Bautechnik

Othmar H. Ammann (1879-1965), Ingenieur und Brückenbauer

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 03/10/2022 - 05:38

In Feuerthalen als Sohn eines Schaffhauser Hutfabrikanten geboren, studierte Othmar Ammann nach dem Besuch der Industrieschule in Zürich (heute MNG) 1897-1902 Bauingenieurwesen am Eidgenössischen Polytechnikum (heute ETH). Bei Brückenbaufirmen in Brugg und Frankfurt sammelte er erste praktische Erfahrungen, bevor er 1904 in die USA reiste, um dort seine Kenntnisse zu vertiefen. In New York fand er sofort eine Anstellung als Assistant Engineer für mehrere Eisenbahnbrücken im Ingenieurbüro von Joseph Mayer. Das rasante Bevölkerungswachstum der aufstrebenden amerikanischen Wirtschaftsmetropole und die sich abzeichnende Motorisierung des Strassenverkehrs führten zu einer gewaltigen Nachfrage nach Infrastrukturbauten – Eisenbahntrassen, Strassen, Brücken, Tunnels.

New York Brückenkarte
New York. Brücken Gustav Lindenthals: A Queensboro Bridge (1901-09), B Hell Gate Bridge (1912-16). Bauten Othmar Ammanns: 1 Goethals Bridge (1927-28), 2 Outerbridge Crossing (1927-28), 3 Bayonne Bridge (1928-31), 4 George Washington Bridge (1927-31), 5 Triborough Bridge (1929-36), 6 Bronx Whitestone Bridge (1937-39), 7 Throgs Neck Bridge (1957-61), 8 Verrazano Narrows Bridge (1959-64), 10 Lincoln Tunnel (1934-37), 10 Horace Harding Expressway (1957).
Hell Gate Bridge (1901-09).

In den folgenden Jahren arbeitete Ammann bei verschiedenen Stahlbaufirmen in Harrisburg, Chicago und Philadelphia. 1907 beauftragte ihn Frederic C. Kunz, neben Joseph Mayer einer der Spezialisten für Brücken mit grossen Spannweiten, mit der Bearbeitung der Werkpläne der vom österreichisch-amerikanischen Ingenieur Gustav Lindenthal (1850-1935) entworfenen Queensboro Bridge über den East River und delegierte ihn zur Untersuchung des Einsturzes der im Bau befindlichen Quebec Bridge über den Sankt-Lorenz-Strom. Der mustergültige Bericht empfahl Ammann für den Wiederaufbauentwurf der Brücke. 1912 stellte ihn Gustav Lindenthal, der damals bedeutendste Brückenbauer der USA, als stellvertretenden Chefingenieur ein und betraute ihn mit der Planung der Hell Gate Bridge über den East River, der mit 300 Metern Spannweite damals längsten Stahlfachwerkbogenbrücke. .

New York Hell Gate Bridge
Hell Gate Bridge (1901-09).

Nach dem kriegsbedingten Einbruch der Bautätigkeit 1917-19 arbeitete er an Lindenthals Projekt einer gigantischen, zweistöckigen Eisenbahn- und Strassenbrücke über den Hudson zwischen New Jersey und der 57. Strasse Manhattans. Da Ammann zur Überzeugung gelangte, dass Midtown Manhattan den Verkehr nicht aufnehmen könnte und der Bau nicht finanzierbar sei, kam es 1923 zum Bruch mit Lindenthal.

Lindenthal Brückenprojekt
Zeichnung der von Gustav Lindenthal geplanten zweistöckigen Brücke mit 20 Strassenspuren und 12 Eisenbahngeleisen. New York Tribune 14. August 1921.

In den folgenden zwei Jahren plante und lobbyierte Ammann in Eigenregie für das Projekt einer Hängebrücke auf der Höhe der 179. Strasse, die mit 1067 Metern Länge alle bisherigen Hängebrücken um mehr als das Doppelte übertreffen sollte. Für das bei Hängebrücken grosser Spannweite schwierige Problem der Versteifung des Tragwerks entwickelte er die Idee, Stabilität durch Gewicht und Massenträgheit von Aufhängung und Fahrbahn statt durch zusätzliche Versteifungen zu erreichen. Dadurch konnten gleichzeitig Material, Gewicht und Kosten eingespart und Spannweiten massiv erhöht werden. Dies entsprach ganz Ammanns Ideal grösst-möglicher Einfachheit, Funktionalität und dadurch auch höchster ästhetischer Qualität. 1925 konnte er sich mit seinem Projekt durchsetzen: Er wurde zum Chefingenieur der Port Authority of New York and New Jersey ernannt, der für die Infrastruktur verantwortlichen Behörde. In dieser Stellung begann er 1927 den Bau der George Washington Bridge. Als der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise nach 1929 Einsparungen erzwang, verzichtete er auf die ursprünglich geplante Verkleidung des Stahlfachwerks der Brückenpfeiler mit Betonplatten. Nicht zuletzt dadurch wurde das 1931 vom Gouverneur von New York, dem späteren US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, eingeweihte Bauwerk zur stilbildenden Ikone des modernen Brückenbaus. 

