Hochhaus, Punkthochhaus

Max Frisch (1911-1991), Schriftsteller und Architekt

Submitted by christian.villiger on Sat, 04/16/2022 - 05:57

Der Schriftsteller und Architekt Max Frisch (1911-1991) besuchte von 1924 bis 1930 das Realgymnasium der Kantonsschule Zürich.

Max Frisch als Student 1934
Max Frisch als Student 1934.

Obwohl Frisch auch mehrere Jahre im Ausland gelebt hat (Rom, New York, Berlin), ist sein ganzes Leben eng mit seiner Geburtsstadt Zürich und insbesondere mit der Gegend um das Rämibühl-Areal verbunden. Aufgewachsen ist er an der Heliosstrasse 31 beim Hegibachplatz. Sein Vater Franz Bruno Frisch war ein zunächst erfolgreicher Architekt, der während der Wirtschaftsflaute im Ersten Weltkrieg allerdings arbeitslos wurde und sich nach dem Krieg mehr schlecht als recht als Immobilienmakler durchschlug.

Vom Frühjahr 1924 bis zum Herbst 1930 besuchte Frisch die Kantonsschule, Abteilung Realgymnasium – dieselbe Schule, die Elias Canetti von 1917 bis 1921 besucht hatte. Zum Teil hatte Frisch die gleichen Lehrer wie Canetti. Anders als bei letzterem war die Schulzeit für Frisch jedoch kein einschneidendes Ereignis in seinem Leben. Die wenigen Aussagen Frischs zu diesem Lebensabschnitt hat Julian Schütt in seiner massgeblichen Frisch-Biographie gesammelt und kundig ausgewertet.

„Ich habe keine intensive Erinnerung an diese Mittelschulzeit, also auch nicht die, dass es ein Schrecken war.“

(Heinz Ludwig Arnold: Gespräche mit Schriftstellern, München 1975, S. 10)

Anders als Canetti war Frisch kein herausragender Schüler, aber doch ein recht guter (er schloss die Matura mit einer 5 in den meisten Fächern ab). Besonders gern mochte er die Fächer Deutsch und Zeichnen, worin sich bereits seine spätere (doppelte) Berufswahl andeutet. Mühe hatte er mit Physik und Geographie.

Die eigentliche intellektuelle Inspirationsquelle jener Jahre war jedoch nicht die Schule, sondern das nahegelegene Schauspielhaus. Als Frisch fünfzehn war und die 3. Klasse des Gymnasiums besuchte, faszinierte ihn eine Aufführung von Schillers Die Räuber derart, dass er selbst Stücke zu schreiben begann. In kurzer Zeit entstanden bis zu einem halben Dutzend Theaterstücke, die Frisch zum Teil selbst in der Schule zur Aufführung brachte. Sie sind heute alle verschollen. Sein erstes Stück schickte er mit beneidenswertem Selbstbewusstsein gleich an den berühmtesten Theaterregisseur seiner Zeit, Max Reinhardt in Berlin. Er erhielt eine höfliche Absage.

Interessant ist, dass die Frage der Identität und des „Bildnisses“ – die beiden späteren Lebensthemen Frischs – sich bereits in der Schulzeit ein erstes Mal ankündigen. Gemäss seinem Biographen Julian Schütt empfand Frisch seine Schuljahre als „Jahre der Festlegungen, vorerst weniger der mentalen als der körperlichen Fixierungen, der schmerzhaft äusserlichen Bilder“. Eine Augenkrankheit im Kinderalter hatte bei Frisch zu einer Lähmung der Lider geführt, was ihm ein spöttisches, misstrauisches, arrogantes Aussehen verlieh. Auch litt Frisch an seiner in seinen Augen zu kleinen Nase und darunter, überhaupt auf ein bestimmtes Äusseres festgelegt zu sein.

Man kann das als typische Pubertätssorgen abtun, aber vielleicht besteht die Faszination von Frischs Werk gerade darin, dass es aufzeigt, wie uns diese vermeintlich bewältigten Jugendsorgen auch im Erwachsenenalter wieder einholen. Der fünfzigjährige Walter Faber, die Hauptfigur in Frischs Roman Homo faber, erinnert sich, als er sich in eine zwanzigjährige Frau verliebt, wieder an die jugendlichen Sorgen um sein Aussehen. Dabei war er von den genau gleichen Zweifeln betroffen, die auch den Mittelschüler Frisch beschäftigten (ausser dass Fabers Nase zu lang und nicht zu klein ist).

