Neugotik

Gustav Gull (1858-1942), Architekt

Submitted by ottavio.clavuot on Fri, 01/28/2022 - 05:21

Als Spross einer Baumeisterfamilie in der Enge geboren studierte Gustav Gull 1876-79 zusammen mit Karl Moser Architektur am Eidgenössischen Polytechnikum (heute ETH) und bildnerisches Gestalten (Steinbildhauerei und Modellieren) an der Ecole des Arts décoratifs in Genf. Nach einer Studienreise in Italien 1883/84 erhielt er seinen ersten grossen Auftrag in Luzern mit dem Bau des Eidgenössischen Postgebäudes (1886-88) im Stil der Neurenaissance.

Gustav Gull
Gustav Gull. Foto vor 1935.

Zurück in Zürich erhielt er 1890 anlässlich der politischen Auseinandersetzung um den Standort des Schweizerischen Nationalmuseums den Auftrag, einen Entwurf für ein Landesmuseum mit angegliederter Kunstgewerbeschule auszuarbeiten. Dabei sollten verschiedene historische Räume und Teile des Barfüsserkreuzgangs organisch in die Anlage eingebaut werden. Gull entwarf einen unregelmässigen, in einen Park eingebetteten burgartigen Gebäudekomplex aus individuellen Baukörpern in Formen der Spätgotik und der Renaissance. 1891 setzte sich Zürich mit Gulls Projekt durch. Zum Studium der Innenausstattung besuchte Gull während der Realisierungsphase 1894 Museen in Paris und London. 1898 konnte der auch im Ausland viel beachtete Museumsbau feierlich eröffnet werden.

Landesmuseum
Das Landesmuseum ist als „spätmittelalterliche Burg“ Nationalmuseum und Nationaldenkmal, indem es Bezug nimmt auf die grosse Zeit der Alten Eidgenossenschaft.   

Unterdessen hatte Gull den Auftrag erhalten, ein repräsentatives Verwaltungszentrum für die mit der ersten Eingemeindung 1893 um mehr als das Vierfache gewachsene Bevölkerung Zürichs zu planen. Seit 1895 Stadtbaumeister, konzipierte Gull an Stelle des Klosters Oettenbach, des Werdmühleareals und des Schipfequartiers ein monumentales Stadtzentrum zwischen Limmat und Bahnhofstrasse beidseits der als zentrale Achse neu anzulegenden Uraniastrasse und -brücke (heute Rudolf Brun-Brücke). Terrassen, Treppen, Brücken und Wandelhallen sollten die im Stil der Neurenaissance gestalteten Verwaltungsgebäude und Markthallen verbinden.

Gull Projekt Verwaltungszentrum
Limmatfront des von Gull projektierten neuen Verwaltungszentrums von Zürich. Im Zentrum des Bildes der Turm des nie gebauten Stadthauses. Perspektivische Zeichnung um 1900.

Ausgeführt wurden 1903-19 nur die Bauten zwischen Beatenplatz und Lindenhof (Amtshäuser I-IV und die Sternwarte Urania) – nicht zuletzt, weil Gulls Entwurf nach dem 1. Weltkrieg nicht mehr zeitgemäss schien. So verblieb das Stadthaus bis heute im neugotischen Erweiterungsbau des Gebäudes von 1883/84, den Gull 1898-1900 an Stelle der Klostergebäude errichtet und unter Einbeziehung eines Teils des romanischen Kreuzgangs mit dem Fraumünster verbunden hatte.

Amtshäuser und Uraniastrasse
Die durch die Brücke über die Uraniastrasse verbundenen Amtshäuser mit dem Turm der Sternwarte sind locker in einem grosszügigen Bogen gegen die Limmat gruppiert.

1900 wechselte Gull vom Stadtbaumeisteramt ans Polytechnikum, wo er bis 1929 als Professor für Architektur lehrte. Nach einem Wettbewerb 1909 erhielt er den Auftrag für die Erweiterung von Gottfried Sempers Hochschulbau, dessen Realisierung sich, bedingt durch den Krieg, bis 1925 hinzog. Gulls öffentliche Bauten zeichnen sich aus durch ihre sorgfältige städtebauliche Einordung, eine funktionale und räumlich wirkungsvolle Organisation im Inneren sowie den grosszügigen Einsatz von Bauplastik und Wandmalerei. Wie sein Konkurrent Karl Moser – seit 1914 ebenfalls Professor an der ETH – setzte Gull auf moderne Bautechnik, hielt aber im Gegensatz zu jenem in der äusseren Gestaltung seiner Bauten an den historischen Baustilen und ihren Regeln fest. Dafür wurde er nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend kritisiert, während Moser als Vorreiter der Moderne gefeiert wurde. O.C.

Stadthaus
Die spätgotischen Architekturformen des Stadthauses wollen an die Blütezeit des spätmittelalterlichen Zürichs erinnern und dienen der harmonisch wirkenden Verbindung mit dem Fraumünster.

Mehrfamilienhaus, Gemeindestrasse 27

Submitted by ottavio.clavuot on Fri, 12/17/2021 - 03:33

Im Auftrag des Herzspezialisten Hermann Schulthess erbaute Georg Lasius (1835-1928) 1898 das villenartige, neugotische Mehrfamilienhaus mit drei identischen 6-Zimmer-Wohnungen und Praxisräumen im 1. Obergeschoss. Die drei hochaufragenden quergestellten Treppengiebel, der von einem Spitzhelm gekrönte polygonale Eckerker und die Tuffsteinquader der Fassade verleihen Gebäude einen schlossartigen Charakter.

Gemeindestrasse 27
Das schlossartige Mehrfamilienhaus mit markantem doppelgeschossigem Erker gegen die Gemeindestrasse. Foto um 1906.

1918 erwarb Edith McCormick-Rockefeller (1872-1932), Tochter John D. Rockefellers, Schwiegertochter Cyrus Hall McCormicks und 1913 Klientin Carl Gustav Jungs (1875-1961), die Liegenschaft für den „Psychologischen Club Zürich“ als Klubhaus mit Bibliothek und Praxisräumen. Jung, der 1900-06 zunächst als Assistent, dann als Stellvertreter des renommierten Psychiaters und Klinikdirektors Eugen Bleuler (1857-1939) an der „Irrenheilanstalt Burghölzli“ wirkte, hatte den Club 1916, drei Jahre nach dem Bruch mit seinem Lehrer Sigmund Freud (1856-1939), als Gesprächs- und Interessengemeinschaft für Analytische Psychologie gegründet. So organisierte der Club regelmässig Vorträge und Diskussionen führender Fachleute, so z.B. des Mythenforschers Karl Kerényi (1897-1973), des Religionswissenschafters Mircea Eliade (1909-86), des Germanisten Karl Schmid (1907-74) oder des Physikers und Nobelpreisträgers Wolfgang Pauli (1900-58). 1948 nahm das Institut für Analytische Psychologie („C. G. Jung Institut“) den Lehrbetrieb in den Räumen des Psychologischen Clubs auf. O.C.

Ober- und Ordnungsbegriffe