Denkmalpflege

Hans Roth (1934-99), Architekt, Theologe und Entwicklungshelfer

Submitted by ottavio.clavuot on Tue, 09/13/2022 - 11:05

In eine katholische, ursprünglich aus dem Kanton Zug stammende Arbeiterfamilie geboren, wuchs Hans Roth an der Oberdorfstrasse in der Zürcher Altstadt auf. Nach der Matura an der Oberrealschule (heute MNG Rämibühl) 1954 trat er in den Jesuitenorden ein und studierte zunächst Alte Sprachen und Philosophie an den Ordensschulen in Feldkrich und in Pullach, bevor er sich 1961-66 an der ETH zum Architekten ausbilden liess und als Praktikant in Zürich, Dublin, Athen und Delhi berufliche Erfahrung sammelte. Es folgte ein Theologiestudium im englischen Oxon und im indischen Pune, wo er unter anderem einen jesuitischen Ashram baute. 1970-72 arbeitete er als Architekt in Bellinzona und Feldkirch. Als der Missionsprokurator der Schweizer Jesuiten zum 200. Todestag des Jesuitenmissionars Martin Schmid (1694-1772) die Restaurierung von San Rafael de Chiquitos, einer von diesem erbauten Missionskirche, lancierte, bat Roth um die Übertragung des Auftrags.

Hans Roth
Hans Roth misst zusammen mit dem leitenden Schnitzer die Vorzeichnung der Ornamente auf einer Säule für die Kirche von Concepción ein.

1691 nahmen die Jesuiten die Mission in der Chiquitania im heutigen Bolivien auf, nachdem die durch Sklavenjäger bedrängten sowie an Eisenbeilen für die Brandrodung interessierten Chiquitos um die Entsendung von Missionaren gebeten und die spanischen Autoritäten dem Vorhaben zur Sicherung der dünn besiedelten Urwaldregion gegen portugiesische Vorstösse zugestimmt hatten. So entstanden bis zur Ausweisung der Jesuiten aus dem spanischen Kolonialreich 1767 zehn bis heute bestehende Missionsdörfer, in denen die Missionare die verschiedenen Stämme der Chiquitania zusammenzogen und zur christlichen Nation der Chiquitanos verschmolzen.

Dobrizhoffer Paraguay
Die Karte von Paraguay zeigt die zehn 1767 bestehenden Jesuitenmissionen der Chiquitania. Martin Dobrizhoffer, Wien 1783.

Die nach dem Vorbild der Jesuitenreduktionen Paraguays (1609-1768) organisierten und auf rechtwinkligem Raster um einen zentralen Platz angelegten autonomen Dörfer prosperierten dank verbesserter landwirtschaftlicher und handwerklicher Techniken wirtschaftlich und wuchsen rasch.

Peramas Candelaria
Ansicht der Jesuitenmission Candelaria und Census der Reduktionen in Paraguay 1767. Die eingeschossigen Wohnhäuser mit Laubengängen hat der Kupferstecher als zweigeschossige Bauten mit Pilastern missverstanden. José Manuel Peramás, Faenza 1791.

1730 traf Martin Schmid, Spross einer einflussreichen Ratsherrenfamilie aus Baar im Kanton Zug, nach vierjähriger Reise in San Javier de Chiquitos ein. Schmid, der über eine solide musikalische Ausbildung und vielseitige praktische Begabung und Erfahrung verfügte, wurde mit dem Aufbau der Orchester, Chöre und Musikschulen der Missionsdörfer betraut. Zudem unterwies er Einheimische im Instrumentenbau, organisierte den musikalischen Spielplan des Kirchenjahrs und komponierte kirchliche Vokal- und Instrumentalmusik.

Chiquitano-Geige
Chiquitano-Geige mit geschnitztem Menschenkopf als Schnecke und alte Partitur.

Als 1745 im ganzen Missionsgebiet der Neubau der teilweise noch aus der Gründungszeit stammenden Kirchen und Missionarswohnungen, Schulen, Werkstätten, Garten und Friedhof umfassenden Pfarreizentren in Angriff genommen wurde, übernahm Schmid den Bau der Kirchen von San Rafael (1746-49), San Javier (1749-52) und Concepción (1752-55). Mit Unterstützung einheimischer Handwerker errichtete er sie nach dem Vorbild der Jesuitenkirchen in Paraguay und in Anlehnung an indianische Gemeinschaftshäuser als dreischiffige Holzskelettkirchen mit umlaufenden Laubengängen, Vorhalle, Adobemauern und Ziegeldach, die er mit Schnitzwerk, Malerei und Keramikornamenten in barocken Formen dekorierte und ausstattete.

