Frauenbewegung, Frauenemanzipation

Susanna Orelli-Rinderknecht (1845-1939), Sozialunternehmerin

Submitted by ottavio.clavuot on Fri, 01/28/2022 - 05:16

Als Tochter eines wohlhabenden Bauern in Oberstrass geboren, besuchte Susanna Rinderknecht nach der Primarschule die Landtöchterschule in Zürich und vervollständigte ihre Ausbildung in hauswirtschaftlichen Kursen und während eines viermonatigen Welschlandaufenthalts. Zusammen mit ihrer Mutter war sie schon früh in der Armen- und Krankenfürsorge tätig, später dann im „Hilfsverein für entlassene Geisteskranke“ der „Irrenheilanstalt Burghölzli“. Durch diese Tätigkeit kam sie in Kontakt mit dem Klinikleiter und Psychiater Auguste Forel (1848-1931), einem der führenden Vertreter der Abstinenzbewegung. Für damalige Verhältnisse sehr spät, heiratete Susanne Rinderknecht 1881 den verwitweten, 23 Jahre älteren Mathematikprofessor Johannes Orelli und zog in dessen Wohnung am Zeltweg 12 ein.

Susanna Orelli 1919
Susanna Orelli. Foto 1919.

Nachdem ihr Ehemann bereits 1885 gestorben war, begann sie sich zunächst in der „Freiwilligen- und Einwohnerarmenpflege“, dann im 1877 gegründeten „Blauen Kreuz“ im Kampf gegen den weit verbreiteten Alkoholismus zu engagieren. Das eidgenössische Alkoholmonopol 1885 und die eidgenössische Alkoholordnung 1887 führten zur Reduktion der Zahl der Gaststätten und des Alkoholkonsums. Gleichzeitig propagierten Auguste Forel und Louis-Lucien Rochat (1849-1917), der Gründer des „Blauen Kreuzes“ die Einrichtung alkoholfreier Kaffeehäuser nach englischen Vorbildern als Alternative zu den traditionellen Wirtschaften. Susanna Orelli nahm diese Idee auf und gründete zusammen mit einigen gleichgesinnten Frauen 1894 den „Frauenverein für Mässigkeit und Volkswohl“ (seit 1910 „Zürcher Frauenverein für alkoholfreie Wirtschaften“) mit dem Ziel, eine selbsttragende Kaffeestube zu eröffnen, in der günstig Kaffee, Kuchen und Frühstück konsumiert, aber auch einfach geplaudert und gelesen werden konnte.

Restaurant Olivenbaum 1895
Gaststube des 1904 gegründeten Restaurants "Olivenbaum" an der Stadelhoferstrasse 10. Foto 1904.

Die Kaffeestube „Zum kleinen Martahof“ an der Stadelhoferstrasse war vom ersten Augenblick an so erfolgreich, dass der Frauenverein 1895 zwei alkoholfreie Restaurants eröffnete und eine Betriebskommission einrichtete. Als deren Leiterin erwies sich Susanna Orelli bis zu ihrem Rückzug 1920 als dynamische und erfolgreiche Unternehmerin: Sie trieb die Einrichtung weiterer Gaststätten in der Stadt und des „Alkoholfreien Volks- und Kurhauses Zürichberg“ (1900) voran, stieg 1897 in die Hotellerie und 1914 mit der Übernahme der Mensa im neuen Kollegiengebäude der Universität in die Kantinengastronomie ein. Mehr als ein halbes Jahrhundert später sollte der Frauenverein auch die Mensa der Kantonsschule Rämibühl übernehmen.

zfv Jubiläum 1910
Jubiläumsbild des Zürcher Frauenvereins mit den bis 1910 eröffneten Betrieben.

