Neurenaissance

Ehem. Eidgenössische Sternwarte, Schmelzbergstrasse 25

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 02/03/2022 - 08:12

Die Vorgeschichte der Eidgenössischen Sternwarte reicht bis ins mittlere 18. Jahrhundert zurück, als die 1746 gegründete „Physikalische Societät“ (heute Naturforschende Gesellschaft) 1759 auf dem Dach des Zunfthauses „Zur Meise“ eine kleine Sternwarte zur Sonnenbeobachtung einrichtete. Hier bestimmte Johannes Gessner (1709-90) den Meridian seines Standorts mit grosser Genauigkeit. 1773 wurde die Sternwarte auf den Karlsturm des Grossmünsters verlegt und 1810/11 auf die Schanze neben der Kronenpforte (heute Universität). Die astronomischen Beobachtungen wurden unter anderem zur Vermessung des Kantons und zur Zeitbestimmung gebraucht und waren auch mit dem Sammeln von Wetterdaten verbunden. 1855 übernahm das neu gegründete Polytechnikum (heute ETH) die Sternwarte und die astronomischen Instrumente der „Naturforschenden Gesellschaft“.

Rudolf Wolf
Rudolf Wolf. Foto vor 1886.

Rudolf Wolf (1816-93), Professor für Mathematik und Astronomie an der neuen Hochschule, der sich 1839 vergeblich für den Bau einer neuen Sternwarte eingesetzt hatte, drang nun mit seinem Anliegen durch: Der Kanton Zürich stellte das Grundstück am Schmelzberg zur Verfügung, der Bund finanzierte den Bau und Gottfried Semper entwarf das Gebäude auf der Grundlage von Wolfs Bauprogramm der modernsten Universitätssternwarten Europas. Der 1861-64 realisierte, funktional gegliederte, repräsentative Neurenaissance-Mehrzweckbau auf L-förmigem Grundriss mit drei in ihrer Grundfläche gleichen, in der Höhe gestaffelten Kuben und einem Rundturm wirkt durch den hohen Rustikasockel auf der Talseite burgartig.

Eidgenössische Sternwarte
Die Eidgenössische Sternwarte im damals unverbauten Rebland des Schmelzbergs. Foto um 1889.

Der die Terrasse für Freilichtbeobachtungen nördlich begrenzende eingeschossige Nebenflügel nahm die Bibliothek und den Meridiansaal auf, durch dessen Schlitze in Fassaden und Dach die Meridianpassagen der Sterne vom Nord- bis zum Südhorizont beobachtet werden konnten. Der abgewinkelte dreigeschossige Haupttrakt mit dem nördlich anschliessenden überkuppelten Zylinder des Observatoriums wurde im Erdgeschoss von der Eingangshallte eingenommen, die zugleich als Instrumenten- und Modellmuseum diente und Zugang zum Erdgeschoss des zweigeschossigen Kubus mit Hörsaal und Büros gewährte.

Eidgenössische Sternwarte Eingangshalle
Die Eingangshalle mit stukkiertem Gewölbe, das durch illusionistisch aufgemalte Gliederungen strukturiert wird, und eingebauten Vitrinen. Foto 1951.

In den Obergeschossen der beiden seitlich verschobenen Kuben befand sich die Wohnung Rudolf Wolfs mit Arbeitsräumen. Im hohen Erdgeschoss werden die Gebäudeteile durch die umlaufende Sandsteinfassade mit grossen Rundbogenfenstern zusammengehalten. Die leicht wirkenden, gelb verputzten Fassaden darüber sind durch Sandsteinlisenen zwischen den Fenstern und durch Simse zwischen den niedrigeren Obergeschossen gegliedert. Ein Sgraffito-Dekorationsband mit pflanzlichen Motiven nach Sempers eigenen Entwürfen umschliesst das Observatorium im vierten Turmgeschoss unter der drehbaren Kuppel.

Eidgenössische Sternwarte Observatorium
Der Observatoriumsturm mit der für das ganze Gebäude charakteristischen feinen Fassadengliederung und dem Sgraffitofries.

