Nationalismus, Nationalstaat

Ulrich Wille (1848-1925), Instruktor, Publizist und General

Submitted by ottavio.clavuot on Fri, 01/28/2022 - 05:17

Ulrich Wille wurde in Hamburg in eine wohlhabende Familie aus dem Kaufmanns- und Reedermilieu geboren. Der Vater François Wille (1811-96), ein überzeugter Demokrat, war journalistisch und politisch tätig, die Mutter Eliza Sloman (1809-93) verfasste Gedichte und Prosa. Nach dem Scheitern der Revolution 1848/49 emigrierte die Familie und erwarb 1851 das Landgut „Mariafeld“ in Feldmeilen. Hier wuchs Ulrich Wille in einem offenen Haus auf, das als politischer und kultureller Treffpunkt Gäste wie Conrad Ferdinand Meyer, Gottfried Semper, Richard Wagner und Gottfried Keller frequentierten.

Feldmeilen Landgut Mariafeld
Landgut „Mariafeld“ in Feldmeilen. Postkarte.

1865-69 studierte er in Zürich, Halle und Heidelberg Recht. Nach dem deutsch-französischen Krieg 1870/71, entschloss er sich Instruktionsoffizier der Artillerie zu werden. Ausbildungsgänge in einem preussischen Artillerieregiment, an der Artillerie- und Ingenieursschule in Berlin sowie an der Eidgenössischen Instruktorenschule bereiteten ihn auf die berufliche Tätigkeit in Thun ab 1872 vor. Im gleichen Jahr heiratete er Clara von Bismarck (1851-1946), die Tochter des württembergischen Generalleutnants Friedrich Wilhelm Graf von Bismarck (1783-1860). Neben dem Dienst auf dem Waffenplatz engagierte sich Wille publizistisch für die angesichts der Technisierung des Krieges erforderliche Neuausrichtung der Militärinstruktion nach preussisch-deutschem Vorbild: Erziehungsdrill und strenge Führung sollten Offiziersautorität und unbedingte Soldatendisziplin stärken und dadurch die Milizarmee kriegstüchtig und die Gesellschaft im Wettbewerb der Völker überlebensfähig zu machen.

Audio file
Ulrich Wille zur Rolle von Disziplin und Drill.

1883-92 wirkte er als Oberinstruktor der Kavallerie. Während dieser Zeit wohnte er einige Jahre in der Villa „Belmont“ an der Rämistrasse. Nach der Beförderung zum Waffenchef der Kavallerie 1892 spitzte sich der Konflikt zwischen Wille und den Vertretern des traditionellen Verständnisses der Milizarmee als bewaffnete Gemeinschaft freier Bürger zu. Schliesslich schied Wille 1896 als Berufsmilitär aus und wurde publizistisch aktiv. Er übernahm 1901 die Redaktion der „Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift“ und wirkte seit 1903 als Dozent, 1907-12 als Professor für Militärwissenschaft am Eidgenössischen Poytechnikum (ab 1905 ETH). Damit einher ging die Durchsetzung seiner Ausbildungskonzeption in den militärischen und politischen Führungszirkeln. So erhielt er, 1904 zum Korpskommandanten ernannt, die Gelegenheit seine Vorstellungen umzusetzen, die 1907/08 im Militärorganisationsgesetz und den Ausbildungszielen der Armee auch offiziell verankert wurden. 1912 wurde ihm die Leitung der „Kaisermanöver“ anlässlich des Staatsbesuchs Wilhelms II. übertragen.

Kaisermanöver 1912
Korpskommandant Ulrich Wille (ganz rechts) neben Kaiser Wilhelm II. mit schweizerischen und deutschen Offizieren bei den Kaisermanövern im St. Gallischen Kirchberg 1912.

