Exil

Tadeus Reichstein (1897-1996), Chemiker und Farnspezialist

Submitted by ottavio.clavuot on Wed, 06/01/2022 - 09:48

Was haben ein Dopingskandal beim Wunder von Bern, eine Hölle in Jena, die Apotheke eines Onkels, die Judenpogrome von 1905, ein Nobelpreis, das MNG, 30 Hormone der Nebennierenrinde und Farne miteinander zu tun?

Das ist ein Text über Tadeus Reichstein. Wer?

Tadeus Reichstein war 1912-16 Schüler der Industrieschule (heute MNG Rämibühl). Er war ein bedeutender, 1914 eingebürgerter Schweizer Chemiker, der erst mit den Nobelpreisträgern Hermann Staudinger (1881-1965) und Leopold Ružička (1887-1976) an der ETH und später als Leiter des Pharmazeutischen (ab 1938) wie auch des Organisch-Chemischen Instituts der Universität Basel (ab 1960) bedeutende Arbeit auf dem Gebiet der Naturstoffe geleistet hat, wofür er 1950 selber mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet worden ist.

An dieser Stelle dürfte man jetzt eine Darstellung seines Werdegangs erwarten – das Fliehen vor antisemitischer Gewalt in Kiew und das Heimatfinden in Zürich ab 1906, eine Auflistung der akademischen Stationen, abgeschlossen von einer Würdigung seines Schaffens. Ich schreibe «dürfte», denn wie soll man einem so ereignisreichen Leben mit einem so kurzen Text gerecht werden. Allein für eine angemessene Darstellung seiner Synthese von Vitamin C im Jahr 1933 oder seiner umfassenden Erforschung der Steroide wäre eine Doppelseite kaum ausreichend. Und da wären die weitreichenden medizinischen (Bsp.: Cortison), industriellen (Biotechnologische Grossproduktion) und gesellschaftlichen (Dopingskandal 1954 und Vitamanie) Folgen noch nicht einmal mit drin.

Reichstein Labor
Als man im Labor noch Krawatte trug. Reichstein stellt Vitamin C aus Traubenzucker her. Die von ihm entwickelte fünfstufige Synthese ist noch heute die Grundlage jeder grosstechnischen Herstellung von Vitamin C.

Ich möchte den Fokus stattdessen auf einen Begriff legen, welcher sich wie ein roter Faden durch die autobiographischen Kommentare Reichsteins zieht – das Glücklichsein. Als Kind sei er nirgendwo so glücklich gewesen, wie wenn er in der Apotheke seines Onkels dabei helfen durfte, Pillen zu drehen oder Sirupe zu kochen. Reichstein war sich sicher, dass es diese Beschäftigung war, die in ihm diese unbändige naturwissenschaftliche Neugier entfachte, die ihn ein ganzes Leben lang treu begleiten sollte. Sein Augenmerk lag nicht auf dem schrecklichen Anblick der Pogromopfer oder seiner eigenen Hölle von Jena, wo der schmächtige Tadeus als Internatsschüler unter den körperlichen Züchtigungen der Lehrer litt, sondern auf der glücklichen Kindheit, die folgte, als er mit seiner Familie in Zürich wiedervereint war. Er beklagte nicht, dass er trotz eines ausgezeichneten Diploms in chemischen Ingenieurwissenschaften von der ETH erst nur eine Stelle in einer kleinen Taschenlampen-Firma in Rorschach finden konnte. Vielmehr betonte er, dass dies eine der glücklichsten Zeiten seines Lebens gewesen sei, da er mit dem Geld seine durch den Weltkrieg finanziell in Nöte geratene Familie entlasten konnte.

Reichstein Vitamin C
Fünfstufige Synthese von Vitamin C aus Glucose: a) Reduktion mit Nickel, b) Dehydrierung mittels Fermentation durch Acetobacter, c) Schutzgruppen-gestützte Oxidation mit Permanganat, d) säurekatalysierter Ringschluss.

