Othmar H. Ammann (1879-1965), Ingenieur und Brückenbauer

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In Feuerthalen als Sohn eines Schaffhauser Hutfabrikanten geboren, studierte Othmar Ammann nach dem Besuch der Industrieschule in Zürich (heute MNG) 1897-1902 Bauingenieurwesen am Eidgenössischen Polytechnikum (heute ETH). Bei Brückenbaufirmen in Brugg und Frankfurt sammelte er erste praktische Erfahrungen, bevor er 1904 in die USA reiste, um dort seine Kenntnisse zu vertiefen. In New York fand er sofort eine Anstellung als Assistant Engineer für mehrere Eisenbahnbrücken im Ingenieurbüro von Joseph Mayer. Das rasante Bevölkerungswachstum der aufstrebenden amerikanischen Wirtschaftsmetropole und die sich abzeichnende Motorisierung des Strassenverkehrs führten zu einer gewaltigen Nachfrage nach Infrastrukturbauten – Eisenbahntrassen, Strassen, Brücken, Tunnels.

New York Brückenkarte
New York. Brücken Gustav Lindenthals: A Queensboro Bridge (1901-09), B Hell Gate Bridge (1912-16). Bauten Othmar Ammanns: 1 Goethals Bridge (1927-28), 2 Outerbridge Crossing (1927-28), 3 Bayonne Bridge (1928-31), 4 George Washington Bridge (1927-31), 5 Triborough Bridge (1929-36), 6 Bronx Whitestone Bridge (1937-39), 7 Throgs Neck Bridge (1957-61), 8 Verrazano Narrows Bridge (1959-64), 10 Lincoln Tunnel (1934-37), 10 Horace Harding Expressway (1957).
Hell Gate Bridge (1901-09).

In den folgenden Jahren arbeitete Ammann bei verschiedenen Stahlbaufirmen in Harrisburg, Chicago und Philadelphia. 1907 beauftragte ihn Frederic C. Kunz, neben Joseph Mayer einer der Spezialisten für Brücken mit grossen Spannweiten, mit der Bearbeitung der Werkpläne der vom österreichisch-amerikanischen Ingenieur Gustav Lindenthal (1850-1935) entworfenen Queensboro Bridge über den East River und delegierte ihn zur Untersuchung des Einsturzes der im Bau befindlichen Quebec Bridge über den Sankt-Lorenz-Strom. Der mustergültige Bericht empfahl Ammann für den Wiederaufbauentwurf der Brücke. 1912 stellte ihn Gustav Lindenthal, der damals bedeutendste Brückenbauer der USA, als stellvertretenden Chefingenieur ein und betraute ihn mit der Planung der Hell Gate Bridge über den East River, der mit 300 Metern Spannweite damals längsten Stahlfachwerkbogenbrücke. .

New York Hell Gate Bridge
Hell Gate Bridge (1901-09).

Nach dem kriegsbedingten Einbruch der Bautätigkeit 1917-19 arbeitete er an Lindenthals Projekt einer gigantischen, zweistöckigen Eisenbahn- und Strassenbrücke über den Hudson zwischen New Jersey und der 57. Strasse Manhattans. Da Ammann zur Überzeugung gelangte, dass Midtown Manhattan den Verkehr nicht aufnehmen könnte und der Bau nicht finanzierbar sei, kam es 1923 zum Bruch mit Lindenthal.

Lindenthal Brückenprojekt
Zeichnung der von Gustav Lindenthal geplanten zweistöckigen Brücke mit 20 Strassenspuren und 12 Eisenbahngeleisen. New York Tribune 14. August 1921.

In den folgenden zwei Jahren plante und lobbyierte Ammann in Eigenregie für das Projekt einer Hängebrücke auf der Höhe der 179. Strasse, die mit 1067 Metern Länge alle bisherigen Hängebrücken um mehr als das Doppelte übertreffen sollte. Für das bei Hängebrücken grosser Spannweite schwierige Problem der Versteifung des Tragwerks entwickelte er die Idee, Stabilität durch Gewicht und Massenträgheit von Aufhängung und Fahrbahn statt durch zusätzliche Versteifungen zu erreichen. Dadurch konnten gleichzeitig Material, Gewicht und Kosten eingespart und Spannweiten massiv erhöht werden. Dies entsprach ganz Ammanns Ideal grösst-möglicher Einfachheit, Funktionalität und dadurch auch höchster ästhetischer Qualität. 1925 konnte er sich mit seinem Projekt durchsetzen: Er wurde zum Chefingenieur der Port Authority of New York and New Jersey ernannt, der für die Infrastruktur verantwortlichen Behörde. In dieser Stellung begann er 1927 den Bau der George Washington Bridge. Als der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise nach 1929 Einsparungen erzwang, verzichtete er auf die ursprünglich geplante Verkleidung des Stahlfachwerks der Brückenpfeiler mit Betonplatten. Nicht zuletzt dadurch wurde das 1931 vom Gouverneur von New York, dem späteren US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, eingeweihte Bauwerk zur stilbildenden Ikone des modernen Brückenbaus. 

New York George Washington Bridge
George Washington Bridge (1927-31) im ursprünglichen Zustand. 1962 erweiterte Amman die Brücke um ein von Anfang an optional vorgesehenes unteres Fahrbahndeck.

Gleichzeitig mit der George Washington Bridge baute Ammann die Goethals Bridge, die Outerbridge Crossing und die Bayonne Bridge, die mit 504 Metern Länge damals längste Stahlfachwerkbogenbrücke. Sein Wissen und seine Erfahrung fasste er in einem Buch zusammen, das rasch zum Standardwerk des Brückenbaus wurde.

New York Bayonne Bridge
Bayonne Bridge (1928-31).

Ab 1934 fungierte Ammann auch noch als Chefingenieur der Triborough Bridge and Tunnel Authority unter Robert Moses (1888-1981), der in dieser Zeit zum bedeutendsten Stadtplaner New Yorks aufstieg. Moses hatte bereits in den 1920er Jahren angefangen ein System von Parkways um New York herum anzulegen und begann nun die Umgestaltung New Yorks zu einer autogerechten Stadt mit dem Bau von Stadtautobahnen und Brücken, denen teilweise ganze Stadtquartiere weichen mussten, umzusetzen. Für ihn plante Ammann unter anderem die Triborough und die Bronx Whitestone Bridge.

Ammann und Moses 1962
Othmar Amman (links) und Robert Moses im Jahr 1962.

Auch ausserhalb New Yorks war Ammann gefragt: So war er etwa 1931-37 als Berater auch massgeblich am Entwurf der Golden Gate Bridge in San Francisco beteiligt. Nach der Pensionierung 1939 tat er sich 1946 mit dem Betoningenieur Charles S. Whitney zusammen und gründete das weltweit tätige Büro Ammann & Whitney. Im Auftrag von Robert Moses realisierte der inzwischen in den Achtzigern Stehende 1959-64 die Verrazano Narrows Bridge zwischen Staten Island und Brooklyn. Mit dieser eleganten Brücke, deren Spannweite von 1298 Metern die der Golden Gate Bridge noch übertraf, krönte Ammann sein die städtebauliche Entwicklung New Yorks prägendes Wirken. O.C.

New York Verazzano Narrows Bridge
Verrazano Narrows Bridge (1959-64).
Video file
Spezialreportage der Schweizer Filmwochenschau zur Eröffnung der Verrazano Narrows Bridge vom 11. Dezember 1964.