Nach dem Ausbruch des 1. Weltkriegs setzte sich der deutschfreundliche Wille gegen Theophil Sprecher von Bernegg, den eigentlichen Favoriten des Parlaments, dank bundesrätlicher Unterstützung in der Generalswahl am 3. August 1914 durch. In den folgenden Jahren trieb er die überfällige waffentechnische Modernisierung der Armee voran, während er das Truppenaufgebot für die Grenzbesetzung der Bedrohungslage entsprechend auf möglichst tiefem Niveau hielt. Im Soldatentum moralisch geformte Männlichkeit und staatsbürgerlicher Pflichterfüllung sehend, zeigte er wenig Verständnis für die sich während des Krieges verschärfenden sozialen und wirtschaftlichen Nöte breiter Bevölkerungskreise. Zudem verstärkte er durch seine die Neutralität verletzende Begünstigung der Mittelmächte die Spannungen zwischen der West- und der Deutschschweiz.

Audio file
Ulrich Wille zum Wehrwesen als Volkserziehung.
General Ulrich Wille
General Ulrich Wille. Postkarte 1914.

Seit 1917 liessen Versorgungsengpässe und Inflation die Arbeitskämpfe und den Unmut in der Truppe eskalieren, heizten die Oktoberrevolution in Russland, die klassenkämpferischen Parolen der SPS, die sozialen und wirtschaftlichen Forderungen des Oltener Aktionskomitees und die beschränkte Reformbereitschaft des bürgerlichen Bundesrats die innenpolitischen Spannungen an. Als Ende September/Anfang Oktober 1918 die Zürcher Bankangestellten mit Unterstützung der Arbeiterunion streikten und nach dem Zusammenbruch der Mittelmächte einen Monat später Deutschland am Rand der Revolution stand, drängten die Schweizerische Bankiervereinigung und Wille den zögernden Bundesrat zur militärischen Besetzung der Städte Zürich und Bern mit Kavallerie und Infanterie. Was der präventiven Einschüchterung dienen sollte, löste einen Proteststreik in 19 Ortschaften der Schweiz aus, den die Zürcher Arbeiterunion in eigener Regie weiterführen wollte, so dass sich das überrumpelte Oltener Aktionskomitee am 11. November gezwungen sah, einen unbefristeten Landesstreik auszurufen. Nach einem Ultimatum des Bundesrats brach das Oltener Aktionskomitee den Streik am 14. November bedingungslos ab, um eine Gewalteskalation zu verhindern. Für den folgenden Tag ordnete Wille als nochmalige Machtdemonstration trotz der grassierenden „Spanischen Grippe“ ein Defilee der Ordnungstruppen in Zürich an. Einen knappen Monat später trat er als General zurück. O.C.

Landesgeneralstreik Defilee
Defilee der Ordnungstruppen vor General Ulrich Wille und dem Ortskommandanten Oberstdivisionär Emil Sonderegger auf dem Mythenquai am 15. November 1918.

Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Rämistrasse 101

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 01/02/2022 - 07:40

Im Bestreben, das für eine erfolgreiche Industrialisierung der Schweiz erforderliche technische Personal und Wissen unabhängig vom Ausland auszubilden und zu entwickeln, beschlossen die eidgenössischen Räte 1854 die Gründung des Eidgenössischen Polytechnikums (seit 1905 ETH) in Zürich nach dem Vorbild der Pariser Ecole Polytechnique (1794/1804). Da nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 zahlreiche namhafte Gelehrte und Wissenschaftler Deutschland verlassen mussten und bereit waren, in der liberalen Schweiz am Aufbau der neuen Hochschule mitzuwirken, gewann diese rasch einen guten Ruf und war ihrer Aufgabe, eine konkurrenzfähige technische Elite auszubilden, gewachsen. So nahm auch Gottfried Semper, der sich als Architekt in Dresden bereits einen Namen gemacht hatte, die ihm angebotene Professur 1854 an. Kurz darauf erhielt er den Auftrag, ein Projekt für das Schulgebäude von Polytechnikum und Universität auf dem ehemaligen Schanzengelände gegenüber dem neuen Kantonsspital auszuarbeiten. 1859-64 wurde der funktional gegliederte, über der Stadt thronende Neurenaissance-Bau mit vorgelagerter Terrasse und selbständigem Chemiegebäude an der Rämistrasse nach Sempers Plänen von Staatsbaumeister Johann Caspar Wolff (1818-91) realisiert.

