Architektur als Bedeutungsträger (Repräsentation, Werbung, Symbolik)

Gustav Gull (1858-1942), Architekt

Submitted by ottavio.clavuot on Fri, 01/28/2022 - 05:21

Als Spross einer Baumeisterfamilie in der Enge geboren studierte Gustav Gull 1876-79 zusammen mit Karl Moser Architektur am Eidgenössischen Polytechnikum (heute ETH) und bildnerisches Gestalten (Steinbildhauerei und Modellieren) an der Ecole des Arts décoratifs in Genf. Nach einer Studienreise in Italien 1883/84 erhielt er seinen ersten grossen Auftrag in Luzern mit dem Bau des Eidgenössischen Postgebäudes (1886-88) im Stil der Neurenaissance.

Gustav Gull
Gustav Gull. Foto vor 1935.

Zurück in Zürich erhielt er 1890 anlässlich der politischen Auseinandersetzung um den Standort des Schweizerischen Nationalmuseums den Auftrag, einen Entwurf für ein Landesmuseum mit angegliederter Kunstgewerbeschule auszuarbeiten. Dabei sollten verschiedene historische Räume und Teile des Barfüsserkreuzgangs organisch in die Anlage eingebaut werden. Gull entwarf einen unregelmässigen, in einen Park eingebetteten burgartigen Gebäudekomplex aus individuellen Baukörpern in Formen der Spätgotik und der Renaissance. 1891 setzte sich Zürich mit Gulls Projekt durch. Zum Studium der Innenausstattung besuchte Gull während der Realisierungsphase 1894 Museen in Paris und London. 1898 konnte der auch im Ausland viel beachtete Museumsbau feierlich eröffnet werden.

Landesmuseum
Das Landesmuseum ist als „spätmittelalterliche Burg“ Nationalmuseum und Nationaldenkmal, indem es Bezug nimmt auf die grosse Zeit der Alten Eidgenossenschaft.   

Unterdessen hatte Gull den Auftrag erhalten, ein repräsentatives Verwaltungszentrum für die mit der ersten Eingemeindung 1893 um mehr als das Vierfache gewachsene Bevölkerung Zürichs zu planen. Seit 1895 Stadtbaumeister, konzipierte Gull an Stelle des Klosters Oettenbach, des Werdmühleareals und des Schipfequartiers ein monumentales Stadtzentrum zwischen Limmat und Bahnhofstrasse beidseits der als zentrale Achse neu anzulegenden Uraniastrasse und -brücke (heute Rudolf Brun-Brücke). Terrassen, Treppen, Brücken und Wandelhallen sollten die im Stil der Neurenaissance gestalteten Verwaltungsgebäude und Markthallen verbinden.

Gull Projekt Verwaltungszentrum
Limmatfront des von Gull projektierten neuen Verwaltungszentrums von Zürich. Im Zentrum des Bildes der Turm des nie gebauten Stadthauses. Perspektivische Zeichnung um 1900.

Ausgeführt wurden 1903-19 nur die Bauten zwischen Beatenplatz und Lindenhof (Amtshäuser I-IV und die Sternwarte Urania) – nicht zuletzt, weil Gulls Entwurf nach dem 1. Weltkrieg nicht mehr zeitgemäss schien. So verblieb das Stadthaus bis heute im neugotischen Erweiterungsbau des Gebäudes von 1883/84, den Gull 1898-1900 an Stelle der Klostergebäude errichtet und unter Einbeziehung eines Teils des romanischen Kreuzgangs mit dem Fraumünster verbunden hatte.

Amtshäuser und Uraniastrasse
Die durch die Brücke über die Uraniastrasse verbundenen Amtshäuser mit dem Turm der Sternwarte sind locker in einem grosszügigen Bogen gegen die Limmat gruppiert.

1900 wechselte Gull vom Stadtbaumeisteramt ans Polytechnikum, wo er bis 1929 als Professor für Architektur lehrte. Nach einem Wettbewerb 1909 erhielt er den Auftrag für die Erweiterung von Gottfried Sempers Hochschulbau, dessen Realisierung sich, bedingt durch den Krieg, bis 1925 hinzog. Gulls öffentliche Bauten zeichnen sich aus durch ihre sorgfältige städtebauliche Einordung, eine funktionale und räumlich wirkungsvolle Organisation im Inneren sowie den grosszügigen Einsatz von Bauplastik und Wandmalerei. Wie sein Konkurrent Karl Moser – seit 1914 ebenfalls Professor an der ETH – setzte Gull auf moderne Bautechnik, hielt aber im Gegensatz zu jenem in der äusseren Gestaltung seiner Bauten an den historischen Baustilen und ihren Regeln fest. Dafür wurde er nach dem Ersten Weltkrieg zunehmend kritisiert, während Moser als Vorreiter der Moderne gefeiert wurde. O.C.

