Bildung, Wissenschaft

Tadeus Reichstein (1897-1996), Chemiker und Farnspezialist

Submitted by ottavio.clavuot on Wed, 06/01/2022 - 09:48

Was haben ein Dopingskandal beim Wunder von Bern, eine Hölle in Jena, die Apotheke eines Onkels, die Judenpogrome von 1905, ein Nobelpreis, das MNG, 30 Hormone der Nebennierenrinde und Farne miteinander zu tun?

Das ist ein Text über Tadeus Reichstein. Wer?

Tadeus Reichstein war 1912-16 Schüler der Industrieschule (heute MNG Rämibühl). Er war ein bedeutender, 1914 eingebürgerter Schweizer Chemiker, der erst mit den Nobelpreisträgern Hermann Staudinger (1881-1965) und Leopold Ružička (1887-1976) an der ETH und später als Leiter des Pharmazeutischen (ab 1938) wie auch des Organisch-Chemischen Instituts der Universität Basel (ab 1960) bedeutende Arbeit auf dem Gebiet der Naturstoffe geleistet hat, wofür er 1950 selber mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet worden ist.

An dieser Stelle dürfte man jetzt eine Darstellung seines Werdegangs erwarten – das Fliehen vor antisemitischer Gewalt in Kiew und das Heimatfinden in Zürich ab 1906, eine Auflistung der akademischen Stationen, abgeschlossen von einer Würdigung seines Schaffens. Ich schreibe «dürfte», denn wie soll man einem so ereignisreichen Leben mit einem so kurzen Text gerecht werden. Allein für eine angemessene Darstellung seiner Synthese von Vitamin C im Jahr 1933 oder seiner umfassenden Erforschung der Steroide wäre eine Doppelseite kaum ausreichend. Und da wären die weitreichenden medizinischen (Bsp.: Cortison), industriellen (Biotechnologische Grossproduktion) und gesellschaftlichen (Dopingskandal 1954 und Vitamanie) Folgen noch nicht einmal mit drin.

Reichstein Labor
Als man im Labor noch Krawatte trug. Reichstein stellt Vitamin C aus Traubenzucker her. Die von ihm entwickelte fünfstufige Synthese ist noch heute die Grundlage jeder grosstechnischen Herstellung von Vitamin C.

Ich möchte den Fokus stattdessen auf einen Begriff legen, welcher sich wie ein roter Faden durch die autobiographischen Kommentare Reichsteins zieht – das Glücklichsein. Als Kind sei er nirgendwo so glücklich gewesen, wie wenn er in der Apotheke seines Onkels dabei helfen durfte, Pillen zu drehen oder Sirupe zu kochen. Reichstein war sich sicher, dass es diese Beschäftigung war, die in ihm diese unbändige naturwissenschaftliche Neugier entfachte, die ihn ein ganzes Leben lang treu begleiten sollte. Sein Augenmerk lag nicht auf dem schrecklichen Anblick der Pogromopfer oder seiner eigenen Hölle von Jena, wo der schmächtige Tadeus als Internatsschüler unter den körperlichen Züchtigungen der Lehrer litt, sondern auf der glücklichen Kindheit, die folgte, als er mit seiner Familie in Zürich wiedervereint war. Er beklagte nicht, dass er trotz eines ausgezeichneten Diploms in chemischen Ingenieurwissenschaften von der ETH erst nur eine Stelle in einer kleinen Taschenlampen-Firma in Rorschach finden konnte. Vielmehr betonte er, dass dies eine der glücklichsten Zeiten seines Lebens gewesen sei, da er mit dem Geld seine durch den Weltkrieg finanziell in Nöte geratene Familie entlasten konnte.

Reichstein Vitamin C
Fünfstufige Synthese von Vitamin C aus Glucose: a) Reduktion mit Nickel, b) Dehydrierung mittels Fermentation durch Acetobacter, c) Schutzgruppen-gestützte Oxidation mit Permanganat, d) säurekatalysierter Ringschluss.

Es ist bezeichnend, dass dieser so vielseitig am Leben interessierte Mensch auch die Zeit nach seiner Emeritierung dazu nutzte, seiner Neugier zu frönen. Reichsteins Garten im Bruderholz war weithin als botanisches Paradies bekannt. Und wie es sich für einen wahren Forschergeist gehört, konnte es nicht ausschliesslich beim Gärtnern bleiben. Von seiner Pensionierung 1967 bis zu seinem Tod 1997 im Alter von 99 Jahren veröffentlichte Reichstein noch 100 Arbeiten zur Systematik, Chemotaxonomie, Cytologie und Micromorphologie der Farne.

Fazit: Ist sich ein Mensch seiner selbst bewusst – seiner Fähigkeiten, seiner Schwächen, seiner Leidenschaften – vermögen ihn noch so viele Umwege und Hindernisse nicht von einem glücklichen und erfüllten Leben abzuhalten. R.O.

Ehem. Eidgenössische Sternwarte, Schmelzbergstrasse 25

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 02/03/2022 - 08:12

Die Vorgeschichte der Eidgenössischen Sternwarte reicht bis ins mittlere 18. Jahrhundert zurück, als die 1746 gegründete „Physikalische Societät“ (heute Naturforschende Gesellschaft) 1759 auf dem Dach des Zunfthauses „Zur Meise“ eine kleine Sternwarte zur Sonnenbeobachtung einrichtete. Hier bestimmte Johannes Gessner (1709-90) den Meridian seines Standorts mit grosser Genauigkeit. 1773 wurde die Sternwarte auf den Karlsturm des Grossmünsters verlegt und 1810/11 auf die Schanze neben der Kronenpforte (heute Universität). Die astronomischen Beobachtungen wurden unter anderem zur Vermessung des Kantons und zur Zeitbestimmung gebraucht und waren auch mit dem Sammeln von Wetterdaten verbunden. 1855 übernahm das neu gegründete Polytechnikum (heute ETH) die Sternwarte und die astronomischen Instrumente der „Naturforschenden Gesellschaft“.

Rudolf Wolf
Rudolf Wolf. Foto vor 1886.