ETH
Erhöhte Lage und zur Stadt orientierte Hauptfassade manifestieren die Bedeutung der ETH für Zürich und den Bundesstaat. Foto um 1905.

Die Fassaden der geschlossenen, viergeschossigen Vierflügelanlage mit zentralem Hof werden durch Mittelrisalite mit Eingängen und Treppenhäusern sowie Eckrisalite an den Längsseiten gegliedert. Die beiden unteren Geschosse sind durch die Rustikaquaderung zu einem mächtigen Sockel zusammengebunden. Darüber reihen sich die je nach Funktion des Gebäudeteils die unterschiedlich ausgebildeten Fensterachsen der beiden oberen Stockwerke. Im Westtrakt befanden sich die Lehrräume des Polytechnikums und hinter der Repräsentationsfassade des Mittelrisalits gegen die Stadt die Halle des Haupteingangs sowie die Räume der Schulleitung und die Aula.

ETH Semper-Bau
Die plastische Neurenaissance-Blendarchitektur des Mittelrisalits verleiht der Hauptfassade repräsentativen Charakter.

Der nördliche Flügel beherbergte die Zeichen- und Übungsräume – die von Semper entworfene Sgraffito-Dekoration der Fassade nimmt darauf Bezug – , der östliche die Sammlungen und der südliche die Universität. Im Zentrum der Anlage unterteilte eine eingeschossige Halle für die Antikensammlung den Hof und machte damit die humanistische Verwurzelung der technischen Ausbildung deutlich. Die von Semper geplante Ausmalung der repräsentativen Durchgangsräume ist nie ausgeführt worden. Einzig die Wand- und Deckengestaltung der Aula wurde vollständig nach seinen Vorgaben realisiert.

ETH Aula
Entwurf Sempers von 1865 für die Gestaltung der Aula: An der Wand hinter Rednertribüne und korinthischer Kolonnade Triumphbogenmotiv und mythologische Malereien.

Das starke Wachstum der Hochschule, technische Mängel am Bau und der Auszug der Universität in Karl Mosers 1914 eingeweihten Neubau, führten 1915-24 zur umfassenden Erneuerung und Erweiterung der Schulanlage nach Plänen von Gustav Gull: Das Chemiegebäude wurde abgebrochen, der Semper-Bau durch die L-förmige Verlängerung des südlichen und des nördlichen Flügels bis an die Rämistrasse erweitert und der alte Osttrakt durch einen wesentlich breiteren Gebäudeflügel mit diesen um ein Geschoss überragender, Kuppel bekrönter Mittelrotunde ersetzt. In deren über die Fassade vorspringendem Halbrund befindet sich hinter ionischen Kolossalsäulen das Auditorium Maximum, darüber die Bibliothek, darunter die Halle mit dem auf den neu entstandenen Vorhof zwischen Nord- und Südflügel gehenden Haupteingang. Die beiden Gebäudeflügel nehmen in den Risaliten gegen die Rämistrasse die ionischen Kolossalsäulen der Rotunde auf und rahmen mit vorspringenden, die Fassadenflucht der Risalite verlängernden Arkaden den Strassenraum und den Vorhof. Durch die axialsymmetrische, monumental wirkende, barocken Schlossanlagen ähnliche Komposition hat Gull das ETH-Gebäude von der Stadt zur Rämistrasse umorientiert.

ETH Rämistrasse
Die neue Hauptfront der ETH gegen die Rämistrasse. Foto vor 1938.

Anstelle der Antikenhalle setzte Gull eine über die ganze Gebäudehöhe reichende Halle zwischen die neu in die Höfe eingebauten Auditorien. Das komplexe Raumgefüge geschickt gestaffelter und verschränkter Arkaden und Kolonnaden öffnet die grosse Halle zu anderen Räumen, schafft Zonen unterschiedlichen Lichts und nimmt dadurch der Architektur die Schwere.