Aus sozialen und wirtschaftlichen Überlegungen sorgte Susanna Orelli dafür, dass die Serviertöchter eine gute Ausbildung, einen festen Monatslohn statt Trinkgeld, geregelte Arbeitszeiten und eine vom Betrieb finanzierte Kranken-, Unfall- und Altersvorsorge erhielten. 1908 gründete sie eine eigene Vorsteherinnenschule. Kaffee, Schokolade und Tee waren die favorisierten nichtalkoholischen Getränke als Susanna Orelli über Auguste Forel Hermann Müller-Thurgau (1850-1927), den ersten Direktor der 1891 gegründeten „Deutsch-schweizerischen Versuchsstation und Schule für Obst-, Wein- und Gartenbau“ (heute Agroscope) in Wädenswil kennenlernte, der mit der Pasteurisierung von unvergorenem Traubensaft experimentierte. Sie unterstützte Müller-Thurgaus Idee, das Verfahren für die industrielle Produktion von Obst- und Traubensaft weiterzuentwickeln und versprach Ausschank und Propagierung dieser gesunden und haltbaren Getränke durch den Frauenverein. 1896 wurde in Bern das erste Schweizer Unternehmen gegründet, das seit 1897 auch in Meilen pasteurisierte Säfte herstellte und so auch der Landwirtschaft neue Möglichkeiten der Obstverwertung eröffnete.

Süssmost statt5 Schnaps 1927
Plakat von Dora Hauth-Trachsler für einen unbekannten Auftraggeber, 1927.

Neben ihrer Tätigkeit im Frauenverein, unterstützte Susanna Orelli tatkräftig das 1910 schliesslich realisierte Projekt eines alkoholfreien Volkshauses in Zürich mit Restaurationsräumen, Veranstaltungs- und Lesesälen, Büros für Arbeiterorganisationen sowie Badegelegenheiten. Nach dem Ausbruch des 1. Weltkriegs beteiligte sie sich 1914 an der Gründung eines „Gemeinnützigen Vereins für alkoholfreie Verpflegung der Truppen“ und 1918 an der Einrichtung der „Schweizerischen Stiftung zur Förderung von Gemeindestuben und Gemeindehäusern“, in denen neben günstigen Malzeiten auch Veranstaltungen zur Volksbildung angeboten werden sollten. O.C.

Ehem. Schulgebäude der Haushaltungsschule Zürich, Zeltweg 21a

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 12/16/2021 - 04:28

1909-11 liess der 1885 gegründete, den Prinzipien der Hilfe zur Selbsthilfe und der unterschiedlichen Geschlechterrollen verpflichtete „Gemeinnützige Frauenverein Zürich“, der sich vielseitig für Frauenanliegen einsetzte und seit 1897 zahlreiche Kinderkrippen aufgebaut hatte, das Schulgebäude für die Haushaltungsschule am Zeltweg errichten.

Zeltweg 21a Gruppenbild
Schülerinnen mit ihren Lehrerinnen vor dem Eingangsportikus um 1911.

Das 1896 eröffnete, zunächst im Wohnhaus „Morgenthal“ an der Gemeindestrasse 11 untergebrachte Seminar für Haushaltslehrerinnen entwickelte sich zu einer eigentlichen Haushaltungsschule mit einem breiten Lehrangebot. Ab 1911 wurden im neuen Schulhaus neben Haushaltslehrerinnen auch Hausbeamtinnen ausgebildet und Kurse angeboten, die junge Frauen auf ihr Leben als Hausfrau und Mutter vorbereiten sollten.

Zeltweg 21a Treppenhaus
Treppenhaus und Aufenthaltsbereich. Foto um 1911.

Das von Robert Zollinger (1856-1939) entworfene, an ein Palais des 18. Jahrhunderts erinnernde Schulhaus ist ein typischer Schulbau des Heimatstils. Grosse Fenster dominieren in einem strengen Raster aus Lisenen und Brüstungsfeldern die Fassaden, über denen sich ein mächtiges, von einem Dachreiter bekröntes Mansardenwalmdach erhebt. Reliefs schmücken den Portikus am Eingang.

Zeltweg 21a
Über den beiden hohen, stark durchfensterten Unterrichts- und Verwaltungsgeschossen befinden sich Wohnmansarden im Dachraum.

Ab Ende der 1960er Jahre erfuhr die Haushaltungsschule zahlreiche Umstrukturierungen und wurde schliesslich 2002 in die Pädagogische Hochschule integriert.Das Gebäude wird seit 2013 für den Instrumentalunterricht der Kantonsschule Rämibühl genutzt. O.C.

