Landi-Stil

Altes und Neues Kantonsspital, Rämistrasse 100 / Gloriastrasse 19

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 01/02/2022 - 08:04

Nach dem liberalen Umsturz 1830 baute der Kanton nicht nur eine moderne Infrastruktur für Bildung und Verkehr auf, sondern auch für das Gesundheitswesen, mit der Einrichtung einer medizinischen Fakultät an der 1833 gegründeten Universität und eines Kantonsspitals. 1836 beschloss der Kantonsrat den Bau einer kantonalen Krankenanstalt für 150 Patienten, auf dem auch vom Land her gut erreichbaren ehemaligen Schanzenvorgelände der ersten Hangterrasse des Zürichbergs oberhalb der späteren Rämistrasse. Im Gegensatz zum bisherigen Spital in den Gebäuden des einstigen Predigerklosters sollte das neue Spital weniger der Versorgung und Verwahrung Kranker und Armer dienen als vielmehr der Behandlung heilbarer Patienten mit den Mitteln der universitären Medizin. Die 1837-42 nach Plänen von Gustav Albert Wegmann und Leonhard Zeugheer errichtete Spitalanlage gewann internationale Anerkennung. Der 178 Meter lange, symmetrisch aus einem dreigeschossigen, H-förmigen Mitteltrakt und zwei zweigeschossigen, L-förmigen Seitenflügeln bestehende Hauptbau beherbergte die Klinik für Innere Medizin und die Chirurgie.

Altes Kantonsspital
Im Vordergrund die Wässerwiese (heute Sportanlagen Rämistrasse 80) dahinter die lange Front des Kantonsspitals und das Anatomiegebäude. Foto um 1910.

Die Anatomie mit Hörsaal, Sammlungs- und Nebenräumen sowie die Abteilung für Infektionskrankheiten wurden aus hygienischen Gründen etwas abseits in eigenen Gebäuden untergebracht. Seit Mitte der 1870-er Jahre führten die zunehmende Spezialisierung der medizinischen Wissenschaften und die Ausweitung der Bettenzahl zur schrittweisen Überbauung der Hangzone hinter dem Hauptgebäude mit neuen Spezialkliniken.

Anatomiegebäude
Das Erscheinungsbild des Anatomiegebäudes entspricht dem ursprünglichen Zustand nur noch aussen.    

Nach längeren Diskussionen über eine grundlegende Modernisierung des Spitals wurde 1933/34 ein Ideenwettbewerb für einen Spitalneubau mit 1200 Betten beim Burghölzli ausgeschrieben. Durch die Verkürzung der Plattenstrasse und die Verlängerung der Gloriastrasse an die Rämistrasse schuf der Regierungsrat 1937 Raum für einen Spitalneubau am alten Standort in unmittelbarer Nähe zur Universität. Mit der Planung wurden die Preisträger des Ideenwettbewerbs beauftragt, die sich 1939 zur „Architektengemeinschaft für das Kantonsspital Zürich“ (AKZ) zusammenschlossen. Federführend waren Haefeli Moser Steiger (HMS: Max Ernst Haefeli, Werner M. Moser, Rudolf Steiger) und Hermann Fietz (1898-1977). Zur Organisation und architektonischen Bewältigung der vielfältigen Funktionen der Krankenversorgung, Lehre und Forschung eines modernen, effizienten Universitätsspitals gab es verschiedene, damals international diskutierte Konzepte (lineare oder kammartige Gebäudeanordnung, Block- oder Pavillonbau) und Vorbilder, darunter das von Alvar Aalto 1929-33 errichtete Sanatorium in Paimio, das Sanatorium Zonnestraal in Hilversum (1926-28) oder das Söderspital in Stockholm (1937-44).

Paimio Sanatorium
Abgewinkelte Front des der Sonne zugewandten, schmalen Betten- und Balkontrakts von Alvar Aaltos Sanatorium in Paimio. Foto um 1930.