Ich war der einzige Gast, weil noch früh am Abend, und was mich irritierte, war lediglich der Spiegel, Spiegel im Goldrahmen. Ich sah mich, sooft ich aufblickte, sozusagen als Ahnenbild: Walter Faber, wie er Salat isst, im Goldrahmen. [...] ich sah ausgezeichnet aus. Ich bin nun einmal (das wusste ich auch ohne Spiegel) ein Mann in den besten Jahren, grau, aber sportlich. Ich halte nichts von schönen Männern. Dass meine Nase etwas lang ist, hat mich in der Pubertät beschäftigt, seither nicht mehr; [...] was mich irritierte, war einzig und allein dieses Lokal: wo man hinblickte, gab es Spiegel, ekelhaft [...].

"You are looking like -" Nur wegen dieser blöden Bemerkung von Williams (dabei mag er mich, das weiss ich!) blickte ich immer wieder, statt meinen Fisch zu essen, in diese lächerlichen Spiegel [...].

Max Frisch: Homo faber (1957), S. 98.

„Ich habe als Schüler erfahren, wie [meine Physiognomie] den einen oder anderen Lehrer verdrossen hat: ein mässiger Schüler und eine solche Arroganz.“

(Max Frisch: Montauk)

 

„Schreck: So und so sehe ich aus – Schreck, ein Gesicht zu haben: bestimmt, begrenzt, geprägt sein, gefangen sein, geboren sein.“

(Notizheft H.117, aufbewahrt im Max-Frisch-Archiv Zürich, zitiert nach: Schütt, Max Frisch, S. 65)

Max Frisch Arroganz?

Frisch geht in dieselbe Klasse wie Werner Coninx, der Sohn des Gründers der Tages-Anzeiger AG. Mit diesem wird er sich erst nach seiner Schulzeit richtig befreunden. Der reiche Coninx finanziert Frisch dann dessen Architekturstudium. Die schwierige, ambivalente Freundschaft mit Coninx hat Frisch in seiner autobiographischen Erzählung Montauk beschrieben.

Nach der Matura studierte Frisch zunächst Germanistik an der Uni Zürich, musste sein Studium aus finanziellen Gründen jedoch abbrechen. Er arbeitete einige Jahre als Journalist und veröffentlichte erste Romane. Von 1936 bis 1940 studierte er Architektur an der ETH Zürich bei Otto Salvisberg und William Dunkel. Frisch arbeitete nur wenige Jahre als Architekt. Sein berühmtestes Bauwerk ist das Freibad Letzigraben, das von 1947 bis 1949 erstellt und 2006/07 saniert wurde. Frisch beschreibt die Bauarbeiten in seinem Tagebuch 1946-49.

Max Frisch im Freibad Letzigraben um 1948
Max Frisch im Freibad Letzigraben um 1948.
Freibad Letzigraben Pavillon 1947
Freibad Letzigraben, Pavillon, 1947.

Später hat sich Frisch vor allem theoretisch über Architektur geäussert. In den frühen 1950er-Jahren beteiligte er sich an der Seite von Armin Meili an der städteplanerischen Debatte um Wohnhochhäuser. Er schrieb dafür das Hörspiel Der Laie und die Architektur (1954). Ab 1964 sass Frisch in der Jury, die über einen Neubau des Schauspielhauses am Heimplatz befand. Aus dem Wettbewerb ging das Projekt des dänischen Architekten Jørn Utzon, der bereits das Sydney Opera House entworfen hatte, als Sieger hervor. Es sah einen Neubau am Standort des heutigen Kunsthaus-Erweiterungsbaus und einen verkehrsfreien Heimplatz vor. Das Projekt wurde 1970 beerdigt.

"ich schwitze; sogar Zürich bedrängt mich, Stadtrat Widmer war hier, ich habe als Preisrichter anzutreten im Wettbewerb für das neue Schauspielhaus, und anderes mehr, ich brauche nur nachzugeben, um meine Zeit als Maestro zu verbringen statt zu arbeiten - Noch arbeite ich..."

