Peter Szondi (1929-1971) war einer der einflussreichsten Literaturwissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Szondi studierte in Zürich Germanistik bei Emil Staiger und wurde später Professor in Berlin. Nach dem Abschluss seiner Doktorarbeit (der rasch berühmt werdenden Theorie des modernen Dramas) arbeitete Szondi von 1955 bis 1959 als Lehrer unter anderem am Literargymnasium. Er wohnte zu dieser Zeit in unmittelbarer Nähe zur Schule an der Florhofgasse 3.
Szondi in einem Brief an seinen guten Freund Ivan Nagel über seine Tätigkeit als Lehrer (13. September 1957):
«Ich habe jetzt im Herbstquartal […] an der Neuen Schule 17, am Literargymnasium 4 Wochenstunden. Letztere bereiten mir immer mehr Freude, die Buben sind gescheit, fleissig und bereit, die Mischung aus Unterricht und Cabaret, die ich ihnen serviere, anzunehmen.»
Das LG war damals eine reine Knabenschule.
Im selben Brief beschreibt er auch seine kleine Wohnung an der Florhofgasse:
«Ich wohne seit dem 1. September in einem Einzimmerappartement – wie das Zeug in Zürich heisst – also ein Zimmer mit separatem Badezimmer und Kochnische, die allerdings auch einen Eisschrank einschliesst. Also alles, was ich brauche, um völlig unabhängig zu sein, dazu sehr hübsch und auch sehr gut gelegen: an der Florhofgasse, […] unterhalb der Kantonsschule, beim Konservatorium. Das Fenster schaut auf zwei hübsche Barockhäuser, wenn ich morgens aufsteh, scheint mir, ich sei in einem Salzburger Hotelzimmer.»
Szondi wurde in Budapest als Sohn des berühmten Psychoanalytikers Leopold Szondi geboren. Unter der deutschen Besatzung Ungarns geriet die assimilierte jüdische Familie Szondi zunehmend in Gefahr, in ein Konzentrationslager deportiert zu werden. Sie wurde jedoch ausgewählt, im sogenannten Kasztner-Zug mitzufahren und so in Sicherheit gebracht zu werden. Rudolf Kasztner, ein jüdischer Anwalt, hatte mit den Nazis (genauer: mit dem Sonderkommando Eichmann) in geheimen Verhandlungen ausgehandelt, dass 1685 Juden aus Ungarn ins sichere Ausland auswandern dürfen. Im Gegenzug erhielten die Nazis Geld und Schmuck. Der von der SS beaufsichtigte Zug verliess Budapest Ende Juni 1944, gelangte aber zunächst nur bis zum Konzentrationslager Bergen-Belsen, wo die Szondis fünf Monate bleiben mussten. Trotz der gegenüber anderen Lagerinsassen privilegierten Situation als „Austauschjuden“ war es eine zutiefst demütigende und traumatisierende Erfahrung. Im Dezember 1944 gelangten die sogenannten „Kasztner-Juden“ schliesslich doch noch in die Schweiz. Die Schuldgefühle gegenüber den vielen, die den Holocaust nicht überlebt haben, werden Szondi sein ganzes Leben beschäftigen. Sie dürften wesentlich mitverantwortlich gewesen sein für seinen Suizid im Alter von 42 Jahren.
Peter Szondi ist auf dem Friedhof Fluntern in Zürich begraben. Eine unweit davon gelegene Wegverbindung heisst seit 2005 zur Erinnerung an ihn und seinen Vater «Szondiweg». An der Krähbühlstrasse 30 steht noch immer das von seinem Vater gegründete «Szondi-Institut» für Tiefenpsychologie und Schicksalsanalyse. C.V.