Es ist bezeichnend, dass dieser so vielseitig am Leben interessierte Mensch auch die Zeit nach seiner Emeritierung dazu nutzte, seiner Neugier zu frönen. Reichsteins Garten im Bruderholz war weithin als botanisches Paradies bekannt. Und wie es sich für einen wahren Forschergeist gehört, konnte es nicht ausschliesslich beim Gärtnern bleiben. Von seiner Pensionierung 1967 bis zu seinem Tod 1997 im Alter von 99 Jahren veröffentlichte Reichstein noch 100 Arbeiten zur Systematik, Chemotaxonomie, Cytologie und Micromorphologie der Farne.

Fazit: Ist sich ein Mensch seiner selbst bewusst – seiner Fähigkeiten, seiner Schwächen, seiner Leidenschaften – vermögen ihn noch so viele Umwege und Hindernisse nicht von einem glücklichen und erfüllten Leben abzuhalten. R.O.

August Bebel (1840-1913), Sozialistenführer und Unternehmer

Submitted by ottavio.clavuot on Fri, 01/28/2022 - 05:06

In Deutz bei Köln in ärmlichen Verhältnissen geboren und früh Vollwaise, erlernte August Bebel 1854-57 in Wetzlar das Drechslerhandwerk. Zu Beginn der Walz trat er 1858 dem „Katholischen Gesellenverein“ bei. 1860 liess er sich in Leipzig nieder, wo er sich im 1861 gegründeten „Gewerblichen Bildungsverein“ und in der liberal-demokratischen Arbeiterbewegung engagierte.

Gesellenbüchlein August Bebels
August Bebels Wanderbüchlein des „Katholischen Gesellenvereins“.

Die Begegnung mit Wilhelm Liebknecht (1826-1900), der in London von Karl Marx und Friedrich Engels beeindruck worden war, brachte 1865 Bebels Hinwendung zum politischen Sozialismus. Zusammen mit Liebknecht gründete er 1869 die Sozialdemokratische Arbeiterpartei, die sich 1875 mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP, seit 1890 SPD) vereinigte. Als Redner, Autor und Mitglied des Deutschen Reichstags entwickelte sich Bebel während der Geltung des Bismarckschen Sozialistengesetzes 1878-90 zum Führer der deutschen Sozialdemokratie – eine Stellung, die 1892 durch seine Wahl zu einem der beiden Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands Anerkennung finden sollte.

Väter der Arbeiterbewegung
Gründer und Kämpfer der sozialdemokratischen Partei: Im Zentrum Karl Marx, oben August Bebel und Wilhelm Liebknecht, unten Carl Wilhelm Tölcke und Ferdinand Lasalle. 

Während des Verbots der ausserparlamentarischen politischen Arbeit nutzten die deutsche Sozialdemokratie und ihre Exponenten Zürich als rückwärtigen Stützpunkt. Bebel und Liebknecht schlugen vor, das Parteiblatt im Verlag des Schweizerischen Arbeiterbundes der „Schweizerischen Vereinsbuchdruckerei & Volksbuchhandlung“ herauszugeben. So erschien „Der Sozialdemokrat“ unter der Redaktion Eduard Bernsteins (1850-1932) seit 1879 in Hottingen – 1882-88 an der Kasinostrasse 3. Hier wurde auch Bebels in Deutschland verbotenes Buch „Die Frau und der Sozialismus“ 1879 gedruckt.

August Bebel
Schweizer Illustrierte mit Porträt August Bebels anlässlich seines Todes.

Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes hielt sich Bebel immer wieder in Zürich auf, wohin seine Tochter Frieda 1891 geheiratet hatte. Der seit 1864 auch als Unternehmer erfolgreiche Bebel liess 1897 als Zürcher Absteige die „Villa Julie“ (Seestrasse 176) in Küsnacht bauen. Ab 1912 war er häufiger Gast bei seiner verwitweten Tochter und seinem Enkel im „Schanzenberg“ an der Rämistrasse. Nach seinem Tod während eines Kuraufenthalts der drei in Passugg am 13. August 1913, nahm vier Tage später der bis dahin grösste Trauerzug in Zürich beim „Schanzenberg“, wo sich etwa 15‘000 Menschen versammelten hatten, seinen Anfang. Nach einem Zwischenhalt beim Volkshaus, wo gegen 50‘000 Personen am aufgebahrten Bebel vorbei defilierten, wurde der Sarg in feierlichem Umzug zum Friedhof Sihlfeld gebracht. O.C.

