Sigfried Giedion (1888-1968), Architekturtheoretiker

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Als Sohn eines in Lengnau gebürtigen Textilunternehmers in Prag geboren, wandte sich Sigfried Giedion nach dem Ingenieurstudium in Wien der Kunstgeschichte zu und doktorierte 1922 bei Heinrich Wölflin in München mit einer grundlegenden Arbeit über den europäischen Klassizismus. 1923 entwickelte sich aus dem Besuch bei Walter Gropius in Weimar und bei Le Corbusier in Paris eine Freundschaft mit den beiden sowie ein lebenslanges Engagement für eine neue Architektur. Mit ihnen, Karl Moser und weiteren Architektenfreunden gründete er 1928 die CIAM (Congrès Internationaux d’ Architecture Moderne), als deren Generalsekretär er für die Verbreitung der Konzepte des Neuen Bauens sorgte.

CIAM 1933 Giedion Helena Syrkus Le Corbusier
Im Vordergrund Sigfried Giedion, Helena Syrkus und Le Corbusier am CIAM 1933 in Athen.

Auch förderte er die Realisierung von Projekten, die dem neuen Geist verpflichtet waren: in Zürich z.B. als Mitinitiant der Werkbund-Siedlung „Neubühl“ (1930-1932), als Bauherr der eigenen Mehrfamilienhäuser im Doldertal (1932-1936) und als Mitbegründer der „Wohnbedarf AG“ (1932).

Zürich Neubühl
Die von M. E. Haefeli, R. Steiger, W. M. Moser, C. Hubacher, E. Roth, P. Artaria und H. Schmidt erbaute Werkbund-Siedlung Neubühl in Zürich-Leimbach.
Wohnbedarf Zürich 1933
Der von Marcel Breuer und R. Winkler entworfene Verkaufsraum der „Wohnbedarf AG“ an der Talstrasse 11 in Zürich, 1933.

1938 vermittelte ihm Gropius eine Professur in Harvard und ermöglichte ihm dadurch der im Korsett der „Geistigen Landesverteidigung“ auf das Heimatliche setzenden Schweiz zu entfliehen. In den USA verfasste Giedion 1941 mit „Space, Time and Architecture“ die wirkungsmächtigste Apologie der modernen Architektur, der er nach dem Zweiten Weltkrieg 1948 mit „Mechanization Takes Command“ eine Kritik des Fortschrittsglaubens und der Allmacht technisch-wissenschaftlicher Rationalität gegenüberstellte. Giedion, seit 1946 einflussreicher Dozent an der ETH, war überzeugt von der revolutionierenden Kraft wissenschaftlich-technischer Rationalität, aber auch von der Unabdingbarkeit einer in der Geschichte wurzelnden kulturellen Humanität. So setzte er sich ein für die rationalistische Interpretation der Moderne – vertreten durch Le Corbusier und die Bauhaus-Architekten Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe – wie für deren organische Spielart – verkörpert durch Alvar Aalto –, kämpfte für die Erhaltung der die Atmosphäre einer Stadt bestimmenden „anonymen Architektur“  und forderte eine die sozio-ökonomischen und psychischen Bedürfnisse versöhnende Stadtplanung. O.C.

Giedion CIAM Ed Girsberger 1951
Buchumschlag von Giedions Bericht über die CIAM, 1951.