Stadthaus
Die spätgotischen Architekturformen des Stadthauses wollen an die Blütezeit des spätmittelalterlichen Zürichs erinnern und dienen der harmonisch wirkenden Verbindung mit dem Fraumünster.

Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Rämistrasse 101

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 01/02/2022 - 07:40

Im Bestreben, das für eine erfolgreiche Industrialisierung der Schweiz erforderliche technische Personal und Wissen unabhängig vom Ausland auszubilden und zu entwickeln, beschlossen die eidgenössischen Räte 1854 die Gründung des Eidgenössischen Polytechnikums (seit 1905 ETH) in Zürich nach dem Vorbild der Pariser Ecole Polytechnique (1794/1804). Da nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 zahlreiche namhafte Gelehrte und Wissenschaftler Deutschland verlassen mussten und bereit waren, in der liberalen Schweiz am Aufbau der neuen Hochschule mitzuwirken, gewann diese rasch einen guten Ruf und war ihrer Aufgabe, eine konkurrenzfähige technische Elite auszubilden, gewachsen. So nahm auch Gottfried Semper, der sich als Architekt in Dresden bereits einen Namen gemacht hatte, die ihm angebotene Professur 1854 an. Kurz darauf erhielt er den Auftrag, ein Projekt für das Schulgebäude von Polytechnikum und Universität auf dem ehemaligen Schanzengelände gegenüber dem neuen Kantonsspital auszuarbeiten. 1859-64 wurde der funktional gegliederte, über der Stadt thronende Neurenaissance-Bau mit vorgelagerter Terrasse und selbständigem Chemiegebäude an der Rämistrasse nach Sempers Plänen von Staatsbaumeister Johann Caspar Wolff (1818-91) realisiert.

ETH
Erhöhte Lage und zur Stadt orientierte Hauptfassade manifestieren die Bedeutung der ETH für Zürich und den Bundesstaat. Foto um 1905.

Die Fassaden der geschlossenen, viergeschossigen Vierflügelanlage mit zentralem Hof werden durch Mittelrisalite mit Eingängen und Treppenhäusern sowie Eckrisalite an den Längsseiten gegliedert. Die beiden unteren Geschosse sind durch die Rustikaquaderung zu einem mächtigen Sockel zusammengebunden. Darüber reihen sich die je nach Funktion des Gebäudeteils die unterschiedlich ausgebildeten Fensterachsen der beiden oberen Stockwerke. Im Westtrakt befanden sich die Lehrräume des Polytechnikums und hinter der Repräsentationsfassade des Mittelrisalits gegen die Stadt die Halle des Haupteingangs sowie die Räume der Schulleitung und die Aula.

ETH Semper-Bau
Die plastische Neurenaissance-Blendarchitektur des Mittelrisalits verleiht der Hauptfassade repräsentativen Charakter.

Der nördliche Flügel beherbergte die Zeichen- und Übungsräume – die von Semper entworfene Sgraffito-Dekoration der Fassade nimmt darauf Bezug – , der östliche die Sammlungen und der südliche die Universität. Im Zentrum der Anlage unterteilte eine eingeschossige Halle für die Antikensammlung den Hof und machte damit die humanistische Verwurzelung der technischen Ausbildung deutlich. Die von Semper geplante Ausmalung der repräsentativen Durchgangsräume ist nie ausgeführt worden. Einzig die Wand- und Deckengestaltung der Aula wurde vollständig nach seinen Vorgaben realisiert.

ETH Aula
Entwurf Sempers von 1865 für die Gestaltung der Aula: An der Wand hinter Rednertribüne und korinthischer Kolonnade Triumphbogenmotiv und mythologische Malereien.