Peter Szondi (1929-1971), Literaturwissenschaftler

Submitted by christian.villiger on Sun, 09/05/2021 - 09:25

Peter Szondi (1929-1971) war einer der einflussreichsten Literaturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Szondi studierte in Zürich Germanistik bei Emil Staiger und wurde später Professor in Berlin. Nach dem Abschluss seiner Doktorarbeit (der rasch berühmt werdenden Theorie des modernen Dramas) arbeitete Szondi von 1955 bis 1959 als Lehrer unter anderem am Literargymnasium. Er wohnte zu dieser Zeit in unmittelbarer Nähe zur Schule an der Florhofgasse 3.

Szondi in einem Brief an seinen guten Freund Ivan Nagel über seine Tätigkeit als Lehrer (13. September 1957):

 

«Ich habe jetzt im Herbstquartal […] an der Neuen Schule 17, am Literargymnasium 4 Wochenstunden. Letztere bereiten mir immer mehr Freude, die Buben sind gescheit, fleissig und bereit, die Mischung aus Unterricht und Cabaret, die ich ihnen serviere, anzunehmen.»

Das LG war damals eine reine Knabenschule.

Peter Szondi 1962

Im selben Brief beschreibt er auch seine kleine Wohnung an der Florhofgasse:

 

«Ich wohne seit dem 1. September in einem Einzimmerappartement – wie das Zeug in Zürich heisst – also ein Zimmer mit separatem Badezimmer und Kochnische, die allerdings auch einen Eisschrank einschliesst. Also alles, was ich brauche, um völlig unabhängig zu sein, dazu sehr hübsch und auch sehr gut gelegen: an der Florhofgasse, […] unterhalb der Kantonsschule, beim Konservatorium. Das Fenster schaut auf zwei hübsche Barockhäuser, wenn ich morgens aufsteh, scheint mir, ich sei in einem Salzburger Hotelzimmer.»

Szondi wurde in Budapest als Sohn des berühmten Psychoanalytikers Leopold Szondi geboren. Unter der deutschen Besatzung Ungarns geriet die assimilierte jüdische Familie Szondi zunehmend in Gefahr, in ein Konzentrationslager deportiert zu werden. Sie wurde jedoch ausgewählt, im sogenannten Kasztner-Zug mitzufahren und so in Sicherheit gebracht zu werden. Rudolf Kasztner, ein jüdischer Anwalt, hatte mit den Nazis (genauer: mit dem Sonderkommando Eichmann) in geheimen Verhandlungen ausgehandelt, dass 1685 Juden aus Ungarn ins sichere Ausland auswandern dürfen. Im Gegenzug erhielten die Nazis Geld und Schmuck. Der von der SS beaufsichtigte Zug verliess Budapest Ende Juni 1944, gelangte aber zunächst nur bis zum Konzentrationslager Bergen-Belsen, wo die Szondis fünf Monate bleiben mussten. Trotz der gegenüber anderen Lagerinsassen privilegierten Situation als „Austauschjuden“ war es eine zutiefst demütigende und traumatisierende Erfahrung. Im Dezember 1944 gelangten die sogenannten „Kasztner-Juden“ schliesslich doch noch in die Schweiz. Die Schuldgefühle gegenüber den vielen, die den Holocaust nicht überlebt haben, werden Szondi sein ganzes Leben beschäftigen. Sie dürften wesentlich mitverantwortlich gewesen sein für seinen Suizid im Alter von 42 Jahren.

Peter Szondi ist auf dem Friedhof Fluntern in Zürich begraben. Eine unweit davon gelegene Wegverbindung heisst seit 2005 zur Erinnerung an ihn und seinen Vater «Szondiweg». An der Krähbühlstrasse 30 steht noch immer das von seinem Vater gegründete «Szondi-Institut» für Tiefenpsychologie und Schicksalsanalyse. C.V.

Wohnhaus „Zum Thaleck“, Zeltweg 27

Submitted by ottavio.clavuot on Mon, 08/16/2021 - 07:57

Der spätklassizistische, urbane Eckbau an der Einmündung der Gemeindestrasse in den Zeltweg ist 1867 im Zuge der Stadterweiterung des mittleren 19. Jahrhunderts entstanden. Die Wirtschaft „Thaleck“ im Erdgeschoss war Treffpunkt der Sozialdemokraten.