Rudolf Wolf (1816-93), Professor für Mathematik und Astronomie an der neuen Hochschule, der sich 1839 vergeblich für den Bau einer neuen Sternwarte eingesetzt hatte, drang nun mit seinem Anliegen durch: Der Kanton Zürich stellte das Grundstück am Schmelzberg zur Verfügung, der Bund finanzierte den Bau und Gottfried Semper entwarf das Gebäude auf der Grundlage von Wolfs Bauprogramm der modernsten Universitätssternwarten Europas. Der 1861-64 realisierte, funktional gegliederte, repräsentative Neurenaissance-Mehrzweckbau auf L-förmigem Grundriss mit drei in ihrer Grundfläche gleichen, in der Höhe gestaffelten Kuben und einem Rundturm wirkt durch den hohen Rustikasockel auf der Talseite burgartig.

Eidgenössische Sternwarte
Die Eidgenössische Sternwarte im damals unverbauten Rebland des Schmelzbergs. Foto um 1889.

Der die Terrasse für Freilichtbeobachtungen nördlich begrenzende eingeschossige Nebenflügel nahm die Bibliothek und den Meridiansaal auf, durch dessen Schlitze in Fassaden und Dach die Meridianpassagen der Sterne vom Nord- bis zum Südhorizont beobachtet werden konnten. Der abgewinkelte dreigeschossige Haupttrakt mit dem nördlich anschliessenden überkuppelten Zylinder des Observatoriums wurde im Erdgeschoss von der Eingangshallte eingenommen, die zugleich als Instrumenten- und Modellmuseum diente und Zugang zum Erdgeschoss des zweigeschossigen Kubus mit Hörsaal und Büros gewährte.

Eidgenössische Sternwarte Eingangshalle
Die Eingangshalle mit stukkiertem Gewölbe, das durch illusionistisch aufgemalte Gliederungen strukturiert wird, und eingebauten Vitrinen. Foto 1951.

In den Obergeschossen der beiden seitlich verschobenen Kuben befand sich die Wohnung Rudolf Wolfs mit Arbeitsräumen. Im hohen Erdgeschoss werden die Gebäudeteile durch die umlaufende Sandsteinfassade mit grossen Rundbogenfenstern zusammengehalten. Die leicht wirkenden, gelb verputzten Fassaden darüber sind durch Sandsteinlisenen zwischen den Fenstern und durch Simse zwischen den niedrigeren Obergeschossen gegliedert. Ein Sgraffito-Dekorationsband mit pflanzlichen Motiven nach Sempers eigenen Entwürfen umschliesst das Observatorium im vierten Turmgeschoss unter der drehbaren Kuppel.

Eidgenössische Sternwarte Observatorium
Der Observatoriumsturm mit der für das ganze Gebäude charakteristischen feinen Fassadengliederung und dem Sgraffitofries.

Bereits vor seiner Berufung ans Polytechnikum hatte Rudolf Wolf entdeckt, dass die Schwankungen der Sonnenfleckenaktivität und jene des Erdmagnetfeldes korrelieren. Daher sammelte er die Beobachtungen der Sonnenflecken – seit deren Entdeckung im frühen 17. Jahrhundert – organisierte ab 1849 ein internationales Beobachternetz und entwickelte einen statistischen Aktivitätsindex der Sonnenaktivität. Nach seiner Methode wurden an der Eidgenössischen Sternwarte bis zur Einstellung des Betriebs täglich Sonnenfleckenzählungen durchgeführt. Unter Wolfs Leitung entwickelte sich die Eidgenössische Sternwarte zudem rasch zu einem nationalen Angelpunkt der geodätischen Landvermessung, der Zeitmessung und der Meteorologie. Da astronomische Positions- und Zeitbestimmungen genaue Luftdruck- und Temperaturmessungen voraussetzen, wurde 1864 in der Sternwarte die Meteorologische Zentralanstalt (heute MeteoSchweiz) eingerichtet, die hier Wetterdaten aus der ganzen Schweiz sammelte und auswertete, bis sie 1881 zu einem selbständigen Bundesinstitut wurde.

Eidgenössische Sternwarte Observatorium Refraktor
Der Refraktor für die Sonnenbeobachtung im Kuppelraum des Observatoriumsturms. Foto 1911.

Die Überbauung der Umgebung der Sternwarte im 20. Jahrhundert beeinträchtigte die Beobachtungsmöglichkeiten immer mehr, so dass der Standort 1980 aufgegeben wurde. Nach der Renovation des Gebäudes 1995-97 wurde es Sitz des Collegium Helveticum. O.C.    

Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Rämistrasse 101

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 01/02/2022 - 07:40

Im Bestreben, das für eine erfolgreiche Industrialisierung der Schweiz erforderliche technische Personal und Wissen unabhängig vom Ausland auszubilden und zu entwickeln, beschlossen die eidgenössischen Räte 1854 die Gründung des Eidgenössischen Polytechnikums (seit 1905 ETH) in Zürich nach dem Vorbild der Pariser Ecole Polytechnique (1794/1804). Da nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 zahlreiche namhafte Gelehrte und Wissenschaftler Deutschland verlassen mussten und bereit waren, in der liberalen Schweiz am Aufbau der neuen Hochschule mitzuwirken, gewann diese rasch einen guten Ruf und war ihrer Aufgabe, eine konkurrenzfähige technische Elite auszubilden, gewachsen. So nahm auch Gottfried Semper, der sich als Architekt in Dresden bereits einen Namen gemacht hatte, die ihm angebotene Professur 1854 an. Kurz darauf erhielt er den Auftrag, ein Projekt für das Schulgebäude von Polytechnikum und Universität auf dem ehemaligen Schanzengelände gegenüber dem neuen Kantonsspital auszuarbeiten. 1859-64 wurde der funktional gegliederte, über der Stadt thronende Neurenaissance-Bau mit vorgelagerter Terrasse und selbständigem Chemiegebäude an der Rämistrasse nach Sempers Plänen von Staatsbaumeister Johann Caspar Wolff (1818-91) realisiert.

ETH
Erhöhte Lage und zur Stadt orientierte Hauptfassade manifestieren die Bedeutung der ETH für Zürich und den Bundesstaat. Foto um 1905.

Die Fassaden der geschlossenen, viergeschossigen Vierflügelanlage mit zentralem Hof werden durch Mittelrisalite mit Eingängen und Treppenhäusern sowie Eckrisalite an den Längsseiten gegliedert. Die beiden unteren Geschosse sind durch die Rustikaquaderung zu einem mächtigen Sockel zusammengebunden. Darüber reihen sich die je nach Funktion des Gebäudeteils die unterschiedlich ausgebildeten Fensterachsen der beiden oberen Stockwerke. Im Westtrakt befanden sich die Lehrräume des Polytechnikums und hinter der Repräsentationsfassade des Mittelrisalits gegen die Stadt die Halle des Haupteingangs sowie die Räume der Schulleitung und die Aula.