San Javier de Chiquitos Portalfront
Das auf tief im Boden verankerten salomonischen Säulen ruhende Vordach der Vorhalle von San Javier schützt Reliefs und Malereien der aus Lehmziegeln errichteten Fassade.

Als Hans Roth 1972 eintraf waren die entvölkerten Dörfer und die Kirchen in einem baulich schlechten Zustand, da die Chiquitania und deren indianische Bevölkerung nach 1850 der Ausbeutung weisser Grossgrundbesitzer überlassen worden war, denen auch die seit 1931 hier wirkenden deutschsprachigen Franziskanermissionare wenig entgegenzusetzen hatten. In San Rafael, dessen Kirche 1972-80 niedergelegt und mit teilweise neu geschnitzten Hölzern wiedererrichtet wurde, erkannte Roth rasch die weitreichende gesellschaftliche, wirtschaftlich und kulturelle Bedeutung der Restaurierung der Kirchen: So half die Beschäftigung und die Ausbildung indianischer Arbeiter diesen, sich aus der Schuldknechtschaft zu befreien und eine eigene Existenz aufzubauen, stärkte das Bewusstsein von Gemeinschaft und kultureller Identität und erlaubte dank der Entdeckung und Rettung des bedeutendsten südamerikanischen Bestands alter Notenhandschriften die Wiederbelebung der barocken Missionsmusik.

Audio file
Pastoreta Ychepé Flauta. Das von einem unbekannten Chiquitano-Komponisten möglicherweise für Martin Schmid komponierte Werk ist in Santa Ana und San Rafael erhalten geblieben. Archivio Musical de Chiquitos.

So entwickelte sich aus der Begegnung mit dem bayerischen Franziskaner Antonio Eduardo Bösl (1925-2000), seit 1952 Missionar in der Chiquitania und seit 1973 Bischof in Concepción, eine lebenslange, fruchtbare Zusammenarbeit. Der baufreudige Bischof übertrug Roth die Restaurierung der Kirche in Concepción (1974-82) und 1975 den Ausbau und die Leitung der bischöflichen Werkstätten mit rund 140 Arbeitsplätzen, in denen auch Holz-, Metall- und Ziegeleifacharbeiter ausgebildet wurden, sowie schliesslich sämtliche Bauaufträge. 1976 trat Roth aus dem Jesuitenorden aus und gründete eine Familie in Concepción. In den folgenden Jahren restaurierte er mit einfachster Bautechnik und immer wieder selbst Hand anlegend neben San Javier (1987-93) vier weitere Missionskirchen sowie verschiedene Häuser im historischen Zentrum von Concepción.

San Javier de Chiquitos Innenraum
Im Innern von San Javier wird das tragende Holzskelett des Bauwerks bis auf die in die Adobewände eingemauerten Säulen sichtbar.

Gleichzeitig realisierte er in kirchlichem Auftrag rund 140 Neubauten: Kirchen, Kapellen und Pfarrhäuser, Schulen und Kindergärten, Schwesternhäuser und Spitäler sowie Wohn- und Gewerbebauten. In seinen Kirchenbauten nahm Roth die einheimische Tradition des Holzskelettbaus mit Adobe- oder Bruchsteinmauern auf und verband sie in sorgfältiger Abstimmung auf die liturgische Funktion, die klimatischen Bedingungen und die Umgebung mit Le Corbusiers Konzept der freien Grundrissgestaltung.

Ascension de Guarayos
In der 1983-87 als breitgelagerte, dreischiffige Halle erbauten Kirche von Ascensión de Guarayos hob Roth durch das Glas- und Fensterband zwischen Dach, Holzsäulen und Wänden die allein tragende Funktion der Pfeiler hervor.

Vielfach entwarf er auch das Mobiliar sowie die schmückenden Reliefs und Skulpturen, die von Schnitzern der bischöflichen Werkstätten ausgeführt wurden. Sein architektonisches Schaffen verstand er in der Nachfolge Schmids als Form der Verkündigung und des Gottesdiensts sowie einen über den rein technokratischen Ansatz klassischer Entwicklungshilfe hinausgehenden, auch die spirituelle Dimension umfassenden Beitrag zur Emanzipation der indianischen Bevölkerung. Von sozialistischer Seite wurden ihm daher Geldverschwendung und Kolonialismus vorgeworfen.