Wohnhaus "Zum Thaleck"
Wohnhaus "Zum Thaleck" mit dem gleichnamigen Restaurant um 1910.

Hier diskutierten sowohl Vertreter der einheimischen Sozialisten, wie Karl Bürkli (1823-1901) und Hermann Greulich (1842-1925, seit 1867 in Zürich), als auch wegen Bismarcks Sozialistengesetzen 1878-90 im Exil lebende deutsche Sozialdemokraten, wie August Bebel und Eduard Bernstein (1850-1932), ausserdem der 1880-82 in Zürich weilende Österreicher Karl Kautsky (1854-1938). In Hottingen erschien seit 1879 – ab 1882 an der Kasinostrasse 3 – auch „Der Sozialdemokrat“, das Parteiblatt der deutschen Sozialdemokratie. In der Wohnung im 1. Obergeschoss verbrachte der Dichter Gottfried Keller, kein Freund der Sozialisten, 1882-90 seine letzten Lebensjahre. Seit 1924 war hier die Leihbibliothek des „Lesezirkels Hottingen“ untergebracht bis zu dessen Auflösung 1941. Gegründet 1882, um breiteren Kreisen Neuerscheinungen der Literatur, Kunst und Wissenschaft zugänglich zu machen, bot der Lesezirkel Lesemappen mit Illustrierten und literarischen Zeitschriften an und betrieb eine Leihbibliothek.

Gemeindestrasse 4 Lesezirkel-Haus
Lesemappenverteiler vor dem, dem "Thaleck" benachbarten Haus Gemeindestrasse 4, in dem bis 1924 die Bibliothek des Lesezirkels untergebracht war. Foto 1907. 

1887/88 veranstaltete er den ersten Vortragszyklus und seit 1896 Abende für Literatur und Kunst, an denen prominente Autoren, wie z.B. Thomas Mann, Heinrich Mann, Hugo von Hofmannsthal oder Rainer Maria Rilke lasen, aber auch musikalische Stücke zur Aufführung gelangten, wie etwa 1924 „L‘ histoire du soldat“ von Charles Ferdinand Ramuz und Igor Strawinsky. Gesellschaftliche Ereignisse waren die pompösen Kostümfeste des Lesezirkels in der Tonhalle, im Grand Hotel Dolder und im Baur au Lac. O.C.

Lesezirkel Hottingen Besucher
Zusammenstellung von Einträgen ins Gästebuch des Lesezirkels.

Georg Büchner (1813-1837), Dramatiker und Dichter

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 21:34

Dichter, Naturwissenschaftler, Mediziner und Revolutionär – das Multitalent Georg Büchner verbrachte die letzten vier Monate seines Lebens in Zürich. 

Georg Büchner
Georg Büchner nach einer Illustration einer französischen Werkausgabe von 1879.

Ende Oktober 1836 schreibt die Mutter, Caroline Büchner, in einem Brief an ihren Sohn: 

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Über seinen neuen Aufenthaltsort schreibt Büchner in seiner Antwort an die Eltern: 

«Was das politische Treiben anlangt, so könnt Ihr ganz ruhig sein. Laßt euch nur nicht durch die Ammenmährchen in unseren Zeitungen stören. Die Schweiz ist eine Republik, und weil die Leute sich gewöhnlich nicht anders zu helfen wissen, als daß sie sagen, jede Republik sei unmöglich, so erzählen sie den guten Deutschen jeden Tag von Anarchie, Mord und Todtschlag. Ihr werdet überrascht sein, wenn ihr mich besucht; schon unterwegs überall freundliche Dörfer mit schönen Häusern, und dann, je mehr Ihr Euch Zürich nähert und gar am See hin, ein durchgreifender Wohlstand; Dörfer und Städtchen haben ein Aussehen, wovon man bei uns keinen Begriff hat. Die Straßen laufen hier nicht voll Soldaten, Accessisten und faulen Staatsdienern, man riskirt nicht von einer adligen Kutsche überfahren zu werden; dafür überall ein gesundes, kräftiges Volk, und um wenig Geld eine einfache, gute, rein republikanische Regierung, die sich durch eine Vermögenssteuer erhält […].» 