ETH Halle
Gulls Halle mit den Erschliessungsalerien und-emporen. Foto um 1943.

Unter den dem Semper-Bau angeglichenen Oberflächen aus Kunststein und Neurenaissance-Formen verbarg Gull das moderne Baumaterial, den Eisenbeton, der auch für die ursprünglich betonsichtig geplante Kuppel benützt wurde.

ETH Kuppelkonstruktion
Die sichtbare Betonaussenschale der Betonrippenkuppel mit kassettierten Füllungen wurde auf öffentlichen und politischen Druck mit Ziegeln verkleidet. Foto um 1971.

1964-77 wurde das ETH-Gebäude nach Plänen der Professoren Charles-Edouard Geisendorf (1913-85) und Alfred Roth (1903-98) nochmals erweitert, unter anderem durch die Hörsaaleinbauten in den beiden Innenhöfen und die Grossmensa unter der neuen Polyterrasse. O.C.   

Schweizerische Landesausstellung 1939 und Geistige Landesverteidigung (Enge / Zürichhorn)

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 07/08/2021 - 02:18

Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, der den Bundesstaat einer inneren Zerreissprobe ausgesetzt, die international stark vernetzte Schweizer Wirtschaft massiv getroffen und den sozialen Frieden schwer erschüttert hatte, führten zur Rückbesinnung auf nationale Werte und Interessen. In den 1920er Jahren forcierten die von der russischen Revolution und vom italienischen Faschismus ausgehende Bedrohung zusammen mit den neuen Möglichkeiten von Radio und Film zur Verbreitung totalitärer Ideologien das Bestreben, die Unabhängigkeit und den demokratischen Rechtsstaat auch in Friedenszeiten mit politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Mitteln zu verteidigen. Mit der Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland 1933 intensivierten Schweizer Politiker, Intellektuelle und Medienschaffende ihre Bemühungen um die Stärkung der kulturellen Grundwerte der Eidgenossenschaft und um einen inneren Schulterschluss über alle Klassen- und Parteigrenzen hinweg. Bundesrat Philipp Etter formulierte in der Botschaft vom 9. Dezember 1938 die Idee der Geistigen Landesverteidigung offiziell: Als Willensnation gründet die Schweiz auf der Bereitschaft der Bürger, für die gemeinsamen Werte der Menschenwürde, der Freiheit, der Demokratie und des Föderalismus mit ihrem Leben einzustehen. Diese geistigen Werte und die nationale Schicksalsgemeinschaft, die sich im Gotthardmassiv als Symbol der Einheit und Vielfalt, der Freiheit und Wehrhaftigkeit providentiell verkörpern, gilt es neu ins Bewusstsein zu rufen.

Audio file
Aus der Botschaft des Bundesrats vom 9.12.1938

Das Konzept war so offen und allgemein, dass sich mit Ausnahme der Frontisten und eines Teils der Kommunisten alle politischen Strömungen damit identifizieren konnten. Im gleichen Jahr entstanden auch ikonische Inszenierungen der Geistigen Landesverteidigung, wie z.B. der von Hermann Haller und Leopold Lindtberg gedrehte Film „Füsilier Wipf“ oder die Aufführungen des „Götz von Berlichingen“ und des „Wilhelm Tell“ am Zürcher Schauspielhaus mit Heinrich Gretler in den Titelrollen. Mit dem Beginn des Kalten Krieges Ende der 1940er Jahre erfuhr die Geistige Landesverteidigung bis in die ausgehenden 1960er Jahre eine Wiederbelebung.