Das starke Wachstum der Hochschule, technische Mängel am Bau und der Auszug der Universität in Karl Mosers 1914 eingeweihten Neubau, führten 1915-24 zur umfassenden Erneuerung und Erweiterung der Schulanlage nach Plänen von Gustav Gull: Das Chemiegebäude wurde abgebrochen, der Semper-Bau durch die L-förmige Verlängerung des südlichen und des nördlichen Flügels bis an die Rämistrasse erweitert und der alte Osttrakt durch einen wesentlich breiteren Gebäudeflügel mit diesen um ein Geschoss überragender, Kuppel bekrönter Mittelrotunde ersetzt. In deren über die Fassade vorspringendem Halbrund befindet sich hinter ionischen Kolossalsäulen das Auditorium Maximum, darüber die Bibliothek, darunter die Halle mit dem auf den neu entstandenen Vorhof zwischen Nord- und Südflügel gehenden Haupteingang. Die beiden Gebäudeflügel nehmen in den Risaliten gegen die Rämistrasse die ionischen Kolossalsäulen der Rotunde auf und rahmen mit vorspringenden, die Fassadenflucht der Risalite verlängernden Arkaden den Strassenraum und den Vorhof. Durch die axialsymmetrische, monumental wirkende, barocken Schlossanlagen ähnliche Komposition hat Gull das ETH-Gebäude von der Stadt zur Rämistrasse umorientiert.

ETH Rämistrasse
Die neue Hauptfront der ETH gegen die Rämistrasse. Foto vor 1938.

Anstelle der Antikenhalle setzte Gull eine über die ganze Gebäudehöhe reichende Halle zwischen die neu in die Höfe eingebauten Auditorien. Das komplexe Raumgefüge geschickt gestaffelter und verschränkter Arkaden und Kolonnaden öffnet die grosse Halle zu anderen Räumen, schafft Zonen unterschiedlichen Lichts und nimmt dadurch der Architektur die Schwere.

ETH Halle
Gulls Halle mit den Erschliessungsalerien und-emporen. Foto um 1943.

Unter den dem Semper-Bau angeglichenen Oberflächen aus Kunststein und Neurenaissance-Formen verbarg Gull das moderne Baumaterial, den Eisenbeton, der auch für die ursprünglich betonsichtig geplante Kuppel benützt wurde.

ETH Kuppelkonstruktion
Die sichtbare Betonaussenschale der Betonrippenkuppel mit kassettierten Füllungen wurde auf öffentlichen und politischen Druck mit Ziegeln verkleidet. Foto um 1971.

1964-77 wurde das ETH-Gebäude nach Plänen der Professoren Charles-Edouard Geisendorf (1913-85) und Alfred Roth (1903-98) nochmals erweitert, unter anderem durch die Hörsaaleinbauten in den beiden Innenhöfen und die Grossmensa unter der neuen Polyterrasse. O.C.   

Ehem. Wurstfabrik und Wohnhaus „Rämiburg“, Rämistrasse 44, 46

Submitted by ottavio.clavuot on Mon, 12/13/2021 - 13:55

Der Bratwurster Friedrich Mörker warb mit seiner 1887 von Hottinger Baumeister Friedrich Hopp (1834-98) als mehrfarbiger Sichtbacksteinbau gestalteten, mittelalterliche Formen und Elemente des Schweizer Holzstils kombinierenden Bratwurstfabrik (Nr. 46). Der Rundturm mit Zinnenkranz und gotisierender Inschrift sowie die dekorativen Pfettenschutzbretter mit Laubsägeornamentik sollten für Tradition und Qualität stehen. Während in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts Fabriken meist als schlichte Zweckbauten, wie z.B. der „Schanzenberg“, erstellt wurden, war die Errichtung mehrfarbiger, burg- oder schlossartig gestalteter Fabrikgebäude zu Werbezwecken im späten 19. Jahrhundert gerade in der Lebensmittelindustrie weit verbreitet. Paradebeispiel dafür ist sicher die seit 1882 in mehreren Etappen erweiterte Brauerei Feldschlösschen in Rheinfelden.

Rämistrasse 46
Das ehemalige Fabrikgebäude.Foto 1890.

Friedrich Mörkers Unternehmen scheint jedenfalls erfolgreich gewesen zu sein, denn 1904 konnte sein gleichnamiger Sohn die benachbarte Neurenaissance-Villa „Rämiburg“ (Nr. 44) erwerben, die 1891 wohl vom Architekten Alfred Chiodera errichtet worden war, der daneben 1897/98 sein eigenes Wohnhaus (Rämistrasse 50) in Anlehnung an französische Renaissance-Schlösschen erbaute. O.C.