Nach intensiver Auseinandersetzung mit den Funktionsabläufen des Kantonsspitals, Konzepten und Vorbildern entschied sich die AKZ für die Anordnung der Spezialkliniken und Funktionsbereiche als verbundene Block- und Pavillonbauten, die vertikale Stapelung gleicher Funktionen innerhalb der Bauten, die Minimierung stark frequentierter Wege von Personal und Patienten sowie die Schaffung einer den Heilungsprozess fördernden hellen, ruhigen und wohnlichen Atmosphäre durch Gliederung, Materialwahl und Orientierung der Krankenzimmer auf den Park hin. Zudem musste das neue Spital am bisherigen Standort sorgfältig in den städtebaulichen Kontext integriert werden und etappenweise so um die Altbauten herum entstehen, dass der Betrieb jederzeit gewährleistet werden konnte. Aus diesen Erfordernissen wurde eine strahlenförmig aufgebaute Anlage entwickelt, mit der Polyklinik parallel zur Rämistrasse, im rechten Winkel daran anschliessenden L-förmig um das alte Spital herumgeführten Bettentrakten und einer weiteren vom Gelenkpunkt hangwärts führenden Achse mit Einlieferungs-, Operations-, Pathologie-, Küchen- und Hörsaaltrakt. Auf diese Weise blieb auch der Spitalpark mit seinem alten Baumbestand erhalten.

Funktionsschema Kantonsspital
Hermann Fietz, Funktionsschema eines Spitals (oben) und dessen Anwendung auf die Situation in Zürich (unten). Die Adaption basiert auf der von Moser und Fietz während der Rückreise von Stockholm im März 1939 entwickelten Idee.

1942-51 wurde das damals grösste, auch der Arbeitsbeschaffung dienende Bauprojekt der Schweiz, trotz der in den ersten Jahren kriegsbedingten Materialknappheit für fast 100 Mio. Franken realisiert. Das alte Kantonsspital wurde 1951 mit Ausnahme des Anatomiegebäudes (Gloriastrasse 19) abgerissen. Die individuell gestalteten Bauten der Anlage werden durch die durchgängige Sichtbarmachung der Skelettkonstruktion und die Verwendung gleicher Materialien für die gleichen Funktionen als Einheit erfahrbar. Die Traufkante der direkt der ETH gegenüberliegenden, in den Formen der gemässigten Moderne gestalteten Polyklinik nimmt die Höhe der Strassenfront der Hochschule auf und schirmt vermittelnd den hochhausartigen Bettentrakt gegen die Rämistrasse ab. Über dem weiten, auch an der Fassade ablesbaren Stützenraster der Eingangshalle erhebt sich der kleinteilige Fensterraster der drei oberen Geschosse, während das zurückversetzte Dachgeschoss hinter der Kante der Dachterrasse verschwindet. Die Mittelachse der unprätentiös wirkenden Fassade wird durch das grosse Vordach des Haupteingangs und die Balkone darüber akzentuiert. Wiederholt werden das Balkonmotiv und die Fassadengliederung der Obergeschosse an der Front der niedrigeren, durch ein vorspringendes Treppenhaus abgetrennten Kantonsapotheke.

Kantonsspital Polykliniktrakt
Polyklinik und Kantonsapotheke, dahinter das hochhausartige Bettenhaus. Foto 1951.

Den grosszügigen, von Gustav Ammann (1885-1955) gestalteten Spitalpark rahmen die bis zu neun Geschosse hohen Bettenhäuser mit teilweise gedeckter Dachterrasse. Mittelgänge erschliessen die zum Park gelegenen Krankenzimmer und die rückwärtigen Diensträume des Personals. Die langen, durch den Fensterraster bestimmten Fassaden werden auf der Parkseite durch niedrigere Vorbauten mit Aufenthaltsbereichen für stationäre Patienten (Loggien, Balkone, Dachterrasse mit Pilzdach) aufgelockert, auf der Rückseite durch die vorspringenden, die Traufkante überragenden, Treppenhäuser.

Neues Kantonsspital
Das neue Kantonsspital: Dominant das Bettenhochhaus und der Bettentrakt als Rahmung des Spitalparks. Foto 1952.

Aussen wie innen werden die grossen Volumen und Flächen aufgebrochen und durch die variantenreiche Verwendung moderner und traditioneller Materialien, wie Beton, Kunststein, Marmor, Verputz, Terracotta, Holz und Glas in ornamental wirkender Weise strukturiert. Die technische Ausstattung sowie das ganze Mobiliar wurde von der AKZ in enger Zusammenarbeit mit dem medizinischen Personal entwickelt und die Anbringung von Skulpturen und Malereien gegen Sparforderungen durchgesetzt.

