Ziegel, Sichtbackstein

Katholisches Gesellenhaus, Wolfbachstrasse 15

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 12/16/2021 - 03:48

Deutschen Vorbildern entsprechend liess der Katholische Gesellenverein 1888-89 das erste Gesellenhaus der Schweiz nach Plänen von Alfred Chiodera und Theophil Tschudy errichten, um hundert wandernden Handwerksburschen Kost und Logis anbieten zu können. Finanziert wurde der fünfgeschossige, L-förmige Bau durch Mitgliederbeiträge, Spenden und einen Kredit der Schwyzer Kantonalbank. Unter dem mächtigen Walmdach befand sich der in vorne und oben offene Kojen unterteilte Schlafsaal. Die unteren Geschosse nahmen Büros, Fremdenzimmer, Küche, Speisesaal, Restaurant, Aufenthaltsräume, Kegelbahn und den zweigeschossigen Festsaal mit ionischen Kolossalsäulen und Emporen auf.

Wolfbachstrasse 15 Festsaal
Der zweigeschossige Festsaal mit Bühne war zur Bauzeit einer der grössten Säle Zürichs. Foto um 1910.

Gegen die Wolfbachstrasse ist die historistische Sichtbacksteinfassade mit kräftigem Bruchsteinsockel, prunkvollem Neurenaissance-Portal und Pilasterordnung mit grosszügigen Bogenfenstern in den Obergeschossen repräsentativ gestaltet. Elemente des Schweizer Holzstils schmücken die Lukarnen.

Wolfbachstrasse 15
Im Gegensatz zur Fassade gegen die Wolfbachstrasse sind die übrigen Gebäudefronten verputzt und ohne Schmuck.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung Zürichs nach der Bundesstaatsgründung 1848 und der Garantie der Glaubensfreiheit durch die neue Bundesverfassung nahm die Zuwanderung aus katholischen Gebieten der Schweiz und des Auslands sprunghaft zu. Die Lebensbedingungen der Arbeitsuchenden waren oft schwierig, ganz besonders für die wandernden Gesellen. So wurde 1863, angeregt durch die vom Kölner Priester Adolph Kolping (1813-65) 1849 initiierte religiöse und sozialreformerische Gesellenbewegung, der Katholische Gesellenverein (heute Kolpinghausverein Zürich) in Zürich gegründet. Durch Bildung und religiös-soziale Bindung sollten gesellschaftlicher Abstieg, Entfremdung vom Christentum und sozialistisch-kommunistische Beeinflussung der wandernden Gesellen verhindert werden. Vor der Errichtung der Liebfrauenkirche (1893/94) und der Sankt Antoniuskirche (1907) war das Gesellenhaus zudem das kirchliche Zentrum für die rund 17’000 Stadtzürcher Katholiken rechts der Limmat. Der rund 700 Personen fassende Festsaal diente der katholischen Diaspora für Bazare, Ausstellungen, Tagungen, Feiern und der untere Saal 1891-1907 auch als Kirchenraum.

Wolfbachstrasse 15 Kapelle
Der Altar im unteren Saal des Gesellenhauses, der 1891-1907 als Kapelle dienste.

Mit dem Ausbruch des 1. Weltkriegs 1914 brach die Belegung des Gesellenhauses ein, da die ausländischen Gesellen in ihre Heimat zurückkehrten. Nach dem Krieg erholte sich der Betrieb nur langsam und litt trotz Modernisierung des Hauses 1929 erneut unter dem Ausbruch der Weltwirtschaftskrise und des 2. Weltkriegs. Angesichts des wachsenden Wohlstands und Individualismus seit den 1950er Jahren entsprachen das karge Wohnangebot und der reglementierte Tagesablauf des Gesellenhauses immer weniger den gesellschaftlichen Bedürfnissen, so dass der Verein das Haus schliesslich 1980 verkaufte. Bis 1994 scheiterten alle Bemühungen um eine neue Zweckbestimmung und Sanierung des Gebäudes, dessen Inneres 1984 noch vor einer Unterschutzstellung gezielt zerstört wurde. So wurde 1994/94 innerhalb der alten, sorgfältig restaurierten Fassaden ein vollständig neues Büro- und Wohnhaus errichtet. O.C.

Ehem. Wurstfabrik und Wohnhaus „Rämiburg“, Rämistrasse 44, 46

Submitted by ottavio.clavuot on Mon, 12/13/2021 - 13:55

Der Bratwurster Friedrich Mörker warb mit seiner 1887 von Hottinger Baumeister Friedrich Hopp (1834-98) als mehrfarbiger Sichtbacksteinbau gestalteten, mittelalterliche Formen und Elemente des Schweizer Holzstils kombinierenden Bratwurstfabrik (Nr. 46). Der Rundturm mit Zinnenkranz und gotisierender Inschrift sowie die dekorativen Pfettenschutzbretter mit Laubsägeornamentik sollten für Tradition und Qualität stehen. Während in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts Fabriken meist als schlichte Zweckbauten, wie z.B. der „Schanzenberg“, erstellt wurden, war die Errichtung mehrfarbiger, burg- oder schlossartig gestalteter Fabrikgebäude zu Werbezwecken im späten 19. Jahrhundert gerade in der Lebensmittelindustrie weit verbreitet. Paradebeispiel dafür ist sicher die seit 1882 in mehreren Etappen erweiterte Brauerei Feldschlösschen in Rheinfelden.

Rämistrasse 46
Das ehemalige Fabrikgebäude.Foto 1890.