Im November 1836 wird Büchner ins Verzeichnis der politischen Flüchtlinge aufgenommen – seine provisorische Aufenthaltsbewilligung gilt aber nur bis Mai 1837. Büchner hält seine Probevorlesung über Schädelnerven und wird in der Folge Privatdozent der Zürcher Hochschule.

Am 18. Dezember 1836 schreibt der Vater Ernst Büchner an seinen Sohn:

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Bis im Januar 1837 vollendet Büchner das Lustspiel «Leonce und Lena» und arbeitet an «Woyzeck».

Am 23. Januar entdeckt Büchner eine Anzeige im «Zürcherischen Wochenblatt»:

«Man wünscht einen oder zwei Herren oder Frauenzimmern ein frohmütiges geheiztes Zimmer sammt Kost, à 3 fl. 20 pr. Woche zu übergeben, ganz nahe an der Stadt in Hottingen No. 158.»

Diese Adresse liegt an der heutigen Wolfbachstrasse 29. Büchner mietet das Zimmer und schreibt an seine Verlobte Wilhelmine «Minna» Jaeglé:

«Das Haus steht nicht weit vom See, vor meinen Fenstern die Wasserfläche und von allen Seiten die Alpen, wie sonnenglänzendes Gewölk.»

Ausserdem bringt Büchner seine Sehnsucht nach der Verlobten zum Ausdruck, wenn er schreibt:

«Du kommst bald? mit dem Jugendmuth ist’s fort, ich bekomme sonst graue Haare, ich muß mich bald wieder an Deiner inneren Glückseligkeit stärken und Deiner göttlichen Unbefangenheit und Deinem lieben Leichtsinn und all Deinen bösen Eigenschaften, böses Mädchen. Adio piccol[a] mia!»

 

 

Minna Jaeglé

Minna Jaeglé (1830)

Am 27. Januar schreibt er an seine Verlobte Minna Jaeglé:

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Friedhof Krautgarten

Franz Hegi, Friedhof Krautgarten (Aquatinta, um 1855)

Georg Büchner wird auf dem nahe der Spiegelgasse gelegenen Friedhof «Krautgarten» beim Bürle-Bau des heutigen Kunsthauses (Link) bestattet. Später wird Büchners Leichnam in die Germaniastrasse umgebettet. Dort am Rigiblick liegt der Freiheitsheld bis heute, bewacht von einer Linde, die anlässlich seines 200. Geburtstags kürzlich gepflanzt wurde. An der Spiegelgasse 12 erinnert heute eine Gedanktafel an den ersten Wohnort Georg Büchners in Zürich. R.K.

Büchners Grabstein

Büchners Grabstein am Rigiblick (Foto: Paebi, © CC BY-SA 3.0)

Büchner Gedenktafel Spiegelgasse 12

Gedenktafel an der Spiegelgasse 12 (Foto: Jochen Teufel)

Ober- und Ordnungsbegriffe

August Adolf Ludwig Follen (1794-1855), Literat und Verleger

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 21:32

Geboren in Giessen (Hessen) als Sohn eines Landrichters, studierte August Adolf Ludwig Follen an der dortigen Universität und in Heidelberg Philologie, Theologie und Recht. 1814 nahm er als Freiwilliger an den Befreiungskriegen gegen Napoleon teil und engagierte sich in den folgenden Jahren publizistisch in der deutschen Burschenschaftsbewegung. 1819-21 wegen „studentischer Umtriebe“ inhaftiert, floh er 1821 nach Aarau, wo er bis 1827 an der Kantonsschule deutsche Sprache und Literatur unterrichtete und eine der ersten literaturgeschichtlichen Anthologien für höhere Schulen verfasste. Durch Heirat vermögend geworden, lebte er seit 1830 als Literat und Verleger in Zürich. Sein Haus (1835/36-39 im „(Unteren) Sonnenbühl“, 1843-47 im „Sonneck“) wurde Treffpunkt politischer Emigranten und einheimischer Liberaler. Hier trafen sich u.a. Michail Bakunin, Georg Herwegh, August Heinrich Hoffmann von Fallerleben, Ferdinand Freiligrath, Julius Froebel und der junge Gottfried Keller. 1843-45 engagierte sich Follen finanziell in Froebels Verlag „Litterarisches Comptoir“ bis der „Züricher Atheismusstreit“ die beiden entzweite. 1847 erwarb Follen das Schloss Liebenfels im Thurgau, wo er nach der Niederschlagung der Revolution in Deutschland politischen Flüchtlingen Asyl bot. 1855 starb er verarmt in Bern. O.C.