Ehem. Brauerei und Wohnhaus „Schanzenberg“, Schönberggasse 1-7

Submitted by ottavio.clavuot on Wed, 11/10/2021 - 06:16

1842 erwarb der aus dem württembergischen Flunau bei Tettnang stammende, in Wangen, Ulm und Ravensburg zu Vermögen gekommene Bierbrauer und Immobilienhändler Joseph Anton Kern (1793-1862) das ehemalige Schanzengelände oberhalb des Rämibollwerks, um eine Bierbrauerei einzurichten. Die nach 1798 eingeführte Wirtschaftsfreiheit und das 1840 beschlossene kantonale Biergesetz bildeten wichtige Voraussetzungen für die Gründung von Brauereien und den Aufschwung der Bierproduktion im Kanton Zürich. In Kerns Auftrag errichtete Wilhelm Waser (1811-66) bis 1844 das Brauereigebäude auf einem künstlich aufgeschütteten Plateau, das die ausgedehnten Keller aufnahm. Zwischen zwei dreigeschossigen Eckbauten – der östliche als Wohnhaus, der westliche als Ökonomiegebäude mit Stallungen und Malzmühle konzipiert – war die eigentliche Brauerei mit Malzdarre, Sudhaus und Kühlschiff im zweistöckigen Mittelteil untergebracht. In den folgenden Jahren entstanden die Fabrikantenvilla mit Garten und Ökonomiegebäude (1844/45, 1956 abgebrochen) sowie ein weiteres Nebengebäude (1851), die spätere Villa „Belmont“.

Panorama Schönberggasse
Rechts der Rämistrasse erhebt sich der "Schanzenberg" hinter der Fabrikantenvilla, links das "Obere Sonnenbühl". Ausschnitt aus dem Panorama der Stadt Zürich, von der Schönberggasse aufgenommen von David Alois Schmid, um 1844.

Als Kern die Brauerei 1852 aufgab, nahm er Wohnung im „Schanzenberg“ und verkaufte die Villa und die Ökonomiegebäude an den „Spinnerkönig“ Heinrich Kunz (1793-1859) aus Oberuster, den damals grössten Schweizer Textilunternehmer, der beabsichtigte, seinen Geschäftssitz nach Zürich zu verlegen. 1862, kurz vor seinem Tod, veräusserte Kern den „Schanzenberg“ an den Seidenhändler Karl Johann Burkhard (1816-83) aus Oberrieden und dessen Schwager, den württembergischen Leinen- und Baumwollhändler Georg Rall-Hummel (1800-72). Die neuen Besitzer erweiterten das Haus um zwei Geschosse: Die beiden fünfstöckigen, nur durch zwei umlaufende Gurten und einen Balkon gegliederten Eckrisalite mit flachem Walmdach und der viergeschossige, analog gestaltete Mittelteil verliehen dem hoch über Florhof und Alter Kantonsschule thronenden Bau einen festungsartigen Charakter. Eine umfassende Modernisierung erfuhr das Haus nach einem erneuten Besitzerwechsel 1896, als die Wohnungen auf der Südseite grosszügige Balkone erhielten.

"Schanzenberg"
Der mächtige Block des "Schanzenbergs" erhebt sich über der Alten Kantonsschule mit Turnhalle und dem Schulhaus Wolfbach.

1862-66 wohnte der literarisch-politische Bohémien Georg Herwegh, der sich 1839 aus Württemberg in die Schweiz abgesetzt hatte, mit seiner Familie in einer der Wohnungen des „Schanzenbergs“. Später lebten hier auch deutsche Studentinnen als Untermieterinnen, die nach Zürich gekommen waren, weil ihnen in der Heimat das Studium verwehrt war, so z.B. Ricarda Huch 1895-96, die sich als Historikerin und Schriftstellerin einen Namen machen sollte, oder Marie Baum (1874-1964), die 1899 in Chemie promovierte, sich nach ihrer Rückkehr nach Deutschland sozialpolitisch engagierte und 1919 als Vertreterin der DDP in die Weimarer Nationalversammlung gewählt wurde. Frieda Bebel (1869-1948), das einzige Kind des deutschen Sozialistenführers August Bebel, kam 1889 nach Zürich, um die Maturitätsprüfung abzulegen. Sie heiratete hier 1891 und zog nach dem Tod ihres Mannes 1912 zusammen mit ihrem Sohn in den „Schanzenberg“. Ihr inzwischen verwitweter Vater weilte oft bei Tochter und Enkel. Als er während eines Kuraufenthalts in Passugg am 13. August 1913 starb, nahm vier Tage später der grösste Trauerzug, den Zürich bisher gesehen hatte, beim „Schanzenberg“ seinen Anfang.

