Geistige Landesverteidigung

Otto Schlaginhaufen (1879-1973), Sozialanthropologe

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 12/05/2021 - 11:06

In St. Gallen als Sohn eines „Warenagenten“ in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen geboren, besuchte Otto Schlaginhaufen 1894-97 die Kantonsschule in Zürich, wo er auch das Studium am 1899 neu gegründeten, ersten schweizerischen Institut für Anthropologie bei Professor Rudolf Martin (1864-1925) aufnahm. Martin, an der Ecole d’Anthropologie in Paris beim Chirurgen und Anatomen Paul Broca (1824-80) ausgebildet, verstand die Anthropologie als naturwissenschaftliche, auf Messungen beruhende Disziplin mit der Aufgabe, im Sinne Darwins die Stammesgeschichte des Menschen im Gesamtzusammenhang der Naturgeschichte zu erforschen. Dabei ging er davon aus, dass sich durch Vererbung verschiedene Rassen ausgebildet hätten, deren psychische und geistige Eigenschaften mit bestimmten körperlichen Merkmalen, wie z.B. Schädelform und Hirnvolumen, Hand-, Fuss- und Beckenform, korrelierten. In seiner Dissertation, einer vergleichenden Studie über Fuss- und Handabdrücke von 51 „westafrikanischen Negern“, die 1903 im Zürcher Panoptikum zu sehen waren, 82 Europäern, einigen Asiaten und Affen kam Schlaginhaufen zum Schluss, dass die „westafrikanischen Neger“ in der menschlichen Stammesgeschichte eine Mittelstellung zwischen Affen und Menschen einnähmen. Als Assistent am Anthropologischen Institut widmete er sich vor allem der Verbesserung der Instrumente für Schädelvermessungen, bis er 1905 eine temporäre Anstellung am Völkerkundemuseum in Berlin erhielt. Dessen Direktor Felix von Luschan (1854-1924) übertrug ihm die Inventarisierung der Schädelsammlung des Pathologen und Anthropologen Rudolf Virchow (1821-1902) und führte ihn in den Kreis damals führender deutscher Rassenhygieniker, wie etwa Ernst Haeckel (1834-1919) und Alfred Ploetz (1860-1940), ein.

Deutsch Guinea 1914
Karte Deutsch-Guineas 1914. Deutsches Koloniallexikon, Leipzig 1920.

1907 warb ihn Felix von Luschan für die „Deutsche Marine-Expedition“ nach Neu-Mecklenburg und im Bismarck-Archipel vom Anthropologisch-ethnografischen Museum in Dresden ab. Die Forschungsexpedition sollte von der westlichen Zivilisation noch weitgehend unberührte melanesische Bevölkerungsgruppen anthropologisch untersuchen und Zeugnisse ihrer Kultur für das Berliner und Dresdner Museum sammeln, bevor sie als Folge von Kolonisation und Zivilisierung untergehen würde.

Gruppenportrait (Forschungsreise durch Deutsch-Guinea 1909)
Otto Schlaginhaufen in Paup mit Eingeborenen während der Forschungsreise durch Deutsch-Guinea, 1909.

Aufgrund ihrer körperlichen Eigenschaften und ihrer Kultur galten die Melansier als noch primitiver als die Schwarzen Afrikas und daher als geeignet für einen Blick in die Frühzeit der menschlichen Species. Als Mitglied des zunächst vierköpfigen Forscherteams verbrachte Schlaginhaufen zwei Jahre im südlichen Teil Neu-Mecklenburgs –  überwiegend in Muliama – und auf Papua, führte an 1200 Einheimischen Vermessungen durch, notierte Beobachtungen zu Sprache, Kultur, Natur und Geografie, zeichnete, fotografierte, machte Tonaufnahmen mit dem Phonographen, erwarb 420 Schädel Verstorbener und sammelte Hunderte von Objekten.

Audio file
Aus den Aufzeichnungen Otto Schlaginhaufens in Deutsch-Guinea 1907/08.

