Städtebau, Siedlungs- und Raumplanung, Spekulation

Hans Roth (1934-99), Architekt, Theologe und Entwicklungshelfer

Submitted by ottavio.clavuot on Tue, 09/13/2022 - 11:05

In eine katholische, ursprünglich aus dem Kanton Zug stammende Arbeiterfamilie geboren, wuchs Hans Roth an der Oberdorfstrasse in der Zürcher Altstadt auf. Nach der Matura an der Oberrealschule (heute MNG Rämibühl) 1954 trat er in den Jesuitenorden ein und studierte zunächst Alte Sprachen und Philosophie an den Ordensschulen in Feldkrich und in Pullach, bevor er sich 1961-66 an der ETH zum Architekten ausbilden liess und als Praktikant in Zürich, Dublin, Athen und Delhi berufliche Erfahrung sammelte. Es folgte ein Theologiestudium im englischen Oxon und im indischen Pune, wo er unter anderem einen jesuitischen Ashram baute. 1970-72 arbeitete er als Architekt in Bellinzona und Feldkirch. Als der Missionsprokurator der Schweizer Jesuiten zum 200. Todestag des Jesuitenmissionars Martin Schmid (1694-1772) die Restaurierung von San Rafael de Chiquitos, einer von diesem erbauten Missionskirche, lancierte, bat Roth um die Übertragung des Auftrags.

Hans Roth
Hans Roth misst zusammen mit dem leitenden Schnitzer die Vorzeichnung der Ornamente auf einer Säule für die Kirche von Concepción ein.

1691 nahmen die Jesuiten die Mission in der Chiquitania im heutigen Bolivien auf, nachdem die durch Sklavenjäger bedrängten sowie an Eisenbeilen für die Brandrodung interessierten Chiquitos um die Entsendung von Missionaren gebeten und die spanischen Autoritäten dem Vorhaben zur Sicherung der dünn besiedelten Urwaldregion gegen portugiesische Vorstösse zugestimmt hatten. So entstanden bis zur Ausweisung der Jesuiten aus dem spanischen Kolonialreich 1767 zehn bis heute bestehende Missionsdörfer, in denen die Missionare die verschiedenen Stämme der Chiquitania zusammenzogen und zur christlichen Nation der Chiquitanos verschmolzen.

Dobrizhoffer Paraguay
Die Karte von Paraguay zeigt die zehn 1767 bestehenden Jesuitenmissionen der Chiquitania. Martin Dobrizhoffer, Wien 1783.

Die nach dem Vorbild der Jesuitenreduktionen Paraguays (1609-1768) organisierten und auf rechtwinkligem Raster um einen zentralen Platz angelegten autonomen Dörfer prosperierten dank verbesserter landwirtschaftlicher und handwerklicher Techniken wirtschaftlich und wuchsen rasch.

Peramas Candelaria
Ansicht der Jesuitenmission Candelaria und Census der Reduktionen in Paraguay 1767. Die eingeschossigen Wohnhäuser mit Laubengängen hat der Kupferstecher als zweigeschossige Bauten mit Pilastern missverstanden. José Manuel Peramás, Faenza 1791.

1730 traf Martin Schmid, Spross einer einflussreichen Ratsherrenfamilie aus Baar im Kanton Zug, nach vierjähriger Reise in San Javier de Chiquitos ein. Schmid, der über eine solide musikalische Ausbildung und vielseitige praktische Begabung und Erfahrung verfügte, wurde mit dem Aufbau der Orchester, Chöre und Musikschulen der Missionsdörfer betraut. Zudem unterwies er Einheimische im Instrumentenbau, organisierte den musikalischen Spielplan des Kirchenjahrs und komponierte kirchliche Vokal- und Instrumentalmusik.

Chiquitano-Geige
Chiquitano-Geige mit geschnitztem Menschenkopf als Schnecke und alte Partitur.

Als 1745 im ganzen Missionsgebiet der Neubau der teilweise noch aus der Gründungszeit stammenden Kirchen und Missionarswohnungen, Schulen, Werkstätten, Garten und Friedhof umfassenden Pfarreizentren in Angriff genommen wurde, übernahm Schmid den Bau der Kirchen von San Rafael (1746-49), San Javier (1749-52) und Concepción (1752-55). Mit Unterstützung einheimischer Handwerker errichtete er sie nach dem Vorbild der Jesuitenkirchen in Paraguay und in Anlehnung an indianische Gemeinschaftshäuser als dreischiffige Holzskelettkirchen mit umlaufenden Laubengängen, Vorhalle, Adobemauern und Ziegeldach, die er mit Schnitzwerk, Malerei und Keramikornamenten in barocken Formen dekorierte und ausstattete.

San Javier de Chiquitos Portalfront
Das auf tief im Boden verankerten salomonischen Säulen ruhende Vordach der Vorhalle von San Javier schützt Reliefs und Malereien der aus Lehmziegeln errichteten Fassade.

Als Hans Roth 1972 eintraf waren die entvölkerten Dörfer und die Kirchen in einem baulich schlechten Zustand, da die Chiquitania und deren indianische Bevölkerung nach 1850 der Ausbeutung weisser Grossgrundbesitzer überlassen worden war, denen auch die seit 1931 hier wirkenden deutschsprachigen Franziskanermissionare wenig entgegenzusetzen hatten. In San Rafael, dessen Kirche 1972-80 niedergelegt und mit teilweise neu geschnitzten Hölzern wiedererrichtet wurde, erkannte Roth rasch die weitreichende gesellschaftliche, wirtschaftlich und kulturelle Bedeutung der Restaurierung der Kirchen: So half die Beschäftigung und die Ausbildung indianischer Arbeiter diesen, sich aus der Schuldknechtschaft zu befreien und eine eigene Existenz aufzubauen, stärkte das Bewusstsein von Gemeinschaft und kultureller Identität und erlaubte dank der Entdeckung und Rettung des bedeutendsten südamerikanischen Bestands alter Notenhandschriften die Wiederbelebung der barocken Missionsmusik.

Audio file
Pastoreta Ychepé Flauta. Das von einem unbekannten Chiquitano-Komponisten möglicherweise für Martin Schmid komponierte Werk ist in Santa Ana und San Rafael erhalten geblieben. Archivio Musical de Chiquitos.

So entwickelte sich aus der Begegnung mit dem bayerischen Franziskaner Antonio Eduardo Bösl (1925-2000), seit 1952 Missionar in der Chiquitania und seit 1973 Bischof in Concepción, eine lebenslange, fruchtbare Zusammenarbeit. Der baufreudige Bischof übertrug Roth die Restaurierung der Kirche in Concepción (1974-82) und 1975 den Ausbau und die Leitung der bischöflichen Werkstätten mit rund 140 Arbeitsplätzen, in denen auch Holz-, Metall- und Ziegeleifacharbeiter ausgebildet wurden, sowie schliesslich sämtliche Bauaufträge. 1976 trat Roth aus dem Jesuitenorden aus und gründete eine Familie in Concepción. In den folgenden Jahren restaurierte er mit einfachster Bautechnik und immer wieder selbst Hand anlegend neben San Javier (1987-93) vier weitere Missionskirchen sowie verschiedene Häuser im historischen Zentrum von Concepción.

San Javier de Chiquitos Innenraum
Im Innern von San Javier wird das tragende Holzskelett des Bauwerks bis auf die in die Adobewände eingemauerten Säulen sichtbar.

Gleichzeitig realisierte er in kirchlichem Auftrag rund 140 Neubauten: Kirchen, Kapellen und Pfarrhäuser, Schulen und Kindergärten, Schwesternhäuser und Spitäler sowie Wohn- und Gewerbebauten. In seinen Kirchenbauten nahm Roth die einheimische Tradition des Holzskelettbaus mit Adobe- oder Bruchsteinmauern auf und verband sie in sorgfältiger Abstimmung auf die liturgische Funktion, die klimatischen Bedingungen und die Umgebung mit Le Corbusiers Konzept der freien Grundrissgestaltung.