Bereits vor seiner Berufung ans Polytechnikum hatte Rudolf Wolf entdeckt, dass die Schwankungen der Sonnenfleckenaktivität und jene des Erdmagnetfeldes korrelieren. Daher sammelte er die Beobachtungen der Sonnenflecken – seit deren Entdeckung im frühen 17. Jahrhundert – organisierte ab 1849 ein internationales Beobachternetz und entwickelte einen statistischen Aktivitätsindex der Sonnenaktivität. Nach seiner Methode wurden an der Eidgenössischen Sternwarte bis zur Einstellung des Betriebs täglich Sonnenfleckenzählungen durchgeführt. Unter Wolfs Leitung entwickelte sich die Eidgenössische Sternwarte zudem rasch zu einem nationalen Angelpunkt der geodätischen Landvermessung, der Zeitmessung und der Meteorologie. Da astronomische Positions- und Zeitbestimmungen genaue Luftdruck- und Temperaturmessungen voraussetzen, wurde 1864 in der Sternwarte die Meteorologische Zentralanstalt (heute MeteoSchweiz) eingerichtet, die hier Wetterdaten aus der ganzen Schweiz sammelte und auswertete, bis sie 1881 zu einem selbständigen Bundesinstitut wurde.

Eidgenössische Sternwarte Observatorium Refraktor
Der Refraktor für die Sonnenbeobachtung im Kuppelraum des Observatoriumsturms. Foto 1911.

Die Überbauung der Umgebung der Sternwarte im 20. Jahrhundert beeinträchtigte die Beobachtungsmöglichkeiten immer mehr, so dass der Standort 1980 aufgegeben wurde. Nach der Renovation des Gebäudes 1995-97 wurde es Sitz des Collegium Helveticum. O.C.    

Gustav Gull (1858-1942), Architekt

Submitted by ottavio.clavuot on Fri, 01/28/2022 - 05:21

Als Spross einer Baumeisterfamilie in der Enge geboren studierte Gustav Gull 1876-79 zusammen mit Karl Moser Architektur am Eidgenössischen Polytechnikum (heute ETH) und bildnerisches Gestalten (Steinbildhauerei und Modellieren) an der Ecole des Arts décoratifs in Genf. Nach einer Studienreise in Italien 1883/84 erhielt er seinen ersten grossen Auftrag in Luzern mit dem Bau des Eidgenössischen Postgebäudes (1886-88) im Stil der Neurenaissance.

Gustav Gull
Gustav Gull. Foto vor 1935.

Zurück in Zürich erhielt er 1890 anlässlich der politischen Auseinandersetzung um den Standort des Schweizerischen Nationalmuseums den Auftrag, einen Entwurf für ein Landesmuseum mit angegliederter Kunstgewerbeschule auszuarbeiten. Dabei sollten verschiedene historische Räume und Teile des Barfüsserkreuzgangs organisch in die Anlage eingebaut werden. Gull entwarf einen unregelmässigen, in einen Park eingebetteten burgartigen Gebäudekomplex aus individuellen Baukörpern in Formen der Spätgotik und der Renaissance. 1891 setzte sich Zürich mit Gulls Projekt durch. Zum Studium der Innenausstattung besuchte Gull während der Realisierungsphase 1894 Museen in Paris und London. 1898 konnte der auch im Ausland viel beachtete Museumsbau feierlich eröffnet werden.

Landesmuseum
Das Landesmuseum ist als „spätmittelalterliche Burg“ Nationalmuseum und Nationaldenkmal, indem es Bezug nimmt auf die grosse Zeit der Alten Eidgenossenschaft.   

Unterdessen hatte Gull den Auftrag erhalten, ein repräsentatives Verwaltungszentrum für die mit der ersten Eingemeindung 1893 um mehr als das Vierfache gewachsene Bevölkerung Zürichs zu planen. Seit 1895 Stadtbaumeister, konzipierte Gull an Stelle des Klosters Oettenbach, des Werdmühleareals und des Schipfequartiers ein monumentales Stadtzentrum zwischen Limmat und Bahnhofstrasse beidseits der als zentrale Achse neu anzulegenden Uraniastrasse und -brücke (heute Rudolf Brun-Brücke). Terrassen, Treppen, Brücken und Wandelhallen sollten die im Stil der Neurenaissance gestalteten Verwaltungsgebäude und Markthallen verbinden.

Gull Projekt Verwaltungszentrum
Limmatfront des von Gull projektierten neuen Verwaltungszentrums von Zürich. Im Zentrum des Bildes der Turm des nie gebauten Stadthauses. Perspektivische Zeichnung um 1900.