Max Frisch an Ingeborg Bachmann, Rom, 6. August 1962

Als Schriftsteller erlangte Frisch mit seinen Dramen, Romanen und den „Tagebüchern“ Weltruhm; mehrfach wurde er für den Nobelpreis nominiert. Als sich politisch dezidiert links verortender Intellektueller prägte er die Schweizer (und bundesrepublikanische) Politik und Gesellschaft über Jahrzehnte mit, wobei er sich in der bürgerlich dominierten Schweiz auch viele Feinde machte. Noch die aus seinem Nachlass edierten Werke erregen regelmässig die öffentliche Debatte (so sein 2015 erschienener Kommentar zur Fichen-Affäre: Ignoranz als Staatsschutz?)

Es ist auf eine Art folgerichtig, dass Frischs Leben, das so eng mit der Gegend um den Rämihügel verbunden war, auch dort endete. Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte Frisch auf der Bühne des Schauspielhauses, anlässlich der Premiere seines Stücks Jonas und sein Veteran – einer Auseinandersetzung mit der Initiative zur Abschaffung der Schweizer Armee. Gestorben ist Frisch in seiner Wohnung beim Bahnhof Stadelhofen (Stadelhoferstrasse 28), wo heute eine Gedenktafel an ihn erinnert. C.V.

Max Frisch in seiner Wohnung an der Stadelhoferstrasse
Max Frisch in seiner Wohnung an der Stadelhoferstrassse.

Armin Meili (1892-1981), Architekt und Raumplaner

Submitted by ottavio.clavuot on Sat, 09/11/2021 - 06:51

In Luzern geboren, schloss Armin Meili 1915 sein Architekturstudium an der ETH in Zürich mit einer Diplomarbeit bei Gustav Gull ab und wurde Assistent des eben berufenen Karl Moser. 1917 trat er als Partner ins väterliche Architekturbüro in Luzern ein, das er seit 1924 allein weiterführte. Bereits früh interessierte er sich für die damals intensiv diskutierte Frage des Städtebaus. 1928 besuchte er zusammen mit Hans Bernoulli den Städtebaukongress in Frankfurt, wo er u.a. Le Corbusier und Ernst May begegnete. Ein Jahr später gewann er den Wettbewerb für den Stadtbauplan von Luzern, in dessen überarbeiteter Version er auch einige gezielt platzierte, bis zehngeschossige Hochhäuser vorsah. Mit dem vom norditalienischen Rationalismus inspirierten Kunst- und Kongresshaus Luzern realisierte er 1931-33 einen typischen Bau der gemässigten Moderne, die er seit 1936 auch als Direktor der Schweizerischen Landesausstellung 1939 förderte und die als „Landi-Stil“ zur spezifisch schweizerischen Spielart der Moderne werden sollte.

Armin Meili
Armin Meili auf der Baustelle der Schweizerischen Landesausstellung 1939.

1939-55 für die Zürcher Freisinnigen im Nationalrat, setzte er sich politisch und publizistisch für eine wirksame Landes- und Regionalplanung ein – eine Forderung, die er bereits 1932 erhoben hatte – und wurde 1943 zum ersten Präsidenten der neu gegründeten Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung gewählt. Überzeugt von der Notwendigkeit des sparsamen Umgangs mit dem Boden angesichts der ins Umland auswuchernden Siedlungen und geprägt von den städtebaulichen Diskussionen und Experimenten der Zwischenkriegszeit, wie etwa Le Corbusiers Konzept der „Ville Radieuse“ mit Punkthochhäusern oder den neuen Bandstädten in der Sowjetunion, forderte Meili die staatlich geplante Verdichtung der städtischen Zentren und den Schutz der freien Landschaft.

Le Corbusier Ville radieuse
Le Corbusier, Ville Radieuse als horizontal aufgelockerte, vertikal verdichtete Stadt mit Hochhausbauten auf weiten Grünflächen, 1930.

1947 wurde Meili beauftragt, an der Piazza Cavour in Mailand ein Hochhaus für das Centro Svizzero zu errichten, das er bis 1952 als knapp 80 m hohen Turm realisierte.

Mailand Centro Svizzero
Mailand, Centro Svizzero mit Hochhaus und niedrigem, L-förmigem strassenseitigem Trakt. Foto 1957.