Rämistrasse 46
Das Wohnhaus mit turmartigem Risalit, Balkon und Nischenfiguren gegen die Rämistrasse sowie markantem Treppenhausfenster an der Eingangsfront.
Villa Chiodera Rämistrasse 50
Die Villa Chiodera mit Eingangsrisalit, Ecktürmchen, Veranda, talseitiegen Erkern und Lukarnen, hellen Sandsteinfassaden und dunkeln Schieferdächern erhält durch den differenziert eingesetzten Bauschmuck eine elegante, urbane Erscheinung.  

Ehemalige Augenklinik, Rämistrasse 73

Submitted by ottavio.clavuot on Wed, 11/10/2021 - 06:29

Der repräsentative Bau der ehemaligen Augenklinik zwischen ETH und Universität ist Ausdruck des Erstarkens und der Auffächerung der universitären Medizin in Spezialdisziplinen. Mit der Entstehung der modernen Klinik im 19. Jahrhundert wurden Spitäler nicht mehr primär auf die Versorgung und Verwahrung physisch oder psychisch kranker Menschen, sondern auf die Behandlung heilbarer Kranker ausgerichtet. Das 1842 eröffnete Zürcher Kantonsspital beherbergte zwei Universitätskliniken: die Innere Medizin und die Chirurgie, der auch die Augenheilkunde zugeordnet war. Die grossen Fortschritte in der Ophthalmologie und die Spezialisierung einzelner Ärzte auf dieses Gebiet, führten in verschiedenen europäischen Ländern zur Gründung privater Augenkliniken, da die Augenärzte mit ihrer Forderung nach eigenen Lehrstühlen und eigenständigen Universitätskliniken vor 1850 nicht durchdrangen. Die Chirurgen fürchteten die neue Konkurrenz und die Regierungen die Kosten. In Zürich bewilligte der Regierungsrat nach mehrjährigem Ringen 1862 einen Lehrstuhl für Augenheilkunde mit zugehöriger Klinik in den Gebäuden des Universitätsspitals und berief den Zürcher Augenarzt Johann Friedrich Horner, der seit 1856 eine ausserordentlich erfolgreiche Privatklinik betrieben hatte. Erst 1889 konnte sich Horners Nachfolger Otto Haab mit der Forderung nach einem selbständigen Klinikbau durchsetzen, mit dessen Planung Kantonsbaumeister Otto Weber, ein Schüler Gottfried Sempers, beauftragt wurde. Angesichts des grossen Renommees der Zürcher Augenheilkunde und der unmittelbaren Nachbarschaft des Neubaus zu Sempers monumentalem Hochschulgebäude konnte Weber die Verantwortlichen von der repräsentativen Gestaltung des Klinikbaus als zweiflügligen, historistischen Palazzo mit vorgeschobenem, erhöhtem, mit korinthischen Säulen geschmücktem Mittelrisalit überzeugen.

ehem. Augenklinik
Strassenfront der ehemaligen Augenklinik mit dem nach Geschlechtern getrennten Garten.

Die teuern Sandsteinfassaden des 1892-96 ausgeführten Baus umschlossen eine an ausländischen Vorbildern orientierte, moderne, zweckmässige Spitalinfrastruktur: Wirtschaftsräume und Stallungen für die Versuchskaninchen im Kellergeschoss; repräsentatives Vestibül, Räume für Forschung, Lehre und Verwaltung sowie Warte- und Untersuchungszimmer im Erdgeschoss; stationärer Bereich für 57 Erwachsene und 11 Kinder mit zwei Operationssälen, Krankenzimmern und grosszügigen Korridoren als Aufenthaltsbereich in den Obergeschossen.

Rämistrasse 73 Operationssaal
Operationssaal. Foto 1909.

Die Klinik war vollständig elektrifiziert, verfügte über Warmwasser in den Zimmern, nach Geschlechtern getrennte sanitäre Anlagen und eine an hygienischen Kriterien orientierte Ausstattung. Die Patienten waren in den Betrieb der Klinik eingebunden und mussten, sofern es ihr Zustand erlaubte, Mitpatienten betreuen und bei der Bewirtschaftung und Reinigung mithelfen.

Rämistrasse 73 Patienten und Schwestern
Krankenschwestern mit kleinen Patienten. Foto 1909.

1953 zogen das Kunsthistorische Institut und die Archäologische Sammlung in das Gebäude der Augenklinik ein, nachdem diese in moderne Räume im neugebauten Kantonsspital umgezogen war. O.C.

Archäologische Sammlung Rämistrasse 73
Gipsabgusssammlung des Archäologischen Instituts im Treppenhaus und dem grosszügigen Korridor im 1. OG der ehemaligen Augenklinik.