Ausgeführt wurden 1903-19 nur die Bauten zwischen Beatenplatz und Lindenhof (Amtshäuser I-IV und die Sternwarte Urania) – nicht zuletzt, weil Gulls Entwurf nach dem 1. Weltkrieg nicht mehr zeitgemäss schien. So verblieb das Stadthaus bis heute im neugotischen Erweiterungsbau des Gebäudes von 1883/84, den Gull 1898-1900 an Stelle der Klostergebäude errichtet und unter Einbeziehung eines Teils des romanischen Kreuzgangs mit dem Fraumünster verbunden hatte.

Amtshäuser und Uraniastrasse
Die durch die Brücke über die Uraniastrasse verbundenen Amtshäuser mit dem Turm der Sternwarte sind locker in einem grosszügigen Bogen gegen die Limmat gruppiert.

1900 wechselte Gull vom Stadtbaumeisteramt ans Polytechnikum, wo er bis 1929 als Professor für Architektur lehrte. Nach einem Wettbewerb 1909 erhielt er den Auftrag für die Erweiterung von Gottfried Sempers Hochschulbau, dessen Realisierung sich, bedingt durch den Krieg, bis 1925 hinzog. Gulls öffentliche Bauten zeichnen sich aus durch ihre sorgfältige städtebauliche Einordung, eine funktionale und räumlich wirkungsvolle Organisation im Inneren sowie den grosszügigen Einsatz von Bauplastik und Wandmalerei. Wie sein Konkurrent Karl Moser – seit 1914 ebenfalls Professor an der ETH – setzte Gull auf moderne Bautechnik, hielt aber im Gegensatz zu jenem in der äusseren Gestaltung seiner Bauten an den historischen Baustilen und ihren Regeln fest. Dafür wurde er nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend kritisiert, während Moser als Vorreiter der Moderne gefeiert wurde. O.C.

Stadthaus
Die spätgotischen Architekturformen des Stadthauses wollen an die Blütezeit des spätmittelalterlichen Zürichs erinnern und dienen der harmonisch wirkenden Verbindung mit dem Fraumünster.

Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Rämistrasse 101

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 01/02/2022 - 07:40

Im Bestreben, das für eine erfolgreiche Industrialisierung der Schweiz erforderliche technische Personal und Wissen unabhängig vom Ausland auszubilden und zu entwickeln, beschlossen die eidgenössischen Räte 1854 die Gründung des Eidgenössischen Polytechnikums (seit 1905 ETH) in Zürich nach dem Vorbild der Pariser Ecole Polytechnique (1794/1804). Da nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 zahlreiche namhafte Gelehrte und Wissenschaftler Deutschland verlassen mussten und bereit waren, in der liberalen Schweiz am Aufbau der neuen Hochschule mitzuwirken, gewann diese rasch einen guten Ruf und war ihrer Aufgabe, eine konkurrenzfähige technische Elite auszubilden, gewachsen. So nahm auch Gottfried Semper, der sich als Architekt in Dresden bereits einen Namen gemacht hatte, die ihm angebotene Professur 1854 an. Kurz darauf erhielt er den Auftrag, ein Projekt für das Schulgebäude von Polytechnikum und Universität auf dem ehemaligen Schanzengelände gegenüber dem neuen Kantonsspital auszuarbeiten. 1859-64 wurde der funktional gegliederte, über der Stadt thronende Neurenaissance-Bau mit vorgelagerter Terrasse und selbständigem Chemiegebäude an der Rämistrasse nach Sempers Plänen von Staatsbaumeister Johann Caspar Wolff (1818-91) realisiert.

ETH
Erhöhte Lage und zur Stadt orientierte Hauptfassade manifestieren die Bedeutung der ETH für Zürich und den Bundesstaat. Foto um 1905.

Die Fassaden der geschlossenen, viergeschossigen Vierflügelanlage mit zentralem Hof werden durch Mittelrisalite mit Eingängen und Treppenhäusern sowie Eckrisalite an den Längsseiten gegliedert. Die beiden unteren Geschosse sind durch die Rustikaquaderung zu einem mächtigen Sockel zusammengebunden. Darüber reihen sich die je nach Funktion des Gebäudeteils die unterschiedlich ausgebildeten Fensterachsen der beiden oberen Stockwerke. Im Westtrakt befanden sich die Lehrräume des Polytechnikums und hinter der Repräsentationsfassade des Mittelrisalits gegen die Stadt die Halle des Haupteingangs sowie die Räume der Schulleitung und die Aula.