Plakat Füsilier Wipf

Bereits 1925 wurde die Idee einer Landesausstellung in Zürich lanciert, doch erst 1935 beschloss der Bundesrat deren Unterstützung. Seit der Bundesstaatsgründung 1848 dienten die Landesausstellungen der Inszenierung der nationalen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Erstmals 1914 wurde eine Landesausstellung zur Demonstration des Willens zur bewaffneten Neutralität instrumentalisiert. Ganz im Dienst der Geistigen Landesverteidigung stand die Zürcher Landesausstellung 1939. Der 1936 zum Direktor der „Landi“ bestellte Architekt Armin Meili konzipierte eine thematisch geordnete Schau, die das Bild einer wehrhaften, innovativen, modernen, bodenständig in ihren regionalen und bäuerlichen Traditionen verwurzelten Schweiz vermitteln sollte. Auf dem linken Seeufer wurde die Schweiz als Industrie-, Wissenschafts-, Technik-, Tourismus- und Modenation präsentiert.

Halle des Strassenverkehrs von Architekt L.M. Boedecker, Zürich. Aufnahme: Michael Wolgensinger 1939
Halle des Strassenverkehrs von Architekt L.M. Boedecker, Zürich.

Neben Themen wie Energieversorgung, Städtebau und Verkehr standen vor allem „Heimat und Volk“ im Zentrum. Der von Fahnen überdachte „Höhenweg“ durchzog auf 700 Metern als Rückgrat und sakrale Selbstvergewisserung der Eidgenossenschaft das Ausstellungsgelände. Er erschloss Pavillons zu Geschichte und Werten der Schweiz, so auch zur „Wehrbereitschaft“, die durch eine monumentale Soldatenskulptur des Bildhauers Hans Brandenberger verkörpert wurde.

Landesausstellung 1939 Wehrbereitschaft
Plastik "Wehrbereitschaft" von Hans Brandenberger. Ein Original-Bronzeabguss steht heute vor dem Bundesbriefarchiv in Schwyz, eine Nachbildung bei den Turnhallen an der Rämistrasse 80.

Die „Landi“ sollte nicht nur durch Belehrung, sondern auch als kollektives Erlebnis zur Gemeinschaftsbildung beitragen. Das Vergnügen durfte daher nicht zu kurz kommen. Dieses garantierte u.a. der „Schifflibach“, der sich grosser Beliebtheit erfreute.

Video file
„Schifflibach“ und „Schifflibach-Lied“. Das war die Landi, SRF 18.6.1989.

Ausstellungsgelände, Pavillons, Skulpturen, Wandbilder und Ausstellungsgut waren als szenografische Einheit konzipiert. Als Chefarchitekt der Landesausstellung setzte Hans Hofmann (1897-1957), ein Schüler Karl Mosers, konsequent auf eine funktionalistische Holz-Leichtbauweise in Kombination mit neuen Materialien, wie Aluminium, und mit experimentellen Formen.

Landesausstellung 1939 Aluminiumpavillon
Aluminium-Pavillon von Architekt Jos. Schütz, Zürich. Aluminium wurde in seiner Schlichtheit und Abnutzungsresistenz als typisches schweizerisches Material propagiert.
Landesausstellung 1939 Betonbogen
Betonparabel von Hans Leuzinger (Architekt) und Robert Maillart (Ingenieur) mit Pferdebändiger von Alfons Maag.

Die gemässigte architektonische Moderne der „Landi“ hob sich damit deutlich von den wuchtigen Prestigebauten der totalitären Diktaturen ab und galt fortan als schweizerische Form der Moderne. Durch eine Luftseilbahn über den See war das Gelände in der Enge mit dem der traditionellen, bäuerlichen Schweiz gewidmeten Teil der „Landi“ am rechten Seeufer verbunden. Inspiriert von der Natur- und Heimatschutzbewegung verklärte im „Dörfli“ am Zürichhorn ein Potpourri ländlicher Bauten in verschiedenen Regionalstilen das vormoderne Leben und zelebrierte mit Trachtenschau und -fest die nationale kulturelle Eigenständigkeit.

Video file
„Dörfli“ und „Dörfli-Lied“. Das war die Landi, SRF 18.6.1989.