ETH Semper-Bau
Die plastische Neurenaissance-Blendarchitektur des Mittelrisalits verleiht der Hauptfassade repräsentativen Charakter.

Der nördliche Flügel beherbergte die Zeichen- und Übungsräume – die von Semper entworfene Sgraffito-Dekoration der Fassade nimmt darauf Bezug – , der östliche die Sammlungen und der südliche die Universität. Im Zentrum der Anlage unterteilte eine eingeschossige Halle für die Antikensammlung den Hof und machte damit die humanistische Verwurzelung der technischen Ausbildung deutlich. Die von Semper geplante Ausmalung der repräsentativen Durchgangsräume ist nie ausgeführt worden. Einzig die Wand- und Deckengestaltung der Aula wurde vollständig nach seinen Vorgaben realisiert.

ETH Aula
Entwurf Sempers von 1865 für die Gestaltung der Aula: An der Wand hinter Rednertribüne und korinthischer Kolonnade Triumphbogenmotiv und mythologische Malereien.

Das starke Wachstum der Hochschule, technische Mängel am Bau und der Auszug der Universität in Karl Mosers 1914 eingeweihten Neubau, führten 1915-24 zur umfassenden Erneuerung und Erweiterung der Schulanlage nach Plänen von Gustav Gull: Das Chemiegebäude wurde abgebrochen, der Semper-Bau durch die L-förmige Verlängerung des südlichen und des nördlichen Flügels bis an die Rämistrasse erweitert und der alte Osttrakt durch einen wesentlich breiteren Gebäudeflügel mit diesen um ein Geschoss überragender, Kuppel bekrönter Mittelrotunde ersetzt. In deren über die Fassade vorspringendem Halbrund befindet sich hinter ionischen Kolossalsäulen das Auditorium Maximum, darüber die Bibliothek, darunter die Halle mit dem auf den neu entstandenen Vorhof zwischen Nord- und Südflügel gehenden Haupteingang. Die beiden Gebäudeflügel nehmen in den Risaliten gegen die Rämistrasse die ionischen Kolossalsäulen der Rotunde auf und rahmen mit vorspringenden, die Fassadenflucht der Risalite verlängernden Arkaden den Strassenraum und den Vorhof. Durch die axialsymmetrische, monumental wirkende, barocken Schlossanlagen ähnliche Komposition hat Gull das ETH-Gebäude von der Stadt zur Rämistrasse umorientiert.

ETH Rämistrasse
Die neue Hauptfront der ETH gegen die Rämistrasse. Foto vor 1938.

Anstelle der Antikenhalle setzte Gull eine über die ganze Gebäudehöhe reichende Halle zwischen die neu in die Höfe eingebauten Auditorien. Das komplexe Raumgefüge geschickt gestaffelter und verschränkter Arkaden und Kolonnaden öffnet die grosse Halle zu anderen Räumen, schafft Zonen unterschiedlichen Lichts und nimmt dadurch der Architektur die Schwere.

ETH Halle
Gulls Halle mit den Erschliessungsalerien und-emporen. Foto um 1943.

Unter den dem Semper-Bau angeglichenen Oberflächen aus Kunststein und Neurenaissance-Formen verbarg Gull das moderne Baumaterial, den Eisenbeton, der auch für die ursprünglich betonsichtig geplante Kuppel benützt wurde.

ETH Kuppelkonstruktion
Die sichtbare Betonaussenschale der Betonrippenkuppel mit kassettierten Füllungen wurde auf öffentlichen und politischen Druck mit Ziegeln verkleidet. Foto um 1971.

1964-77 wurde das ETH-Gebäude nach Plänen der Professoren Charles-Edouard Geisendorf (1913-85) und Alfred Roth (1903-98) nochmals erweitert, unter anderem durch die Hörsaaleinbauten in den beiden Innenhöfen und die Grossmensa unter der neuen Polyterrasse. O.C.   

Universität Zürich, Rämistrasse 71

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 01/02/2022 - 05:27

Nach dem Umsturz 1830 leiteten die Liberalen zur langfristigen Sicherung von Wohlstand und Demokratie eine umfassende Bildungsreform ein, zu der neben dem Ausbau der Volksschule auch die Gründung von Kantonsschule (Gymnasium) und Universität gehörten. 1833 nahm die Universität ihren Betrieb in Gebäuden der Fraumünsterabtei, dann im Hinteramt an der Augustinergasse auf. Erst 1864 erhielt sie im Südflügel der von Gottfried Semper für das Eidgenössische Polytechnikum (seit 1905 ETH) erbauten Anlage ein eigenes Schulgebäude. Das starke Wachstum der Universität führte seit 1897 zu Diskussionen über einen Neubau, doch erst nach der Standortwahl im Künstlergüetli auf dem ehemaligen Schanzengelände südlich der ETH und der Definition des Bauprogramms 1907, wurde in einem Architekturwettbewerb das Projekt von Curjel & Moser 1908 zur Ausführung bestimmt.

Künstlergüetli
Für den Bau der Universität abgebrochenen (von rechts): Gustav Wegmanns Ausstellungsbau der Künstlergesellschaft, das Restaurant „Künstlergüetli“ und die Blinden- und Taubstummenanstalt. Foto 1900.

Der 1911-14 realisierte Entwurf sah eine geschickt ins abfallende Gelände eingepasste, asymmetrische Anlage aus den zwei seitlich verschobenen Baukörpern des viergeschossigen Kollegiengebäudes und des dreigeschossigen Biologischen Instituts vor, deren Schnittstelle der stadtseitig 65 Meter hohe, in der Höhe gestaffelte, die Stadtsilhouette prägende Turm markiert.

Universität
Der sich von der symmetrischen Anlage der ETH abhebende, vor der Augenklinik frei ins Gelände eingepasste Gebäudekomplex der Universität. Jenseits der Rämistrasse das alte Kantonsspital. Foto um 1937.