Schweizerische Landesausstellung 1939 und Geistige Landesverteidigung (Enge / Zürichhorn)

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 07/08/2021 - 02:18

Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, der den Bundesstaat einer inneren Zerreissprobe ausgesetzt, die international stark vernetzte Schweizer Wirtschaft massiv getroffen und den sozialen Frieden schwer erschüttert hatte, führten zur Rückbesinnung auf nationale Werte und Interessen. In den 1920er Jahren forcierten die von der russischen Revolution und vom italienischen Faschismus ausgehende Bedrohung zusammen mit den neuen Möglichkeiten von Radio und Film zur Verbreitung totalitärer Ideologien das Bestreben, die Unabhängigkeit und den demokratischen Rechtsstaat auch in Friedenszeiten mit politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Mitteln zu verteidigen. Mit der Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland 1933 intensivierten Schweizer Politiker, Intellektuelle und Medienschaffende ihre Bemühungen um die Stärkung der kulturellen Grundwerte der Eidgenossenschaft und um einen inneren Schulterschluss über alle Klassen- und Parteigrenzen hinweg. Bundesrat Philipp Etter formulierte in der Botschaft vom 9. Dezember 1938 die Idee der Geistigen Landesverteidigung offiziell: Als Willensnation gründet die Schweiz auf der Bereitschaft der Bürger, für die gemeinsamen Werte der Menschenwürde, der Freiheit, der Demokratie und des Föderalismus mit ihrem Leben einzustehen. Diese geistigen Werte und die nationale Schicksalsgemeinschaft, die sich im Gotthardmassiv als Symbol der Einheit und Vielfalt, der Freiheit und Wehrhaftigkeit providentiell verkörpern, gilt es neu ins Bewusstsein zu rufen.

Audio file
Aus der Botschaft des Bundesrats vom 9.12.1938

Das Konzept war so offen und allgemein, dass sich mit Ausnahme der Frontisten und eines Teils der Kommunisten alle politischen Strömungen damit identifizieren konnten. Im gleichen Jahr entstanden auch ikonische Inszenierungen der Geistigen Landesverteidigung, wie z.B. der von Hermann Haller und Leopold Lindtberg gedrehte Film „Füsilier Wipf“ oder die Aufführungen des „Götz von Berlichingen“ und des „Wilhelm Tell“ am Zürcher Schauspielhaus mit Heinrich Gretler in den Titelrollen. Mit dem Beginn des Kalten Krieges Ende der 1940er Jahre erfuhr die Geistige Landesverteidigung bis in die ausgehenden 1960er Jahre eine Wiederbelebung.

Plakat Füsilier Wipf

Bereits 1925 wurde die Idee einer Landesausstellung in Zürich lanciert, doch erst 1935 beschloss der Bundesrat deren Unterstützung. Seit der Bundesstaatsgründung 1848 dienten die Landesausstellungen der Inszenierung der nationalen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Erstmals 1914 wurde eine Landesausstellung zur Demonstration des Willens zur bewaffneten Neutralität instrumentalisiert. Ganz im Dienst der Geistigen Landesverteidigung stand die Zürcher Landesausstellung 1939. Der 1936 zum Direktor der „Landi“ bestellte Architekt Armin Meili konzipierte eine thematisch geordnete Schau, die das Bild einer wehrhaften, innovativen, modernen, bodenständig in ihren regionalen und bäuerlichen Traditionen verwurzelten Schweiz vermitteln sollte. Auf dem linken Seeufer wurde die Schweiz als Industrie-, Wissenschafts-, Technik-, Tourismus- und Modenation präsentiert.

Halle des Strassenverkehrs von Architekt L.M. Boedecker, Zürich. Aufnahme: Michael Wolgensinger 1939
Halle des Strassenverkehrs von Architekt L.M. Boedecker, Zürich.

Neben Themen wie Energieversorgung, Städtebau und Verkehr standen vor allem „Heimat und Volk“ im Zentrum. Der von Fahnen überdachte „Höhenweg“ durchzog auf 700 Metern als Rückgrat und sakrale Selbstvergewisserung der Eidgenossenschaft das Ausstellungsgelände. Er erschloss Pavillons zu Geschichte und Werten der Schweiz, so auch zur „Wehrbereitschaft“, die durch eine monumentale Soldatenskulptur des Bildhauers Hans Brandenberger verkörpert wurde.

