Alfred Chiodera (1850-1916), in Mailand als Sohn eines Kaufmanns geboren, besuchte nach der Übersiedelung der Familie in die Schweiz das Gymnasium in St. Gallen. 1868-72 studierte er am Polytechnikum in Stuttgart Architektur. Danach unternahm er 1873/4 eine Studienreise nach Italien, wo er sich bei Giuseppe Mengoni (1829-77), dem Erbauer der Galleria Vittorio Emanuele in Mailand, mit der italienischen Neurenaissance und Eisen-Glas-Konstruktionen vertraut machte. 1875 liess er sich in Zürich nieder, wo er im Büro des Semper-Schülers Heinrich Ernst (1846-1916) Theophil Tschudy (1849-1911) kennenlernte. Dieser hatte als Sohn eines Mühlenbesitzers im aargauischen Mumpf nach dem Besuch der Kantonsschule in Aarau 1867-70 am Polytechnikum (heute ETH) bei Gottfried Semper studiert und anschliessend in Davos sowie 1872/73 in Budapest gearbeitet. 1878 gründeten Chiodera und Tschudy eine eigene Firma, die sie bis 1908 gemeinsam führten. Chiodera, der mit Maler Arnold Böcklin (1827-1901) befreundet war, selbst auch malte und leidenschaftlich an der Entwicklung eines Luftschiffs tüftelte, war im Unternehmen hauptsächlich für das Künstlerische zuständig, während sich Tschudy mehr mit den technischen Fragen beschäftigte.
In den 30 Jahren gemeinsamen Wirkens machten Chiodera & Tschudy den Stilwandel vom Historismus zum Jugendstil mit. In ihren Bauten kombinierten sie zum Teil sehr originell verschiedene Stilformen und die unterschiedlichsten Materialien: Naturstein, Ziegel, Verputz, Keramik, Eisen, Glas und Holz.
Das breite Spektrum ihrer Bauten umfasst neben Villen, wie der für den auf Sumatra reich gewordenen Tabakpflanzer Karl Grob-Zundel gestalteten Villa Patumbah an der Zollikerstrasse 128 (1883-85) oder Chioderas eigenes neubarockes Schlösschen an der Rämistrasse 50 (1896/97), auch Wohn- und Geschäftshäuser, wie jene am Bleicherweg 37-47, sowie Restaurant-, Hotel- und Theaterbauten, wie den Wohn- und Theaterkomplex „Zum Pfauen“, das Katholische Gesellenhaus oder das Palace-Hotel in St. Moritz (1892-96), Ausstellungsbauten, wie den Keramikpavillon an der Zürcher Landesausstellung 1883, und Sakralbauten, wie die Synagoge an der Nüschelerstrasse 36 (1884). O.C.
Nach dem Umsturz 1830 leiteten die Liberalen zur langfristigen Sicherung von Wohlstand und Demokratie eine umfassende Bildungsreform ein, zu der neben dem Ausbau der Volksschule auch die Gründung von Kantonsschule (Gymnasium) und Universität gehörten. 1833 nahm die Universität ihren Betrieb in Gebäuden der Fraumünsterabtei, dann im Hinteramt an der Augustinergasse auf. Erst 1864 erhielt sie im Südflügel der von Gottfried Semper für das Eidgenössische Polytechnikum (seit 1905 ETH) erbauten Anlage ein eigenes Schulgebäude. Das starke Wachstum der Universitätführte seit 1897 zu Diskussionen über einen Neubau, doch erst nach der Standortwahl im Künstlergüetliauf dem ehemaligen Schanzengelände südlich der ETH und der Definition des Bauprogramms 1907, wurde in einem Architekturwettbewerb das Projekt von Curjel & Moser 1908 zur Ausführung bestimmt.
Der 1911-14 realisierte Entwurf sah eine geschickt ins abfallende Gelände eingepasste, asymmetrische Anlage aus den zwei seitlich verschobenen Baukörpern des viergeschossigen Kollegiengebäudes und des dreigeschossigen Biologischen Instituts vor, deren Schnittstelle der stadtseitig 65 Meter hohe, in der Höhe gestaffelte, die Stadtsilhouette prägende Turm markiert.
Technisch bestimmen moderne Materialien – Eisenbeton, Stahl, Glas und Leimbinder – den Bau, optisch dominieren Verblendungen aus Verputz, Natur- und Kunststein sowie eine ausserordentlich reiche, mittelalterliche und barocke Elemente aufnehmende Jugendstil-Ornamentik. anz im Sinn des Jugendstils hat Karl Moser – wie im Fall des Kunsthauses – Aussenraum, Architektur, Bauschmuck (Skulptur und Malerei), Beleuchtungskörper und Mobiliar zu einem Gesamtkunstwerk gestaltet.
Gartenterrasse, Bassins und Baumreihen, dazwischen die mit Treppen und Skulpturen dramatisch inszenierten Zugänge zu den plastisch kräftig gegliederten Haupteingängen, rahmen den Gebäudekomplex, dessen stark durchfensterte, über der Sockelzone von pilasterartig ausgebildeten Pfeilern gegliederte Fassaden mit darüberliegenden Mansardenwalmdächern der barocken Schlossarchitektur verpflichtet sind.
Das Kollegiengebäude umschliesst einen grossen Lichthof mit Glasbedachung, den sogenannten „Göttergarten“, auf den sich die umlaufenden, mit Kreuzgewölbe und romanisierenden Säulen an klösterliche Kreuzgänge erinnernden Wandelhallen in Arkaden öffnen. Gegen die Rämistrasse öffnet sich der Eingang im halbrund vorspringenden Vorbau, der hinter Kolossalarkaden die Aula, in der Winston Churchill am 19. September 1946 für ein vereintes Europa eintrat, und darunter den Grossen Hörsaal beherbergt. Gegenstück sind die im Halbkreis in den Lichthof ragenden Arkaden des zweiarmig-dreiläufigen Treppenaufgangs zur Aula.
Gegen die Künstlergasse wird der Eingang zum Turm durch einen viergeschossigen, von der Tudor-Gotik inspirierten Scheinerker und einen vorgelagerten Säulenportikus markiert. Auch das ehemalige Biologische Institut umschliesst einen Lichthof mit Glasbedachung, in dem die zoologische Sammlung ausgestellt ist und über dem seit 1991 der von Ernst Gisel entworfene, auf vier Pfeiler abgestützte Hörsaal schwebt. Der von monumentalen, durch ein vorspringendes Bogendach verbundenen Doppelsäulen flankierte Eingang ist als Gegenstück des Treppenaufgangs zum Südportal der ETH gestaltet.
Obwohl bereits Karl Moser gleich nach Abschluss der Bauarbeiten mehrere Erweiterungsideen entwickelte, so z.B. 1917 das Projekt einer achsensymmetrischen Verdoppelung der Anlage Richtung „Schanzenberg“, ist das Universitätsgebäude mit Ausnahme der von Moser entworfenen Möblierung bis heute weitgehend unverändert erhalten geblieben.
Neben Ernst Gisels Hörsaaleinbau, stellt der der Neubau der seit 1914 vom Zürcher Frauenverein betriebenen Mensa unterhalb des Kollegiengebäudes 1968/69 nach Plänen von Werner Frei den grössten Eingriff dar. 2001/02 wurde sie im Zusammenhang mit dem Einbau eines unterirdischen Hörsaals durch Gigon/Guyer grundlegend erneuert, ihr Dach begrünt und die Liegewiese vor dem Kollegiengebäude durch ein rosafarbenes Wasserbecken ersetzt.O.C.