ETH Semper-Bau
Die plastische Neurenaissance-Blendarchitektur des Mittelrisalits verleiht der Hauptfassade repräsentativen Charakter.

Der nördliche Flügel beherbergte die Zeichen- und Übungsräume – die von Semper entworfene Sgraffito-Dekoration der Fassade nimmt darauf Bezug – , der östliche die Sammlungen und der südliche die Universität. Im Zentrum der Anlage unterteilte eine eingeschossige Halle für die Antikensammlung den Hof und machte damit die humanistische Verwurzelung der technischen Ausbildung deutlich. Die von Semper geplante Ausmalung der repräsentativen Durchgangsräume ist nie ausgeführt worden. Einzig die Wand- und Deckengestaltung der Aula wurde vollständig nach seinen Vorgaben realisiert.

ETH Aula
Entwurf Sempers von 1865 für die Gestaltung der Aula: An der Wand hinter Rednertribüne und korinthischer Kolonnade Triumphbogenmotiv und mythologische Malereien.

Das starke Wachstum der Hochschule, technische Mängel am Bau und der Auszug der Universität in Karl Mosers 1914 eingeweihten Neubau, führten 1915-24 zur umfassenden Erneuerung und Erweiterung der Schulanlage nach Plänen von Gustav Gull: Das Chemiegebäude wurde abgebrochen, der Semper-Bau durch die L-förmige Verlängerung des südlichen und des nördlichen Flügels bis an die Rämistrasse erweitert und der alte Osttrakt durch einen wesentlich breiteren Gebäudeflügel mit diesen um ein Geschoss überragender, Kuppel bekrönter Mittelrotunde ersetzt. In deren über die Fassade vorspringendem Halbrund befindet sich hinter ionischen Kolossalsäulen das Auditorium Maximum, darüber die Bibliothek, darunter die Halle mit dem auf den neu entstandenen Vorhof zwischen Nord- und Südflügel gehenden Haupteingang. Die beiden Gebäudeflügel nehmen in den Risaliten gegen die Rämistrasse die ionischen Kolossalsäulen der Rotunde auf und rahmen mit vorspringenden, die Fassadenflucht der Risalite verlängernden Arkaden den Strassenraum und den Vorhof. Durch die axialsymmetrische, monumental wirkende, barocken Schlossanlagen ähnliche Komposition hat Gull das ETH-Gebäude von der Stadt zur Rämistrasse umorientiert.

ETH Rämistrasse
Die neue Hauptfront der ETH gegen die Rämistrasse. Foto vor 1938.

Anstelle der Antikenhalle setzte Gull eine über die ganze Gebäudehöhe reichende Halle zwischen die neu in die Höfe eingebauten Auditorien. Das komplexe Raumgefüge geschickt gestaffelter und verschränkter Arkaden und Kolonnaden öffnet die grosse Halle zu anderen Räumen, schafft Zonen unterschiedlichen Lichts und nimmt dadurch der Architektur die Schwere.

ETH Halle
Gulls Halle mit den Erschliessungsalerien und-emporen. Foto um 1943.

Unter den dem Semper-Bau angeglichenen Oberflächen aus Kunststein und Neurenaissance-Formen verbarg Gull das moderne Baumaterial, den Eisenbeton, der auch für die ursprünglich betonsichtig geplante Kuppel benützt wurde.

ETH Kuppelkonstruktion
Die sichtbare Betonaussenschale der Betonrippenkuppel mit kassettierten Füllungen wurde auf öffentlichen und politischen Druck mit Ziegeln verkleidet. Foto um 1971.

1964-77 wurde das ETH-Gebäude nach Plänen der Professoren Charles-Edouard Geisendorf (1913-85) und Alfred Roth (1903-98) nochmals erweitert, unter anderem durch die Hörsaaleinbauten in den beiden Innenhöfen und die Grossmensa unter der neuen Polyterrasse. O.C.   

Ehem. Wurstfabrik und Wohnhaus „Rämiburg“, Rämistrasse 44, 46

Submitted by ottavio.clavuot on Mon, 12/13/2021 - 13:55

Der Bratwurster Friedrich Mörker warb mit seiner 1887 von Hottinger Baumeister Friedrich Hopp (1834-98) als mehrfarbiger Sichtbacksteinbau gestalteten, mittelalterliche Formen und Elemente des Schweizer Holzstils kombinierenden Bratwurstfabrik (Nr. 46). Der Rundturm mit Zinnenkranz und gotisierender Inschrift sowie die dekorativen Pfettenschutzbretter mit Laubsägeornamentik sollten für Tradition und Qualität stehen. Während in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts Fabriken meist als schlichte Zweckbauten, wie z.B. der „Schanzenberg“, erstellt wurden, war die Errichtung mehrfarbiger, burg- oder schlossartig gestalteter Fabrikgebäude zu Werbezwecken im späten 19. Jahrhundert gerade in der Lebensmittelindustrie weit verbreitet. Paradebeispiel dafür ist sicher die seit 1882 in mehreren Etappen erweiterte Brauerei Feldschlösschen in Rheinfelden.