Nach seiner Rückkehr präsentierte das Dresdner Museum 1910 das Material in einer Ausstellung. Bereits im folgenden Jahr trat Schlaginhaufen die Nachfolge seines aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretenen Lehrers Rudolf Martin als Professor für Anthropologie an der Universität Zürich an.

Otto Schlaginhaufen
Otto Schlaginhaufen. 1914.

Ganz im Trend der damaligen rassehygienischen und eugenischen Debatte, die die natürliche Selektion durch Zivilisation und Humanität eingeschränkt und dadurch den Fortbestand des Volkes durch Dekadenz (tiefe Geburtenrate), Entwurzelung (Alkoholismus) und Verfremdung (sinkende Qualität des Erbguts) gefährdet sah, positionierte er sich als Sozialanthropologe: Er forderte eine systematische Vererbungsforschung und rassenkundliche Untersuchung der Schweizer Bevölkerung als wissenschaftliche Grundlage eugenischer Massnahmen. Darin bestätigt sah er sich durch die negative Selektionswirkung des 1. Weltkriegs, der die Kampffähigen dezimiere, während die Untauglichen zuhause überlebten.

Audio file
Vortrag Otto Schlaginhaufens an der Jahresversammlung des Zürcher Hochschulvereins in Horgen über Sozialanthropologie und Krieg im Herbst 1915.
Anthropologisches Institut 1936
Kurslaboratorium des Anthropologischen Instituts der Universität im Stockargut (Künstlergasse 15), 1936.

Schlaginhaufens Anliegen teilte der Ingenieur und Industrielle Julius Klaus (1849-1920) aus Uster, der sein Vermögen testamentarisch der „Julius Klaus-Stiftung für Vererbungsforschung, Sozialanthropologie und Rassenhygiene“ vermachte und Otto Schlaginhaufen als Präsident auf Lebenszeit einsetzte. Die Stiftung sollte die Forschung auf dem Gebiet der Vererbungslehre und darauf aufbauend konkrete rassenhygienische Massnahmen fördern. In den folgenden drei Jahrzehnten konnte Schlaginhaufen nicht zuletzt dank der beträchtlichen Mittel der Stiftung sein Universitätsinstitut zum Zentrum der schweizerischen sozialanthropologischen und eugenischen Forschung machen. So finanzierte die Stiftung z.B. seine 1927-33 an 35'400 Schweizer Rekruten durchgeführten anthropologischen Untersuchungen, deren Auswertung ihn zum Schluss führten, dass die Schweizer keine eigene Rasse, sondern ein rassisch vielfältig gemischtes Volk seien.

Rekrutenvermessung
Rekrutenvermessung im Rahmen von Schlaginhaufens sozialanthropologischen Projekt auf der Suche nach einer alpinen Rasse, um 1930.

Er war zudem in der nationalen und internationalen Community der Rassenhygieniker bestens vernetzt: 1920 war er einer der Mitbegründer der „Schweizerischen Gesellschaft für Anthropologie“ und der populärwissenschaftlichen, sozialhygienische und eugenische Forderungen vertretenden Zeitschrift „Natur und Mensch“, 1923 wurde er Mitglied der „Deutschen Gesellschaft für Vererbungswissenschaft“, 1926 der „Deutschen Gesellschaft für Blutgruppenforschung“, seit 1927 engagierte er sich in der „International Federation of Eugenic Organisations“. Nach 1933 war die Kooperation deutscher Anthropologen mit den Nationalsozialisten für Schlaginhaufen kein Grund, sich von ihnen zu distanzieren oder von ihnen dominierte Tagungen zu meiden. Konsequent gab er sich unpolitisch und beanspruchte den Status reiner Wissenschaftlichkeit. Gleichzeitig unterstützte die Julius Klaus-Stiftung etwa die Propagierung der Erbverantwortung Heiratswilliger durch die Zentralstelle für Ehe- und Sexualberatung oder die Vererbungsforschungen Eugen Bleulers (1857-1939), der die von seinem Vorgänger Auguste Forel (1848-1931) 1886 erstmals in Europa an der Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli durchgeführte, seit 1900 in der Schweizer Psychiatrie verbreitete Sterilisierung von Geisteskranken aus sozialen und eugenischen Gründen grosszügig praktizierte. Die Schweizerische Landesausstellung 1939 bot Schlaginhaufen die Gelegenheit, die Ergebnisse seiner Rekrutenstudie zu präsentieren, die ganz zum Volkskonzept der Geistigen Landesverteidigung passten.