Ein Besuch in New York im Januar 1950 zur Innenraumgestaltung der neuen Swissair-Niederlassung im 259 m hohen Hochhaus des Rockefeller Centers (1933-40) erlaubte ihm die unmittelbare Auseinandersetzung mit der Hochhausarchitektur Manhattans. Besonders faszinierten ihn die Stahl-Glas-Prismen des UNO-Gebäudes (1947-52) und des Lever House (1950-52), zweier emblematischer Bürohochhäuser der amerikanischen Nachkriegsmoderne. Im Dezember des gleichen Jahres schaltete er sich mit einer Artikelserie in der NZZ zur Frage „Braucht Zürich Hochhäuser?“ in die Debatte um den Bau von Wohnhochhäusern an der Peripherie von Schweizer Städten ein, an der sich neben namhaften Architekten, wie Werner M. Moser, auch Max Frisch beteiligte.

Audio file
Aus Max Frischs Hörspiel "Der Laie und die Architektur", 1954.

Meili kritisierte das Fehlen einer funktionalen und räumlichen Struktur Zürichs, die unwirtschaftliche Nutzung der teuren Grundstücke in der Innenstadt und die grossflächigen, uniformen Neubausiedlungen am Stadtrand. Dagegen plädierte er für den Bau von Büro- und Geschäftshochhäusern mit bis zu 25 Geschossen im Raum zwischen Landesmuseum, Kaserne und Globus als Massnahme der Verdichtung und der Gestaltung einer der City einer modernen Grossstadt angemessenen Skyline. O.C.

Meili Braucht Zürich Hochhäuser
Armin Meili, Braucht Zürich Hochhäuser?, dreiteilige Artikelserie in der NZZ vom 8./9./11. Dezember 1950.

Personalhochhaus des Universitätsspitals, Plattenstrasse 10

Submitted by ottavio.clavuot on Sat, 09/11/2021 - 06:48

Begleitet von einer an städtebauliche Konzepte der Zwischenkriegszeit, wie zum Beispiel Le Corbusiers „Ville Radieuse“, anknüpfenden, intensiven Debatte über das Hochhaus als Mittel gegen die Zersiedelung der Landschaft und der Gestaltung des städtischen Raums, entstanden in den 1950er Jahren die ersten Hochhäuser in Zürich: neben dem Bürohochhaus „Zur Bastei“ am Schanzengraben (1953-55), den Wohnhochhäusern am Letzigraben (1951-55), unter anderem auch das Schwesternwohnheim des neuen Kantonsspitals auf der Platte. Das 1956-59 von Jakob Zweifel (1921-2010), einem Schüler Hans Hofmanns und William Dunkels, errichtete, bereits 1951 von der „Architektengemeinschaft für das Kantonsspital Zürich“ (AKZ)  geplante, 54 m hohe Punkthochhaus setzt auf der Platte einen markanten städtebaulichen Akzent.

Luftaufnahme Platte 1964
Blick über die Alte und die Neue Kantonsschule auf das Punkthochhaus auf der Platte, 1964.

Der für 250 Pflegerinnen geplante Wohnturm verfügt über dem Eingangsgeschoss über 18 Wohngeschosse mit je 14 Zimmern und einen Dachgarten. Die Fenster der Zimmer reihen sich an den Längsseiten hinter schmalen vertikalen Bändern aus Stahlbeton, die am oberen Ende abgeknickt die Dachterrasse räumlich fassen und beschatten. Die Schmalseiten werden durch breite Stahlbetonbänder in Zimmertiefe gefasst. Dazwischen öffnen sich auf der Südseite die wechselweise vorkragenden Panoramafenster der doppelgeschossigen Aufenthaltsräume mit innerer Galerie und Balkon, auf der Nordseite die Balkone des offenen Treppenhauses. Das differenzierte Spiel zwischen den Betonbändern der Tragkonstruktion, den dahinter angeordneten Glasflächen der Fenster und den Rahmen aus Aluminium und Beton lockert die Fassadenflächen und die kantige Silhouette auf und verleiht dem Gebäude Leichtigkeit. O.C.

Personalhochhaus Unispital
Das skulpturhaft wirkende Personalhochhaus.