Trauerzug August Bebel
Der Trauerzug für August Bebel vor der Villa "Belmont" am 17. August 1913.

Im gleichen Jahr erwarb der Kanton den „Schanzenberg“, der seit 1918 schrittweise zum Schulhaus umfunktioniert wurde, um Klassen der trotz der 1909 eröffneten Neuen Kantonsschule aus allen Nähten platzenden Kantonsschule aufzunehmen. Zu einer dieser Klassen gehörte 1920 Elias Canetti, der spätere Nobelpreisträger für Literatur. Mit der Eröffnung der Kantonsschule Rämibühl 1970 konnte die Kantonale Mittelschule für Erwachsene in den „Schanzenberg“ einziehen. Ihr folgte 2000-12 die Pädagogische Hochschule, danach die Universität. O.C.

Kantonsschule Rämibühl - Mensa

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:16

Am Bau der in den Hügel hineingeschobenen Mensa werden Formelemente der Schulhäuser aufgenommen und variiert. Da deren unteres Geschoss in eine Geländemulde eingebettet ist, ist von der Mensa nur die grosszügig verglaste, durch schlanke, vorspringende Betonwandscheiben in grossen Abständen regelmässig gegliederte Front der Esssäle sichtbar. Als gegen die Glasfront sich neigendes Vordach ist die Brüstung der Betonpflanztröge ausgebildet.

Rämibühl Aula Mensa

Hauptfront der Mensa – Mittel- und Verbindungsstück der Fassadenbogens zwischen Aula und LG/RG, 1970.

Der leicht wirkende Bau lässt vergessen, dass er als Substruktion des Vorplatzes von LG und RG dient. Ebenso wenig wird die sich nach Südosten öffnende, westlich von den Buchen des „Olymp“ und der malerischen Gruppe exotischer Koniferen gerahmte Terrasse vor den beiden Gymnasien als Dach der Mensa erfahren. Einzig die vier aus dem Boden wachsenden, teilweise von Betonbänken umgebenen, ursprünglich überkuppelten Kegelstümpfe der Oberlichter des Esssaals erinnern daran.

Mensa

Mensadach mit Oberlichtern des Esssaals als Vorplatz von LG/RG.   

Die tiefe, durch scheibenartig ausgebildete Stützen und Träger in vier Schiffe gegliederte Halle der Mensa ist von aussen und innen nur über Treppen beziehungsweise Rampen erreichbar, die auf das Niveau des Esssaals hinabführen. Hinter der mächtigen Fensterfront erstreckt sich der Essbereich der Schülerinnen und Schüler und, davon räumlich abgetrennt, der Essraum für die Lehrerschaft. Nahtlos geht der Essbereich in die dunklere, durch Oberlichter beleuchtete Verkehrszone zwischen den Eingängen über, hinter der die ganz auf Kunstlicht angewiesenen Theken für die Essensausgabe, die Wendeltreppe und der Warenlift ins Untergeschoss liegen. Die grossen Wandflächen der Zugänge zur Mensa und des Esssaals liess Eduard Neuenschwander von Karl Schmid durch geometrisch-ornamentale Wandmalereien, Eisenplastiken und Holzreliefs gestalten. Die mit grosser Sensibilität für das harmonische Zusammenspiel von Linie, Fläche und Farbe sowie mit hoher handwerklich technischer Präzision ausgeführten Werke schaffen mit ihren verspielten Formen und Farben eine heitere Atmosphäre.

Eßsaal

Esssaal mit den Theken zur Essensausgabe im Hintergrund. 

Betrieben wird die Mensa seit ihrer Eröffnung 1970 vom Zürcher Frauenverein. Dieser war 1894 als „Frauenverein für Mässigkeit und Volkswohl“ zur Bekämpfung des verbreiteten Alkoholismus, zur Besserstellung der Frau in den gastgewerblichen Berufen und zur Verbesserung des Volkswohls allgemein gegründet worden. Erste Präsidentin war Nanny Huber-Werdmüller (1844-1911), treibende Kraft und erste Geschäftsleiterin Susanna Orelli-Rinderknecht (1845-1939). O.C.