Technisch bestimmen moderne Materialien – Eisenbeton, Stahl, Glas und Leimbinder – den Bau, optisch dominieren Verblendungen aus Verputz, Natur- und Kunststein sowie eine ausserordentlich reiche, mittelalterliche und barocke Elemente aufnehmende Jugendstil-Ornamentik. anz im Sinn des Jugendstils hat Karl Moser – wie im Fall des Kunsthauses – Aussenraum, Architektur, Bauschmuck (Skulptur und Malerei), Beleuchtungskörper und Mobiliar zu einem Gesamtkunstwerk gestaltet.

Universität Eingangshalle Künstergasse
Modifiziert umgesetzte Studie Karl Mosers für die Ausgestaltung der Eingangshalle zum Turm, um 1912.

Gartenterrasse, Bassins und Baumreihen, dazwischen die mit Treppen und Skulpturen dramatisch inszenierten Zugänge zu den plastisch kräftig gegliederten Haupteingängen, rahmen den Gebäudekomplex, dessen stark durchfensterte, über der Sockelzone von pilasterartig ausgebildeten Pfeilern gegliederte Fassaden mit darüberliegenden Mansardenwalmdächern der barocken Schlossarchitektur verpflichtet sind.

Universität Kollegiengebäude
Schlossartig wirkende Fassade gegen die Rämistrasse mit dem mit Treppen, Balustraden, Skulpturen und Kandelabern möblierten Vorplatz.

Das Kollegiengebäude umschliesst einen grossen Lichthof mit Glasbedachung, den sogenannten „Göttergarten“, auf den sich die umlaufenden, mit Kreuzgewölbe und romanisierenden Säulen an klösterliche Kreuzgänge erinnernden Wandelhallen in Arkaden öffnen. Gegen die Rämistrasse öffnet sich der Eingang im halbrund vorspringenden Vorbau, der hinter Kolossalarkaden die Aula, in der Winston Churchill am 19. September 1946 für ein vereintes Europa eintrat, und darunter den Grossen Hörsaal beherbergt. Gegenstück sind die im Halbkreis in den Lichthof ragenden Arkaden des zweiarmig-dreiläufigen Treppenaufgangs zur Aula.

Universität Lichthof
Der Lichthof des Kollegiengebäudes als Ausstellungsraum für die ursprünglich in Sempers Halle in der ETH aufgestellten Gipsabgüsse antiker Statuen. Foto 1914.

Gegen die Künstlergasse wird der Eingang zum Turm durch einen viergeschossigen, von der Tudor-Gotik inspirierten Scheinerker und einen vorgelagerten Säulenportikus markiert. Auch das ehemalige Biologische Institut umschliesst einen Lichthof mit Glasbedachung, in dem die zoologische Sammlung ausgestellt ist und über dem seit 1991 der von Ernst Gisel entworfene, auf vier Pfeiler abgestützte Hörsaal schwebt. Der von monumentalen, durch ein vorspringendes Bogendach verbundenen Doppelsäulen flankierte Eingang ist als Gegenstück des Treppenaufgangs zum Südportal der ETH gestaltet.

Universität Eingang Biologiegebäude
Floreale Formen schmücken den Eingang zum Biologischen Institut.

Obwohl bereits Karl Moser gleich nach Abschluss der Bauarbeiten mehrere Erweiterungsideen entwickelte, so z.B. 1917 das Projekt einer achsensymmetrischen Verdoppelung der Anlage Richtung „Schanzenberg“, ist das Universitätsgebäude mit Ausnahme der von Moser entworfenen Möblierung bis heute weitgehend unverändert erhalten geblieben.

Karl Moser Erweiterungsprojekt Universität
Erweiterungsprojekt für die Universität. Tagebuchnotiz Karl Mosers, 1916.

Neben Ernst Gisels Hörsaaleinbau, stellt der der Neubau der seit 1914 vom Zürcher Frauenverein betriebenen Mensa unterhalb des Kollegiengebäudes 1968/69 nach Plänen von Werner Frei den grössten Eingriff dar. 2001/02 wurde sie im Zusammenhang mit dem Einbau eines unterirdischen Hörsaals durch Gigon/Guyer grundlegend erneuert, ihr Dach begrünt und die Liegewiese vor dem Kollegiengebäude durch ein rosafarbenes Wasserbecken ersetzt. O.C. 

Ehem. Schulgebäude der Haushaltungsschule Zürich, Zeltweg 21a

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 12/16/2021 - 04:28

1909-11 liess der 1885 gegründete, den Prinzipien der Hilfe zur Selbsthilfe und der unterschiedlichen Geschlechterrollen verpflichtete „Gemeinnützige Frauenverein Zürich“, der sich vielseitig für Frauenanliegen einsetzte und seit 1897 zahlreiche Kinderkrippen aufgebaut hatte, das Schulgebäude für die Haushaltungsschule am Zeltweg errichten.

Zeltweg 21a Gruppenbild
Schülerinnen mit ihren Lehrerinnen vor dem Eingangsportikus um 1911.

Das 1896 eröffnete, zunächst im Wohnhaus „Morgenthal“ an der Gemeindestrasse 11 untergebrachte Seminar für Haushaltslehrerinnen entwickelte sich zu einer eigentlichen Haushaltungsschule mit einem breiten Lehrangebot. Ab 1911 wurden im neuen Schulhaus neben Haushaltslehrerinnen auch Hausbeamtinnen ausgebildet und Kurse angeboten, die junge Frauen auf ihr Leben als Hausfrau und Mutter vorbereiten sollten.

Zeltweg 21a Treppenhaus
Treppenhaus und Aufenthaltsbereich. Foto um 1911.

Das von Robert Zollinger (1856-1939) entworfene, an ein Palais des 18. Jahrhunderts erinnernde Schulhaus ist ein typischer Schulbau des Heimatstils. Grosse Fenster dominieren in einem strengen Raster aus Lisenen und Brüstungsfeldern die Fassaden, über denen sich ein mächtiges, von einem Dachreiter bekröntes Mansardenwalmdach erhebt. Reliefs schmücken den Portikus am Eingang.

Zeltweg 21a
Über den beiden hohen, stark durchfensterten Unterrichts- und Verwaltungsgeschossen befinden sich Wohnmansarden im Dachraum.

Ab Ende der 1960er Jahre erfuhr die Haushaltungsschule zahlreiche Umstrukturierungen und wurde schliesslich 2002 in die Pädagogische Hochschule integriert.Das Gebäude wird seit 2013 für den Instrumentalunterricht der Kantonsschule Rämibühl genutzt. O.C.