Landi Schweizer Volk
Das Schweizer Volk in Bildern an der Landi 1939. Die Julius Klaus-Stiftung unterstützte die Herstellung der Fotos verschiedener Schweizer Rassetypen, der "charakteristischen Schweizerköpfe", für die Abteilung "Volk und Heimat" an der Landesausstellung finanziell.

Nach dem 2. Weltkrieg war das noch aus dem 19. Jahrhundert stammende anthropologische Rassekonzept durch die planmässige NS-Ausrottungspolitik diskreditiert und durch die aufkommende medizinische Genetik und die Molekularbiologie methodisch überholt, doch Schlaginhaufen und die Julius Klaus-Stiftung sahen sich weder zu einer klärenden Stellungnahme noch zu Veränderungen ihrer Arbeitsfelder und -methoden veranlasst. Erst mit Schlaginhaufens Emeritierung 1951 kam es zu einer Neuorientierung des Instituts für Anthropologie, die sich auch in der Ausquartierung des Büros der Julius Klaus-Stiftung und der Schädelsammlung des Professors an die Gemeindestrasse 5 manifestierte. Räumlich und personell abgeschnitten vom aktuellen Forschungsbetrieb verloren die Stiftung und ihr Präsident bis zu dessen Rücktritt 1968 immer mehr ihre einstige Bedeutung. Danach fand die Stiftung wieder den Anschluss an die Zeit. 1971 wurden die Statuten überarbeitet und die Stiftung in „Julius Klaus-Stiftung für Genetik und Sozialanthropologie“ umbenannt. O.C.

Armin Meili (1892-1981), Architekt und Raumplaner

Submitted by ottavio.clavuot on Sat, 09/11/2021 - 06:51

In Luzern geboren, schloss Armin Meili 1915 sein Architekturstudium an der ETH in Zürich mit einer Diplomarbeit bei Gustav Gull ab und wurde Assistent des eben berufenen Karl Moser. 1917 trat er als Partner ins väterliche Architekturbüro in Luzern ein, das er seit 1924 allein weiterführte. Bereits früh interessierte er sich für die damals intensiv diskutierte Frage des Städtebaus. 1928 besuchte er zusammen mit Hans Bernoulli den Städtebaukongress in Frankfurt, wo er u.a. Le Corbusier und Ernst May begegnete. Ein Jahr später gewann er den Wettbewerb für den Stadtbauplan von Luzern, in dessen überarbeiteter Version er auch einige gezielt platzierte, bis zehngeschossige Hochhäuser vorsah. Mit dem vom norditalienischen Rationalismus inspirierten Kunst- und Kongresshaus Luzern realisierte er 1931-33 einen typischen Bau der gemässigten Moderne, die er seit 1936 auch als Direktor der Schweizerischen Landesausstellung 1939 förderte und die als „Landi-Stil“ zur spezifisch schweizerischen Spielart der Moderne werden sollte.

Armin Meili
Armin Meili auf der Baustelle der Schweizerischen Landesausstellung 1939.

1939-55 für die Zürcher Freisinnigen im Nationalrat, setzte er sich politisch und publizistisch für eine wirksame Landes- und Regionalplanung ein – eine Forderung, die er bereits 1932 erhoben hatte – und wurde 1943 zum ersten Präsidenten der neu gegründeten Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung gewählt. Überzeugt von der Notwendigkeit des sparsamen Umgangs mit dem Boden angesichts der ins Umland auswuchernden Siedlungen und geprägt von den städtebaulichen Diskussionen und Experimenten der Zwischenkriegszeit, wie etwa Le Corbusiers Konzept der „Ville Radieuse“ mit Punkthochhäusern oder den neuen Bandstädten in der Sowjetunion, forderte Meili die staatlich geplante Verdichtung der städtischen Zentren und den Schutz der freien Landschaft.