Die von Anfang Mai bis Ende Oktober 1939 dauernde Landesausstellung wurde durch Kriegsausbruch und Mobilmachung am 1. September endgültig zum nationalen Wallfahrtsort. Schliesslich verzeichnete sie 10 Millionen Besucher. 40‘000 Artikel und 15‘000 Bilder in der Schweizer Presse, Plakate und Postkarten, Briefmarken und Broschüren feierten das Ereignis, so dass die „Landi“ auf lange Zeit tief im kollektiven Gedächtnis verankert blieb. O.C.

Landi-Prospekt 1939
"Landi-Dörfli" am Zürichhorn. Landesausstellungsprospekt 1939.

August Adolf Ludwig Follen (1794-1855), Literat und Verleger

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 21:32

Geboren in Giessen (Hessen) als Sohn eines Landrichters, studierte August Adolf Ludwig Follen an der dortigen Universität und in Heidelberg Philologie, Theologie und Recht. 1814 nahm er als Freiwilliger an den Befreiungskriegen gegen Napoleon teil und engagierte sich in den folgenden Jahren publizistisch in der deutschen Burschenschaftsbewegung. 1819-21 wegen „studentischer Umtriebe“ inhaftiert, floh er 1821 nach Aarau, wo er bis 1827 an der Kantonsschule deutsche Sprache und Literatur unterrichtete und eine der ersten literaturgeschichtlichen Anthologien für höhere Schulen verfasste. Durch Heirat vermögend geworden, lebte er seit 1830 als Literat und Verleger in Zürich. Sein Haus (1835/36-39 im „(Unteren) Sonnenbühl“, 1843-47 im „Sonneck“) wurde Treffpunkt politischer Emigranten und einheimischer Liberaler. Hier trafen sich u.a. Michail Bakunin, Georg Herwegh, August Heinrich Hoffmann von Fallerleben, Ferdinand Freiligrath, Julius Froebel und der junge Gottfried Keller. 1843-45 engagierte sich Follen finanziell in Froebels Verlag „Litterarisches Comptoir“ bis der „Züricher Atheismusstreit“ die beiden entzweite. 1847 erwarb Follen das Schloss Liebenfels im Thurgau, wo er nach der Niederschlagung der Revolution in Deutschland politischen Flüchtlingen Asyl bot. 1855 starb er verarmt in Bern. O.C.

Zürcher Atheismusstreit

Karikatur zum Atheismusstreit. August Follen schwingt die Feder gegen Arnold Ruge. Wochen-Zeitung, 27. Januar 1846.

Julius Froebel (1805-1893), Geograf, Verleger und Nationalist

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 21:30

Geboren in Griesheim (Thüringen) als Sohn eines Pfarrers und Bruder Theodor Froebels, studierte Julius Froebel Geografie und Mineralogie in München, Jena, Weimar und Berlin. 1833 erhielt er auf Empfehlung Alexander von Humboldts in Zürich Lehraufträge an den nach dem liberalen Umsturz 1832 neu gegründeten Bildungsinstitutionen: als Mineraloge an der Universität und als Geograf an der Industrieschule (Vorläufer des MNG Rämibühl).

Julius Froebel 1837
Julius Froebel, Über das Wesen der Bidlung überhaupt und ins Besondere der Volksbildung. Programm der Zürcher Kantonsschule 1837.

1838 heiratete er die Seidenfabrikantentochter Kleopha Zeller. Im „Straussenhandel“ politisch radikalisiert, legte der seit seiner Studienzeit politisch engagierte Froebel 1840 seine Lehrtätigkeiten nieder und gründete mit finanzieller Unterstützung seiner Frau das „Literarische Comptoir“, einen Verlag, der unter anderem Georg Herweghs „Gedichte eines Lebendigen“, frühe Gedichte Gottfried Kellers sowie Schriften Friedrich Engels und Ludwig Feuerbachs publizierte. Nach Kontakten mit dem Büchner-Gefährten Wilhelm Weitling und Michail Bakunin des Kommunismus verdächtigt, mit seinem Freund und Unterstützer August Follen zerstritten und mit dem Verlag finanziell gescheitert, kehrte Froebel 1845 nach Deutschland zurück. 1848/49 trat er während der Revolution publizistisch für die nationale Einigung und die Lösung der sozialen Frage ein, wurde Mitglied der Deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche und kämpfte im Wiener Oktoberaufstand.