Otto Schlaginhaufen (1879-1973), Sozialanthropologe

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 12/05/2021 - 11:06

In St. Gallen als Sohn eines „Warenagenten“ in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen geboren, besuchte Otto Schlaginhaufen 1894-97 die Kantonsschule in Zürich, wo er auch das Studium am 1899 neu gegründeten, ersten schweizerischen Institut für Anthropologie bei Professor Rudolf Martin (1864-1925) aufnahm. Martin, an der Ecole d’Anthropologie in Paris beim Chirurgen und Anatomen Paul Broca (1824-80) ausgebildet, verstand die Anthropologie als naturwissenschaftliche, auf Messungen beruhende Disziplin mit der Aufgabe, im Sinne Darwins die Stammesgeschichte des Menschen im Gesamtzusammenhang der Naturgeschichte zu erforschen. Dabei ging er davon aus, dass sich durch Vererbung verschiedene Rassen ausgebildet hätten, deren psychische und geistige Eigenschaften mit bestimmten körperlichen Merkmalen, wie z.B. Schädelform und Hirnvolumen, Hand-, Fuss- und Beckenform, korrelierten. In seiner Dissertation, einer vergleichenden Studie über Fuss- und Handabdrücke von 51 „westafrikanischen Negern“, die 1903 im Zürcher Panoptikum zu sehen waren, 82 Europäern, einigen Asiaten und Affen kam Schlaginhaufen zum Schluss, dass die „westafrikanischen Neger“ in der menschlichen Stammesgeschichte eine Mittelstellung zwischen Affen und Menschen einnähmen. Als Assistent am Anthropologischen Institut widmete er sich vor allem der Verbesserung der Instrumente für Schädelvermessungen, bis er 1905 eine temporäre Anstellung am Völkerkundemuseum in Berlin erhielt. Dessen Direktor Felix von Luschan (1854-1924) übertrug ihm die Inventarisierung der Schädelsammlung des Pathologen und Anthropologen Rudolf Virchow (1821-1902) und führte ihn in den Kreis damals führender deutscher Rassenhygieniker, wie etwa Ernst Haeckel (1834-1919) und Alfred Ploetz (1860-1940), ein.

Deutsch Guinea 1914
Karte Deutsch-Guineas 1914. Deutsches Koloniallexikon, Leipzig 1920.

1907 warb ihn Felix von Luschan für die „Deutsche Marine-Expedition“ nach Neu-Mecklenburg und im Bismarck-Archipel vom Anthropologisch-ethnografischen Museum in Dresden ab. Die Forschungsexpedition sollte von der westlichen Zivilisation noch weitgehend unberührte melanesische Bevölkerungsgruppen anthropologisch untersuchen und Zeugnisse ihrer Kultur für das Berliner und Dresdner Museum sammeln, bevor sie als Folge von Kolonisation und Zivilisierung untergehen würde.

Gruppenportrait (Forschungsreise durch Deutsch-Guinea 1909)
Otto Schlaginhaufen in Paup mit Eingeborenen während der Forschungsreise durch Deutsch-Guinea, 1909.

Aufgrund ihrer körperlichen Eigenschaften und ihrer Kultur galten die Melansier als noch primitiver als die Schwarzen Afrikas und daher als geeignet für einen Blick in die Frühzeit der menschlichen Species. Als Mitglied des zunächst vierköpfigen Forscherteams verbrachte Schlaginhaufen zwei Jahre im südlichen Teil Neu-Mecklenburgs –  überwiegend in Muliama – und auf Papua, führte an 1200 Einheimischen Vermessungen durch, notierte Beobachtungen zu Sprache, Kultur, Natur und Geografie, zeichnete, fotografierte, machte Tonaufnahmen mit dem Phonographen, erwarb 420 Schädel Verstorbener und sammelte Hunderte von Objekten.

Audio file
Aus den Aufzeichnungen Otto Schlaginhaufens in Deutsch-Guinea 1907/08.

Nach seiner Rückkehr präsentierte das Dresdner Museum 1910 das Material in einer Ausstellung. Bereits im folgenden Jahr trat Schlaginhaufen die Nachfolge seines aus gesundheitlichen Gründen zurückgetretenen Lehrers Rudolf Martin als Professor für Anthropologie an der Universität Zürich an.

Otto Schlaginhaufen
Otto Schlaginhaufen. 1914.

Ganz im Trend der damaligen rassehygienischen und eugenischen Debatte, die die natürliche Selektion durch Zivilisation und Humanität eingeschränkt und dadurch den Fortbestand des Volkes durch Dekadenz (tiefe Geburtenrate), Entwurzelung (Alkoholismus) und Verfremdung (sinkende Qualität des Erbguts) gefährdet sah, positionierte er sich als Sozialanthropologe: Er forderte eine systematische Vererbungsforschung und rassenkundliche Untersuchung der Schweizer Bevölkerung als wissenschaftliche Grundlage eugenischer Massnahmen. Darin bestätigt sah er sich durch die negative Selektionswirkung des 1. Weltkriegs, der die Kampffähigen dezimiere, während die Untauglichen zuhause überlebten.

Audio file
Vortrag Otto Schlaginhaufens an der Jahresversammlung des Zürcher Hochschulvereins in Horgen über Sozialanthropologie und Krieg im Herbst 1915.
Anthropologisches Institut 1936
Kurslaboratorium des Anthropologischen Instituts der Universität im Stockargut (Künstlergasse 15), 1936.

Schlaginhaufens Anliegen teilte der Ingenieur und Industrielle Julius Klaus (1849-1920) aus Uster, der sein Vermögen testamentarisch der „Julius Klaus-Stiftung für Vererbungsforschung, Sozialanthropologie und Rassenhygiene“ vermachte und Otto Schlaginhaufen als Präsident auf Lebenszeit einsetzte. Die Stiftung sollte die Forschung auf dem Gebiet der Vererbungslehre und darauf aufbauend konkrete rassenhygienische Massnahmen fördern. In den folgenden drei Jahrzehnten konnte Schlaginhaufen nicht zuletzt dank der beträchtlichen Mittel der Stiftung sein Universitätsinstitut zum Zentrum der schweizerischen sozialanthropologischen und eugenischen Forschung machen. So finanzierte die Stiftung z.B. seine 1927-33 an 35'400 Schweizer Rekruten durchgeführten anthropologischen Untersuchungen, deren Auswertung ihn zum Schluss führten, dass die Schweizer keine eigene Rasse, sondern ein rassisch vielfältig gemischtes Volk seien.