El Chochis
Das 1988-92 am Fuss eines gewaltigen Felsens errichtete Wallfahrtsheiligtum von El Chochís bettete Roth harmonisch in die Landschaft ein. In der zentralen, von Laubengängen erschlossenen Kirche ist der intime Innenraum für Meditation mit der Aussenkapelle und der Aussenbühne für Massenveranstaltungen auf quadratischem Grundriss zu einem kompakten Baukörper verschränkt.

Mit der Neuinterpretation des traditionellen Holzskelettbaus hat er zudem im regionalen Kontext stilprägend gewirkt. Die Erhebung der Missionskirchen der Chiquitania zum UNESCO-Weltkulturerbe 1990 bedeutete nicht nur eine Anerkennung seines Wirkens, sondern öffnete ebenso wie die von ihm angeregte, 1996 erstmals durchgeführte Biennale amerikanischer Renaissance- und Barockmusik die abgelegene Region gegenüber der Welt. Allerdings setzte damit auch eine gewisse Folklorisierung der chiquitanisch-jesuitischen Tradition ein. O.C.

La Asunta
In der 1995-96 errichteten Kirche von La Asunta erlauben die mit Marien- und Christusreliefs nach Roths Entwürfen geschmückten Flügeltüren die vollständige Öffnung der Halle auf zwei Seiten.      

Villa Oskar Wild, Steinwiesstrasse 31 / Cäcilienstrasse 2b

Submitted by ottavio.clavuot on Mon, 12/13/2021 - 14:15

1906-07 erbaute der Architekt und „Burgenbauer“ Eugen Probst für den Arzt Oskar Wild das Wohnhaus mit Praxis im Terrassenanbau. Der schlichte Kubus mit geschweiftem Mansardwalmdach und Giebellukarnen und der auf der Terrasse stehende, an Rebhäuschen erinnernde Pavillon lehnen sich an einheimische Bauformen des späten 18. Jahrhunderts an. Das Ensemble ist ein früher Vertreter des romantischen Heimatstils in Zürich. Heimatstil- und Heimatschutzbewegung verstanden sich als Gegenbewegung zu Industrialisierung, Urbanisierung und Globalisierung, die als Ursachen für die Entwurzelung der Gemeinschaft und des Einzelnen sowie der ästhetischen Verflachung von Architektur und Landschaft gesehen wurden. Sie forderten eine Rückbesinnung auf die ästhetischen Qualitäten der schweizerischen Tradition und Naturlandschaft. So wurden 1905 die Schweizerische Vereinigung für Heimatschutz (Ligue pour la conservation de la Suisse pittoresque) und 1909 die Naturschutzkommission (heute pro natura) gegründet.

Steinwiesstrasse 31
Villa und Garten. Foto 1908.

Der Basler Eugen Probst (1873-1970), in jungen Jahren stark von der Deutschen Jugendbewegung geprägt, die Wanderungen zu Kultur- und Naturstätten propagierte und durch den Bau von Jugendherbergen in idyllisch gelegenen Ruinen förderte, war ein bedeutender und umstrittener Vertreter heimat- und naturschützerischer Anliegen. Seit 1900 engagierte er sich bei der Restaurierung und beim Wiederaufbau zahlreicher Schlösser und Burgen, wie z.B. in Sargans 1900-06 und Bellinzona 1920-55. 1927 war er Mitgründer des Schweizerischen Burgenvereins und bis 1955 dessen auch publizistisch sehr aktiver Präsident.

Probst Burgen und Schlösser der Schweiz
1929 wurde der erste Band der von Probst redigierten Reihe "Die Burgen und Schlösser der Schweiz" veröffentlicht, 1936 der unter der Leitung seines Sohnes Eduard gedrehte gleichnamige Dokumentarfilm. Band I zum Thurgau erschien 1931.

Auch die Wiederherstellung der Hohlen Gasse bei Küssnacht als landschaftliches Denkmal 1937 und die Restaurierung Guardas im Unterengadin nach einem Dorfbrand 1939-45 sind sein Verdienst. Dabei ging er mit der historischen Bausubstanz sehr unbekümmert um, indem er sich kaum von wissenschaftlichen Erkenntnissen und denkmalpflegerischen Grundsätzen, sondern von romantischen Vorstellungen leiten liess. So hat Probst zahlreiche Burgen und Ruinen zwar vor dem endgültigen Zerfall bewahrt, ihr Erscheinungsbild aber entscheidend verändert und bis in die Gegenwart bestimmt. O.C.

Jugendburg Ehrenfels
Gedenkbild zur Wiederherstellung der Burg Ehrenfels bei Sils im Domleschg als Jugendburg (Jugendherberge) 1936-40. Zeichnung von Eugen Probst.