Ascension de Guarayos
In der 1983-87 als breitgelagerte, dreischiffige Halle erbauten Kirche von Ascensión de Guarayos hob Roth durch das Glas- und Fensterband zwischen Dach, Holzsäulen und Wänden die allein tragende Funktion der Pfeiler hervor.

Vielfach entwarf er auch das Mobiliar sowie die schmückenden Reliefs und Skulpturen, die von Schnitzern der bischöflichen Werkstätten ausgeführt wurden. Sein architektonisches Schaffen verstand er in der Nachfolge Schmids als Form der Verkündigung und des Gottesdiensts sowie einen über den rein technokratischen Ansatz klassischer Entwicklungshilfe hinausgehenden, auch die spirituelle Dimension umfassenden Beitrag zur Emanzipation der indianischen Bevölkerung. Von sozialistischer Seite wurden ihm daher Geldverschwendung und Kolonialismus vorgeworfen.

El Chochis
Das 1988-92 am Fuss eines gewaltigen Felsens errichtete Wallfahrtsheiligtum von El Chochís bettete Roth harmonisch in die Landschaft ein. In der zentralen, von Laubengängen erschlossenen Kirche ist der intime Innenraum für Meditation mit der Aussenkapelle und der Aussenbühne für Massenveranstaltungen auf quadratischem Grundriss zu einem kompakten Baukörper verschränkt.

Mit der Neuinterpretation des traditionellen Holzskelettbaus hat er zudem im regionalen Kontext stilprägend gewirkt. Die Erhebung der Missionskirchen der Chiquitania zum UNESCO-Weltkulturerbe 1990 bedeutete nicht nur eine Anerkennung seines Wirkens, sondern öffnete ebenso wie die von ihm angeregte, 1996 erstmals durchgeführte Biennale amerikanischer Renaissance- und Barockmusik die abgelegene Region gegenüber der Welt. Allerdings setzte damit auch eine gewisse Folklorisierung der chiquitanisch-jesuitischen Tradition ein. O.C.

La Asunta
In der 1995-96 errichteten Kirche von La Asunta erlauben die mit Marien- und Christusreliefs nach Roths Entwürfen geschmückten Flügeltüren die vollständige Öffnung der Halle auf zwei Seiten.      

Max Frisch (1911-1991), Schriftsteller und Architekt

Submitted by christian.villiger on Sat, 04/16/2022 - 05:57

Der Schriftsteller und Architekt Max Frisch (1911-1991) besuchte von 1924 bis 1930 das Realgymnasium der Kantonsschule Zürich.

Max Frisch als Student 1934
Max Frisch als Student 1934.

Obwohl Frisch auch mehrere Jahre im Ausland gelebt hat (Rom, New York, Berlin), ist sein ganzes Leben eng mit seiner Geburtsstadt Zürich und insbesondere mit der Gegend um das Rämibühl-Areal verbunden. Aufgewachsen ist er an der Heliosstrasse 31 beim Hegibachplatz. Sein Vater Franz Bruno Frisch war ein zunächst erfolgreicher Architekt, der während der Wirtschaftsflaute im Ersten Weltkrieg allerdings arbeitslos wurde und sich nach dem Krieg mehr schlecht als recht als Immobilienmakler durchschlug.

Vom Frühjahr 1924 bis zum Herbst 1930 besuchte Frisch die Kantonsschule, Abteilung Realgymnasium – dieselbe Schule, die Elias Canetti von 1917 bis 1921 besucht hatte. Zum Teil hatte Frisch die gleichen Lehrer wie Canetti. Anders als bei letzterem war die Schulzeit für Frisch jedoch kein einschneidendes Ereignis in seinem Leben. Die wenigen Aussagen Frischs zu diesem Lebensabschnitt hat Julian Schütt in seiner massgeblichen Frisch-Biographie gesammelt und kundig ausgewertet.

„Ich habe keine intensive Erinnerung an diese Mittelschulzeit, also auch nicht die, dass es ein Schrecken war.“

(Heinz Ludwig Arnold: Gespräche mit Schriftstellern, München 1975, S. 10)

Anders als Canetti war Frisch kein herausragender Schüler, aber doch ein recht guter (er schloss die Matura mit einer 5 in den meisten Fächern ab). Besonders gern mochte er die Fächer Deutsch und Zeichnen, worin sich bereits seine spätere (doppelte) Berufswahl andeutet. Mühe hatte er mit Physik und Geographie.

Die eigentliche intellektuelle Inspirationsquelle jener Jahre war jedoch nicht die Schule, sondern das nahegelegene Schauspielhaus. Als Frisch fünfzehn war und die 3. Klasse des Gymnasiums besuchte, faszinierte ihn eine Aufführung von Schillers Die Räuber derart, dass er selbst Stücke zu schreiben begann. In kurzer Zeit entstanden bis zu einem halben Dutzend Theaterstücke, die Frisch zum Teil selbst in der Schule zur Aufführung brachte. Sie sind heute alle verschollen. Sein erstes Stück schickte er mit beneidenswertem Selbstbewusstsein gleich an den berühmtesten Theaterregisseur seiner Zeit, Max Reinhardt in Berlin. Er erhielt eine höfliche Absage.

Interessant ist, dass die Frage der Identität und des „Bildnisses“ – die beiden späteren Lebensthemen Frischs – sich bereits in der Schulzeit ein erstes Mal ankündigen. Gemäss seinem Biographen Julian Schütt empfand Frisch seine Schuljahre als „Jahre der Festlegungen, vorerst weniger der mentalen als der körperlichen Fixierungen, der schmerzhaft äusserlichen Bilder“. Eine Augenkrankheit im Kinderalter hatte bei Frisch zu einer Lähmung der Lider geführt, was ihm ein spöttisches, misstrauisches, arrogantes Aussehen verlieh. Auch litt Frisch an seiner in seinen Augen zu kleinen Nase und darunter, überhaupt auf ein bestimmtes Äusseres festgelegt zu sein.

Man kann das als typische Pubertätssorgen abtun, aber vielleicht besteht die Faszination von Frischs Werk gerade darin, dass es aufzeigt, wie uns diese vermeintlich bewältigten Jugendsorgen auch im Erwachsenenalter wieder einholen. Der fünfzigjährige Walter Faber, die Hauptfigur in Frischs Roman Homo faber, erinnert sich, als er sich in eine zwanzigjährige Frau verliebt, wieder an die jugendlichen Sorgen um sein Aussehen. Dabei war er von den genau gleichen Zweifeln betroffen, die auch den Mittelschüler Frisch beschäftigten (ausser dass Fabers Nase zu lang und nicht zu klein ist).

Ich war der einzige Gast, weil noch früh am Abend, und was mich irritierte, war lediglich der Spiegel, Spiegel im Goldrahmen. Ich sah mich, sooft ich aufblickte, sozusagen als Ahnenbild: Walter Faber, wie er Salat isst, im Goldrahmen. [...] ich sah ausgezeichnet aus. Ich bin nun einmal (das wusste ich auch ohne Spiegel) ein Mann in den besten Jahren, grau, aber sportlich. Ich halte nichts von schönen Männern. Dass meine Nase etwas lang ist, hat mich in der Pubertät beschäftigt, seither nicht mehr; [...] was mich irritierte, war einzig und allein dieses Lokal: wo man hinblickte, gab es Spiegel, ekelhaft [...].

"You are looking like -" Nur wegen dieser blöden Bemerkung von Williams (dabei mag er mich, das weiss ich!) blickte ich immer wieder, statt meinen Fisch zu essen, in diese lächerlichen Spiegel [...].

Max Frisch: Homo faber (1957), S. 98.