Rekrutenvermessung
Rekrutenvermessung im Rahmen von Schlaginhaufens sozialanthropologischen Projekt auf der Suche nach einer alpinen Rasse, um 1930.

Er war zudem in der nationalen und internationalen Community der Rassenhygieniker bestens vernetzt: 1920 war er einer der Mitbegründer der „Schweizerischen Gesellschaft für Anthropologie“ und der populärwissenschaftlichen, sozialhygienische und eugenische Forderungen vertretenden Zeitschrift „Natur und Mensch“, 1923 wurde er Mitglied der „Deutschen Gesellschaft für Vererbungswissenschaft“, 1926 der „Deutschen Gesellschaft für Blutgruppenforschung“, seit 1927 engagierte er sich in der „International Federation of Eugenic Organisations“. Nach 1933 war die Kooperation deutscher Anthropologen mit den Nationalsozialisten für Schlaginhaufen kein Grund, sich von ihnen zu distanzieren oder von ihnen dominierte Tagungen zu meiden. Konsequent gab er sich unpolitisch und beanspruchte den Status reiner Wissenschaftlichkeit. Gleichzeitig unterstützte die Julius Klaus-Stiftung etwa die Propagierung der Erbverantwortung Heiratswilliger durch die Zentralstelle für Ehe- und Sexualberatung oder die Vererbungsforschungen Eugen Bleulers (1857-1939), der die von seinem Vorgänger Auguste Forel (1848-1931) 1886 erstmals in Europa an der Psychiatrischen Universitätsklinik Burghölzli durchgeführte, seit 1900 in der Schweizer Psychiatrie verbreitete Sterilisierung von Geisteskranken aus sozialen und eugenischen Gründen grosszügig praktizierte. Die Schweizerische Landesausstellung 1939 bot Schlaginhaufen die Gelegenheit, die Ergebnisse seiner Rekrutenstudie zu präsentieren, die ganz zum Volkskonzept der Geistigen Landesverteidigung passten.

Landi Schweizer Volk
Das Schweizer Volk in Bildern an der Landi 1939. Die Julius Klaus-Stiftung unterstützte die Herstellung der Fotos verschiedener Schweizer Rassetypen, der "charakteristischen Schweizerköpfe", für die Abteilung "Volk und Heimat" an der Landesausstellung finanziell.

Nach dem 2. Weltkrieg war das noch aus dem 19. Jahrhundert stammende anthropologische Rassekonzept durch die planmässige NS-Ausrottungspolitik diskreditiert und durch die aufkommende medizinische Genetik und die Molekularbiologie methodisch überholt, doch Schlaginhaufen und die Julius Klaus-Stiftung sahen sich weder zu einer klärenden Stellungnahme noch zu Veränderungen ihrer Arbeitsfelder und -methoden veranlasst. Erst mit Schlaginhaufens Emeritierung 1951 kam es zu einer Neuorientierung des Instituts für Anthropologie, die sich auch in der Ausquartierung des Büros der Julius Klaus-Stiftung und der Schädelsammlung des Professors an die Gemeindestrasse 5 manifestierte. Räumlich und personell abgeschnitten vom aktuellen Forschungsbetrieb verloren die Stiftung und ihr Präsident bis zu dessen Rücktritt 1968 immer mehr ihre einstige Bedeutung. Danach fand die Stiftung wieder den Anschluss an die Zeit. 1971 wurden die Statuten überarbeitet und die Stiftung in „Julius Klaus-Stiftung für Genetik und Sozialanthropologie“ umbenannt. O.C.

Gottfried Semper (1803-79), Architekt und Publizist

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 20:09

In Altona (Hamburg) in einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie geboren, studierte Gottfried Semper in Göttingen, München und Paris. Durch Beobachtungen auf seiner Grand Tour durch Italien und Griechenland 1830-34 konnte er den Streit um die Frage, ob antike Architektur und Skulptur einfarbig oder bunt gewesen seien, zugunsten der Polychromie entscheiden.

Semper Polychromie
Sempers Rekonstruktion der farblichen Fassung des Gebälks des Athener Parthenons in der Schrift „Anwendung der Farben in der Architektur und Plastik des Alterthums … und des Mittelalters“. Kolorierte Lithografie, Dresden 1836.

1834-49 wirkte er als Architekturprofessor an der Akademie in Dresden, wo er unter anderem mit dem Bau des Hoftheaters (1836-41) Aufsehen erregte. Nach der Niederschlagung der Revolution 1849 floh Semper nach London. Richard Wagner, der Dresden 1849 ebenfalls verlassen musste und nach Zürich emigrierte, empfahl Semper mit Erfolg als Professor für das 1854 neu gegründete Eidgenössische Polytechnikum (seit 1905 ETH). Während seiner Zürcher Jahre 1855-71 baute Semper unter anderem den Kern das Hauptgebäudes der ETH (1859-64, mit Johann Kaspar Wolff), die Eidgenössische Sternwarte (1861-64), das Wohn- und Geschäftshaus Fierz (1865-67) sowie das Stadthaus in Winterthur (1865-69, durch einen Anbau 1932-34 stark beeinträchtigt).

Semper Stadthaus Winterthur
Semper gestaltete das Winterthurer Stadthaus als Monument der kommunalen Autonomie, indem er die Tempelfront des Haupteingangs auf ein hohes Podium mit doppelläufiger Freitreppe stellte. Foto 1904.

Auch nicht realisierte Projekte hinterliessen Spuren, wie etwa der Entwurf für den Bahnhof der NOB in Zürich 1861. Durch seine Lehrtätigkeit prägte er eine ganze Generation von Zürcher Architekten (ca. 220 Schüler), die im Stil der Semper‘schen Neurenaissance weiterbauten.

Semper Bahnhofprojekt 1861
Im Auftrag Alfred Eschers baute Jakob Friedrich Wanner (1830-1903) 1865-71 den Bahnhof der NOB (heute Hauptbahnhof) unter Verwendung von Sempers Projekt von 1861, das eine am Vorbild römischer Thermen orientierte Bahnhofhalle vorsah. Gottfried Semper, Projektzeichnung 1861.