Landesausstellung 1939 Wehrbereitschaft
Plastik "Wehrbereitschaft" von Hans Brandenberger. Ein Original-Bronzeabguss steht heute vor dem Bundesbriefarchiv in Schwyz, eine Nachbildung bei den Turnhallen an der Rämistrasse 80.

Die „Landi“ sollte nicht nur durch Belehrung, sondern auch als kollektives Erlebnis zur Gemeinschaftsbildung beitragen. Das Vergnügen durfte daher nicht zu kurz kommen. Dieses garantierte u.a. der „Schifflibach“, der sich grosser Beliebtheit erfreute.

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„Schifflibach“ und „Schifflibach-Lied“. Das war die Landi, SRF 18.6.1989.

Ausstellungsgelände, Pavillons, Skulpturen, Wandbilder und Ausstellungsgut waren als szenografische Einheit konzipiert. Als Chefarchitekt der Landesausstellung setzte Hans Hofmann (1897-1957), ein Schüler Karl Mosers, konsequent auf eine funktionalistische Holz-Leichtbauweise in Kombination mit neuen Materialien, wie Aluminium, und mit experimentellen Formen.

Landesausstellung 1939 Aluminiumpavillon
Aluminium-Pavillon von Architekt Jos. Schütz, Zürich. Aluminium wurde in seiner Schlichtheit und Abnutzungsresistenz als typisches schweizerisches Material propagiert.
Landesausstellung 1939 Betonbogen
Betonparabel von Hans Leuzinger (Architekt) und Robert Maillart (Ingenieur) mit Pferdebändiger von Alfons Maag.

Die gemässigte architektonische Moderne der „Landi“ hob sich damit deutlich von den wuchtigen Prestigebauten der totalitären Diktaturen ab und galt fortan als schweizerische Form der Moderne. Durch eine Luftseilbahn über den See war das Gelände in der Enge mit dem der traditionellen, bäuerlichen Schweiz gewidmeten Teil der „Landi“ am rechten Seeufer verbunden. Inspiriert von der Natur- und Heimatschutzbewegung verklärte im „Dörfli“ am Zürichhorn ein Potpourri ländlicher Bauten in verschiedenen Regionalstilen das vormoderne Leben und zelebrierte mit Trachtenschau und -fest die nationale kulturelle Eigenständigkeit.

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„Dörfli“ und „Dörfli-Lied“. Das war die Landi, SRF 18.6.1989.

Die von Anfang Mai bis Ende Oktober 1939 dauernde Landesausstellung wurde durch Kriegsausbruch und Mobilmachung am 1. September endgültig zum nationalen Wallfahrtsort. Schliesslich verzeichnete sie 10 Millionen Besucher. 40‘000 Artikel und 15‘000 Bilder in der Schweizer Presse, Plakate und Postkarten, Briefmarken und Broschüren feierten das Ereignis, so dass die „Landi“ auf lange Zeit tief im kollektiven Gedächtnis verankert blieb. O.C.

Landi-Prospekt 1939
"Landi-Dörfli" am Zürichhorn. Landesausstellungsprospekt 1939.

Alte Kantonsschule, Rämistrasse 59

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:36

Mit dem nach der liberalen Revolution 1832 vom Grossen Rat beschlossenen Unterrichtsgesetz wurde die obligatorische Volksschule eingeführt und die Rechtsgrundlage geschaffen für die Gründung der Kantonsschule und der Universität. So nahm die Kantonsschule Zürich 1833 den Schulbetrieb in zwei selbständigen Abteilungen auf: dem neuhumanistischen Gymnasium (heute Real- und Literargymnasium) und der berufsbildenden Industrieschule (heute MNG Rämibühl). Bis zum Bau eines neuen Schulgebäudes für 300 bis 400 Schüler auf dem Rämibollwerk 1839-42 war die Kantonsschule im alten, 1844 abgebrochenen Stiftsgebäude beim Grossmünster untergebracht. Lange umstritten waren Standort und Architekturstil des Schulhausneubaus. Der schliesslich beauftragte Gustav Albert Wegmann nutzte die prominente Lage auf dem einstigen Bollwerk zur machtvollen Inszenierung des liberalen Bildungsgedankens und des neuhumanistischen Bildungsideals. Erschlossen wird der gesockelte, viergeschossige, klassizistische Kubus mit einem von Blechzinnen verdeckten, zum Innenhof geneigten Pultdach talwärts von einer breiten Freitreppe, die vom Exerzier- und Turnplatz (heute Erweiterungsbau des Kunsthauses) zum Schulgebäude hinaufführte.