 

Neues Kantonsspital Polyklinik Eingangshalle
Foyer der Polyklinik mit dem eigens für das Kantonsspital entworfenen Mobiliar. Foto 1946.

Für das Personal plante die AKZ 1951 ein Hochhaus auf der Platte, das allerdings nicht mehr von ihr ausgeführt wurde. Die seit den 1960-er Jahren im Zuge der Erweiterung des Spitals vorgenommenen Neubauten, Verdichtungen und Aufstockungen haben die Struktur der Anlage und die sorgfältige Gliederung der verschiedenen Baukörper zunehmend verwischt und ein amorphes Konglomerat von Bauten entstehen lassen. O.C.

HMS: Haefeli Moser Steiger (1937-70), Architektengemeinschaft

Submitted by ottavio.clavuot on Sat, 01/01/2022 - 03:11

Die Gründung der Bürogemeinschaft Haefeli Moser Steiger (HMS) 1937 nach dem gemeinsamen Erfolg der drei Architekten im Wettbewerb für das Zürcher Kongresshaus, war nicht ganz zufällig. Bei aller Eigenständigkeit verbanden sie viele Gemeinsamkeiten: Werner M. Moser (1896-70), Max Ernst Haefeli (1901-76) und Rudolf Steiger (1900-82) gehörten derselben Generation an und waren Söhne künstlerisch engagierter Väter: der Architekten Karl Moser und Max Haefeli sowie des Kunstmalers und Flugpioniers Carl Steiger. Sie studierten miteinander an der ETH Architektur bei Karl Moser und sammelten nach dem Studienabschluss 1921/23 im Ausland Erfahrungen mit verschiedenen Ausprägungen modernen Architekturschaffens. Haefeli und Steiger unter anderem in Berlin, Werner Moser in den Niederlanden und den USA bei Frank Lloyd Wright (1923-26).

Haefeli Moser Steiger
Max Ernst Haefeli, Rudolf Steiger und Werner M. Moser auf der Baustelle des Kongresshauses, um 1939.

Zurück in Zürich gründeten sie in der 2. Hälfte der 1920-er Jahre eigene Architekturbüros und realisierten eigene Projekte: Max Ernst Haefeli etwa die Rotach-Häuser (Lux-Guyer-Weg 5-9) 1927-28 und Werner M. Moser die Villa Hagmann (Hegibachstrasse 131) 1928-30, beides typische Vertreter der klassischen Moderne, oder Rudolf Steiger zusammen mit Flora Steiger-Crawford und Carl Hubacher des Zett-Haus (Badenerstrasse 16-18) 1929-30, eines der ersten modernen Geschäftshäuser der Schweiz.

Hegibachstrasse Villa Hagmann
Glastüren und Fenster öffnen das Wohnzimmer mit gedecktem Sitzplatz, die Halle und das Esszimmer der Villa Hagmann auf den Garten, auf den auch die Schlafzimmer im Obergeschoss orientiert sind. Foto 1931.
Badenerstrasse Zett-Haus
Zett-Haus mit Tiefgarage, Läden mit Galeriegeschoss und Restaurant im Parterre, Kino, Büros und Kleinwohnungen in den Obergeschossen sowie Schwimmbecken auf der Dachterrasse. Foto 1936.

Gleichzeitig fanden sie sich immer wieder zu gemeinsamen Aktionen zusammen. 1927 gehörten sie zur Gruppe der Schweizer Architekten, die sich an der Werkbundausstellung in der Weissenhofsiedlung in Stuttgart beteiligte, und steuerten Möbelentwürfe und Gebrauchsdesign für die Wohnungen in Mies von der Rohes Appartementhaus bei. 1928 waren sie bei der Gründung des CIAM dabei. In den folgenden Jahren planten sie zusammen mit Paul Artaria, Carl Hubacher, Emil Roth und Hans Schmidt die Werkbundsiedlung „Neubühl“ (1928-31), ein Pionierprojekt des Neuen Bauens in Zürich, engagierten sich an den dortigen Wohnausstellungen (1931/33), setzten sich im Rahmen des CIAM mit städtebaulichen Fragen auseinander (1932-33), erarbeiten Siedlungspläne für Bern und den Grossraum Zürich (1933-36) und beteiligten sich an den Ausstellungen des Kunstgewerbemuseums Zürich zum neuen Schulhaus (1932) und zum neuen Bad (1934/35).