Zürcher Atheismusstreit

Karikatur zum Atheismusstreit. August Follen schwingt die Feder gegen Arnold Ruge. Wochen-Zeitung, 27. Januar 1846.

Julius Froebel (1805-1893), Geograf, Verleger und Nationalist

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 21:30

Geboren in Griesheim (Thüringen) als Sohn eines Pfarrers und Bruder Theodor Froebels, studierte Julius Froebel Geografie und Mineralogie in München, Jena, Weimar und Berlin. 1833 erhielt er auf Empfehlung Alexander von Humboldts in Zürich Lehraufträge an den nach dem liberalen Umsturz 1832 neu gegründeten Bildungsinstitutionen: als Mineraloge an der Universität und als Geograf an der Industrieschule (Vorläufer des MNG Rämibühl).

Julius Froebel 1837
Julius Froebel, Über das Wesen der Bidlung überhaupt und ins Besondere der Volksbildung. Programm der Zürcher Kantonsschule 1837.

1838 heiratete er die Seidenfabrikantentochter Kleopha Zeller. Im „Straussenhandel“ politisch radikalisiert, legte der seit seiner Studienzeit politisch engagierte Froebel 1840 seine Lehrtätigkeiten nieder und gründete mit finanzieller Unterstützung seiner Frau das „Literarische Comptoir“, einen Verlag, der unter anderem Georg Herweghs „Gedichte eines Lebendigen“, frühe Gedichte Gottfried Kellers sowie Schriften Friedrich Engels und Ludwig Feuerbachs publizierte. Nach Kontakten mit dem Büchner-Gefährten Wilhelm Weitling und Michail Bakunin des Kommunismus verdächtigt, mit seinem Freund und Unterstützer August Follen zerstritten und mit dem Verlag finanziell gescheitert, kehrte Froebel 1845 nach Deutschland zurück. 1848/49 trat er während der Revolution publizistisch für die nationale Einigung und die Lösung der sozialen Frage ein, wurde Mitglied der Deutschen Nationalversammlung in der Frankfurter Paulskirche und kämpfte im Wiener Oktoberaufstand.

Julius Froebel 1848
Titelblatt einer politischen Schrift Julius Froebels zur Revolution von 1848.

Zum Tode verurteilt und begnadigt, wanderte Froebel nach Amerika aus, wo er bis 1857 lebte. Zurück in Deutschland, gründete er 1862 den grossdeutsch orientierten „Deutschen Reformverein“. Nach der Niederlage Wiens im österreichisch-preussischen Krieg unterstützte er in der von ihm seit 1867 herausgegebenen „Süddeutschen Presse“ die Einigungsbestrebungen Bismarcks. Mit der Gründung des Deutschen Reiches 1871 trat er unter anderem als Konsul in Smyrna und Algier in den Reichsdienst. 1888 zog er sich aus dem politischen Leben zurück und verbrachte die letzten Jahre in Zürich. O.C. 

Juliis Fröbel

 Julius Froebel. Lithographie von Valentin Schertle, 1848.

Richard Wagner (1813-83), Komponist

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 20:10

In Leipzig geboren, wirkte Richard Wagner nach ersten bewegten Jahren in Würzburg, Magdeburg, London und Paris 1843-49 als Hofkapellmeister in Dresden. Hier komponierte er die Opern Tannhäuser und Lohengrin. Nach der Niederschlagung der Revolution 1849 flüchtete er mit Franz Liszts Hilfe nach Zürich, Niederschlagung der Revolution 1849 flüchtete er mit Franz Liszts Hilfe nach Zürich, wo er in den Escher-Häusern am Zeltweg wohnte. Mit der Aufführung von Beethoven-Sinfonien und von eigenen Werken in der Allgemeinen Musik-Gesellschaft sowie im Aktientheater bereicherte er das Zürcher Musikleben.