„Ich habe als Schüler erfahren, wie [meine Physiognomie] den einen oder anderen Lehrer verdrossen hat: ein mässiger Schüler und eine solche Arroganz.“

(Max Frisch: Montauk)

 

„Schreck: So und so sehe ich aus – Schreck, ein Gesicht zu haben: bestimmt, begrenzt, geprägt sein, gefangen sein, geboren sein.“

(Notizheft H.117, aufbewahrt im Max-Frisch-Archiv Zürich, zitiert nach: Schütt, Max Frisch, S. 65)

Max Frisch Arroganz?

Frisch geht in dieselbe Klasse wie Werner Coninx, der Sohn des Gründers der Tages-Anzeiger AG. Mit diesem wird er sich erst nach seiner Schulzeit richtig befreunden. Der reiche Coninx finanziert Frisch dann dessen Architekturstudium. Die schwierige, ambivalente Freundschaft mit Coninx hat Frisch in seiner autobiographischen Erzählung Montauk beschrieben.

Nach der Matura studierte Frisch zunächst Germanistik an der Uni Zürich, musste sein Studium aus finanziellen Gründen jedoch abbrechen. Er arbeitete einige Jahre als Journalist und veröffentlichte erste Romane. Von 1936 bis 1940 studierte er Architektur an der ETH Zürich bei Otto Salvisberg und William Dunkel. Frisch arbeitete nur wenige Jahre als Architekt. Sein berühmtestes Bauwerk ist das Freibad Letzigraben, das von 1947 bis 1949 erstellt und 2006/07 saniert wurde. Frisch beschreibt die Bauarbeiten in seinem Tagebuch 1946-49.

Max Frisch im Freibad Letzigraben um 1948
Max Frisch im Freibad Letzigraben um 1948.
Freibad Letzigraben Pavillon 1947
Freibad Letzigraben, Pavillon, 1947.

Später hat sich Frisch vor allem theoretisch über Architektur geäussert. In den frühen 1950er-Jahren beteiligte er sich an der Seite von Armin Meili an der städteplanerischen Debatte um Wohnhochhäuser. Er schrieb dafür das Hörspiel Der Laie und die Architektur (1954). Ab 1964 sass Frisch in der Jury, die über einen Neubau des Schauspielhauses am Heimplatz befand. Aus dem Wettbewerb ging das Projekt des dänischen Architekten Jørn Utzon, der bereits das Sydney Opera House entworfen hatte, als Sieger hervor. Es sah einen Neubau am Standort des heutigen Kunsthaus-Erweiterungsbaus und einen verkehrsfreien Heimplatz vor. Das Projekt wurde 1970 beerdigt.

"ich schwitze; sogar Zürich bedrängt mich, Stadtrat Widmer war hier, ich habe als Preisrichter anzutreten im Wettbewerb für das neue Schauspielhaus, und anderes mehr, ich brauche nur nachzugeben, um meine Zeit als Maestro zu verbringen statt zu arbeiten - Noch arbeite ich..."

Max Frisch an Ingeborg Bachmann, Rom, 6. August 1962

Als Schriftsteller erlangte Frisch mit seinen Dramen, Romanen und den „Tagebüchern“ Weltruhm; mehrfach wurde er für den Nobelpreis nominiert. Als sich politisch dezidiert links verortender Intellektueller prägte er die Schweizer (und bundesrepublikanische) Politik und Gesellschaft über Jahrzehnte mit, wobei er sich in der bürgerlich dominierten Schweiz auch viele Feinde machte. Noch die aus seinem Nachlass edierten Werke erregen regelmässig die öffentliche Debatte (so sein 2015 erschienener Kommentar zur Fichen-Affäre: Ignoranz als Staatsschutz?)

Es ist auf eine Art folgerichtig, dass Frischs Leben, das so eng mit der Gegend um den Rämihügel verbunden war, auch dort endete. Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte Frisch auf der Bühne des Schauspielhauses, anlässlich der Premiere seines Stücks Jonas und sein Veteran – einer Auseinandersetzung mit der Initiative zur Abschaffung der Schweizer Armee. Gestorben ist Frisch in seiner Wohnung beim Bahnhof Stadelhofen (Stadelhoferstrasse 28), wo heute eine Gedenktafel an ihn erinnert. C.V.

Max Frisch in seiner Wohnung an der Stadelhoferstrasse
Max Frisch in seiner Wohnung an der Stadelhoferstrassse.

Othmar H. Ammann (1879-1965), Ingenieur und Brückenbauer

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 03/10/2022 - 05:38

In Feuerthalen als Sohn eines Schaffhauser Hutfabrikanten geboren, studierte Othmar Ammann nach dem Besuch der Industrieschule in Zürich (heute MNG) 1897-1902 Bauingenieurwesen am Eidgenössischen Polytechnikum (heute ETH). Bei Brückenbaufirmen in Brugg und Frankfurt sammelte er erste praktische Erfahrungen, bevor er 1904 in die USA reiste, um dort seine Kenntnisse zu vertiefen. In New York fand er sofort eine Anstellung als Assistant Engineer für mehrere Eisenbahnbrücken im Ingenieurbüro von Joseph Mayer. Das rasante Bevölkerungswachstum der aufstrebenden amerikanischen Wirtschaftsmetropole und die sich abzeichnende Motorisierung des Strassenverkehrs führten zu einer gewaltigen Nachfrage nach Infrastrukturbauten – Eisenbahntrassen, Strassen, Brücken, Tunnels.

New York Brückenkarte
New York. Brücken Gustav Lindenthals: A Queensboro Bridge (1901-09), B Hell Gate Bridge (1912-16). Bauten Othmar Ammanns: 1 Goethals Bridge (1927-28), 2 Outerbridge Crossing (1927-28), 3 Bayonne Bridge (1928-31), 4 George Washington Bridge (1927-31), 5 Triborough Bridge (1929-36), 6 Bronx Whitestone Bridge (1937-39), 7 Throgs Neck Bridge (1957-61), 8 Verrazano Narrows Bridge (1959-64), 10 Lincoln Tunnel (1934-37), 10 Horace Harding Expressway (1957).
Hell Gate Bridge (1901-09).

In den folgenden Jahren arbeitete Ammann bei verschiedenen Stahlbaufirmen in Harrisburg, Chicago und Philadelphia. 1907 beauftragte ihn Frederic C. Kunz, neben Joseph Mayer einer der Spezialisten für Brücken mit grossen Spannweiten, mit der Bearbeitung der Werkpläne der vom österreichisch-amerikanischen Ingenieur Gustav Lindenthal (1850-1935) entworfenen Queensboro Bridge über den East River und delegierte ihn zur Untersuchung des Einsturzes der im Bau befindlichen Quebec Bridge über den Sankt-Lorenz-Strom. Der mustergültige Bericht empfahl Ammann für den Wiederaufbauentwurf der Brücke. 1912 stellte ihn Gustav Lindenthal, der damals bedeutendste Brückenbauer der USA, als stellvertretenden Chefingenieur ein und betraute ihn mit der Planung der Hell Gate Bridge über den East River, der mit 300 Metern Spannweite damals längsten Stahlfachwerkbogenbrücke. .

New York Hell Gate Bridge
Hell Gate Bridge (1901-09).

Nach dem kriegsbedingten Einbruch der Bautätigkeit 1917-19 arbeitete er an Lindenthals Projekt einer gigantischen, zweistöckigen Eisenbahn- und Strassenbrücke über den Hudson zwischen New Jersey und der 57. Strasse Manhattans. Da Ammann zur Überzeugung gelangte, dass Midtown Manhattan den Verkehr nicht aufnehmen könnte und der Bau nicht finanzierbar sei, kam es 1923 zum Bruch mit Lindenthal.

Lindenthal Brückenprojekt
Zeichnung der von Gustav Lindenthal geplanten zweistöckigen Brücke mit 20 Strassenspuren und 12 Eisenbahngeleisen. New York Tribune 14. August 1921.