Wasserwerkstrasse Rotach-Häuser
Umschlagbild von Sigfried Giedions Schrift "Befreites Wohnen", 1929: Foto der Rotach-Häuser mit Blick aus dem Inneren durch die geöffnete Glasschiebetür über den Balkon auf die Limmat. Moderne Möblierung und entspannte Bewohner werben für die neuen Wohnannehmlichkeiten.

Die drei Architekten verband eine pragmatische, undogmatische Haltung gegenüber der architektonischen Moderne des Bauhauses oder Le Corbusiers. Die Entwicklung architektonischer Formen hatte in erster Linie den menschlichen Bedürfnissen und örtlichen Bedingungen zu genügen, d.h. der Bau sollte unabhängig von jedem Schematismus und Formalismus möglichst kostengünstig, effizient und unprätentiös die ihm zugedachten individuellen und gesellschaftlichen Aufgaben erfüllen und städtebaulich sorgfältig in die Umgebung integriert werden. Dabei konnten sowohl moderne als auch traditionelle Materialien und Konstruktionsweisen zum Einsatz kommen. „Flachdach oder Giebeldach? “ war aus dieser Perspektive keine Frage des Bekenntnisses für oder gegen die Moderne, sondern schlicht das Ergebnis eines offenen, funktions- und situationsbezogenen, konstruktions- und materialbedingten Gestaltungsprozesses.

Kongresshaus
Das auf die Landesausstellung 1939 hin realisierte, auf den See orientierte Kongresshaus. Geschickt sind Innen- und Aussenraum durch die hohen Glasfronten von Foyer und Kongresssaal sowie durch Gartenhof und Terrassen miteinander verbunden. Foto 1970.

Mit diesen Auffassungen verkörperten Haefeli, Moser und Steiger die typische Schweizer Moderne, wie sie dann auch in Bauten, wie dem Kongresshaus 1937-39, dem Grossprojekt des Kantonsspitals 1942-53, dem Hochhaus „Zur Palme“ (Bleicherweg 33), dem damals grössten Bürohaus der Schweiz, 1959-64 und einer vielfältigen Palette weiterer Bauwerke umgesetzt wurde. Ihre zu den bedeutendsten Schweizer Architekturbüros zählende Bürogemeinschaft bestand bis zu Werner M. Mosers Tod 1970. O.C.

Hochhaus "Zur Palme"
Über den beiden flach gelagerten Ladengeschossen mit Fussgängerpassagen und Höfen, erhebt sich das zentrale, auf Stützen gestellte, elfgeschossige Hochhaus "Zur Palme". Dazwischen das über freitragende Spiralrampen erschlossene Parkdeck. Foto 1964.

Armin Meili (1892-1981), Architekt und Raumplaner

Submitted by ottavio.clavuot on Sat, 09/11/2021 - 06:51

In Luzern geboren, schloss Armin Meili 1915 sein Architekturstudium an der ETH in Zürich mit einer Diplomarbeit bei Gustav Gull ab und wurde Assistent des eben berufenen Karl Moser. 1917 trat er als Partner ins väterliche Architekturbüro in Luzern ein, das er seit 1924 allein weiterführte. Bereits früh interessierte er sich für die damals intensiv diskutierte Frage des Städtebaus. 1928 besuchte er zusammen mit Hans Bernoulli den Städtebaukongress in Frankfurt, wo er u.a. Le Corbusier und Ernst May begegnete. Ein Jahr später gewann er den Wettbewerb für den Stadtbauplan von Luzern, in dessen überarbeiteter Version er auch einige gezielt platzierte, bis zehngeschossige Hochhäuser vorsah. Mit dem vom norditalienischen Rationalismus inspirierten Kunst- und Kongresshaus Luzern realisierte er 1931-33 einen typischen Bau der gemässigten Moderne, die er seit 1936 auch als Direktor der Schweizerischen Landesausstellung 1939 förderte und die als „Landi-Stil“ zur spezifisch schweizerischen Spielart der Moderne werden sollte.

Armin Meili
Armin Meili auf der Baustelle der Schweizerischen Landesausstellung 1939.

