Neuklassizismus

Karl Moser (1860-1936), Architekt

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 01/02/2022 - 04:42

Als Sohn des damals führenden Aargauer Architekten Robert Moser (1833-1901) in Baden geboren, unternahm er nach dem Studium am Eidgenössischen Polytechnikum (ab 1905 ETH) 1878-82 und an der Pariser Ecole des Beaux Arts 1882-84 eine ausgedehnte Studienreise nach Italien. 1888 gründete er in Karlsruhe mit dem in St. Gallen als Sohn eines Textilkaufmanns geborenen, in Karlsruhe aufgewachsenen Robert Curjel (1859-1925) ein überaus erfolgreiches, gut vernetztes Architekturbüro, das seit 1892 auch in der Schweiz Niederlassungen hatte. Die Arbeit an den zahlreichen Bauprojekten des Büros wusste er mit Reisen nach Frankreich, England, Belgien, Deutschland, Österreich und Italien zu verbinden, auf denen er – ständig mit dem Zeichenstift unterwegs – sich mit historischen und aktuellen Bauten beschäftigte und Kontakte knüpfte.

Karl Moser
Karl Moser. Foto um 1920.

Mit der Berufung an die ETH 1915, wo Moser zum wichtigsten Entwurfsprofessor neben Gustav Gull wurde, endete die Bürogemeinschaft mit Robert Curjel. Neben seiner Lehrtätigkeit betrieb Moser in Zürich ein eigenes Architekturbüro und arbeitete 1916-25 in verschiedenen städtischen Kommissionen an der Stadtplanung mit. Im Laufe seines Lebens beschäftigte er sich mit nahezu allen öffentlichen und privaten Bauaufgaben: Kirchen, Bahnhofs-, Schul- und Museumsbauten, Banken, Hotels, Wohn- und Geschäftshäusern, Villen und Siedlungen. Er verstand Architektur immer als eine gesellschaftliche und gestalterische Aufgabe, die es rational und undogmatisch, ausgehend von der geforderten Funktion und örtlich gegebenen Situation mit den zur Verfügung stehenden technischen Mitteln und Materialien im Zusammenwirken mit den anderen Künsten plastisch zu lösen galt. Bis zum Ersten Weltkrieg stand sein Schaffen in der Tradition des süddeutschen Jugendstils, der auf historische Stile zurückgreifende, strenge und schwere Formen bevorzugte. In Zürich dokumentieren die von ihm errichteten Gebäude für das Kunsthaus (1907-10) und die Universität (1911-14) diese Phase. In der Kirche Fluntern (1918-20) manifestiert sich Mosers Hinwendung zum Neuklassizismus.

Kirche Fluntern
Hauptfassade der reformierten Kirche Fluntern gegen die Stadt und Aussichtsterrasse mit Treppenaufgang. Foto 1920.

Reisen in die Niederlande und nach Paris brachten ihn seit 1922 in Kontakt mit Bauten und Vertretern der frühen Moderne, wie Hendrik Petrus Berlage, Jakobus Johannes Pieter Oud, Mart Stam, Auguste Perret und Le Corbusier. Fasziniert von der Verwirklichung äusserster Sachlichkeit und Einfachheit in deren Bauten entwickelte er selbst eine den neuen Materialien und Konstruktionsmöglichkeiten entsprechende, durch einfache Körper und skulpturale Klarheit bestimmte Architektur. So errichtete er 1924-27 die Basler Antoniuskirche als reine, unverkleidete Eisenbetonkonstruktion – damals ein absolutes Novum in der Schweiz.

Basel Antoniuskirche
Karl Moser vergegenwärtige seine Entwürfe meisterhaft in ausdrucksstarken Zeichnungen, wie hier die Basler Antoniuskirche im März 1925.