Friedrich Mörkers Unternehmen scheint jedenfalls erfolgreich gewesen zu sein, denn 1904 konnte sein gleichnamiger Sohn die benachbarte Neurenaissance-Villa „Rämiburg“ (Nr. 44) erwerben, die 1891 wohl vom Architekten Alfred Chiodera errichtet worden war, der daneben 1897/98 sein eigenes Wohnhaus (Rämistrasse 50) in Anlehnung an französische Renaissance-Schlösschen erbaute. O.C.

Rämistrasse 46
Das Wohnhaus mit turmartigem Risalit, Balkon und Nischenfiguren gegen die Rämistrasse sowie markantem Treppenhausfenster an der Eingangsfront.
Villa Chiodera Rämistrasse 50
Die Villa Chiodera mit Eingangsrisalit, Ecktürmchen, Veranda, talseitiegen Erkern und Lukarnen, hellen Sandsteinfassaden und dunkeln Schieferdächern erhält durch den differenziert eingesetzten Bauschmuck eine elegante, urbane Erscheinung.  

Mietshäuser, Hottingerstrasse 28-32

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 08/22/2021 - 04:11

Die 1879 von Theodor Geiger (1832-82) als Architekt und Bauherr errichtete Blockrandbebauung mit vier Mehrfamilienhäusern, repräsentativ geschmückter, grossstädtisch wirkender Fassade dokumentiert den Wandel Hottingens von der Bauerngemeinde zum gehobenen städtischen Wohnquartier. Die achtachsige Fassade gegen die 1871/72 neu angelegte Hottingerstrasse wird durch turmartig überhöhte Eckrisalite mit Eckquaderung und Balkonen gerahmt, jene gegen den Steinwiesplatz als Schaufront mit neubarock überkuppeltem Mittelturm und Veranden in der Westecke gestaltet. Über der Rustikaquaderung und den Putzflächen des Sockelgeschosses erhebt sich die zweistöckige Sichtbacksteinfassade mit Natursteinelementen, darüber das Mansardenwalmdach mit dem Dachgeschoss.

Blockrandbebauung Hottingerstrasse 28-32
Blockrandbebauung mit Turm und Veranden gegen den Steinwiesplatz. Foto um 1890.

Der Mietshauskomplex ist ein früher Vertreter, der in Zürich vor allem zwischen 1883 und 1914 errichteten Sichtbacksteinbauten. Nachdem Karl Friedrich Schinkel mit der Friedrich-Werderschen Kirche (1824-31) und der Bauakademie (1832-36) in Berlin eine Renaissance des Sichtbacksteinbaus im deutschen Kulturraum eingeleitet hatte, führte vor allem die Mechanisierung der Ziegelproduktion seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu dessen rascher Verbreitung. Das 1854 von Carl Schlickeysen (1824-1909) eingeführte Strangpressverfahren und der 1858 von Friedrich Eduard Hoffmann (1818-1900) und Julius Albert Gottlieb Licht (1821-98) entwickelte, kontinuierlich arbeitende Ringofen ermöglichten die Produktion hochwertiger und kostengünstiger Ziegelsteine und -profile. Die Einführung der Lochung machte die Ziegelsteine zudem zu einem idealen, Wärme dämmenden und Feuchtigkeit isolierenden Verblendungsmaterial der Aussenwand. Die Standardisierung des Ziegelformats in Deutschland nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 und der Eisenbahnbau bestimmten die Entwicklung des Sichtbacksteinbaus auch in der Schweiz, indem die deutschen Standardmasse 1883 vom SIA weitgehend übernommen wurden und die deutschen Qualitätsziegel den schweizerischen Markt dominierten. In Zürich waren seit der Mitte des 19. Jahrhunderts 39 mechanische Backsteinfabriken entstanden, die vor allem gewöhnliche Backsteine und Dachziegel produzierten. Der Sichtbacksteinbau blieb allerdings bis in die 1880er Jahre von geringer Bedeutung.

Katalog Ziegelei Keller
Hochgelochte, vollformatige Mauer- und Verblendziegel in einem Katalog der Keller Ziegeleien in Pfungen (S. 3 und 11) aus den Jahren um 1900.

Zum Durchbruch verhalfen ihm erst die Schweizerische Landesausstellung 1883 auf dem Platzspitz, an der das Keramische Gewerbe mit einem von Chiodera und Tschudy entworfenen Sichtbacksteinpavillon für sich warb, und der Sichtbacksteinbau des 1884-85 von Georg Lasius (1835-1928) und Alfred Friedrich Bluntschli (1842-1930) erbauten Chemischen Laboratoriums der ETH.

Schweizerische Landesausstellung 1883 Keramikpavillon
Keramikpavillon an der Schweizerischen Landesausstellung 1883 in Zürich.

In den folgenden drei Jahrzehnten wurde der Sichtbackstein zum beliebtesten Fassadenmaterial in Zürich. Wie an der Hottingerstrasse 28-32 wurden im Wohnungsbau meistens Putz, grauer Natur- und roter oder beiger Sichtbackstein kombiniert zur Strukturierung und repräsentativen Gestaltung der Fassade eingesetzt. Der reine Sichtbacksteinbau blieb jedoch weitgehend auf Gewerbebauten beschränkt. Während Theodor Geigers Sichtbacksteinfassade nur aus einer einfachen, einfarbigen Läufer-Binder-Verblendung besteht, zieren andernorts zusätzlich Bänder und Muster beiger und roter Ziegel oder geometrische und figürliche Ziegelformprofile die Aussenwände. Im Haus Hottingerstrasse 30 lebte 1885/86 der Maler Arnold Böcklin (1827-1901). O.C.