In den folgenden zwei Jahren plante und lobbyierte Ammann in Eigenregie für das Projekt einer Hängebrücke auf der Höhe der 179. Strasse, die mit 1067 Metern Länge alle bisherigen Hängebrücken um mehr als das Doppelte übertreffen sollte. Für das bei Hängebrücken grosser Spannweite schwierige Problem der Versteifung des Tragwerks entwickelte er die Idee, Stabilität durch Gewicht und Massenträgheit von Aufhängung und Fahrbahn statt durch zusätzliche Versteifungen zu erreichen. Dadurch konnten gleichzeitig Material, Gewicht und Kosten eingespart und Spannweiten massiv erhöht werden. Dies entsprach ganz Ammanns Ideal grösst-möglicher Einfachheit, Funktionalität und dadurch auch höchster ästhetischer Qualität. 1925 konnte er sich mit seinem Projekt durchsetzen: Er wurde zum Chefingenieur der Port Authority of New York and New Jersey ernannt, der für die Infrastruktur verantwortlichen Behörde. In dieser Stellung begann er 1927 den Bau der George Washington Bridge. Als der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise nach 1929 Einsparungen erzwang, verzichtete er auf die ursprünglich geplante Verkleidung des Stahlfachwerks der Brückenpfeiler mit Betonplatten. Nicht zuletzt dadurch wurde das 1931 vom Gouverneur von New York, dem späteren US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, eingeweihte Bauwerk zur stilbildenden Ikone des modernen Brückenbaus. 

New York George Washington Bridge
George Washington Bridge (1927-31) im ursprünglichen Zustand. 1962 erweiterte Amman die Brücke um ein von Anfang an optional vorgesehenes unteres Fahrbahndeck.

Gleichzeitig mit der George Washington Bridge baute Ammann die Goethals Bridge, die Outerbridge Crossing und die Bayonne Bridge, die mit 504 Metern Länge damals längste Stahlfachwerkbogenbrücke. Sein Wissen und seine Erfahrung fasste er in einem Buch zusammen, das rasch zum Standardwerk des Brückenbaus wurde.

New York Bayonne Bridge
Bayonne Bridge (1928-31).

Ab 1934 fungierte Ammann auch noch als Chefingenieur der Triborough Bridge and Tunnel Authority unter Robert Moses (1888-1981), der in dieser Zeit zum bedeutendsten Stadtplaner New Yorks aufstieg. Moses hatte bereits in den 1920er Jahren angefangen ein System von Parkways um New York herum anzulegen und begann nun die Umgestaltung New Yorks zu einer autogerechten Stadt mit dem Bau von Stadtautobahnen und Brücken, denen teilweise ganze Stadtquartiere weichen mussten, umzusetzen. Für ihn plante Ammann unter anderem die Triborough und die Bronx Whitestone Bridge.

Ammann und Moses 1962
Othmar Amman (links) und Robert Moses im Jahr 1962.

Auch ausserhalb New Yorks war Ammann gefragt: So war er etwa 1931-37 als Berater auch massgeblich am Entwurf der Golden Gate Bridge in San Francisco beteiligt. Nach der Pensionierung 1939 tat er sich 1946 mit dem Betoningenieur Charles S. Whitney zusammen und gründete das weltweit tätige Büro Ammann & Whitney. Im Auftrag von Robert Moses realisierte der inzwischen in den Achtzigern Stehende 1959-64 die Verrazano Narrows Bridge zwischen Staten Island und Brooklyn. Mit dieser eleganten Brücke, deren Spannweite von 1298 Metern die der Golden Gate Bridge noch übertraf, krönte Ammann sein die städtebauliche Entwicklung New Yorks prägendes Wirken. O.C.

New York Verazzano Narrows Bridge
Verrazano Narrows Bridge (1959-64).
Video file
Spezialreportage der Schweizer Filmwochenschau zur Eröffnung der Verrazano Narrows Bridge vom 11. Dezember 1964.

Gustav Gull (1858-1942), Architekt

Submitted by ottavio.clavuot on Fri, 01/28/2022 - 05:21

Als Spross einer Baumeisterfamilie in der Enge geboren studierte Gustav Gull 1876-79 zusammen mit Karl Moser Architektur am Eidgenössischen Polytechnikum (heute ETH) und bildnerisches Gestalten (Steinbildhauerei und Modellieren) an der Ecole des Arts décoratifs in Genf. Nach einer Studienreise in Italien 1883/84 erhielt er seinen ersten grossen Auftrag in Luzern mit dem Bau des Eidgenössischen Postgebäudes (1886-88) im Stil der Neurenaissance.

Gustav Gull
Gustav Gull. Foto vor 1935.

Zurück in Zürich erhielt er 1890 anlässlich der politischen Auseinandersetzung um den Standort des Schweizerischen Nationalmuseums den Auftrag, einen Entwurf für ein Landesmuseum mit angegliederter Kunstgewerbeschule auszuarbeiten. Dabei sollten verschiedene historische Räume und Teile des Barfüsserkreuzgangs organisch in die Anlage eingebaut werden. Gull entwarf einen unregelmässigen, in einen Park eingebetteten burgartigen Gebäudekomplex aus individuellen Baukörpern in Formen der Spätgotik und der Renaissance. 1891 setzte sich Zürich mit Gulls Projekt durch. Zum Studium der Innenausstattung besuchte Gull während der Realisierungsphase 1894 Museen in Paris und London. 1898 konnte der auch im Ausland viel beachtete Museumsbau feierlich eröffnet werden.

Landesmuseum
Das Landesmuseum ist als „spätmittelalterliche Burg“ Nationalmuseum und Nationaldenkmal, indem es Bezug nimmt auf die grosse Zeit der Alten Eidgenossenschaft.   

Unterdessen hatte Gull den Auftrag erhalten, ein repräsentatives Verwaltungszentrum für die mit der ersten Eingemeindung 1893 um mehr als das Vierfache gewachsene Bevölkerung Zürichs zu planen. Seit 1895 Stadtbaumeister, konzipierte Gull an Stelle des Klosters Oettenbach, des Werdmühleareals und des Schipfequartiers ein monumentales Stadtzentrum zwischen Limmat und Bahnhofstrasse beidseits der als zentrale Achse neu anzulegenden Uraniastrasse und -brücke (heute Rudolf Brun-Brücke). Terrassen, Treppen, Brücken und Wandelhallen sollten die im Stil der Neurenaissance gestalteten Verwaltungsgebäude und Markthallen verbinden.

Gull Projekt Verwaltungszentrum
Limmatfront des von Gull projektierten neuen Verwaltungszentrums von Zürich. Im Zentrum des Bildes der Turm des nie gebauten Stadthauses. Perspektivische Zeichnung um 1900.

Ausgeführt wurden 1903-19 nur die Bauten zwischen Beatenplatz und Lindenhof (Amtshäuser I-IV und die Sternwarte Urania) – nicht zuletzt, weil Gulls Entwurf nach dem 1. Weltkrieg nicht mehr zeitgemäss schien. So verblieb das Stadthaus bis heute im neugotischen Erweiterungsbau des Gebäudes von 1883/84, den Gull 1898-1900 an Stelle der Klostergebäude errichtet und unter Einbeziehung eines Teils des romanischen Kreuzgangs mit dem Fraumünster verbunden hatte.

Amtshäuser und Uraniastrasse
Die durch die Brücke über die Uraniastrasse verbundenen Amtshäuser mit dem Turm der Sternwarte sind locker in einem grosszügigen Bogen gegen die Limmat gruppiert.

1900 wechselte Gull vom Stadtbaumeisteramt ans Polytechnikum, wo er bis 1929 als Professor für Architektur lehrte. Nach einem Wettbewerb 1909 erhielt er den Auftrag für die Erweiterung von Gottfried Sempers Hochschulbau, dessen Realisierung sich, bedingt durch den Krieg, bis 1925 hinzog. Gulls öffentliche Bauten zeichnen sich aus durch ihre sorgfältige städtebauliche Einordung, eine funktionale und räumlich wirkungsvolle Organisation im Inneren sowie den grosszügigen Einsatz von Bauplastik und Wandmalerei. Wie sein Konkurrent Karl Moser – seit 1914 ebenfalls Professor an der ETH – setzte Gull auf moderne Bautechnik, hielt aber im Gegensatz zu jenem in der äusseren Gestaltung seiner Bauten an den historischen Baustilen und ihren Regeln fest. Dafür wurde er nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend kritisiert, während Moser als Vorreiter der Moderne gefeiert wurde. O.C.