Le Corbusier Ville radieuse
Le Corbusier, Ville Radieuse als horizontal aufgelockerte, vertikal verdichtete Stadt mit Hochhausbauten auf weiten Grünflächen, 1930.

1947 wurde Meili beauftragt, an der Piazza Cavour in Mailand ein Hochhaus für das Centro Svizzero zu errichten, das er bis 1952 als knapp 80 m hohen Turm realisierte.

Mailand Centro Svizzero
Mailand, Centro Svizzero mit Hochhaus und niedrigem, L-förmigem strassenseitigem Trakt. Foto 1957.

Ein Besuch in New York im Januar 1950 zur Innenraumgestaltung der neuen Swissair-Niederlassung im 259 m hohen Hochhaus des Rockefeller Centers (1933-40) erlaubte ihm die unmittelbare Auseinandersetzung mit der Hochhausarchitektur Manhattans. Besonders faszinierten ihn die Stahl-Glas-Prismen des UNO-Gebäudes (1947-52) und des Lever House (1950-52), zweier emblematischer Bürohochhäuser der amerikanischen Nachkriegsmoderne. Im Dezember des gleichen Jahres schaltete er sich mit einer Artikelserie in der NZZ zur Frage „Braucht Zürich Hochhäuser?“ in die Debatte um den Bau von Wohnhochhäusern an der Peripherie von Schweizer Städten ein, an der sich neben namhaften Architekten, wie Werner M. Moser, auch Max Frisch beteiligte.

Audio file
Aus Max Frischs Hörspiel "Der Laie und die Architektur", 1954.

Meili kritisierte das Fehlen einer funktionalen und räumlichen Struktur Zürichs, die unwirtschaftliche Nutzung der teuren Grundstücke in der Innenstadt und die grossflächigen, uniformen Neubausiedlungen am Stadtrand. Dagegen plädierte er für den Bau von Büro- und Geschäftshochhäusern mit bis zu 25 Geschossen im Raum zwischen Landesmuseum, Kaserne und Globus als Massnahme der Verdichtung und der Gestaltung einer der City einer modernen Grossstadt angemessenen Skyline. O.C.

Meili Braucht Zürich Hochhäuser
Armin Meili, Braucht Zürich Hochhäuser?, dreiteilige Artikelserie in der NZZ vom 8./9./11. Dezember 1950.

Schweizerische Landesausstellung 1939 und Geistige Landesverteidigung (Enge / Zürichhorn)

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 07/08/2021 - 02:18

Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, der den Bundesstaat einer inneren Zerreissprobe ausgesetzt, die international stark vernetzte Schweizer Wirtschaft massiv getroffen und den sozialen Frieden schwer erschüttert hatte, führten zur Rückbesinnung auf nationale Werte und Interessen. In den 1920er Jahren forcierten die von der russischen Revolution und vom italienischen Faschismus ausgehende Bedrohung zusammen mit den neuen Möglichkeiten von Radio und Film zur Verbreitung totalitärer Ideologien das Bestreben, die Unabhängigkeit und den demokratischen Rechtsstaat auch in Friedenszeiten mit politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Mitteln zu verteidigen. Mit der Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland 1933 intensivierten Schweizer Politiker, Intellektuelle und Medienschaffende ihre Bemühungen um die Stärkung der kulturellen Grundwerte der Eidgenossenschaft und um einen inneren Schulterschluss über alle Klassen- und Parteigrenzen hinweg. Bundesrat Philipp Etter formulierte in der Botschaft vom 9. Dezember 1938 die Idee der Geistigen Landesverteidigung offiziell: Als Willensnation gründet die Schweiz auf der Bereitschaft der Bürger, für die gemeinsamen Werte der Menschenwürde, der Freiheit, der Demokratie und des Föderalismus mit ihrem Leben einzustehen. Diese geistigen Werte und die nationale Schicksalsgemeinschaft, die sich im Gotthardmassiv als Symbol der Einheit und Vielfalt, der Freiheit und Wehrhaftigkeit providentiell verkörpern, gilt es neu ins Bewusstsein zu rufen.

