Universität Zürich, Rämistrasse 71

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 01/02/2022 - 05:27

Nach dem Umsturz 1830 leiteten die Liberalen zur langfristigen Sicherung von Wohlstand und Demokratie eine umfassende Bildungsreform ein, zu der neben dem Ausbau der Volksschule auch die Gründung von Kantonsschule (Gymnasium) und Universität gehörten. 1833 nahm die Universität ihren Betrieb in Gebäuden der Fraumünsterabtei, dann im Hinteramt an der Augustinergasse auf. Erst 1864 erhielt sie im Südflügel der von Gottfried Semper für das Eidgenössische Polytechnikum (seit 1905 ETH) erbauten Anlage ein eigenes Schulgebäude. Das starke Wachstum der Universität führte seit 1897 zu Diskussionen über einen Neubau, doch erst nach der Standortwahl im Künstlergüetli auf dem ehemaligen Schanzengelände südlich der ETH und der Definition des Bauprogramms 1907, wurde in einem Architekturwettbewerb das Projekt von Curjel & Moser 1908 zur Ausführung bestimmt.

Künstlergüetli
Für den Bau der Universität abgebrochenen (von rechts): Gustav Wegmanns Ausstellungsbau der Künstlergesellschaft, das Restaurant „Künstlergüetli“ und die Blinden- und Taubstummenanstalt. Foto 1900.

Der 1911-14 realisierte Entwurf sah eine geschickt ins abfallende Gelände eingepasste, asymmetrische Anlage aus den zwei seitlich verschobenen Baukörpern des viergeschossigen Kollegiengebäudes und des dreigeschossigen Biologischen Instituts vor, deren Schnittstelle der stadtseitig 65 Meter hohe, in der Höhe gestaffelte, die Stadtsilhouette prägende Turm markiert.

Universität
Der sich von der symmetrischen Anlage der ETH abhebende, vor der Augenklinik frei ins Gelände eingepasste Gebäudekomplex der Universität. Jenseits der Rämistrasse das alte Kantonsspital. Foto um 1937.

Technisch bestimmen moderne Materialien – Eisenbeton, Stahl, Glas und Leimbinder – den Bau, optisch dominieren Verblendungen aus Verputz, Natur- und Kunststein sowie eine ausserordentlich reiche, mittelalterliche und barocke Elemente aufnehmende Jugendstil-Ornamentik. anz im Sinn des Jugendstils hat Karl Moser – wie im Fall des Kunsthauses – Aussenraum, Architektur, Bauschmuck (Skulptur und Malerei), Beleuchtungskörper und Mobiliar zu einem Gesamtkunstwerk gestaltet.

Universität Eingangshalle Künstergasse
Modifiziert umgesetzte Studie Karl Mosers für die Ausgestaltung der Eingangshalle zum Turm, um 1912.

Gartenterrasse, Bassins und Baumreihen, dazwischen die mit Treppen und Skulpturen dramatisch inszenierten Zugänge zu den plastisch kräftig gegliederten Haupteingängen, rahmen den Gebäudekomplex, dessen stark durchfensterte, über der Sockelzone von pilasterartig ausgebildeten Pfeilern gegliederte Fassaden mit darüberliegenden Mansardenwalmdächern der barocken Schlossarchitektur verpflichtet sind.

Universität Kollegiengebäude
Schlossartig wirkende Fassade gegen die Rämistrasse mit dem mit Treppen, Balustraden, Skulpturen und Kandelabern möblierten Vorplatz.

Das Kollegiengebäude umschliesst einen grossen Lichthof mit Glasbedachung, den sogenannten „Göttergarten“, auf den sich die umlaufenden, mit Kreuzgewölbe und romanisierenden Säulen an klösterliche Kreuzgänge erinnernden Wandelhallen in Arkaden öffnen. Gegen die Rämistrasse öffnet sich der Eingang im halbrund vorspringenden Vorbau, der hinter Kolossalarkaden die Aula, in der Winston Churchill am 19. September 1946 für ein vereintes Europa eintrat, und darunter den Grossen Hörsaal beherbergt. Gegenstück sind die im Halbkreis in den Lichthof ragenden Arkaden des zweiarmig-dreiläufigen Treppenaufgangs zur Aula.

Universität Lichthof
Der Lichthof des Kollegiengebäudes als Ausstellungsraum für die ursprünglich in Sempers Halle in der ETH aufgestellten Gipsabgüsse antiker Statuen. Foto 1914.

Gegen die Künstlergasse wird der Eingang zum Turm durch einen viergeschossigen, von der Tudor-Gotik inspirierten Scheinerker und einen vorgelagerten Säulenportikus markiert. Auch das ehemalige Biologische Institut umschliesst einen Lichthof mit Glasbedachung, in dem die zoologische Sammlung ausgestellt ist und über dem seit 1991 der von Ernst Gisel entworfene, auf vier Pfeiler abgestützte Hörsaal schwebt. Der von monumentalen, durch ein vorspringendes Bogendach verbundenen Doppelsäulen flankierte Eingang ist als Gegenstück des Treppenaufgangs zum Südportal der ETH gestaltet.

Universität Eingang Biologiegebäude
Floreale Formen schmücken den Eingang zum Biologischen Institut.

Obwohl bereits Karl Moser gleich nach Abschluss der Bauarbeiten mehrere Erweiterungsideen entwickelte, so z.B. 1917 das Projekt einer achsensymmetrischen Verdoppelung der Anlage Richtung „Schanzenberg“, ist das Universitätsgebäude mit Ausnahme der von Moser entworfenen Möblierung bis heute weitgehend unverändert erhalten geblieben.

Karl Moser Erweiterungsprojekt Universität
Erweiterungsprojekt für die Universität. Tagebuchnotiz Karl Mosers, 1916.

Neben Ernst Gisels Hörsaaleinbau, stellt der der Neubau der seit 1914 vom Zürcher Frauenverein betriebenen Mensa unterhalb des Kollegiengebäudes 1968/69 nach Plänen von Werner Frei den grössten Eingriff dar. 2001/02 wurde sie im Zusammenhang mit dem Einbau eines unterirdischen Hörsaals durch Gigon/Guyer grundlegend erneuert, ihr Dach begrünt und die Liegewiese vor dem Kollegiengebäude durch ein rosafarbenes Wasserbecken ersetzt. O.C.