New York George Washington Bridge
George Washington Bridge (1927-31) im ursprünglichen Zustand. 1962 erweiterte Amman die Brücke um ein von Anfang an optional vorgesehenes unteres Fahrbahndeck.

Gleichzeitig mit der George Washington Bridge baute Ammann die Goethals Bridge, die Outerbridge Crossing und die Bayonne Bridge, die mit 504 Metern Länge damals längste Stahlfachwerkbogenbrücke. Sein Wissen und seine Erfahrung fasste er in einem Buch zusammen, das rasch zum Standardwerk des Brückenbaus wurde.

New York Bayonne Bridge
Bayonne Bridge (1928-31).

Ab 1934 fungierte Ammann auch noch als Chefingenieur der Triborough Bridge and Tunnel Authority unter Robert Moses (1888-1981), der in dieser Zeit zum bedeutendsten Stadtplaner New Yorks aufstieg. Moses hatte bereits in den 1920er Jahren angefangen ein System von Parkways um New York herum anzulegen und begann nun die Umgestaltung New Yorks zu einer autogerechten Stadt mit dem Bau von Stadtautobahnen und Brücken, denen teilweise ganze Stadtquartiere weichen mussten, umzusetzen. Für ihn plante Ammann unter anderem die Triborough und die Bronx Whitestone Bridge.

Ammann und Moses 1962
Othmar Amman (links) und Robert Moses im Jahr 1962.

Auch ausserhalb New Yorks war Ammann gefragt: So war er etwa 1931-37 als Berater auch massgeblich am Entwurf der Golden Gate Bridge in San Francisco beteiligt. Nach der Pensionierung 1939 tat er sich 1946 mit dem Betoningenieur Charles S. Whitney zusammen und gründete das weltweit tätige Büro Ammann & Whitney. Im Auftrag von Robert Moses realisierte der inzwischen in den Achtzigern Stehende 1959-64 die Verrazano Narrows Bridge zwischen Staten Island und Brooklyn. Mit dieser eleganten Brücke, deren Spannweite von 1298 Metern die der Golden Gate Bridge noch übertraf, krönte Ammann sein die städtebauliche Entwicklung New Yorks prägendes Wirken. O.C.

New York Verazzano Narrows Bridge
Verrazano Narrows Bridge (1959-64).
Video file
Spezialreportage der Schweizer Filmwochenschau zur Eröffnung der Verrazano Narrows Bridge vom 11. Dezember 1964.

Kantonsschule Rämibühl - Technik und Kunst am Bau

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:23

Jenseits des politischen Zwangs die Baukosten der Kantonsschule Rämibühl zu senken, hat der Architekt Eduard Neuenschwander Rationalisierung und Reduktion konsequent als gestalterische Prinzipien genutzt. Grundlegend war die Entscheidung, den Beton als Material der tragenden Strukturen nicht zu verputzen. Die darin zum Ausdruck kommende Vorliebe für rohen Beton als plastisch formbarem Material erinnert eher an Le Corbusier als an Aalto. Für die Herstellung der Betonteile wählte Neuenschwander die jeweils kostengünstigste Variante, so dass ganz unterschiedliche Oberflächen entstanden, zu denen Material, Form und Farbe der anderen Bauteile in Bezug gesetzt werden: Die industriell vorgefertigte Aussenhaut der Fassadenpfeiler der Schulhäuser mit glatter, homogener, nur durch die Fugen zwischen den einzelnen Elementen strukturierter Oberfläche korrespondiert mit den Aluminiumrahmen und den Glasflächen des Fensterrasters.

Fassade Technik und Kunst

Fassadenpfeiler des MNG mit glatter Oberfläche.

Ganz anders die vor Ort produzierten Teile des Gebäudeinneren mit ihrer rauen Oberfläche, auf der sich Holzstruktur und unterschiedliche Schalungsrichtungen abzeichnen, und die mit den rauh verputzten Backsteinwänden kommunizieren.