Audio file
Aus der Botschaft des Bundesrats vom 9.12.1938

Das Konzept war so offen und allgemein, dass sich mit Ausnahme der Frontisten und eines Teils der Kommunisten alle politischen Strömungen damit identifizieren konnten. Im gleichen Jahr entstanden auch ikonische Inszenierungen der Geistigen Landesverteidigung, wie z.B. der von Hermann Haller und Leopold Lindtberg gedrehte Film „Füsilier Wipf“ oder die Aufführungen des „Götz von Berlichingen“ und des „Wilhelm Tell“ am Zürcher Schauspielhaus mit Heinrich Gretler in den Titelrollen. Mit dem Beginn des Kalten Krieges Ende der 1940er Jahre erfuhr die Geistige Landesverteidigung bis in die ausgehenden 1960er Jahre eine Wiederbelebung.

Plakat Füsilier Wipf

Bereits 1925 wurde die Idee einer Landesausstellung in Zürich lanciert, doch erst 1935 beschloss der Bundesrat deren Unterstützung. Seit der Bundesstaatsgründung 1848 dienten die Landesausstellungen der Inszenierung der nationalen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Erstmals 1914 wurde eine Landesausstellung zur Demonstration des Willens zur bewaffneten Neutralität instrumentalisiert. Ganz im Dienst der Geistigen Landesverteidigung stand die Zürcher Landesausstellung 1939. Der 1936 zum Direktor der „Landi“ bestellte Architekt Armin Meili konzipierte eine thematisch geordnete Schau, die das Bild einer wehrhaften, innovativen, modernen, bodenständig in ihren regionalen und bäuerlichen Traditionen verwurzelten Schweiz vermitteln sollte. Auf dem linken Seeufer wurde die Schweiz als Industrie-, Wissenschafts-, Technik-, Tourismus- und Modenation präsentiert.

Halle des Strassenverkehrs von Architekt L.M. Boedecker, Zürich. Aufnahme: Michael Wolgensinger 1939
Halle des Strassenverkehrs von Architekt L.M. Boedecker, Zürich.

Neben Themen wie Energieversorgung, Städtebau und Verkehr standen vor allem „Heimat und Volk“ im Zentrum. Der von Fahnen überdachte „Höhenweg“ durchzog auf 700 Metern als Rückgrat und sakrale Selbstvergewisserung der Eidgenossenschaft das Ausstellungsgelände. Er erschloss Pavillons zu Geschichte und Werten der Schweiz, so auch zur „Wehrbereitschaft“, die durch eine monumentale Soldatenskulptur des Bildhauers Hans Brandenberger verkörpert wurde.

Landesausstellung 1939 Wehrbereitschaft
Plastik "Wehrbereitschaft" von Hans Brandenberger. Ein Original-Bronzeabguss steht heute vor dem Bundesbriefarchiv in Schwyz, eine Nachbildung bei den Turnhallen an der Rämistrasse 80.

Die „Landi“ sollte nicht nur durch Belehrung, sondern auch als kollektives Erlebnis zur Gemeinschaftsbildung beitragen. Das Vergnügen durfte daher nicht zu kurz kommen. Dieses garantierte u.a. der „Schifflibach“, der sich grosser Beliebtheit erfreute.

Video file
„Schifflibach“ und „Schifflibach-Lied“. Das war die Landi, SRF 18.6.1989.

Ausstellungsgelände, Pavillons, Skulpturen, Wandbilder und Ausstellungsgut waren als szenografische Einheit konzipiert. Als Chefarchitekt der Landesausstellung setzte Hans Hofmann (1897-1957), ein Schüler Karl Mosers, konsequent auf eine funktionalistische Holz-Leichtbauweise in Kombination mit neuen Materialien, wie Aluminium, und mit experimentellen Formen.

Landesausstellung 1939 Aluminiumpavillon
Aluminium-Pavillon von Architekt Jos. Schütz, Zürich. Aluminium wurde in seiner Schlichtheit und Abnutzungsresistenz als typisches schweizerisches Material propagiert.
Landesausstellung 1939 Betonbogen
Betonparabel von Hans Leuzinger (Architekt) und Robert Maillart (Ingenieur) mit Pferdebändiger von Alfons Maag.