Rämistrasse 46
Das ehemalige Fabrikgebäude.Foto 1890.

Friedrich Mörkers Unternehmen scheint jedenfalls erfolgreich gewesen zu sein, denn 1904 konnte sein gleichnamiger Sohn die benachbarte Neurenaissance-Villa „Rämiburg“ (Nr. 44) erwerben, die 1891 wohl vom Architekten Alfred Chiodera errichtet worden war, der daneben 1897/98 sein eigenes Wohnhaus (Rämistrasse 50) in Anlehnung an französische Renaissance-Schlösschen erbaute. O.C.

Rämistrasse 46
Das Wohnhaus mit turmartigem Risalit, Balkon und Nischenfiguren gegen die Rämistrasse sowie markantem Treppenhausfenster an der Eingangsfront.
Villa Chiodera Rämistrasse 50
Die Villa Chiodera mit Eingangsrisalit, Ecktürmchen, Veranda, talseitiegen Erkern und Lukarnen, hellen Sandsteinfassaden und dunkeln Schieferdächern erhält durch den differenziert eingesetzten Bauschmuck eine elegante, urbane Erscheinung.  

Mietshäuser, Hottingerstrasse 15-21

Submitted by ottavio.clavuot on Mon, 12/13/2021 - 13:47

Die Zeile der repräsentativ gestalteten Neurenaissance-Mietshäuser wurde vom Semper-Schüler Ernst Diener (1847-1927) als Architekt und teilweise als Bauherr (Nr. 15) 1876-82 nach dem Vorbild der „Escher-Häuser“ am Zeltweg errichtet. Sie verleiht der 1871/72 neu angelegten Hottingerstrasse einen grossstädtischen Charakter und dokumentiert den Wandel Hottingens von der Bauerngemeinde zum gehobenen städtischen Wohnquartier. Die kubischen Palazzi mit Walmdach haben Fassaden mit Natursteinsockel, Quaderbandputz im Erdgeschoss und glattem Putz in den Obergeschossen und im Mezzanin.

Hottingerstrasse 15-21
Die vornehme Mietshauszeile vom Steinwiesplatz her. Foto um 1890.

Die Mittelachse der Strassenfront der spiegelbildlichen mittleren Bauten (Nr. 17-19) ist durch zentrale Loggien in Sandstein mit bekrönendem Palladio-Motiv akzentuiert. Das stadtwärts in den Formen einer städtischen Villa erbaute Mehrfamilienhaus (Nr. 15) verfügt über einen betonten Piano nobile und Balkone in der 1905 aufgestockten Mittelachse. 1907 erhielt der Kopfbau gegen den Steinwiesplatz (Nr.21) an der Südwestecke eine turmartige Erhöhung. Seit 1984 verbinden zurückversetzte Glas-Metallbauten die ursprünglich selbständigen Häuser. O.C.

Hottingerstrasse 15-19
Das mittlere Doppelhaus mit mit Loggien und dem modernen Verbindungsbau rechts.
Ober- und Ordnungsbegriffe