Stadthaus
Die spätgotischen Architekturformen des Stadthauses wollen an die Blütezeit des spätmittelalterlichen Zürichs erinnern und dienen der harmonisch wirkenden Verbindung mit dem Fraumünster.

Altes und Neues Kantonsspital, Rämistrasse 100 / Gloriastrasse 19

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 01/02/2022 - 08:04

Nach dem liberalen Umsturz 1830 baute der Kanton nicht nur eine moderne Infrastruktur für Bildung und Verkehr auf, sondern auch für das Gesundheitswesen, mit der Einrichtung einer medizinischen Fakultät an der 1833 gegründeten Universität und eines Kantonsspitals. 1836 beschloss der Kantonsrat den Bau einer kantonalen Krankenanstalt für 150 Patienten, auf dem auch vom Land her gut erreichbaren ehemaligen Schanzenvorgelände der ersten Hangterrasse des Zürichbergs oberhalb der späteren Rämistrasse. Im Gegensatz zum bisherigen Spital in den Gebäuden des einstigen Predigerklosters sollte das neue Spital weniger der Versorgung und Verwahrung Kranker und Armer dienen als vielmehr der Behandlung heilbarer Patienten mit den Mitteln der universitären Medizin. Die 1837-42 nach Plänen von Gustav Albert Wegmann und Leonhard Zeugheer errichtete Spitalanlage gewann internationale Anerkennung. Der 178 Meter lange, symmetrisch aus einem dreigeschossigen, H-förmigen Mitteltrakt und zwei zweigeschossigen, L-förmigen Seitenflügeln bestehende Hauptbau beherbergte die Klinik für Innere Medizin und die Chirurgie.

Altes Kantonsspital
Im Vordergrund die Wässerwiese (heute Sportanlagen Rämistrasse 80) dahinter die lange Front des Kantonsspitals und das Anatomiegebäude. Foto um 1910.

Die Anatomie mit Hörsaal, Sammlungs- und Nebenräumen sowie die Abteilung für Infektionskrankheiten wurden aus hygienischen Gründen etwas abseits in eigenen Gebäuden untergebracht. Seit Mitte der 1870-er Jahre führten die zunehmende Spezialisierung der medizinischen Wissenschaften und die Ausweitung der Bettenzahl zur schrittweisen Überbauung der Hangzone hinter dem Hauptgebäude mit neuen Spezialkliniken.

Anatomiegebäude
Das Erscheinungsbild des Anatomiegebäudes entspricht dem ursprünglichen Zustand nur noch aussen.    

Nach längeren Diskussionen über eine grundlegende Modernisierung des Spitals wurde 1933/34 ein Ideenwettbewerb für einen Spitalneubau mit 1200 Betten beim Burghölzli ausgeschrieben. Durch die Verkürzung der Plattenstrasse und die Verlängerung der Gloriastrasse an die Rämistrasse schuf der Regierungsrat 1937 Raum für einen Spitalneubau am alten Standort in unmittelbarer Nähe zur Universität. Mit der Planung wurden die Preisträger des Ideenwettbewerbs beauftragt, die sich 1939 zur „Architektengemeinschaft für das Kantonsspital Zürich“ (AKZ) zusammenschlossen. Federführend waren Haefeli Moser Steiger (HMS: Max Ernst Haefeli, Werner M. Moser, Rudolf Steiger) und Hermann Fietz (1898-1977). Zur Organisation und architektonischen Bewältigung der vielfältigen Funktionen der Krankenversorgung, Lehre und Forschung eines modernen, effizienten Universitätsspitals gab es verschiedene, damals international diskutierte Konzepte (lineare oder kammartige Gebäudeanordnung, Block- oder Pavillonbau) und Vorbilder, darunter das von Alvar Aalto 1929-33 errichtete Sanatorium in Paimio, das Sanatorium Zonnestraal in Hilversum (1926-28) oder das Söderspital in Stockholm (1937-44).

Paimio Sanatorium
Abgewinkelte Front des der Sonne zugewandten, schmalen Betten- und Balkontrakts von Alvar Aaltos Sanatorium in Paimio. Foto um 1930.

Nach intensiver Auseinandersetzung mit den Funktionsabläufen des Kantonsspitals, Konzepten und Vorbildern entschied sich die AKZ für die Anordnung der Spezialkliniken und Funktionsbereiche als verbundene Block- und Pavillonbauten, die vertikale Stapelung gleicher Funktionen innerhalb der Bauten, die Minimierung stark frequentierter Wege von Personal und Patienten sowie die Schaffung einer den Heilungsprozess fördernden hellen, ruhigen und wohnlichen Atmosphäre durch Gliederung, Materialwahl und Orientierung der Krankenzimmer auf den Park hin. Zudem musste das neue Spital am bisherigen Standort sorgfältig in den städtebaulichen Kontext integriert werden und etappenweise so um die Altbauten herum entstehen, dass der Betrieb jederzeit gewährleistet werden konnte. Aus diesen Erfordernissen wurde eine strahlenförmig aufgebaute Anlage entwickelt, mit der Polyklinik parallel zur Rämistrasse, im rechten Winkel daran anschliessenden L-förmig um das alte Spital herumgeführten Bettentrakten und einer weiteren vom Gelenkpunkt hangwärts führenden Achse mit Einlieferungs-, Operations-, Pathologie-, Küchen- und Hörsaaltrakt. Auf diese Weise blieb auch der Spitalpark mit seinem alten Baumbestand erhalten.

Funktionsschema Kantonsspital
Hermann Fietz, Funktionsschema eines Spitals (oben) und dessen Anwendung auf die Situation in Zürich (unten). Die Adaption basiert auf der von Moser und Fietz während der Rückreise von Stockholm im März 1939 entwickelten Idee.

1942-51 wurde das damals grösste, auch der Arbeitsbeschaffung dienende Bauprojekt der Schweiz, trotz der in den ersten Jahren kriegsbedingten Materialknappheit für fast 100 Mio. Franken realisiert. Das alte Kantonsspital wurde 1951 mit Ausnahme des Anatomiegebäudes (Gloriastrasse 19) abgerissen. Die individuell gestalteten Bauten der Anlage werden durch die durchgängige Sichtbarmachung der Skelettkonstruktion und die Verwendung gleicher Materialien für die gleichen Funktionen als Einheit erfahrbar. Die Traufkante der direkt der ETH gegenüberliegenden, in den Formen der gemässigten Moderne gestalteten Polyklinik nimmt die Höhe der Strassenfront der Hochschule auf und schirmt vermittelnd den hochhausartigen Bettentrakt gegen die Rämistrasse ab. Über dem weiten, auch an der Fassade ablesbaren Stützenraster der Eingangshalle erhebt sich der kleinteilige Fensterraster der drei oberen Geschosse, während das zurückversetzte Dachgeschoss hinter der Kante der Dachterrasse verschwindet. Die Mittelachse der unprätentiös wirkenden Fassade wird durch das grosse Vordach des Haupteingangs und die Balkone darüber akzentuiert. Wiederholt werden das Balkonmotiv und die Fassadengliederung der Obergeschosse an der Front der niedrigeren, durch ein vorspringendes Treppenhaus abgetrennten Kantonsapotheke.

Kantonsspital Polykliniktrakt
Polyklinik und Kantonsapotheke, dahinter das hochhausartige Bettenhaus. Foto 1951.