Die gemässigte architektonische Moderne der „Landi“ hob sich damit deutlich von den wuchtigen Prestigebauten der totalitären Diktaturen ab und galt fortan als schweizerische Form der Moderne. Durch eine Luftseilbahn über den See war das Gelände in der Enge mit dem der traditionellen, bäuerlichen Schweiz gewidmeten Teil der „Landi“ am rechten Seeufer verbunden. Inspiriert von der Natur- und Heimatschutzbewegung verklärte im „Dörfli“ am Zürichhorn ein Potpourri ländlicher Bauten in verschiedenen Regionalstilen das vormoderne Leben und zelebrierte mit Trachtenschau und -fest die nationale kulturelle Eigenständigkeit.

Video file
„Dörfli“ und „Dörfli-Lied“. Das war die Landi, SRF 18.6.1989.

Die von Anfang Mai bis Ende Oktober 1939 dauernde Landesausstellung wurde durch Kriegsausbruch und Mobilmachung am 1. September endgültig zum nationalen Wallfahrtsort. Schliesslich verzeichnete sie 10 Millionen Besucher. 40‘000 Artikel und 15‘000 Bilder in der Schweizer Presse, Plakate und Postkarten, Briefmarken und Broschüren feierten das Ereignis, so dass die „Landi“ auf lange Zeit tief im kollektiven Gedächtnis verankert blieb. O.C.

Landi-Prospekt 1939
"Landi-Dörfli" am Zürichhorn. Landesausstellungsprospekt 1939.

Heinrich Gretler (1897-1977), Schauspieler

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 20:03

Als Sohn eines Chemielaboranten in Zürich geboren, unterrichtete Heinrich Gretler nach der Ausbildung am Lehrerseminar Küsnacht 1916-18 als Landschul- und Privatlehrer. Gleichzeitig nahm er Schauspiel- und Gesangsunterricht. Erste Rollen als professioneller Schauspieler erhielt er 1918 am Stadttheater Zürich (heute Opernhaus), 1919 am Schauspielhaus und 1924 als Landenberg im Tell-Film „Die Entstehung der Eidgenossenschaft“. 1926 ging er nach Berlin, wo er sich schon bald einen Namen machte. Von 1928-30 an der Volksbühne, danach am Theater am Schiffbauerdamm, brach er im Frühjahr 1933 mit Bertolt Brechts Stück „Das kleine Mahagonny“ zu einer Tournee nach Paris und London auf. Abgestossen von der nationalsozialistischen Machtergreifung, kehrte er im gleichen Jahr nach Zürich zurück, wo er bis 1940 im Ensemble des politischen „Cabaret Cornichon“ und bis 1945 auf der Bühne des Schauspielhauses in zahlreichen Hauptrollen spielte. Dazwischen gastierte er als freier Schauspieler an zahlreichen Schweizer Bühnen.

Gretler Cornichon
Elsie Attenhofer und Heinrich Gretler beim Duett "Gesundung der Kunst", einer bissigen Satire auf die nationalsozialistische Kunstpolitik, 1937 im Cabaret Cornichon.

Durch seine Auftritte im „Cabaret Cornichon“ wurde Gretler zur Personifikation des bodenständigen, knorrigen, witzig-gutmütigen und freiheitsliebenden Schweizers. Mit der Rolle als Heinrich Leu in der Verfilmung des Romans „Füsilier Wipf“ von Robert Faesi (1883-1972) und als Götz von Berlichingen in Goethes gleichnamigem Drama 1938 erhielt sein Wirken auch eine politische Dimension im Rahmen der Geistigen Landesverteidigung.

Video file
Füsilier Wipf, 1938: In den winterlichen Tessiner Bergen an der Grenze zu Italien leistet das Füsilierbataillon 1918 im vierten Jahr Dienst. In einer schwierigen Situation erweist sich der Bauer Heinrich Leu einmal mehr als die zentrale Integrationsfigur der Truppe.