1928, im Jahr seines Rücktritts von der Lehrtätigkeit an der ETH, unterstützte er Sigfried Giedion und seine Schüler Max Ernst Haefeli, Rudolf Steiger und seinen Sohn Werner M. Moser bei der Gründung der CIAM (Congrès Internationaux d’ Architecture Moderne). Die der Entwicklung von Mosers Formensprache zugrunde liegende und in seiner Lehrtätigkeit immer wieder vertretene Überzeugung vom unbedingten Gegenwartsbezug der Architektur jenseits der Zwangsjacke einer erlernten Ästhetik macht ihn zu einem der Wegbereiter der pragmatisch orientierten Schweizer Moderne. O.C.

Karl Moser Studie Altstadtüberbauung
Karl Mosers 1. Projekt zur Sanierung der Zürcher Altstadt mittels aufgelockerter Reihen horizontal strukturierter Blöcke: Perspektive von der Bahnhofbrücke Richtung See, April 1933.

Tramwartehalle, Heimplatz 6

Submitted by ottavio.clavuot on Sat, 12/18/2021 - 03:17

Die seit der Mitte des 19. Jahrhunderts über das Gemeindegebiet Zürichs hinausgreifende Urbanisierung, die damit wachsenden Distanzen innerhalb des Siedlungsraums und die zunehmende Bevölkerungsdichte führten zu neuen Anforderungen an die Planung, die Organisation und die Infrastruktur des städtischen Lebens. Mit der ersten Eingemeindung der stadtnahen Vorortsgemeinden, darunter auch Hottingen, 1893 wurde eine wichtige Voraussetzung für den zügigen Aufbau eines Tramnetzes geschaffen. Damit entstand eine neue Bauaufgabe: die Tramwartehalle an Verkehrsknotenpunkten, die als Multifunktionsbau bieten sollte, was Passanten beim Warten brauchen und was die Hygiene des öffentlichen Raums erfordert: Wetterschutz, Sitzgelegenheiten, Zeitungs- und Imbissstand, Uhr sowie Toiletten. Mit ihren Material- und Wärterräumen diente sie auch dem Unterhalt des Verkehrsnetzes.

Tramwartehalle Heimplatz
Der Heimplatz als Verkehrsknotenpunkt mit den sich kreuzenden Tramlinien 3 und 5 um 1911.

Anlässlich der im Vorjahr erfolgten Eröffnung der Tramverbindung zwischen Central und Römerhof erbaute Stadtbaumeister Friedrich Fissler (1875-1964) 1911 im Rahmen der Neugestaltung des Platzes an Stelle eines bescheidenen Toilettenhäuschens die neuklassizistische Tramwartehalle am Heimplatz mit Aborten und Kiosk. Der kompakte Kleinbau unter einem leicht geschweiften Walmdach mit Dachreiter und Zwerchgiebel mit Uhr öffnet sich in einer Vorhalle mit toskanischen Säulen gegen die Rämistrasse. O.C.

Tramwartehalle Heimplatz
Die neu erbaute Tramwartehalle. Foto 1911.

Kunsthaus, Altbau, Heimplatz

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 17:57

Nach dem Zusammenschluss der 1787 von Künstler und Kunstliebhabern gegründeten Künstlergesellschaft und des 1895 ins Leben gerufenen Vereins Künstlerhaus im Jahr 1896 zur Zürcher Kunstgesellschaft, begann diese 1902 mit der Planung eines neuen Museumsbaus für die Sammlung der Künstlergesellschaft und einer Kunsthalle für temporäre Ausstellungen. Der vorgesehene Standort im Garten des von Johann Heinrich Landolt (1831-85) der Stadt vermachten, im Tausch für das Künstlergüetli der Kunstgesellschaft überlassenen Familiensitzes „Zum Lindenthal“ war ideal: Nach der Niederlegung der Schanzen und der Anbindung des Zeltwegs (1834), der Anlage von Rämi- (1836) und Hottingerstrasse (1871/72) sowie des Baus der Quaibrücke (1882-84) war die Kreuzung nördlich des „Lindenthals“ zu einem zentralen Verkehrsknotenpunkt zwischen Altstadt und Hottingen, Enge und Fluntern geworden. Zusammen mit dem Schauspielhaus im Theater „Zum Pfauen“ bildet das Kunsthaus heute den Auftakt zur Kulturmeile, die sich seit dem Bau der Alten Kantonsschule entlang der Rämistrasse entwickelt hatte. Diese städtebauliche Situation manifestiert sich im 1907-10 von Karl Moser als Tempel der Kunst und Tor zur Altstadt gestalteten, aus zwei Baukörpern bestehenden Museumskomplex. Im Gegensatz zu Gustav Gull, der das Landesmuseum 1892-98 als Nationalmonument konzipiert hatte, dessen spätmittelalterliche Architekturanleihen die Blütezeit der Alten Eidgenossenschaft beschworen, bezog sich Moser auf die Antike als Blütezeit der Kunst, indem er eine Formensprache wählte, die einem nüchternen, griechisch geprägten Jugendstil verpflichtet ist.