1939-55 für die Zürcher Freisinnigen im Nationalrat, setzte er sich politisch und publizistisch für eine wirksame Landes- und Regionalplanung ein – eine Forderung, die er bereits 1932 erhoben hatte – und wurde 1943 zum ersten Präsidenten der neu gegründeten Schweizerischen Vereinigung für Landesplanung gewählt. Überzeugt von der Notwendigkeit des sparsamen Umgangs mit dem Boden angesichts der ins Umland auswuchernden Siedlungen und geprägt von den städtebaulichen Diskussionen und Experimenten der Zwischenkriegszeit, wie etwa Le Corbusiers Konzept der „Ville Radieuse“ mit Punkthochhäusern oder den neuen Bandstädten in der Sowjetunion, forderte Meili die staatlich geplante Verdichtung der städtischen Zentren und den Schutz der freien Landschaft.

Le Corbusier Ville radieuse
Le Corbusier, Ville Radieuse als horizontal aufgelockerte, vertikal verdichtete Stadt mit Hochhausbauten auf weiten Grünflächen, 1930.

1947 wurde Meili beauftragt, an der Piazza Cavour in Mailand ein Hochhaus für das Centro Svizzero zu errichten, das er bis 1952 als knapp 80 m hohen Turm realisierte.

Mailand Centro Svizzero
Mailand, Centro Svizzero mit Hochhaus und niedrigem, L-förmigem strassenseitigem Trakt. Foto 1957.

Ein Besuch in New York im Januar 1950 zur Innenraumgestaltung der neuen Swissair-Niederlassung im 259 m hohen Hochhaus des Rockefeller Centers (1933-40) erlaubte ihm die unmittelbare Auseinandersetzung mit der Hochhausarchitektur Manhattans. Besonders faszinierten ihn die Stahl-Glas-Prismen des UNO-Gebäudes (1947-52) und des Lever House (1950-52), zweier emblematischer Bürohochhäuser der amerikanischen Nachkriegsmoderne. Im Dezember des gleichen Jahres schaltete er sich mit einer Artikelserie in der NZZ zur Frage „Braucht Zürich Hochhäuser?“ in die Debatte um den Bau von Wohnhochhäusern an der Peripherie von Schweizer Städten ein, an der sich neben namhaften Architekten, wie Werner M. Moser, auch Max Frisch beteiligte.

Audio file
Aus Max Frischs Hörspiel "Der Laie und die Architektur", 1954.

Meili kritisierte das Fehlen einer funktionalen und räumlichen Struktur Zürichs, die unwirtschaftliche Nutzung der teuren Grundstücke in der Innenstadt und die grossflächigen, uniformen Neubausiedlungen am Stadtrand. Dagegen plädierte er für den Bau von Büro- und Geschäftshochhäusern mit bis zu 25 Geschossen im Raum zwischen Landesmuseum, Kaserne und Globus als Massnahme der Verdichtung und der Gestaltung einer der City einer modernen Grossstadt angemessenen Skyline. O.C.

Meili Braucht Zürich Hochhäuser
Armin Meili, Braucht Zürich Hochhäuser?, dreiteilige Artikelserie in der NZZ vom 8./9./11. Dezember 1950.

Schweizerische Landesausstellung 1939 und Geistige Landesverteidigung (Enge / Zürichhorn)

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 07/08/2021 - 02:18

Die Erfahrungen des Ersten Weltkriegs, der den Bundesstaat einer inneren Zerreissprobe ausgesetzt, die international stark vernetzte Schweizer Wirtschaft massiv getroffen und den sozialen Frieden schwer erschüttert hatte, führten zur Rückbesinnung auf nationale Werte und Interessen. In den 1920er Jahren forcierten die von der russischen Revolution und vom italienischen Faschismus ausgehende Bedrohung zusammen mit den neuen Möglichkeiten von Radio und Film zur Verbreitung totalitärer Ideologien das Bestreben, die Unabhängigkeit und den demokratischen Rechtsstaat auch in Friedenszeiten mit politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Mitteln zu verteidigen. Mit der Etablierung der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland 1933 intensivierten Schweizer Politiker, Intellektuelle und Medienschaffende ihre Bemühungen um die Stärkung der kulturellen Grundwerte der Eidgenossenschaft und um einen inneren Schulterschluss über alle Klassen- und Parteigrenzen hinweg. Bundesrat Philipp Etter formulierte in der Botschaft vom 9. Dezember 1938 die Idee der Geistigen Landesverteidigung offiziell: Als Willensnation gründet die Schweiz auf der Bereitschaft der Bürger, für die gemeinsamen Werte der Menschenwürde, der Freiheit, der Demokratie und des Föderalismus mit ihrem Leben einzustehen. Diese geistigen Werte und die nationale Schicksalsgemeinschaft, die sich im Gotthardmassiv als Symbol der Einheit und Vielfalt, der Freiheit und Wehrhaftigkeit providentiell verkörpern, gilt es neu ins Bewusstsein zu rufen.