Pfeiler und Wand im Treppenhaus des MNG

Pfeiler und Wand im Treppenhaus des MNG mit Struktur der Rohschalung.

Vollends zum Instrument der Gestaltung wird die Schalung der Wandscheiben der Eingangsfront der Aula, in die Neuenschwander Schwartenbretter einlegen liess, so dass eine vertikal gerippte Oberfläche entstand.

Pfeiler und Wand im Treppenhaus des MNG

Wandscheibe der Aula-Hauptfront mit Relief der eingelegten Schwartenbretter.

Die Gebäudetechnik wird offen gezeigt und durch die Farbgebung thematisiert: Die graublauen Heizungsrohre sind nicht unter Putz gelegt, die orangeroten Lüftungskanäle in der Mensa nicht durch eine tiefer gehängte Decke versteckt.

Kunst und Technik MNG

Skulptural vor die Glasbausteinwand gesetzter Heizkörper im Treppenhaus des MNG.

Rämibühl Mensa Lüftungskanöle
Offen liegende, farblich akzentuierte Lüftungskanäle der Mensa.

Die serielle Produktion vieler Bauteile – Zimmertüren, Heizkörper, Lavabos, Stahlblechgarderobekästen, Beleuchtungskörper – , die Wiederkehr gleicher Motive, wie z.B. die zurückversetzten Haupteingänge mit Doppeltüren mit konkav geformtem Aluminium Türblatt, und die konsequente Verwendung der gleichen Materialien in analogem Kontext, lässt die Schulanlage als Einheit erscheinen. So wurde in sämtlichen Eingangshallen und Treppenhäusern, in der Mensa und der Aula ein Terrazzoboden eingebracht, in den Korridoren und Schulzimmern ein olivgrauer Nadelfilz, im Naturwissenschaftstrakt ein PVC-Belag. Zwischen den Trägern erhielten die Betondecken teilweise eine Dämpfung aus Holzfaserplatten. Dieser Logik wurde auch das zum Teil eigens entworfene Mobiliar unterworfen.

Rämibühl LGRG Gangnische

Gangnische im Erdgeschoss des LG mit integrierten Sitzbänken.

Speziell für die Aula entworfene Sitzbänke.
Büro Neuenschwander, Zuschauerraum der Aula mit den eigens entworfenen Sitzbänken.

 

Zentrale Bedeutung kommt der Farbgebung zu, die zusammen mit dem Material und dem künstlerischen Schmuck stimmungsbildend wirken soll. Nach Vorschlägen von Karl Schmid wurden im Innern Farbakzente gesetzt. Indem einzelne Mauerflächen in verschiedenen, teils kräftigen Pastelltönen gestrichen sind, sollen Korridore und Schulzimmer einen individuellen Charakter erhalten. Für die künstlerische Ausschmückung der Schulanlage mit Wandbildern und plastischen Kunstwerken hat Eduard Neuenschwander unter anderem auf seine Freunde in der Gockhauser Künstlerkolonie zurückgegriffen. Die grossen Wandflächen der Zugänge zur Mensa und des Esssaals gestaltete Karl Schmid durch geometrisch- ornamentale Wandmalereien, Eisenplastiken und Holzreliefs.

Mensa Zugang

Karl Schmid, geometrisches Wandbild im Treppenzugang zur Mensa.

Karl Schmid - Mensa Relief

Karl Schmid, geometrisches Holzrelief im Esssaal der Mensa.

In der Eingangshalle des MNG beleben die organischen Formen der auf bunte Wandflächen montierten Holzplastiken Raffael Benazzis (1933*) die materielle und geometrische Strenge des Raums.

Raffael Benazzi, Holzskulpturen in der Eingangshalle des MNG.

Raffael Benazzi, Holzskulpturen in der Eingangshalle des MNG.

Bronzeplastiken Benazzis setzen auch an den Aufgängen von der Rämistrasse und der Freiestrasse her künstlerische Akzente.

Raffael Benazzi, Bronzeskulptur

Raffael Benazzi, Bronzeskulptur am Aufgang von der Rämistrasse her.

Über der Zufahrt zur Tiefgarage markiert die streng geometrische Aluminiumstele Ernst Faesis (1917-2017), 1950-82 Zeichenlehrer am MNG, den Zugang zum Schulareal. Am Aufgang zur Aula empfangen die „Stèles“ von François Stahly (1911-2006) den Ankömmling. O.C.