Ehemalige Augenklinik, Rämistrasse 73

Submitted by ottavio.clavuot on Wed, 11/10/2021 - 06:29

Der repräsentative Bau der ehemaligen Augenklinik zwischen ETH und Universität ist Ausdruck des Erstarkens und der Auffächerung der universitären Medizin in Spezialdisziplinen. Mit der Entstehung der modernen Klinik im 19. Jahrhundert wurden Spitäler nicht mehr primär auf die Versorgung und Verwahrung physisch oder psychisch kranker Menschen, sondern auf die Behandlung heilbarer Kranker ausgerichtet. Das 1842 eröffnete Zürcher Kantonsspital beherbergte zwei Universitätskliniken: die Innere Medizin und die Chirurgie, der auch die Augenheilkunde zugeordnet war. Die grossen Fortschritte in der Ophthalmologie und die Spezialisierung einzelner Ärzte auf dieses Gebiet, führten in verschiedenen europäischen Ländern zur Gründung privater Augenkliniken, da die Augenärzte mit ihrer Forderung nach eigenen Lehrstühlen und eigenständigen Universitätskliniken vor 1850 nicht durchdrangen. Die Chirurgen fürchteten die neue Konkurrenz und die Regierungen die Kosten. In Zürich bewilligte der Regierungsrat nach mehrjährigem Ringen 1862 einen Lehrstuhl für Augenheilkunde mit zugehöriger Klinik in den Gebäuden des Universitätsspitals und berief den Zürcher Augenarzt Johann Friedrich Horner, der seit 1856 eine ausserordentlich erfolgreiche Privatklinik betrieben hatte. Erst 1889 konnte sich Horners Nachfolger Otto Haab mit der Forderung nach einem selbständigen Klinikbau durchsetzen, mit dessen Planung Kantonsbaumeister Otto Weber, ein Schüler Gottfried Sempers, beauftragt wurde. Angesichts des grossen Renommees der Zürcher Augenheilkunde und der unmittelbaren Nachbarschaft des Neubaus zu Sempers monumentalem Hochschulgebäude konnte Weber die Verantwortlichen von der repräsentativen Gestaltung des Klinikbaus als zweiflügligen, historistischen Palazzo mit vorgeschobenem, erhöhtem, mit korinthischen Säulen geschmücktem Mittelrisalit überzeugen.

ehem. Augenklinik
Strassenfront der ehemaligen Augenklinik mit dem nach Geschlechtern getrennten Garten.

Die teuern Sandsteinfassaden des 1892-96 ausgeführten Baus umschlossen eine an ausländischen Vorbildern orientierte, moderne, zweckmässige Spitalinfrastruktur: Wirtschaftsräume und Stallungen für die Versuchskaninchen im Kellergeschoss; repräsentatives Vestibül, Räume für Forschung, Lehre und Verwaltung sowie Warte- und Untersuchungszimmer im Erdgeschoss; stationärer Bereich für 57 Erwachsene und 11 Kinder mit zwei Operationssälen, Krankenzimmern und grosszügigen Korridoren als Aufenthaltsbereich in den Obergeschossen.

Rämistrasse 73 Operationssaal
Operationssaal. Foto 1909.

Die Klinik war vollständig elektrifiziert, verfügte über Warmwasser in den Zimmern, nach Geschlechtern getrennte sanitäre Anlagen und eine an hygienischen Kriterien orientierte Ausstattung. Die Patienten waren in den Betrieb der Klinik eingebunden und mussten, sofern es ihr Zustand erlaubte, Mitpatienten betreuen und bei der Bewirtschaftung und Reinigung mithelfen.

Rämistrasse 73 Patienten und Schwestern
Krankenschwestern mit kleinen Patienten. Foto 1909.

1953 zogen das Kunsthistorische Institut und die Archäologische Sammlung in das Gebäude der Augenklinik ein, nachdem diese in moderne Räume im neugebauten Kantonsspital umgezogen war. O.C.

Archäologische Sammlung Rämistrasse 73
Gipsabgusssammlung des Archäologischen Instituts im Treppenhaus und dem grosszügigen Korridor im 1. OG der ehemaligen Augenklinik.

Gottfried Semper (1803-79), Architekt und Publizist

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 20:09

In Altona (Hamburg) in einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie geboren, studierte Gottfried Semper in Göttingen, München und Paris. Durch Beobachtungen auf seiner Grand Tour durch Italien und Griechenland 1830-34 konnte er den Streit um die Frage, ob antike Architektur und Skulptur einfarbig oder bunt gewesen seien, zugunsten der Polychromie entscheiden.

Semper Polychromie
Sempers Rekonstruktion der farblichen Fassung des Gebälks des Athener Parthenons in der Schrift „Anwendung der Farben in der Architektur und Plastik des Alterthums … und des Mittelalters“. Kolorierte Lithografie, Dresden 1836.