Audio file
Aus der Botschaft des Bundesrats vom 9.12.1938

Das Konzept war so offen und allgemein, dass sich mit Ausnahme der Frontisten und eines Teils der Kommunisten alle politischen Strömungen damit identifizieren konnten. Im gleichen Jahr entstanden auch ikonische Inszenierungen der Geistigen Landesverteidigung, wie z.B. der von Hermann Haller und Leopold Lindtberg gedrehte Film „Füsilier Wipf“ oder die Aufführungen des „Götz von Berlichingen“ und des „Wilhelm Tell“ am Zürcher Schauspielhaus mit Heinrich Gretler in den Titelrollen. Mit dem Beginn des Kalten Krieges Ende der 1940er Jahre erfuhr die Geistige Landesverteidigung bis in die ausgehenden 1960er Jahre eine Wiederbelebung.

Plakat Füsilier Wipf

Bereits 1925 wurde die Idee einer Landesausstellung in Zürich lanciert, doch erst 1935 beschloss der Bundesrat deren Unterstützung. Seit der Bundesstaatsgründung 1848 dienten die Landesausstellungen der Inszenierung der nationalen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Erstmals 1914 wurde eine Landesausstellung zur Demonstration des Willens zur bewaffneten Neutralität instrumentalisiert. Ganz im Dienst der Geistigen Landesverteidigung stand die Zürcher Landesausstellung 1939. Der 1936 zum Direktor der „Landi“ bestellte Architekt Armin Meili konzipierte eine thematisch geordnete Schau, die das Bild einer wehrhaften, innovativen, modernen, bodenständig in ihren regionalen und bäuerlichen Traditionen verwurzelten Schweiz vermitteln sollte. Auf dem linken Seeufer wurde die Schweiz als Industrie-, Wissenschafts-, Technik-, Tourismus- und Modenation präsentiert.

Halle des Strassenverkehrs von Architekt L.M. Boedecker, Zürich. Aufnahme: Michael Wolgensinger 1939
Halle des Strassenverkehrs von Architekt L.M. Boedecker, Zürich.

Neben Themen wie Energieversorgung, Städtebau und Verkehr standen vor allem „Heimat und Volk“ im Zentrum. Der von Fahnen überdachte „Höhenweg“ durchzog auf 700 Metern als Rückgrat und sakrale Selbstvergewisserung der Eidgenossenschaft das Ausstellungsgelände. Er erschloss Pavillons zu Geschichte und Werten der Schweiz, so auch zur „Wehrbereitschaft“, die durch eine monumentale Soldatenskulptur des Bildhauers Hans Brandenberger verkörpert wurde.

Landesausstellung 1939 Wehrbereitschaft
Plastik "Wehrbereitschaft" von Hans Brandenberger. Ein Original-Bronzeabguss steht heute vor dem Bundesbriefarchiv in Schwyz, eine Nachbildung bei den Turnhallen an der Rämistrasse 80.

Die „Landi“ sollte nicht nur durch Belehrung, sondern auch als kollektives Erlebnis zur Gemeinschaftsbildung beitragen. Das Vergnügen durfte daher nicht zu kurz kommen. Dieses garantierte u.a. der „Schifflibach“, der sich grosser Beliebtheit erfreute.

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„Schifflibach“ und „Schifflibach-Lied“. Das war die Landi, SRF 18.6.1989.

Ausstellungsgelände, Pavillons, Skulpturen, Wandbilder und Ausstellungsgut waren als szenografische Einheit konzipiert. Als Chefarchitekt der Landesausstellung setzte Hans Hofmann (1897-1957), ein Schüler Karl Mosers, konsequent auf eine funktionalistische Holz-Leichtbauweise in Kombination mit neuen Materialien, wie Aluminium, und mit experimentellen Formen.