Den grosszügigen, von Gustav Ammann (1885-1955) gestalteten Spitalpark rahmen die bis zu neun Geschosse hohen Bettenhäuser mit teilweise gedeckter Dachterrasse. Mittelgänge erschliessen die zum Park gelegenen Krankenzimmer und die rückwärtigen Diensträume des Personals. Die langen, durch den Fensterraster bestimmten Fassaden werden auf der Parkseite durch niedrigere Vorbauten mit Aufenthaltsbereichen für stationäre Patienten (Loggien, Balkone, Dachterrasse mit Pilzdach) aufgelockert, auf der Rückseite durch die vorspringenden, die Traufkante überragenden, Treppenhäuser.

Neues Kantonsspital
Das neue Kantonsspital: Dominant das Bettenhochhaus und der Bettentrakt als Rahmung des Spitalparks. Foto 1952.

Aussen wie innen werden die grossen Volumen und Flächen aufgebrochen und durch die variantenreiche Verwendung moderner und traditioneller Materialien, wie Beton, Kunststein, Marmor, Verputz, Terracotta, Holz und Glas in ornamental wirkender Weise strukturiert. Die technische Ausstattung sowie das ganze Mobiliar wurde von der AKZ in enger Zusammenarbeit mit dem medizinischen Personal entwickelt und die Anbringung von Skulpturen und Malereien gegen Sparforderungen durchgesetzt.

 

Neues Kantonsspital Polyklinik Eingangshalle
Foyer der Polyklinik mit dem eigens für das Kantonsspital entworfenen Mobiliar. Foto 1946.

Für das Personal plante die AKZ 1951 ein Hochhaus auf der Platte, das allerdings nicht mehr von ihr ausgeführt wurde. Die seit den 1960-er Jahren im Zuge der Erweiterung des Spitals vorgenommenen Neubauten, Verdichtungen und Aufstockungen haben die Struktur der Anlage und die sorgfältige Gliederung der verschiedenen Baukörper zunehmend verwischt und ein amorphes Konglomerat von Bauten entstehen lassen. O.C.

Universität Zürich, Rämistrasse 71

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 01/02/2022 - 05:27

Nach dem Umsturz 1830 leiteten die Liberalen zur langfristigen Sicherung von Wohlstand und Demokratie eine umfassende Bildungsreform ein, zu der neben dem Ausbau der Volksschule auch die Gründung von Kantonsschule (Gymnasium) und Universität gehörten. 1833 nahm die Universität ihren Betrieb in Gebäuden der Fraumünsterabtei, dann im Hinteramt an der Augustinergasse auf. Erst 1864 erhielt sie im Südflügel der von Gottfried Semper für das Eidgenössische Polytechnikum (seit 1905 ETH) erbauten Anlage ein eigenes Schulgebäude. Das starke Wachstum der Universität führte seit 1897 zu Diskussionen über einen Neubau, doch erst nach der Standortwahl im Künstlergüetli auf dem ehemaligen Schanzengelände südlich der ETH und der Definition des Bauprogramms 1907, wurde in einem Architekturwettbewerb das Projekt von Curjel & Moser 1908 zur Ausführung bestimmt.

Künstlergüetli
Für den Bau der Universität abgebrochenen (von rechts): Gustav Wegmanns Ausstellungsbau der Künstlergesellschaft, das Restaurant „Künstlergüetli“ und die Blinden- und Taubstummenanstalt. Foto 1900.

Der 1911-14 realisierte Entwurf sah eine geschickt ins abfallende Gelände eingepasste, asymmetrische Anlage aus den zwei seitlich verschobenen Baukörpern des viergeschossigen Kollegiengebäudes und des dreigeschossigen Biologischen Instituts vor, deren Schnittstelle der stadtseitig 65 Meter hohe, in der Höhe gestaffelte, die Stadtsilhouette prägende Turm markiert.

Universität
Der sich von der symmetrischen Anlage der ETH abhebende, vor der Augenklinik frei ins Gelände eingepasste Gebäudekomplex der Universität. Jenseits der Rämistrasse das alte Kantonsspital. Foto um 1937.

Technisch bestimmen moderne Materialien – Eisenbeton, Stahl, Glas und Leimbinder – den Bau, optisch dominieren Verblendungen aus Verputz, Natur- und Kunststein sowie eine ausserordentlich reiche, mittelalterliche und barocke Elemente aufnehmende Jugendstil-Ornamentik. anz im Sinn des Jugendstils hat Karl Moser – wie im Fall des Kunsthauses – Aussenraum, Architektur, Bauschmuck (Skulptur und Malerei), Beleuchtungskörper und Mobiliar zu einem Gesamtkunstwerk gestaltet.

Universität Eingangshalle Künstergasse
Modifiziert umgesetzte Studie Karl Mosers für die Ausgestaltung der Eingangshalle zum Turm, um 1912.

Gartenterrasse, Bassins und Baumreihen, dazwischen die mit Treppen und Skulpturen dramatisch inszenierten Zugänge zu den plastisch kräftig gegliederten Haupteingängen, rahmen den Gebäudekomplex, dessen stark durchfensterte, über der Sockelzone von pilasterartig ausgebildeten Pfeilern gegliederte Fassaden mit darüberliegenden Mansardenwalmdächern der barocken Schlossarchitektur verpflichtet sind.

Universität Kollegiengebäude
Schlossartig wirkende Fassade gegen die Rämistrasse mit dem mit Treppen, Balustraden, Skulpturen und Kandelabern möblierten Vorplatz.

Das Kollegiengebäude umschliesst einen grossen Lichthof mit Glasbedachung, den sogenannten „Göttergarten“, auf den sich die umlaufenden, mit Kreuzgewölbe und romanisierenden Säulen an klösterliche Kreuzgänge erinnernden Wandelhallen in Arkaden öffnen. Gegen die Rämistrasse öffnet sich der Eingang im halbrund vorspringenden Vorbau, der hinter Kolossalarkaden die Aula, in der Winston Churchill am 19. September 1946 für ein vereintes Europa eintrat, und darunter den Grossen Hörsaal beherbergt. Gegenstück sind die im Halbkreis in den Lichthof ragenden Arkaden des zweiarmig-dreiläufigen Treppenaufgangs zur Aula.

Universität Lichthof
Der Lichthof des Kollegiengebäudes als Ausstellungsraum für die ursprünglich in Sempers Halle in der ETH aufgestellten Gipsabgüsse antiker Statuen. Foto 1914.

Gegen die Künstlergasse wird der Eingang zum Turm durch einen viergeschossigen, von der Tudor-Gotik inspirierten Scheinerker und einen vorgelagerten Säulenportikus markiert. Auch das ehemalige Biologische Institut umschliesst einen Lichthof mit Glasbedachung, in dem die zoologische Sammlung ausgestellt ist und über dem seit 1991 der von Ernst Gisel entworfene, auf vier Pfeiler abgestützte Hörsaal schwebt. Der von monumentalen, durch ein vorspringendes Bogendach verbundenen Doppelsäulen flankierte Eingang ist als Gegenstück des Treppenaufgangs zum Südportal der ETH gestaltet.

Universität Eingang Biologiegebäude
Floreale Formen schmücken den Eingang zum Biologischen Institut.

Obwohl bereits Karl Moser gleich nach Abschluss der Bauarbeiten mehrere Erweiterungsideen entwickelte, so z.B. 1917 das Projekt einer achsensymmetrischen Verdoppelung der Anlage Richtung „Schanzenberg“, ist das Universitätsgebäude mit Ausnahme der von Moser entworfenen Möblierung bis heute weitgehend unverändert erhalten geblieben.

Karl Moser Erweiterungsprojekt Universität
Erweiterungsprojekt für die Universität. Tagebuchnotiz Karl Mosers, 1916.

Neben Ernst Gisels Hörsaaleinbau, stellt der der Neubau der seit 1914 vom Zürcher Frauenverein betriebenen Mensa unterhalb des Kollegiengebäudes 1968/69 nach Plänen von Werner Frei den grössten Eingriff dar. 2001/02 wurde sie im Zusammenhang mit dem Einbau eines unterirdischen Hörsaals durch Gigon/Guyer grundlegend erneuert, ihr Dach begrünt und die Liegewiese vor dem Kollegiengebäude durch ein rosafarbenes Wasserbecken ersetzt. O.C. 