Von grossem Einfluss waren auch seine Schriften, so das 1860-63 erschienene Hauptwerk Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Ästhetik, auf das später die niederländische Bewegung de Stijl direkten Bezug nahm. 1871-76 wirkte Semper bei der Erweiterung der kaiserlichen Hofburg in Wien (Neue Burg, Hofmuseen und Burgtheater) mit. In den letzten Lebensjahren konzentrierte er sich auf die Fertigstellung der Oper in Dresden (heute Semper-Oper), nachdem das von ihm errichtete Hoftheater 1869 abgebrannt war. O.C.

Gottfried Semper.

Gottfried Semper. Foto 1865.

Kantonsschule Rämibühl

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:50

Die hohe Geburtenrate seit Anfang der 1940er Jahre, die in Zeiten des Wirtschaftswunders nach dem 2. Weltkrieg wachsende Nachfrage nach akademisch geschulten Arbeitskräften und der Umstand, dass nur die Städte Zürich und Winterthur (seit 1859) über Maturitätsschulen verfügten, veranlassten die Zürcher Regierung seit 1951 schrittweise zu einer Strategie des Ausbaus und der Dezentralisierung des Mittelschulwesens überzugehen. Durch den Bau von Kantonsschulen auf dem Land sollten regionale Chancenungleichheiten beseitigt, Begabungsreserven besser ausgeschöpft und die Landflucht gebremst werden. 1952 hiess das Volk die Gründung der Kantonsschule Zürcher Oberland gut, die 1955 in Wetzikon den Betrieb aufnehmen konnte. Der Raumnot der Stadtzürcher Kantonsschule (Alte und Neue Kantonsschule) sollte durch den Bau einer neuen Schulanlage für die Handelsschule und einen Teil des Realgymnasiums auf dem Freudenbergareal in der Enge sowie einen Neubau auf dem Rämibühlareal für den anderen Teil des Realgymnasiums, das Literargymnasium und die Oberrealschule (heute MNG) begegnet werden. Bis 1959 wurde das Projekt der Kantonsschule Freudenberg, deren Gebäude 1956-61 nach Plänen von Jacques Schader entstanden, verwirklicht.

Rämibühl Kataster Neuenschwander

Von Eduard Neuenschwander um Höhenlinien und Baumbestand ergänzter Katasterplan des Villenareals am Rämi, 1961.

Der im gleichen Jahr ausgeschriebene Planungswettbewerb für eine Kantonsschule auf dem 40‘850 m2 grossen Villenareal am Rämi beim „Sonnenbühl“, für das der Rektor des Realgymnasiums kurz zuvor die Bezeichnung „Rämibühl“ eingeführt hatte, gab als Bauprogramm für die drei Schulen mit rund 1750 Schülern zwei getrennte Schulhäuser, einen gemeinsam genutzten Naturwissenschaftstrakt, eine Turnanlage mit drei Hallen und Sportplätzen im Freien, eine Mensa sowie eine Aula bei möglichst weitgehender Schonung des alten Baumbestands vor. Eingereicht wurden 69 Projekte. Im August 1960 schlug das Preisgericht dem Regierungsrat vor, Eduard Neuenschwander mit der Weiterbearbeitung seines erstrangierten Projekts zu beauftragen.

Neuenschwander Rämibühl Modell

Modell des überarbeiteten Projekts der Kantonsschule Rämibühl von Eduard Neuenschwander, 1965.

KS Rämibühl - Luftaufnahme

Luftaufnahme der Kantonsschule Rämibühl von Süden, 1970.

Angesichts der hohen Kosten setzte dieser von Anfang an auf die Rationalisierung der Materialbeschaffung und des Bauablaufs sowie auf die Reduktion auf das funktional und konstruktiv Notwendige. Nachdem die Rämibühl-Vorlage am 25. Januar 1965 im Kantonsrat mit 122 zu 3 Stimmen verabschiedet worden war, musste sich das Vorhaben in der Öffentlichkeit gegen erheblichen Widerstand durchsetzen. Die Gegnerschaft bezog sich vor allem auf drei Punkte: die Kosten, den Standort und die Zerstörung des historischen Villenquartiers. So wurde argumentiert, die Baukosten seien viel zu hoch und würden zudem die Realisierung der weiteren Dezentralisierung des Zürcher Mittelschulwesens in Frage stellen. Mit dem Schlagwort „der falschen Schule am falschen Ort“ wurde der Anspruch der Universität auf das Rämibühlareal untermauert. Diese solle nicht im Strickhof, sondern im Hochschulquartier erweitert werden. Mit diesen Überlegungen verband sich teilweise auch die Kritik am Abbruch der Villen und am massiven Eingriff in die historisch gewachsene Parklandschaft.

Villenquartier am Rämibühl
Blick auf Villen und Gärten auf dem späteren Rämibühl. Luftaufnahme von Eduard Spelterini, 1903.

Die dem Komitee der Gegner mit einem eigenen Aktionskomitee begegnenden Befürworter des Projekts, allen voran die drei Schulleitungen und die Schülerschaft, engagierten sich mit grossem Einsatz im Abstimmungskampf und vermochten schliesslich – nicht zuletzt dank eines Schweiz weit Aufsehen erregenden Demonstrationszugs am 13. Mai – die Stimmbürger knapp von der Notwendigkeit des Neubaus zu überzeugen. So wurde das Projekt am 16. Mai 1965 mit 77‘276 gegen 70‘383 Stimmen angenommen. Nach dem Abbruch der Villen 1966 konnte mit dem Bau der Schulanlage begonnen werden, die im Herbst 1970, ein halbes Jahr früher als geplant, fertig gestellt war. O.C.

Video file
Fernsehen SRF, Antenne vom 12. Mai 1965 zur Rämibühl-Abstimmung. Erhaltenes Beitragsfragment.

Alte Kantonsschule, Rämistrasse 59

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:36

Mit dem nach der liberalen Revolution 1832 vom Grossen Rat beschlossenen Unterrichtsgesetz wurde die obligatorische Volksschule eingeführt und die Rechtsgrundlage geschaffen für die Gründung der Kantonsschule und der Universität. So nahm die Kantonsschule Zürich 1833 den Schulbetrieb in zwei selbständigen Abteilungen auf: dem neuhumanistischen Gymnasium (heute Real- und Literargymnasium) und der berufsbildenden Industrieschule (heute MNG Rämibühl). Bis zum Bau eines neuen Schulgebäudes für 300 bis 400 Schüler auf dem Rämibollwerk 1839-42 war die Kantonsschule im alten, 1844 abgebrochenen Stiftsgebäude beim Grossmünster untergebracht. Lange umstritten waren Standort und Architekturstil des Schulhausneubaus. Der schliesslich beauftragte Gustav Albert Wegmann nutzte die prominente Lage auf dem einstigen Bollwerk zur machtvollen Inszenierung des liberalen Bildungsgedankens und des neuhumanistischen Bildungsideals. Erschlossen wird der gesockelte, viergeschossige, klassizistische Kubus mit einem von Blechzinnen verdeckten, zum Innenhof geneigten Pultdach talwärts von einer breiten Freitreppe, die vom Exerzier- und Turnplatz (heute Erweiterungsbau des Kunsthauses) zum Schulgebäude hinaufführte.