Landesausstellung 1939 Aluminiumpavillon
Aluminium-Pavillon von Architekt Jos. Schütz, Zürich. Aluminium wurde in seiner Schlichtheit und Abnutzungsresistenz als typisches schweizerisches Material propagiert.
Landesausstellung 1939 Betonbogen
Betonparabel von Hans Leuzinger (Architekt) und Robert Maillart (Ingenieur) mit Pferdebändiger von Alfons Maag.

Die gemässigte architektonische Moderne der „Landi“ hob sich damit deutlich von den wuchtigen Prestigebauten der totalitären Diktaturen ab und galt fortan als schweizerische Form der Moderne. Durch eine Luftseilbahn über den See war das Gelände in der Enge mit dem der traditionellen, bäuerlichen Schweiz gewidmeten Teil der „Landi“ am rechten Seeufer verbunden. Inspiriert von der Natur- und Heimatschutzbewegung verklärte im „Dörfli“ am Zürichhorn ein Potpourri ländlicher Bauten in verschiedenen Regionalstilen das vormoderne Leben und zelebrierte mit Trachtenschau und -fest die nationale kulturelle Eigenständigkeit.

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„Dörfli“ und „Dörfli-Lied“. Das war die Landi, SRF 18.6.1989.

Die von Anfang Mai bis Ende Oktober 1939 dauernde Landesausstellung wurde durch Kriegsausbruch und Mobilmachung am 1. September endgültig zum nationalen Wallfahrtsort. Schliesslich verzeichnete sie 10 Millionen Besucher. 40‘000 Artikel und 15‘000 Bilder in der Schweizer Presse, Plakate und Postkarten, Briefmarken und Broschüren feierten das Ereignis, so dass die „Landi“ auf lange Zeit tief im kollektiven Gedächtnis verankert blieb. O.C.

Landi-Prospekt 1939
"Landi-Dörfli" am Zürichhorn. Landesausstellungsprospekt 1939.

Turnhallen, Rämistrasse 80

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:01

Durch die Verlängerung der Gloriastrasse bis an die Rämistrasse wurde 1937 die städtebauliche Situation im Bereich des Kantonsspitals geklärt: Der untere Teil der Wässerwiese stand nun für den Bau von Turnanlagen zur Verfügung, das Areal gegenüber Universität und ETH für den Neubau des Kantonsspitals. So wurde endlich die Planung einer „Turnanlage für die Kantonalen Lehranstalten“ oberhalb der „Neuen Kantonsschule“ in Angriff genommen, die – verzögert durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 – Hermann Fietz d. J. zusammen mit Max Ernst Haefeli 1940-42 realisierte. Die Anlage besteht aus mehreren, gestaffelt angeordneten, Gelände und Funktion abbildenden Baukörpern sowie aus einem Turn- und Spielplatz, der im Rahmen der „Anbauschlacht“ zunächst landwirtschaftlich genutzt wurde.

Turnhallen Rämistrasse
Turnhallen mit Spielwiese. Das Sgrafitto „Gemeinschaft“ an der Stirnwand der oberen Duplex-Turnhalle geht auf die Hilfsaktion des Bundes 1939 für notleidende Künstler zurück.

Mit ihrer gerasterten Fassadengliederung, gut sichtbar etwa im Betongitterwerk Turnhallenfenster, und den flach geneigten Satteldächern sind die Bauten typische Vertreter der gemässigt modernen Schweizer Architektur im Geist der Landesausstellung 1939. Deren Pavillons beanspruchten im Sinne der „Geistigen Landesverteidigung“, durch die Verbindung des funktionalistischen Ansatzes mit traditionellen Formelementen eine spezifisch schweizerische Moderne zu verkörpern.

Baukörper der Duplex-Turnhallen

Baukörper der Duplex-Turnhallen mit dazwischen liegendem, niedrigeren Garderobetrakt.

An die „Landi“ erinnert auch die 1943-47 in Castione-Marmor ausgeführte, überarbeitete Fassung der von Hans Brandenberger (1912-2003) geschaffenen monumentalen Gipsplastik „Wehrbereitschaft“, die in einem Pavillon der Höhenstrasse aufgestellt war und den Wandel vom friedlichen zum kampfbereiten Bürger zeigen sollte. O.C.

Hans Brandenberger - Soldatenfigur

Soldatenfigur des in Niederländisch-Indien (heute Indonesien) geborenen und aufgewachsenen Auslandschweizers Hans Brandenberger.