Alte Kantonschule

Alte Kantonsschule mit Turnschopf, Turnplatz und Wolfbach-Bassin, Zeichnung von Siegfried, um 1849. Koloriertes Aquatintablatt, erschienen bei Heinrich Füssli & Cie., 1850.

Der dem Bau zugrunde liegende Raster von acht mal sieben bis auf die Portale identischen Fensterachsen wird in der strengen, nur sparsam mit dekorativen Terracotta-Elementen belebten Geometrie der Fassaden- und Fenstereinteilung sichtbar. Die Schulzimmer sind um einen Innenhof angeordnet, der für die Belichtung der Korridore sorgt. Als Vorbild für die Gesamtform, die Stockwerkzahl, die Fassadengliederung sowie für die Grösse und Form der Fenster dieses Pioniers des Schulhausbaus diente Wegmann die 1832-35 von Karl Friedrich Schinkel als Sichtbacksteinbau errichtete Bauakademie in Berlin. Nicht übernommen hat Wegmann Konstruktion und Material seines Vorbilds. Da Ziegel in Zürich um 1840 noch nicht in der erforderlichen Qualität produziert wurden und der Regierungsrat verputzte Mauerflächen wünschte, wählte Wegmann die traditionelle Holzsprengwerkkonstruktion. O.C.

Alte Kantonschule

Alte Kantonsschule, Südfassade mit vorgelagerter Freitreppe.

Kantonsschule Rämibühl - Park - Südrampe

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:32

Eduard Neuenschwander versuchte beim Bau der Kantonsschule Rämibühl nicht nur, die neuen Gebäude ins bestehende Gelände einzupassen und den Baumbestand der ehemaligen Villengärten zu schonen, sondern veränderte auch gezielt Relief, Bodenbeschaffenheit und Bewuchs. Dadurch sollten in den verschiedenen Parkbereichen neue Lebensräume für Pflanzen, Mensch und Tiere geschaffen, die Schönheit der Natur und die Geschichte des Areals sichtbar und sinnlich erfahrbar gemacht werden. Exemplarisch dafür, wie Neuenschwander mit „Erde und Stein als skulptural formbaren Medien“ das Terrain vielfältig modellierte und dabei Altes und Neues harmonisch verband, ist die mit Unterstützung Karl Holdeners gestaltete Treppenlandschaft des Südaufgangs. Der dem natürlichen Geländeverlauf geradlinig folgende Aufgang wird auf der Bodenwelle vor der Mensa zu einem theaterartig getreppten Platz erweitert, der durch einen Kranz locker gepflanzter Lärchen und Föhren sowie weiterer einheimischer Gehölze gerahmt wird.

Rämibühl Südrampe

Südlicher Treppenaufgang mit Aula, Balkonspolie und Mensa.

Aus den Stufen herausragende Gneisblöcke laden zum Sitzen ein. Die Kopfsteinpflästerung zwischen den Schwellen aus neuen Gneisstufen und alten, aus den Villengärten stammenden Granitabdeckungen grenzt die Erholungszone gegen die mit Zementverbundsteinen ausgelegte, durch Streifen mit Wildpflästerung aus Voralpenkalk erweiterte Verkehrszone ab. Kopfsteinpflaster prägt auch den Platzbereich gegen die Aula hin. Eine prominent vor dem Haupteingang platzierte Balkonspolie vom „(Grossen) Freudenberg“ und Reste der südlichen Gartenmauer des „(Kleinen) Freudenberg“ oberhalb des Naturwissenschaftstrakts erinnern an die Vergangenheit des Geländes. O.C.

Gneisblöcke

Gneisblöcke und Granitschwellen, Kopfsteinpflaster, Wildpflästerung aus Voralpenkalk und Zementverbundsteine.

