Der Lesezirkel Hottingen wurde am 4. November 1882 durch die Hottinger Turnvereinskollegen Wilfired Treichler und Hans Bodmer im Wirtshaus zur Sonnegg gegründet. Er wollte «belehrende Unterhaltung», «Kenntnis der Tagesliteratur» und «Studium des politischen, sozialen, wissenschaftlichen und künstlerischen Lebens der Gegenwart» für «weite Kreise der Bevölkerung unentgeltlich zugänglich» machen. Mit den «Abenden für Literatur und Kunst» mauserte sich der Quartierverein ab 1886 zu einem Sammelpunkt der Weltliteratur. Die Liste der Vortragenden ist eindrücklich, was im kulturellen Leben Europas Rang und Namen hatte, las im Lesezirkel Hottingen. Unter anderen lasen Hugo von Hofmannsthal, Rainer Maria Rilke, Gerhart Hauptmann, Hermann Hesse, Rudolf Alexander Schröder, Karl Kraus, Ernst Zahn und Thomas Mann.
Der Lesezirkel verfügte über eine eigene Bibliothek, welche zeitweise sogar intensiver benutzt wird als die der Museumsgesellschaft. Elias Canetti wurde von seiner Mutter des Öfteren in den Lesezirkel geschickt, um die neuesten Bücher auszuleihen. Anfangs war die Bibliothek im Schulhaus Hottingen untergebracht, später gelangte sie dann über mehrere Stationen ins "Thaleck" am Zeltweg 27.
Innerhalb des Zirkels schliessen sich einige Mitglieder mit besonderem Interesse für Literatur zusammen und gründen 1902 den "Literarischen Club". Zentrales Anliegen des Literarischen Clubs ist es, junge Schriftsteller zu unterstützen und ihnen eine Plattform zur Verfügung zu stellen. Die Leitung der NZZ-Kulturredaktion (Fritz Marti, Hans Trog und Eduard Korrodi), die Literaturprofessoren Robert Faesi und Walter Muschg, der Verleger Walther Meier und später auch Max Frisch und Emil Staiger stehen dem Club vor. 1933 wird der Literarische Club zur eigenständigen Institution, die bis heute besteht.
Lithographierte Einladung des Lesezirkels Hottingen zum Münchner Fest 1911 in der Tonhalle Zürich, Entwurf der Vorderseite von Burkhard Mangold.
Während rund 50 Jahren war der als Verein organisierte Lesezirkel Hottingen ein prägendes Element im Kulturleben der Stadt Zürich. Der Zirkel veranstaltete auch spektakuläre Dichterfeste und Maskenbälle, ab 1895 immer öfter in der Tonhalle. Bis zum Ersten Weltkrieg hatte er grossen Einfluss auf das literarische und gesellschaftliche Leben Zürichs. Anfangs des Zweiten Weltkriegs wurde er wegen finanzieller Schwierigkeiten liquidiert. R.K.