eingängen über, hinter der die ganz auf Kunstlicht angewiesenen Theken für die Essensausgabe, die Wendeltreppe und der Warenlift ins Untergeschoss liegen. Die grossen Wandflächen der Zugänge zur Mensa und des Esssaals liess Eduard Neuenschwander von Karl Schmid durch geometrisch-ornamentale Wandmalereien, Eisenplastiken und Holzreliefs gestalten. Die mit grosser Sensibilität für das harmonische Zusammenspiel von Linie, Fläche und Farbe sowie mit hoher handwerklich technischer Präzision ausgeführten Werke schaffen mit ihren verspielten Formen und Farben eine heitere Atmosphäre.

Eßsaal

Esssaal mit den Theken zur Essensausgabe im Hintergrund. 

Betrieben wird die Mensa seit ihrer Eröffnung 1970 vom Zürcher Frauenverein. Dieser war 1894 als „Frauenverein für Mässigkeit und Volkswohl“ zur Bekämpfung des verbreiteten Alkoholismus, zur Besserstellung der Frau in den gastgewerblichen Berufen und zur Verbesserung des Volkswohls allgemein gegründet worden. Erste Präsidentin war Nanny Huber-Werdmüller (1844-1911), treibende Kraft und erste Geschäftsleiterin Susanna Orelli-Rinderknecht (1845-1939). O.C.

Turnhallen, Rämistrasse 80

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:01

Durch die Verlängerung der Gloriastrasse bis an die Rämistrasse wurde 1937 die städtebauliche Situation im Bereich des Kantonsspitals geklärt: Der untere Teil der Wässerwiese stand nun für den Bau von Turnanlagen zur Verfügung, das Areal gegenüber Universität und ETH für den Neubau des Kantonsspitals. So wurde endlich die Planung einer „Turnanlage für die Kantonalen Lehranstalten“ oberhalb der „Neuen Kantonsschule“ in Angriff genommen, die – verzögert durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 – Hermann Fietz d. J. zusammen mit Max Ernst Haefeli 1940-42 realisierte. Die Anlage besteht aus mehreren, gestaffelt angeordneten, Gelände und Funktion abbildenden Baukörpern sowie aus einem Turn- und Spielplatz, der im Rahmen der „Anbauschlacht“ zunächst landwirtschaftlich genutzt wurde.

Turnhallen Rämistrasse
Turnhallen mit Spielwiese. Das Sgrafitto „Gemeinschaft“ an der Stirnwand der oberen Duplex-Turnhalle geht auf die Hilfsaktion des Bundes 1939 für notleidende Künstler zurück.

Mit ihrer gerasterten Fassadengliederung, gut sichtbar etwa im Betongitterwerk Turnhallenfenster, und den flach geneigten Satteldächern sind die Bauten typische Vertreter der gemässigt modernen Schweizer Architektur im Geist der Landesausstellung 1939. Deren Pavillons beanspruchten im Sinne der „Geistigen Landesverteidigung“, durch die Verbindung des funktionalistischen Ansatzes mit traditionellen Formelementen eine spezifisch schweizerische Moderne zu verkörpern.

Baukörper der Duplex-Turnhallen

Baukörper der Duplex-Turnhallen mit dazwischen liegendem, niedrigeren Garderobetrakt.

An die „Landi“ erinnert auch die 1943-47 in Castione-Marmor ausgeführte, überarbeitete Fassung der von Hans Brandenberger (1912-2003) geschaffenen monumentalen Gipsplastik „Wehrbereitschaft“, die in einem Pavillon der Höhenstrasse aufgestellt war und den Wandel vom friedlichen zum kampfbereiten Bürger zeigen sollte. O.C.

Hans Brandenberger - Soldatenfigur

Soldatenfigur des in Niederländisch-Indien (heute Indonesien) geborenen und aufgewachsenen Auslandschweizers Hans Brandenberger.