1834-49 wirkte er als Architekturprofessor an der Akademie in Dresden, wo er unter anderem mit dem Bau des Hoftheaters (1836-41) Aufsehen erregte. Nach der Niederschlagung der Revolution 1849 floh Semper nach London. Richard Wagner, der Dresden 1849 ebenfalls verlassen musste und nach Zürich emigrierte, empfahl Semper mit Erfolg als Professor für das 1854 neu gegründete Eidgenössische Polytechnikum (seit 1905 ETH). Während seiner Zürcher Jahre 1855-71 baute Semper unter anderem den Kern das Hauptgebäudes der ETH (1859-64, mit Johann Kaspar Wolff), die Eidgenössische Sternwarte (1861-64), das Wohn- und Geschäftshaus Fierz (1865-67) sowie das Stadthaus in Winterthur (1865-69, durch einen Anbau 1932-34 stark beeinträchtigt).

Semper Stadthaus Winterthur
Semper gestaltete das Winterthurer Stadthaus als Monument der kommunalen Autonomie, indem er die Tempelfront des Haupteingangs auf ein hohes Podium mit doppelläufiger Freitreppe stellte. Foto 1904.

Auch nicht realisierte Projekte hinterliessen Spuren, wie etwa der Entwurf für den Bahnhof der NOB in Zürich 1861. Durch seine Lehrtätigkeit prägte er eine ganze Generation von Zürcher Architekten (ca. 220 Schüler), die im Stil der Semper‘schen Neurenaissance weiterbauten.

Semper Bahnhofprojekt 1861
Im Auftrag Alfred Eschers baute Jakob Friedrich Wanner (1830-1903) 1865-71 den Bahnhof der NOB (heute Hauptbahnhof) unter Verwendung von Sempers Projekt von 1861, das eine am Vorbild römischer Thermen orientierte Bahnhofhalle vorsah. Gottfried Semper, Projektzeichnung 1861.

Von grossem Einfluss waren auch seine Schriften, so das 1860-63 erschienene Hauptwerk Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Ästhetik, auf das später die niederländische Bewegung de Stijl direkten Bezug nahm. 1871-76 wirkte Semper bei der Erweiterung der kaiserlichen Hofburg in Wien (Neue Burg, Hofmuseen und Burgtheater) mit. In den letzten Lebensjahren konzentrierte er sich auf die Fertigstellung der Oper in Dresden (heute Semper-Oper), nachdem das von ihm errichtete Hoftheater 1869 abgebrannt war. O.C.

Gottfried Semper.

Gottfried Semper. Foto 1865.

Gustav Albert Wegmann (1812-58), Architekt

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 20:05

In Steckborn als Sohn eines württembergischen Kavallerie-Leutnants und einer Zürcher Bankierstochter geboren, studierte Gustav Albert Wegmann 1832-35 am Polytechnikum in Karlsruhe Architektur. Nach der Vertiefung seiner Ausbildung in München 1835-36, arbeitete er seit 1836 als Architekt in Zürich, wo er zusammen mit Ferdinand Stadler und Leonhard Zeugheer die Architekturszene bis zum Auftreten Gottfried Sempers dominierte. 1837 war er zusammen mit Carl Ferdinand von Ehrenberg Mitgründer der Gesellschaft Schweizerischer Ingenieure und Architekten (später Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein SIA).

Gustav Albert Wegmann
Gustav Albert Wegmann als planender Architekt mit Zirkel inszeniert. Anonym, Daguerreotypie, 1840-er Jahre.

Mit ausgesprochenem Sinn für zweckmässige Lösungen, Baumaterialien und Konstruktionen verstand er es, eigenständig die grosse Architektur seiner Zeit den bescheidenen Zürcher Verhältnissen anzupassen. Seine an Karl Friedrich Schinkels Berliner Bauakademie orientierte Alte Kantonsschule ist ein Paradebeispiel dafür. Er war mit den meisten zeitgenössischen Bauaufgaben vertraut und baute für das aufstrebende Bürgertum, den liberalen Staat und die rasch expandierende Wirtschaft.

Gewächshaus Botanischer Garten
Wegmanns grosses Gewächshaus im Botanischen Garten wurde 1977-79 zum Institutsgebäude des Völkerkundemuseums umfunktioniert. Rechnung für die Lieferung von Samen, 1862.

So errichtete er in Zürich etwa das Kantonsspital (1835-42, zusammen mit Leonhard Zeugheer, abgebrochen), die Mädchenschule beim Grossmünster (1850-53), das grosse Gewächshaus des neuen Botanischen Gartens auf dem mit der Entfestigung der Stadt aufgehobenen Bollwerks zur Katz (1836-38), den Bahnhof der Nordbahn (1846-47, abgebrochen), den Freimaurertempel auf dem Lindenhof (1851-54), die Villa Tobler-Stadler an der Winkelwiese (1852-55) oder dieTiefenhöfe am Neumarkt (heute Paradeplatz, 1855-59). O.C.