Kunsthaus, Altbau, Heimplatz

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 17:57

Nach dem Zusammenschluss der 1787 von Künstler und Kunstliebhabern gegründeten Künstlergesellschaft und des 1895 ins Leben gerufenen Vereins Künstlerhaus im Jahr 1896 zur Zürcher Kunstgesellschaft, begann diese 1902 mit der Planung eines neuen Museumsbaus für die Sammlung der Künstlergesellschaft und einer Kunsthalle für temporäre Ausstellungen. Der vorgesehene Standort im Garten des von Johann Heinrich Landolt (1831-85) der Stadt vermachten, im Tausch für das Künstlergüetli der Kunstgesellschaft überlassenen Familiensitzes „Zum Lindenthal“ war ideal: Nach der Niederlegung der Schanzen und der Anbindung des Zeltwegs (1834), der Anlage von Rämi- (1836) und Hottingerstrasse (1871/72) sowie des Baus der Quaibrücke (1882-84) war die Kreuzung nördlich des „Lindenthals“ zu einem zentralen Verkehrsknotenpunkt zwischen Altstadt und Hottingen, Enge und Fluntern geworden. Zusammen mit dem Schauspielhaus im Theater „Zum Pfauen“ bildet das Kunsthaus heute den Auftakt zur Kulturmeile, die sich seit dem Bau der Alten Kantonsschule entlang der Rämistrasse entwickelt hatte. Diese städtebauliche Situation manifestiert sich im 1907-10 von Karl Moser als Tempel der Kunst und Tor zur Altstadt gestalteten, aus zwei Baukörpern bestehenden Museumskomplex. Im Gegensatz zu Gustav Gull, der das Landesmuseum 1892-98 als Nationalmonument konzipiert hatte, dessen spätmittelalterliche Architekturanleihen die Blütezeit der Alten Eidgenossenschaft beschworen, bezog sich Moser auf die Antike als Blütezeit der Kunst, indem er eine Formensprache wählte, die einem nüchternen, griechisch geprägten Jugendstil verpflichtet ist.

Kunsthaus Zürich
Ausstellungsbau und Museumsbau mit dem dahinter liegenden ersten Erweiterungsbau von Karl Moser. Foto um 1920.

Der den Platz dominierende, dreigeschossige, kubische Hauptbau mit tempelartigem Eingang und monumentalem Metopenfries unter der mächtigen Pyramide des Glasdachs nahm die Verwaltung, den grosszügigen Treppenaufgang zur doppelgeschossigen, lichthofartigen Halle sowie die Räume und den grossem Oberlichtsaal für die Sammlung auf. Den zweigeschossigen, niedrigeren grosszügig befensterten Ausstellungstrakt mit abgewinkelten Ecken gegen die Rämistrasse, dessen obere Fassadenhälfte eine toskanische Säulenarchitektur mit Nischenfiguren feingliedriger erscheinen lässt, überspannt ebenfalls ein Glaswalmdach.

Kunsthaus Zürich - Innenraum
Lichthofartige Treppenhalle im 1. Obergeschoss des Museumsbaus.

Im Sinne eines Gesamtkunstwerks hat Moser Architektur, Bauplastik, Ausstattung und Ausstellungsgut zu einer Einheit verbunden. Das von der Wiener Sezession inspirierte Innere umgibt durch die Wandbilder von Ferdinand Hodler und Cuno Amiet in der Halle, die üppigen, Akzente setzenden Ornamente, die farbige Wand- und Bodenverkleidung in erlesenen Materialien sowie die darauf abgestimmten Möbel und Leuchter die gezeigte Kunst mit einer sakrale Aura.

Ausstellung Karl Moser
Ausstellungssaal im 1. Obergeschoss.

Das rasche Wachstum der Sammlung machte schon bald eine erste Erweiterung nötig, die Moser in Anlehnung an den Hauptbau 1924-26 als Kubus mit Glaswalmdach zwischen Altbau und „Lindenthal“ (1972 abgebrochen) realisierte. Die verglichen mit dem Altbau karge, den Funktionalismus der niederländischen Moderne aufnehmende Architektur der Ausstellungsräume konzipierte Moser nun als diskreten, neutralen Hintergrund der ins Zentrum gerückten Bilder und Skulpturen.

Kunsthaus Zürich - Bibliothek
Funktionalistischer Lesesaal in Karl Mosers Erweiterungsbau (nicht erhalten). Foto 1925.

Während der 1954-58 zu Mosers Kunsthaus hinzugefügte „Bührle-Bau“ den Altbau mit dem Erweiterungsbau nördlich des Platzes verbindet, ist der 1973-76 angebaute Ausstellungstrakt vom Heimplatz aus nicht sichtbar. O.C.

Karl Moser Kunsthauserweiterungsprojekt
Karl Mosers Projekt eines Erweiterungsbaus des Kunsthauses mit schmalem Erschliessungs- und Ladentrakt gegen den Heimplatz und drei rechtwinklig anschliessenden Ausstellungstrakten mit Shedbedachung. Zeichnung 1934.