Ernst Faesi, Aluminiumstele

Ernst Faesi, Aluminiumstele über der Tiefgarageneinfahrt.

Ober- und Ordnungsbegriffe

Kantonsschule Rämibühl - Schulhäuser (MNG, LG/RG)

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:20

Die parkseitigen Fassaden der beiden Schulhäuser konzipierte Eduard Neuenschwander als Wald mächtiger, in freiem Rhythmus vor- und zurückspringender Betonpfeiler, die durch den filigran wirkenden Aluminiumraster der Fensterquadrate und die durchlaufende, vorkragende Brüstung der Pflanztröge der Dachterrasse verbunden sind. Belebt wird der Fensterraster durch die die Geschossböden markierenden Bänder und die im höheren Eingangsgeschoss und im untersten Geschoss zurückgenommene Fensterfront. Die zurückversetzten Dachaufbauten sind nur teilweise sichtbar und haben keinen entscheidenden Einfluss auf das Erscheinungsbild der 102m und 146m langen Fassaden. Umso wichtiger ist die von Neuenschwander arrangierte Geländemodulierung vor der Fassade. Indem er den Fuss der Gebäude hinter einer Geländewelle verschwinden lässt, reduziert er optisch die Höhe des Baus und lässt ihn förmlich aus dem Boden wachsen.

Rämibühl LGRG

Pfeilerwald und Fensterraster der Südfassade des Schulgebäudes von LG/RG.

Während sich die talseitigen Fassaden von MNG und LG/RG – wie Neuenschwander es 1988 ausdrückte – „durch die bestehenden Landschaftsbestände winden“, sind die strassenseitigen, parallel zur Freiestrasse angeordneten Gebäudeteile einer rechtwinkligen Ordnung verpflichtet, in die auch die Turnanlage einbezogen ist. Auf dieser Seite bestimmen die Mauer- und Glasbausteinflächen der grossen, gestaffelten Kuben neben Partien mit Pfeilern und Fensterraster das Erscheinungsbild.

Schulgebäude von LG/RG

Kubische Formen der Nordfassade des Schulgebäudes von LG/RG.

Die unterschiedliche Fassadengestaltung resultiert nicht nur aus dem Bezug zur Umgebung, sondern korrespondiert auch mit der Funktion der Räume im Innern. Die von Neuenschwander verwendete Skelettbautechnik gewährleistet die vom Wettbewerbsprogramm geforderte Flexibilität der Grundrisse. Über Betonunterzüge sind die Fassadenpfeiler mit Pfeilerreihen verbunden, die in Zimmertiefe den Fassaden folgen und die ihrerseits untereinander mit einem Betonträger verbunden sind. Die Flurzone, wo der frei gestaltete und der orthogonal geordnete Bereich aufeinandertreffen, wird von einer Betonplatte überspannt, deren Last in den breiteren Zonen durch einzelne, frei im Raum stehende, scheibenartig ausgebildete Betonstützen zusätzlich aufgefangen wird. Dadurch, dass der Beton roh belassen ist, ist das tragende Gerüst des Baus sichtbar. Aus Beton sind auch die zum Flurbereich hin offenen Treppenhäuser. Auf der rauen Oberfläche der vor Ort geschalten und gegossenen Elemente zeichnen sich Holzstruktur und unterschiedliche Schalungsrichtungen ab.

1. Obergeschoss des MNG

Korridor im 1. Obergeschoss des MNG – Nahtstelle zwischen frei gestaltetem und orthogonal geordnetem Bereich.

In der Einbettung der Bauten in die umgebende Natur und im freien Umgang mit organischen und orthogonalen Formen zeigt sich der prägende Einfluss von Neuenschwanders Lehrer Alvar Aalto: Mit dem 1947-49 realisierten Studentenheim des MIT in Cambridge (USA) am Ufer des Charles River hat Aalto wohl Neuenschwanders Rämibühl-Entwurf inspiriert. Symbolisch nimmt die nach Süden zum Fluss orientierte, dreifach abgewinkelte, sanft ondulierende Front mit den Studentenzimmern Bezug auf den Strom. Die nördliche, kantig wirkende Fassade mit Studentenzimmern gegen Osten und Diensträumen gegen Westen folgt dem Verlauf der Südfassade nur bedingt. Dadurch öffnen sich in der dazwischen liegenden Korridorzone Aufenthaltsbereiche. O.C.

Aalto MIT Werk 1950
Abbildungen aus einem Artikel in der Architekturzeitschrift Werk aus dem Jahr 1950 (Bd. 37,4).