Kunsthaus Zürich
Ausstellungsbau und Museumsbau mit dem dahinter liegenden ersten Erweiterungsbau von Karl Moser. Foto um 1920.

Der den Platz dominierende, dreigeschossige, kubische Hauptbau mit tempelartigem Eingang und monumentalem Metopenfries unter der mächtigen Pyramide des Glasdachs nahm die Verwaltung, den grosszügigen Treppenaufgang zur doppelgeschossigen, lichthofartigen Halle sowie die Räume und den grossem Oberlichtsaal für die Sammlung auf. Den zweigeschossigen, niedrigeren grosszügig befensterten Ausstellungstrakt mit abgewinkelten Ecken gegen die Rämistrasse, dessen obere Fassadenhälfte eine toskanische Säulenarchitektur mit Nischenfiguren feingliedriger erscheinen lässt, überspannt ebenfalls ein Glaswalmdach.

Kunsthaus Zürich - Innenraum
Lichthofartige Treppenhalle im 1. Obergeschoss des Museumsbaus.

Im Sinne eines Gesamtkunstwerks hat Moser Architektur, Bauplastik, Ausstattung und Ausstellungsgut zu einer Einheit verbunden. Das von der Wiener Sezession inspirierte Innere umgibt durch die Wandbilder von Ferdinand Hodler und Cuno Amiet in der Halle, die üppigen, Akzente setzenden Ornamente, die farbige Wand- und Bodenverkleidung in erlesenen Materialien sowie die darauf abgestimmten Möbel und Leuchter die gezeigte Kunst mit einer sakrale Aura.

Ausstellung Karl Moser
Ausstellungssaal im 1. Obergeschoss.

Das rasche Wachstum der Sammlung machte schon bald eine erste Erweiterung nötig, die Moser in Anlehnung an den Hauptbau 1924-26 als Kubus mit Glaswalmdach zwischen Altbau und „Lindenthal“ (1972 abgebrochen) realisierte. Die verglichen mit dem Altbau karge, den Funktionalismus der niederländischen Moderne aufnehmende Architektur der Ausstellungsräume konzipierte Moser nun als diskreten, neutralen Hintergrund der ins Zentrum gerückten Bilder und Skulpturen.

Kunsthaus Zürich - Bibliothek
Funktionalistischer Lesesaal in Karl Mosers Erweiterungsbau (nicht erhalten). Foto 1925.

Während der 1954-58 zu Mosers Kunsthaus hinzugefügte „Bührle-Bau“ den Altbau mit dem Erweiterungsbau nördlich des Platzes verbindet, ist der 1973-76 angebaute Ausstellungstrakt vom Heimplatz aus nicht sichtbar. O.C.

Karl Moser Kunsthauserweiterungsprojekt
Karl Mosers Projekt eines Erweiterungsbaus des Kunsthauses mit schmalem Erschliessungs- und Ladentrakt gegen den Heimplatz und drei rechtwinklig anschliessenden Ausstellungstrakten mit Shedbedachung. Zeichnung 1934.