Richard Wagner
Richard Wagner. Lithografie von Johann Caspar Scheuchzer um 1842.
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 Züricher Vielliebchen-Walzer, WWV 88 (1854)

Im Gartenhaus der Villa Wesendonck (heute Museum Rietberg), in der er zeitweise als Gast des Seidenkaufmanns Otto Wesendonck lebte, entwarf er wesentliche Teile des Rings des Nibelungen und verfasste Schriften, wie Die Kunst und die Revolution, Das Kunstwerk der Zukunft und Oper und Drama, aber auch das antisemitische Pamphlet Das Judentum in der Musik. Mitte der 1850er Jahre gehörte er zu den Gästen Georg und Emma Herweghs, in deren Wohnung deutsche, italienische, aber auch einheimische Künstler, Literaten und politische Aktivisten, wie z.B. Gottfried Semper, Franz Liszt, Francesco de Sanctis (1817-83), Felice Orsini (1819-58) und Gottfried Keller, verkehrten. 1858-61 lebte er abwechselnd in Venedig, Paris und Luzern. Seine Liebe zu Mathilde Wesendonck, der Frau seines Zürcher Gastgebers, verarbeitete er in Tristan und Isolde.

Reklame Liebig - Richard Wagner

Richard Wagner 1858 in der Villa Wesendonck. Sammelbild des sechsteiligen Kartensets 883 zu Liebigs Fleischextrakt. Um 1900.

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 Wesendonck-Lieder, V. Träume, WWV 91 (1857-1858)

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 Tristan und Isolde, I. Einleitung, WWV 90 (1857-1859)

1866-72 weilte er mit Franz Liszts Tochter Cosima, die er nach ihrer Scheidung von Hans von Bülow 1870 heiratete, in Tribschen, wo ihn Friedrich Nietzsche mehrmals besuchte. Dort vollendete er auch die Meistersinger von Nürnberg und das für Cosima geschriebene Siegfried-Idyll. Die letzten Jahre verbrachte er in Bayreuth, wo er den Ring des Nibelungen vollendete. O.C.

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 Die Walküre, 3. Akt: Vorspiel, sog. Walkürenritt, WWV 86b (1856-1870)

Gottfried Semper (1803-79), Architekt und Publizist

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 20:09

In Altona (Hamburg) in einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie geboren, studierte Gottfried Semper in Göttingen, München und Paris. Durch Beobachtungen auf seiner Grand Tour durch Italien und Griechenland 1830-34 konnte er den Streit um die Frage, ob antike Architektur und Skulptur einfarbig oder bunt gewesen seien, zugunsten der Polychromie entscheiden.

Semper Polychromie
Sempers Rekonstruktion der farblichen Fassung des Gebälks des Athener Parthenons in der Schrift „Anwendung der Farben in der Architektur und Plastik des Alterthums … und des Mittelalters“. Kolorierte Lithografie, Dresden 1836.

1834-49 wirkte er als Architekturprofessor an der Akademie in Dresden, wo er unter anderem mit dem Bau des Hoftheaters (1836-41) Aufsehen erregte. Nach der Niederschlagung der Revolution 1849 floh Semper nach London. Richard Wagner, der Dresden 1849 ebenfalls verlassen musste und nach Zürich emigrierte, empfahl Semper mit Erfolg als Professor für das 1854 neu gegründete Eidgenössische Polytechnikum (seit 1905 ETH). Während seiner Zürcher Jahre 1855-71 baute Semper unter anderem den Kern das Hauptgebäudes der ETH (1859-64, mit Johann Kaspar Wolff), die Eidgenössische Sternwarte (1861-64), das Wohn- und Geschäftshaus Fierz (1865-67) sowie das Stadthaus in Winterthur (1865-69, durch einen Anbau 1932-34 stark beeinträchtigt).

Semper Stadthaus Winterthur
Semper gestaltete das Winterthurer Stadthaus als Monument der kommunalen Autonomie, indem er die Tempelfront des Haupteingangs auf ein hohes Podium mit doppelläufiger Freitreppe stellte. Foto 1904.