Julius Froebel 1848
Titelblatt einer politischen Schrift Julius Froebels zur Revolution von 1848.

Zum Tode verurteilt und begnadigt, wanderte Froebel nach Amerika aus, wo er bis 1857 lebte. Zurück in Deutschland, gründete er 1862 den grossdeutsch orientierten „Deutschen Reformverein“. Nach der Niederlage Wiens im österreichisch-preussischen Krieg unterstützte er in der von ihm seit 1867 herausgegebenen „Süddeutschen Presse“ die Einigungsbestrebungen Bismarcks. Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 trat er unter anderem als Konsul in Smyrna und Algier in den Reichsdienst. 1888 zog er sich aus dem politischen Leben zurück und verbrachte die letzten Jahre in Zürich. O.C. 

Juliis Fröbel

 Julius Froebel. Lithographie von Valentin Schertle, 1848.

Richard Wagner (1813-83), Komponist

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 20:10

In Leipzig geboren, wirkte Richard Wagner nach ersten bewegten Jahren in Würzburg, Magdeburg, London und Paris 1843-49 als Hofkapellmeister in Dresden. Hier komponierte er die Opern Tannhäuser und Lohengrin. Nach der Niederschlagung der Revolution 1849 flüchtete er mit Franz Liszts Hilfe nach Zürich, Niederschlagung der Revolution 1849 flüchtete er mit Franz Liszts Hilfe nach Zürich, wo er in den Escher-Häusern am Zeltweg wohnte. Mit der Aufführung von Beethoven-Sinfonien und von eigenen Werken in der Allgemeinen Musik-Gesellschaft sowie im Aktientheater bereicherte er das Zürcher Musikleben.

Richard Wagner
Richard Wagner. Lithografie von Johann Caspar Scheuchzer um 1842.
Audio file

 Züricher Vielliebchen-Walzer, WWV 88 (1854)

Im Gartenhaus der Villa Wesendonck (heute Museum Rietberg), in der er zeitweise als Gast des Seidenkaufmanns Otto Wesendonck lebte, entwarf er wesentliche Teile des Rings des Nibelungen und verfasste Schriften, wie Die Kunst und die Revolution, Das Kunstwerk der Zukunft und Oper und Drama, aber auch das antisemitische Pamphlet Das Judentum in der Musik. Mitte der 1850er Jahre gehörte er zu den Gästen Georg und Emma Herweghs, in deren Wohnung deutsche, italienische, aber auch einheimische Künstler, Literaten und politische Aktivisten, wie z.B. Gottfried Semper, Franz Liszt, Francesco de Sanctis (1817-83), Felice Orsini (1819-58) und Gottfried Keller, verkehrten. 1858-61 lebte er abwechselnd in Venedig, Paris und Luzern. Seine Liebe zu Mathilde Wesendonck, der Frau seines Zürcher Gastgebers, verarbeitete er in Tristan und Isolde.

Reklame Liebig - Richard Wagner

Richard Wagner 1858 in der Villa Wesendonck. Sammelbild des sechsteiligen Kartensets 883 zu Liebigs Fleischextrakt. Um 1900.

Audio file

 Wesendonck-Lieder, V. Träume, WWV 91 (1857-1858)

Audio file

 Tristan und Isolde, I. Einleitung, WWV 90 (1857-1859)

1866-72 weilte er mit Franz Liszts Tochter Cosima, die er nach ihrer Scheidung von Hans von Bülow 1870 heiratete, in Tribschen, wo ihn Friedrich Nietzsche mehrmals besuchte. Dort vollendete er auch die Meistersinger von Nürnberg und das für Cosima geschriebene Siegfried-Idyll. Die letzten Jahre verbrachte er in Bayreuth, wo er den Ring des Nibelungen vollendete. O.C.

Audio file

 Die Walküre, 3. Akt: Vorspiel, sog. Walkürenritt, WWV 86b (1856-1870)