Karl Moser (1860-1936), Architekt

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 01/02/2022 - 04:42

Als Sohn des damals führenden Aargauer Architekten Robert Moser (1833-1901) in Baden geboren, unternahm er nach dem Studium am Eidgenössischen Polytechnikum (ab 1905 ETH) 1878-82 und an der Pariser Ecole des Beaux Arts 1882-84 eine ausgedehnte Studienreise nach Italien. 1888 gründete er in Karlsruhe mit dem in St. Gallen als Sohn eines Textilkaufmanns geborenen, in Karlsruhe aufgewachsenen Robert Curjel (1859-1925) ein überaus erfolgreiches, gut vernetztes Architekturbüro, das seit 1892 auch in der Schweiz Niederlassungen hatte. Die Arbeit an den zahlreichen Bauprojekten des Büros wusste er mit Reisen nach Frankreich, England, Belgien, Deutschland, Österreich und Italien zu verbinden, auf denen er – ständig mit dem Zeichenstift unterwegs – sich mit historischen und aktuellen Bauten beschäftigte und Kontakte knüpfte.

Karl Moser
Karl Moser. Foto um 1920.

Mit der Berufung an die ETH 1915, wo Moser zum wichtigsten Entwurfsprofessor neben Gustav Gull wurde, endete die Bürogemeinschaft mit Robert Curjel. Neben seiner Lehrtätigkeit betrieb Moser in Zürich ein eigenes Architekturbüro und arbeitete 1916-25 in verschiedenen städtischen Kommissionen an der Stadtplanung mit. Im Laufe seines Lebens beschäftigte er sich mit nahezu allen öffentlichen und privaten Bauaufgaben: Kirchen, Bahnhofs-, Schul- und Museumsbauten, Banken, Hotels, Wohn- und Geschäftshäusern, Villen und Siedlungen. Er verstand Architektur immer als eine gesellschaftliche und gestalterische Aufgabe, die es rational und undogmatisch, ausgehend von der geforderten Funktion und örtlich gegebenen Situation mit den zur Verfügung stehenden technischen Mitteln und Materialien im Zusammenwirken mit den anderen Künsten plastisch zu lösen galt. Bis zum Ersten Weltkrieg stand sein Schaffen in der Tradition des süddeutschen Jugendstils, der auf historische Stile zurückgreifende, strenge und schwere Formen bevorzugte. In Zürich dokumentieren die von ihm errichteten Gebäude für das Kunsthaus (1907-10) und die Universität (1911-14) diese Phase. In der Kirche Fluntern (1918-20) manifestiert sich Mosers Hinwendung zum Neuklassizismus.

Kirche Fluntern
Hauptfassade der reformierten Kirche Fluntern gegen die Stadt und Aussichtsterrasse mit Treppenaufgang. Foto 1920.

Reisen in die Niederlande und nach Paris brachten ihn seit 1922 in Kontakt mit Bauten und Vertretern der frühen Moderne, wie Hendrik Petrus Berlage, Jakobus Johannes Pieter Oud, Mart Stam, Auguste Perret und Le Corbusier. Fasziniert von der Verwirklichung äusserster Sachlichkeit und Einfachheit in deren Bauten entwickelte er selbst eine den neuen Materialien und Konstruktionsmöglichkeiten entsprechende, durch einfache Körper und skulpturale Klarheit bestimmte Architektur. So errichtete er 1924-27 die Basler Antoniuskirche als reine, unverkleidete Eisenbetonkonstruktion – damals ein absolutes Novum in der Schweiz.

Basel Antoniuskirche
Karl Moser vergegenwärtige seine Entwürfe meisterhaft in ausdrucksstarken Zeichnungen, wie hier die Basler Antoniuskirche im März 1925.

1928, im Jahr seines Rücktritts von der Lehrtätigkeit an der ETH, unterstützte er Sigfried Giedion und seine Schüler Max Ernst Haefeli, Rudolf Steiger und seinen Sohn Werner M. Moser bei der Gründung der CIAM (Congrès Internationaux d’ Architecture Moderne). Die der Entwicklung von Mosers Formensprache zugrunde liegende und in seiner Lehrtätigkeit immer wieder vertretene Überzeugung vom unbedingten Gegenwartsbezug der Architektur jenseits der Zwangsjacke einer erlernten Ästhetik macht ihn zu einem der Wegbereiter der pragmatisch orientierten Schweizer Moderne. O.C.

Karl Moser Studie Altstadtüberbauung
Karl Mosers 1. Projekt zur Sanierung der Zürcher Altstadt mittels aufgelockerter Reihen horizontal strukturierter Blöcke: Perspektive von der Bahnhofbrücke Richtung See, April 1933.

Armin Meili (1892-1981), Architekt und Raumplaner

Submitted by ottavio.clavuot on Sat, 09/11/2021 - 06:51

In Luzern geboren, schloss Armin Meili 1915 sein Architekturstudium an der ETH in Zürich mit einer Diplomarbeit bei Gustav Gull ab und wurde Assistent des eben berufenen Karl Moser. 1917 trat er als Partner ins väterliche Architekturbüro in Luzern ein, das er seit 1924 allein weiterführte. Bereits früh interessierte er sich für die damals intensiv diskutierte Frage des Städtebaus. 1928 besuchte er zusammen mit Hans Bernoulli den Städtebaukongress in Frankfurt, wo er u.a. Le Corbusier und Ernst May begegnete. Ein Jahr später gewann er den Wettbewerb für den Stadtbauplan von Luzern, in dessen überarbeiteter Version er auch einige gezielt platzierte, bis zehngeschossige Hochhäuser vorsah. Mit dem vom norditalienischen Rationalismus inspirierten Kunst- und Kongresshaus Luzern realisierte er 1931-33 einen typischen Bau der gemässigten Moderne, die er seit 1936 auch als Direktor der Schweizerischen Landesausstellung 1939 förderte und die als „Landi-Stil“ zur spezifisch schweizerischen Spielart der Moderne werden sollte.

Armin Meili
Armin Meili auf der Baustelle der Schweizerischen Landesausstellung 1939.

1939-55 für die Zürcher Freisinnigen im Nationalrat, setzte er sich politisch und publizistisch für eine wirksame Landes- und Regionalplanung ein – eine Forderung, die er bereits 1932 erhoben hatte – und wurde 1943 zum ersten Präsidenten der neu gegründeten Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung gewählt. Überzeugt von der Notwendigkeit des sparsamen Umgangs mit dem Boden angesichts der ins Umland auswuchernden Siedlungen und geprägt von den städtebaulichen Diskussionen und Experimenten der Zwischenkriegszeit, wie etwa Le Corbusiers Konzept der „Ville Radieuse“ mit Punkthochhäusern oder den neuen Bandstädten in der Sowjetunion, forderte Meili die staatlich geplante Verdichtung der städtischen Zentren und den Schutz der freien Landschaft.

Le Corbusier Ville radieuse
Le Corbusier, Ville Radieuse als horizontal aufgelockerte, vertikal verdichtete Stadt mit Hochhausbauten auf weiten Grünflächen, 1930.

1947 wurde Meili beauftragt, an der Piazza Cavour in Mailand ein Hochhaus für das Centro Svizzero zu errichten, das er bis 1952 als knapp 80 m hohen Turm realisierte.

Mailand Centro Svizzero
Mailand, Centro Svizzero mit Hochhaus und niedrigem, L-förmigem strassenseitigem Trakt. Foto 1957.