Bei der Aufführung des Götz von Berlichingen auf der „Pfauen“-Bühne riss er das Publikum mit seiner Darstellung des Freiheitshelden mit. Gänzlich zum vaterländischen Erlebnis wurde seine Interpretation des Wilhelm Tell seit 1939. Der Tagesanzeiger vom 28.1.1939 schrieb zur Premiere am Schauspielhaus: „Deshalb wollen wir auch sagen, dass diese Tellaufführung für uns eine Tat echter Landesverteidigung war, ein Ruf der Selbstbesinnung, ein Mahnruf der ewigen Stimme der Freiheit der Eidgenossenschaft.“ Bis 1946 sahen ungefähr 500'000 Zuschauer Gretler als Tell. Nach Kriegsende wandte er sich vermehrt dem Film zu und trat nur noch selten auf der Bühne auf. Einem breiten Publikum prägte er sich als Wachtmeister Studer in zwei Romanverfilmungen nach Friedrich Glauser, als Darsteller in zahlreichen deutschen Heimatfilmen der 1950er Jahre und  als Alpöhi in den Verfilmungen von Johanna Spyris Heidi (1952/55) ein.

Wachtmeister Studer Gretler
Gretler als Wachtmeister Studer (im hellen Mantel) bei den Dreharbeiten mit Leopold Lindtberg 1939 zum gleichnamigen Roman Friedrich Glausers.

Seit 1963 wieder in der Schweiz, arbeitete er vorwiegend als Fernsehschauspieler. Insgesamt wirkte er in über 120 Filmen mit. O.C.

Schauspielhaus Zürich (Institution), Heimplatz

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 19:34

Das Schauspielhaus Zürich im "Pfauen" blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. 1901 mit Goethes «Mitschuldigen» als Schauspielhaus eröffnet, blieb es bis 1938 ein Privattheater, zuletzt im Besitz von Ferdinand Rieser. Auf Initiative des Verlegers Emil Oprecht, des Dramaturgen Kurt Hirschfeld und mit couragierter Unterstützung des damaligen Stadtpräsidenten Emil Klöti wurde die «Neue Schauspiel AG» ins Leben gerufen.

Eine künstlerische Aufwertung erfuhr das Haus in den dreissiger und vierziger Jahren durch Emigranten aus Nazi-Deutschland. Das Theater avancierte zu einer Bühne mit explizit antifaschistischer Linie und kritischem Spielplan. Zu den bereits unter Rieser engagierten Emigranten holte Oskar Wälterlin unter anderem Maria Becker sowie die Schweizer Schauspieler Anne-Marie Blanc und Heinrich Gretler ins Ensemble.

Einer der prägendsten Regisseure dieser Zeit war Leopold Lindtberg. Aus dem Spielplan ragen besonders zwei Inszenierungen von Lindtberg heraus: 1934 die deutsche Erstaufführung des ersten Kampfstückes gegen den Nationalsozialismus von Friedrich Wolf «Professor Mannheim» (eigtl. «Prof. Mamlock») und 1941 die Uraufführung von Bertolt Brechts «Mutter Courage und ihre Kinder» mit Therese Giehse in der Titelrolle. Auch andere grosse Stücke Brechts hatten im Schauspielhaus Zürich ihre Uraufführung: «Der gute Mensch von Sezuan», «Leben des Galilei», «Herr Puntila und sein Knecht Matti».

Die «Frontisten» in der Schweiz, die die hitlersche Ideologie des Antisemitismus und Nationalismus übernahmen, entfesselten gegen das Schauspielhaus einen eigentlichen Kulturkampf. Ihre Kampfverbände scheuten vor gewalttätigen Aktionen nicht zurück, so dass bestimmte Aufführungen nur unter Polizeischutz über die Bühne gehen konnten.

Überhaupt galt die Zustimmung des Schweizer Publikums weniger dem politischen Emigrantentheater als vielmehr dem Theater der Geistigen Landesverteidigung. In der Person Leopold Lindtbergs wird dieser Konflikt besonders deutlich: Angesichts seiner jüdisch-österreichischen Herkunft wurde er Opfer öffentlicher Anfeindungen – obwohl er gleichzeitig für die bedeutsamste Schweizer Filmproduktionsgesellschaft «Praesens-Film» ab 1935 in zahlreichen Schweizer Film-Klassikern Regie führte und damit durchaus eine zentrale Figur der Geistigen Landesverteidigung darstellte. Bekannt wurden insbesondere «Füsilier Wipf» (1938), «Wachtmeister Studer» (1939), «Landammann Stauffacher» (1941) und «Marie-Louise» (1944).