Auch nicht realisierte Projekte hinterliessen Spuren, wie etwa der Entwurf für den Bahnhof der NOB in Zürich 1861. Durch seine Lehrtätigkeit prägte er eine ganze Generation von Zürcher Architekten (ca. 220 Schüler), die im Stil der Semper‘schen Neurenaissance weiterbauten.

Semper Bahnhofprojekt 1861
Im Auftrag Alfred Eschers baute Jakob Friedrich Wanner (1830-1903) 1865-71 den Bahnhof der NOB (heute Hauptbahnhof) unter Verwendung von Sempers Projekt von 1861, das eine am Vorbild römischer Thermen orientierte Bahnhofhalle vorsah. Gottfried Semper, Projektzeichnung 1861.

Von grossem Einfluss waren auch seine Schriften, so das 1860-63 erschienene Hauptwerk Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Ästhetik, auf das später die niederländische Bewegung de Stijl direkten Bezug nahm. 1871-76 wirkte Semper bei der Erweiterung der kaiserlichen Hofburg in Wien (Neue Burg, Hofmuseen und Burgtheater) mit. In den letzten Lebensjahren konzentrierte er sich auf die Fertigstellung der Oper in Dresden (heute Semper-Oper), nachdem das von ihm errichtete Hoftheater 1869 abgebrannt war. O.C.

Gottfried Semper.

Gottfried Semper. Foto 1865.

Georg Herwegh (1817-75), Dichter, Revolutionär und Sozialist

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 20:04

In Stuttgart als Sohn eines Gastwirts geboren, studierte Georg Herwegh Rechtswissenschaften und Theologie in Tübingen, wo er sich auch in der radikal-liberalen Burschenschaftsbewegung engagierte. Seit 1836 als freier Schriftsteller tätig, entzog er sich 1839 der Zwangsrekrutierung zur württembergischen Armee durch Flucht nach Zürich, wo er im Kreis deutscher Emigranten um August Follen gut aufgenommen wurde. Hier erschienen auch die zwei Bände der „Gedichte eines Lebendigen“ (1841/43), die ihn über Nacht berühmt machten. In diesen Jahren schrieb er für Julius Froebels Wochenzeitung „Schweizer Republikaner“ sowie für die von Karl Marx herausgegebene „Rheinische Zeitung“. Auf Reisen lernte er Heinrich Heine, Ludwig Feuerbach und Michail Bakunin kennen. Nach der Heirat mit Emma Siegmund (1817-1904), der Tochter eines Berliner Bankiers, übersiedelte das Paar 1843 nach Paris.

Georg Herwegh

Georg Herwegh 1843 in Zürich, Ölgemälde von Conrad Hitz.

1848 beteiligten sich die beiden am liberal-republikanischen Aufstand im Grossherzogtum Baden. Nach dessen Scheitern flohen sie über die Schweiz zurück nach Paris. Vier Jahre später liessen sie sich wieder in Zürich nieder. Trotz zunehmend prekärer Finanzlage pflegten die Herweghs einen grossbürgerlichen Lebensstil und empfingen in ihrer Wohnung, 1862-66 im „Schanzenberg“, neben Vertretern der deutschen und italienischen Emigration, wie z.B. Richard Wagner, Gottfried Semper und Franz Liszt, Francesco de Sanctis (1817-83) und Felice Orsini (1819-58), auch Gottfried Keller. Nach der Begegnung mit Ferdinand Lassalle 1861, während dessen Besuch in Zürich, wandte sich Herwegh dessen genossenschaftlichem Sozialismus zu. 1863 wurde er zum Schweizer Bevollmächtigen des von Lasalle mitgegründeten „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins“, dessen sofort verbotenes „Bundeslied“ er als Hymne auf das revolutionäre Proletariat verfasste.

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Bundeslied des "Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins"

1866 kehrte er nach Deutschland zurück, wurde noch im gleichen Jahr Ehrenkorrespondent der Ersten Internationale und schloss sich 1869 der von August Bebel und Wilhelm Liebknecht gegründeten marxistisch-revolutionären Sozialdemokratischen Arbeiterpartei an, für deren Blatt Der Volksstaat er fortan schrieb. 1875 starb er bei Baden-Baden und wurde auf eigenen Wunsch in republikanischer Erde in Liestal bestattet. O.C.