Ein Besuch in New York im Januar 1950 zur Innenraumgestaltung der neuen Swissair-Niederlassung im 259 m hohen Hochhaus des Rockefeller Centers (1933-40) erlaubte ihm die unmittelbare Auseinandersetzung mit der Hochhausarchitektur Manhattans. Besonders faszinierten ihn die Stahl-Glas-Prismen des UNO-Gebäudes (1947-52) und des Lever House (1950-52), zweier emblematischer Bürohochhäuser der amerikanischen Nachkriegsmoderne. Im Dezember des gleichen Jahres schaltete er sich mit einer Artikelserie in der NZZ zur Frage „Braucht Zürich Hochhäuser?“ in die Debatte um den Bau von Wohnhochhäusern an der Peripherie von Schweizer Städten ein, an der sich neben namhaften Architekten, wie Werner M. Moser, auch Max Frisch beteiligte.

Audio file
Aus Max Frischs Hörspiel "Der Laie und die Architektur", 1954.

Meili kritisierte das Fehlen einer funktionalen und räumlichen Struktur Zürichs, die unwirtschaftliche Nutzung der teuren Grundstücke in der Innenstadt und die grossflächigen, uniformen Neubausiedlungen am Stadtrand. Dagegen plädierte er für den Bau von Büro- und Geschäftshochhäusern mit bis zu 25 Geschossen im Raum zwischen Landesmuseum, Kaserne und Globus als Massnahme der Verdichtung und der Gestaltung einer der City einer modernen Grossstadt angemessenen Skyline. O.C.

Meili Braucht Zürich Hochhäuser
Armin Meili, Braucht Zürich Hochhäuser?, dreiteilige Artikelserie in der NZZ vom 8./9./11. Dezember 1950.

Personalhochhaus des Universitätsspitals, Plattenstrasse 10

Submitted by ottavio.clavuot on Sat, 09/11/2021 - 06:48

Begleitet von einer an städtebauliche Konzepte der Zwischenkriegszeit, wie zum Beispiel Le Corbusiers „Ville Radieuse“, anknüpfenden, intensiven Debatte über das Hochhaus als Mittel gegen die Zersiedelung der Landschaft und der Gestaltung des städtischen Raums, entstanden in den 1950er Jahren die ersten Hochhäuser in Zürich: neben dem Bürohochhaus „Zur Bastei“ am Schanzengraben (1953-55), den Wohnhochhäusern am Letzigraben (1951-55), unter anderem auch das Schwesternwohnheim des neuen Kantonsspitals auf der Platte. Das 1956-59 von Jakob Zweifel (1921-2010), einem Schüler Hans Hofmanns und William Dunkels, errichtete, bereits 1951 von der „Architektengemeinschaft für das Kantonsspital Zürich“ (AKZ)  geplante, 54 m hohe Punkthochhaus setzt auf der Platte einen markanten städtebaulichen Akzent.

Luftaufnahme Platte 1964
Blick über die Alte und die Neue Kantonsschule auf das Punkthochhaus auf der Platte, 1964.

Der für 250 Pflegerinnen geplante Wohnturm verfügt über dem Eingangsgeschoss über 18 Wohngeschosse mit je 14 Zimmern und einen Dachgarten. Die Fenster der Zimmer reihen sich an den Längsseiten hinter schmalen vertikalen Bändern aus Stahlbeton, die am oberen Ende abgeknickt die Dachterrasse räumlich fassen und beschatten. Die Schmalseiten werden durch breite Stahlbetonbänder in Zimmertiefe gefasst. Dazwischen öffnen sich auf der Südseite die wechselweise vorkragenden Panoramafenster der doppelgeschossigen Aufenthaltsräume mit innerer Galerie und Balkon, auf der Nordseite die Balkone des offenen Treppenhauses. Das differenzierte Spiel zwischen den Betonbändern der Tragkonstruktion, den dahinter angeordneten Glasflächen der Fenster und den Rahmen aus Aluminium und Beton lockert die Fassadenflächen und die kantige Silhouette auf und verleiht dem Gebäude Leichtigkeit. O.C.

Personalhochhaus Unispital
Das skulpturhaft wirkende Personalhochhaus.

Eduard Neuenschwander (1924-2013), Architekt

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 07/08/2021 - 12:54

In Zürich in ein grossbürgerliches, künstlerisch inspirierendes Milieu hinein geboren, verbrachte Eduard Neuenschwander während der Gymnasialzeit einen Grossteil seiner Freizeit damit, Kleinlebewesen und deren Lebensräume zu beobachten und zu zeichnen. Diese leidenschaftliche Beziehung zur Natur wurde auch für sein späteres architektonisches Schaffen prägend.

Neuenschwander Farbstiftzeichnung
„Schwärmerraupe auf Labkraut“, Farbstiftzeichung von Eduard Neuenschwander, 1948.

Durch den Klassenkameraden und Freund Andres Giedion wurde er zu einem häufigen Gast in dessen Elternhaus. Der Kunsthistoriker und Promotor des Neuen Bauens Sigfried Giedion und dessen Frau Carola Giedion-Welcker empfingen in ihrem Haus im Doldertal Künstler der Avantgarde, wie Hans Arp, Constantin Brancusi, Alberto Giacometti, Aldo van Eyck, Alfred Roth, Henry van de Velde oder Le Corbusier. Als Eduard Neuenschwander 1945 das Architekturstudium an der ETH aufnahm, wandte er sich bald gegen die gegenüber der progressiven Vorkriegsmoderne skeptische bis ablehnende Haltung der Professoren. Nach dem Studienabschluss erhielt er auf Empfehlung Giedions zusammen mit seinem Studienkollegen Rudolf Brennenstuhl (1925-2013) die Möglichkeit, 1949-52 im Atelier Alvar Aaltos in Helsinki zu arbeiten – eine für sein künftiges Verständnis des architektonischen Gestaltungsprozesses entscheidende Begegnung. Zurück in Zürich gründeten er und Brennenstuhl 1953 ein eigenes Architekturbüro, das sie bis 1962 gemeinsam führten. Neben der Projektierung von Einzelbauten beschäftigte er sich mit Fragen der Raum- und Siedlungsplanung, der Baustandardisierung und des Fertighausbaus. Mitte der 1950er Jahre initiierten Eduard Neuenschwander und die befreundeten Künstler Gottfried Honegger und Karl Schmid das Projekt einer einheitlich gestalteten Modell- und Künstlersiedlung in Gockhausen am Nordhang des Zürichbergs. Zwar blieb das Vorhaben Fragment, doch verwirklichten Architekten und Künstler in den folgenden fünfundzwanzig Jahren individuell Atelier- und Wohnhäuser in Gockhausen, darunter auch Neuenschwander selbst.

Neuenschwander Im Binzen
Neuenschwander am Schreibtisch in dem von ihm entworfenen Wohnhaus Im Binzen in Gockhausen, um 1970.

War bereits im eigenen Wohnhaus Im Binzen 1964-69 und in der Kantonsschule Rämibühl die Verbindung von Natur und Architektur ein zentrales Thema, so wurde seit Mitte der 1970er Jahre angesichts von Verstädterung und Umweltzerstörung die naturnahe Gestaltung von Aussenräumen zum vorherrschenden Anliegen in Neuenschwanders Schaffen. Er verstand Umwelt vom architektonischen Innenraum bis zur Grosslandschaft als ein dynamisches Netzwerk von Biotopen. Dieses Netzwerk als funktionierendes, gleichzeitig offenes Ganzes durch zerstörerische und aufbauende Interventionen anzulegen, betrachtete er als seine Aufgabe. Im Westteil des Parks der Universität Irchel setzte er diese Vision 1978-86 exemplarisch um. Wie Naturräume verdanken auch historische Bauten ihre Gestalt einem evolutionären Prozess – auch sie gehören zum Netzwerk der Lebensräume. Seit Mitte der 1950er Jahre hat sich Neuenschwander immer wieder um die Erhaltung, Renovierung und zeitgemässe Adaption historischer Bauten bemüht. In seinem Spätwerk wurde ihm dies zum intensiv verfolgten Anliegen. O.C.

Gockhausen, Einfamilienhaus Atelier 16
Wasserbecken, baubestandener Sitzplatz und Gartenfront des 1980-81 von Neuenschwander erbauten Einfamilienhauses Atelier 16 in Gockhausen.