Schauspielhaus Gretler Tell

Heinrich Gretler als Wilhelm Tell (1939)

In den 50er Jahren entdeckte Wälterlin zusammen mit seinem Dramaturgen Kurt Hirschfeld die damals noch gänzlich unbekannten Dramatiker Max Frisch und Friedrich Dürrenmatt – viele ihrer Stücke wurden hier uraufgeführt. Nach Wälterlins Tod kam es zu einem häufigen Wechsel der Direktoren.

Zum ersten Mal in seiner Geschichte wurde das Zürcher Schauspielhaus unter seinem Direktor Christoph Marthaler in den Jahren 2002 und 2003 zum «Theater des Jahres» gewählt. Und seit 2000 besitzt dieses Theater drei Bühnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Zum einen das traditionsreiche Haus am Pfauen und ausserdem drei flexibel bespielbare Theaterräume – die Schiffbauhalle, die Box und die Matchbox im Schiffbau. 

Ab der Spielzeit 2009/2010 bis 2018/2019 leitete Barbara Frey als erste Intendantin das Schauspielhaus Zürich. Seit der Spielzeit 2019/2020 haben Benjamin von Blomberg und Nicolas Stemann die Intendanz des Schauspielhauses angetreten. R.K.

Turnhallen, Rämistrasse 80

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:01

Durch die Verlängerung der Gloriastrasse bis an die Rämistrasse wurde 1937 die städtebauliche Situation im Bereich des Kantonsspitals geklärt: Der untere Teil der Wässerwiese stand nun für den Bau von Turnanlagen zur Verfügung, das Areal gegenüber Universität und ETH für den Neubau des Kantonsspitals. So wurde endlich die Planung einer „Turnanlage für die Kantonalen Lehranstalten“ oberhalb der „Neuen Kantonsschule“ in Angriff genommen, die – verzögert durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 – Hermann Fietz d. J. zusammen mit Max Ernst Haefeli 1940-42 realisierte. Die Anlage besteht aus mehreren, gestaffelt angeordneten, Gelände und Funktion abbildenden Baukörpern sowie aus einem Turn- und Spielplatz, der im Rahmen der „Anbauschlacht“ zunächst landwirtschaftlich genutzt wurde.

Turnhallen Rämistrasse
Turnhallen mit Spielwiese. Das Sgrafitto „Gemeinschaft“ an der Stirnwand der oberen Duplex-Turnhalle geht auf die Hilfsaktion des Bundes 1939 für notleidende Künstler zurück.

Mit ihrer gerasterten Fassadengliederung, gut sichtbar etwa im Betongitterwerk Turnhallenfenster, und den flach geneigten Satteldächern sind die Bauten typische Vertreter der gemässigt modernen Schweizer Architektur im Geist der Landesausstellung 1939. Deren Pavillons beanspruchten im Sinne der „Geistigen Landesverteidigung“, durch die Verbindung des funktionalistischen Ansatzes mit traditionellen Formelementen eine spezifisch schweizerische Moderne zu verkörpern.

Baukörper der Duplex-Turnhallen

Baukörper der Duplex-Turnhallen mit dazwischen liegendem, niedrigeren Garderobetrakt.

An die „Landi“ erinnert auch die 1943-47 in Castione-Marmor ausgeführte, überarbeitete Fassung der von Hans Brandenberger (1912-2003) geschaffenen monumentalen Gipsplastik „Wehrbereitschaft“, die in einem Pavillon der Höhenstrasse aufgestellt war und den Wandel vom friedlichen zum kampfbereiten Bürger zeigen sollte. O.C.

Hans Brandenberger - Soldatenfigur

Soldatenfigur des in Niederländisch-Indien (heute Indonesien) geborenen und aufgewachsenen Auslandschweizers Hans Brandenberger.