Grossmünster Mädchenschule
Das anstelle der ehemaligen Stiftsgebäude errichtete Mädchenschulhaus orientiert sich mit den neuromanischen Fassaden am Grossmünster und integriert in seinem Zentrum den rekonstruierten romanischen Kreuzgang. Foto 1913.
Tiefenhöfe

Die „Tiefenhöfe“ waren die ersten Geschäftshäuser am Paradeplatz, dem neuen Verkehrszentrum Zürichs nach 1830. Foto um 1867.

Wegmann Bahnhof Zürich
Wegmanns Nordbahn-Bahnhof (heute Hauptbahnhof) musste 1865 dem von Alfred Escher in Auftrag gegebenen Neubau Jakob Friedrich Wanners weichen. Lithografie eines unbekannten Künstlers, um 1847.

Wohn- und Geschäftshaus Fierz, Zürichbergstrasse 2, 4, 8

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 19:29

Hoch über dem ehemaligen Rämibollwerk erbaute der Zimmermeister und Gastwirt „Zum Pfauen“ Jakob Hottinger (1794-1848) 1845 das stattliche klassizistische Haus „Zum (oberen) Sonnenbühl“. Ursprünglich als Erziehungsinstitut genutzt, gelangte es bereits 1851 in den Besitz des Baumwollgrosskaufmanns Johann Heinrich Fierz, dem es als Wohn-, Büro- und Lagerhaus diente. 1864, als Fierz den aus Dresden zugewanderten Architekturprofessor am Polytechnikum, Gottfried Semper, mit der Planung eines Magazin- und Bürogebäudes sowie eines Pferdestalls mit Wagenremise beauftragte, gehörte ihm ein grosses Gelände im Villenquartier am Rämi, das sich L-förmig von der Zürichbergstrasse bis zum „(Kleinen) Freudenberg“ erstreckte. Nach Sempers Plänen wurden 1865-67 das Magazin, Büros und Wohnungen aufnehmende Haupthaus und der durch eine breite, zu Hof und Garten hinaufführende Treppe getrennte Nebenbau (möglicherweise Waschhaus oder Gärtnerwohnung) mit Pergola errichtet. Mit der an italienischen Palazzi des Cinquecento orientierten Architektur stellte Semper den Bauherrn in die Tradition einflussreicher Kaufleute der Renaissance. Der kompakte und mächtige Kubus erscheint gegen die Strasse hin mit kräftig rustiziertem, durch vergitterte Rundbogen aufgelockertem Sockelgeschoss und darüber glatter durch Lisenen und Gesimse, an den risalitartig vorspringenden äusseren Achsen durch Serliana und Balkone gegliederter Sandsteinfassade.

Wohn- und Geschäftshaus Fierz

Wohn- und Geschäftshaus Fierz. Foto um 1900.

Auf den höher gelegenen Hof und Garten öffnet er sich mit dem Hauptportal in einer doppelgeschossigen Loggia zwischen Eckrisaliten.

Zürichbergstrasse 2 Hoffront
Gartenfront des Wohn- und Geschäftshauses.

Der Park war mit französisch-geometrischem Teil und englischem Landschaftsgarten geplant und scheint in den späten 1880er Jahren von der Firma Froebel umgestaltet worden zu sein, wie eine 1886-89 für Fierz’ Witwe angefertigte Planzeichnung Otto Froebels und des aus Belgien stammenden Gartenarchitekten Evariste Mertens (1846-1907) nahelegt. Auf Anna Katharina Fierz-Locher geht auch der Umbau des „(Oberen) Sonnenbühls“ zurück, dem 1878 der Neurenaissance-Mittelrisalit auf der Hofseite angefügt wurde. O.C.

Oberes Sonnenbühl
An der Hoffassade des „(Oberen) Sonnenbühls“ kontrastiert der schlichte Klassizismus der 1840-er Jahre mit der monumental wirkenden Neurenaissance der 1870-er Jahre. 
Sonnenbühl Ökonomiegebäude
Das 1866-67 nach Motiven von Gottfried Semper errichtete Ökonomiegebäude mit Wohnung, Stall und Remise wurde 1966 für Tiefgarage und Sportplatz der Kantonsschule Rämibühl abgebrochen.