Alte Kantonschule

Alte Kantonsschule mit Turnschopf, Turnplatz und Wolfbach-Bassin, Zeichnung von Siegfried, um 1849. Koloriertes Aquatintablatt, erschienen bei Heinrich Füssli & Cie., 1850.

Der dem Bau zugrunde liegende Raster von acht mal sieben bis auf die Portale identischen Fensterachsen wird in der strengen, nur sparsam mit dekorativen Terracotta-Elementen belebten Geometrie der Fassaden- und Fenstereinteilung sichtbar. Die Schulzimmer sind um einen Innenhof angeordnet, der für die Belichtung der Korridore sorgt. Als Vorbild für die Gesamtform, die Stockwerkzahl, die Fassadengliederung sowie für die Grösse und Form der Fenster dieses Pioniers des Schulhausbaus diente Wegmann die 1832-35 von Karl Friedrich Schinkel als Sichtbacksteinbau errichtete Bauakademie in Berlin. Nicht übernommen hat Wegmann Konstruktion und Material seines Vorbilds. Da Ziegel in Zürich um 1840 noch nicht in der erforderlichen Qualität produziert wurden und der Regierungsrat verputzte Mauerflächen wünschte, wählte Wegmann die traditionelle Holzsprengwerkkonstruktion. O.C.

Alte Kantonschule

Alte Kantonsschule, Südfassade mit vorgelagerter Freitreppe.

Kantonsschule Rämibühl - Schulhäuser (MNG, LG/RG)

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:20

Die parkseitigen Fassaden der beiden Schulhäuser konzipierte Eduard Neuenschwander als Wald mächtiger, in freiem Rhythmus vor- und zurückspringender Betonpfeiler, die durch den filigran wirkenden Aluminiumraster der Fensterquadrate und die durchlaufende, vorkragende Brüstung der Pflanztröge der Dachterrasse verbunden sind. Belebt wird der Fensterraster durch die die Geschossböden markierenden Bänder und die im höheren Eingangsgeschoss und im untersten Geschoss zurückgenommene Fensterfront. Die zurückversetzten Dachaufbauten sind nur teilweise sichtbar und haben keinen entscheidenden Einfluss auf das Erscheinungsbild der 102m und 146m langen Fassaden. Umso wichtiger ist die von Neuenschwander arrangierte Geländemodulierung vor der Fassade. Indem er den Fuss der Gebäude hinter einer Geländewelle verschwinden lässt, reduziert er optisch die Höhe des Baus und lässt ihn förmlich aus dem Boden wachsen.

Rämibühl LGRG

Pfeilerwald und Fensterraster der Südfassade des Schulgebäudes von LG/RG.

Während sich die talseitigen Fassaden von MNG und LG/RG – wie Neuenschwander es 1988 ausdrückte – „durch die bestehenden Landschaftsbestände winden“, sind die strassenseitigen, parallel zur Freiestrasse angeordneten Gebäudeteile einer rechtwinkligen Ordnung verpflichtet, in die auch die Turnanlage einbezogen ist. Auf dieser Seite bestimmen die Mauer- und Glasbausteinflächen der grossen, gestaffelten Kuben neben Partien mit Pfeilern und Fensterraster das Erscheinungsbild.

Schulgebäude von LG/RG

Kubische Formen der Nordfassade des Schulgebäudes von LG/RG.

Die unterschiedliche Fassadengestaltung resultiert nicht nur aus dem Bezug zur Umgebung, sondern korrespondiert auch mit der Funktion der Räume im Innern. Die von Neuenschwander verwendete Skelettbautechnik gewährleistet die vom Wettbewerbsprogramm geforderte Flexibilität der Grundrisse. Über Betonunterzüge sind die Fassadenpfeiler mit Pfeilerreihen verbunden, die in Zimmertiefe den Fassaden folgen und die ihrerseits untereinander mit einem Betonträger verbunden sind. Die Flurzone, wo der frei gestaltete und der orthogonal geordnete Bereich aufeinandertreffen, wird von einer Betonplatte überspannt, deren Last in den breiteren Zonen durch einzelne, frei im Raum stehende, scheibenartig ausgebildete Betonstützen zusätzlich aufgefangen wird. Dadurch, dass der Beton roh belassen ist, ist das tragende Gerüst des Baus sichtbar. Aus Beton sind auch die zum Flurbereich hin offenen Treppenhäuser. Auf der rauen Oberfläche der vor Ort geschalten und gegossenen Elemente zeichnen sich Holzstruktur und unterschiedliche Schalungsrichtungen ab.

1. Obergeschoss des MNG

Korridor im 1. Obergeschoss des MNG – Nahtstelle zwischen frei gestaltetem und orthogonal geordnetem Bereich.

In der Einbettung der Bauten in die umgebende Natur und im freien Umgang mit organischen und orthogonalen Formen zeigt sich der prägende Einfluss von Neuenschwanders Lehrer Alvar Aalto: Mit dem 1947-49 realisierten Studentenheim des MIT in Cambridge (USA) am Ufer des Charles River hat Aalto wohl Neuenschwanders Rämibühl-Entwurf inspiriert. Symbolisch nimmt die nach Süden zum Fluss orientierte, dreifach abgewinkelte, sanft ondulierende Front mit den Studentenzimmern Bezug auf den Strom. Die nördliche, kantig wirkende Fassade mit Studentenzimmern gegen Osten und Diensträumen gegen Westen folgt dem Verlauf der Südfassade nur bedingt. Dadurch öffnen sich in der dazwischen liegenden Korridorzone Aufenthaltsbereiche. O.C.

Aalto MIT Werk 1950
Abbildungen aus einem Artikel in der Architekturzeitschrift Werk aus dem Jahr 1950 (Bd. 37,4).