Staatsbau (Verwaltung, Kultur, Gesundheit)

Ehem. Eidgenössische Sternwarte, Schmelzbergstrasse 25

Submitted by ottavio.clavuot on Thu, 02/03/2022 - 08:12

Die Vorgeschichte der Eidgenössischen Sternwarte reicht bis ins mittlere 18. Jahrhundert zurück, als die 1746 gegründete „Physikalische Societät“ (heute Naturforschende Gesellschaft) 1759 auf dem Dach des Zunfthauses „Zur Meise“ eine kleine Sternwarte zur Sonnenbeobachtung einrichtete. Hier bestimmte Johannes Gessner (1709-90) den Meridian seines Standorts mit grosser Genauigkeit. 1773 wurde die Sternwarte auf den Karlsturm des Grossmünsters verlegt und 1810/11 auf die Schanze neben der Kronenpforte (heute Universität). Die astronomischen Beobachtungen wurden unter anderem zur Vermessung des Kantons und zur Zeitbestimmung gebraucht und waren auch mit dem Sammeln von Wetterdaten verbunden. 1855 übernahm das neu gegründete Polytechnikum (heute ETH) die Sternwarte und die astronomischen Instrumente der „Naturforschenden Gesellschaft“.

Rudolf Wolf
Rudolf Wolf. Foto vor 1886.

Rudolf Wolf (1816-93), Professor für Mathematik und Astronomie an der neuen Hochschule, der sich 1839 vergeblich für den Bau einer neuen Sternwarte eingesetzt hatte, drang nun mit seinem Anliegen durch: Der Kanton Zürich stellte das Grundstück am Schmelzberg zur Verfügung, der Bund finanzierte den Bau und Gottfried Semper entwarf das Gebäude auf der Grundlage von Wolfs Bauprogramm der modernsten Universitätssternwarten Europas. Der 1861-64 realisierte, funktional gegliederte, repräsentative Neurenaissance-Mehrzweckbau auf L-förmigem Grundriss mit drei in ihrer Grundfläche gleichen, in der Höhe gestaffelten Kuben und einem Rundturm wirkt durch den hohen Rustikasockel auf der Talseite burgartig.

Eidgenössische Sternwarte
Die Eidgenössische Sternwarte im damals unverbauten Rebland des Schmelzbergs. Foto um 1889.

Der die Terrasse für Freilichtbeobachtungen nördlich begrenzende eingeschossige Nebenflügel nahm die Bibliothek und den Meridiansaal auf, durch dessen Schlitze in Fassaden und Dach die Meridianpassagen der Sterne vom Nord- bis zum Südhorizont beobachtet werden konnten. Der abgewinkelte dreigeschossige Haupttrakt mit dem nördlich anschliessenden überkuppelten Zylinder des Observatoriums wurde im Erdgeschoss von der Eingangshallte eingenommen, die zugleich als Instrumenten- und Modellmuseum diente und Zugang zum Erdgeschoss des zweigeschossigen Kubus mit Hörsaal und Büros gewährte.

Eidgenössische Sternwarte Eingangshalle
Die Eingangshalle mit stukkiertem Gewölbe, das durch illusionistisch aufgemalte Gliederungen strukturiert wird, und eingebauten Vitrinen. Foto 1951.

In den Obergeschossen der beiden seitlich verschobenen Kuben befand sich die Wohnung Rudolf Wolfs mit Arbeitsräumen. Im hohen Erdgeschoss werden die Gebäudeteile durch die umlaufende Sandsteinfassade mit grossen Rundbogenfenstern zusammengehalten. Die leicht wirkenden, gelb verputzten Fassaden darüber sind durch Sandsteinlisenen zwischen den Fenstern und durch Simse zwischen den niedrigeren Obergeschossen gegliedert. Ein Sgraffito-Dekorationsband mit pflanzlichen Motiven nach Sempers eigenen Entwürfen umschliesst das Observatorium im vierten Turmgeschoss unter der drehbaren Kuppel.

Eidgenössische Sternwarte Observatorium
Der Observatoriumsturm mit der für das ganze Gebäude charakteristischen feinen Fassadengliederung und dem Sgraffitofries.

Bereits vor seiner Berufung ans Polytechnikum hatte Rudolf Wolf entdeckt, dass die Schwankungen der Sonnenfleckenaktivität und jene des Erdmagnetfeldes korrelieren. Daher sammelte er die Beobachtungen der Sonnenflecken – seit deren Entdeckung im frühen 17. Jahrhundert – organisierte ab 1849 ein internationales Beobachternetz und entwickelte einen statistischen Aktivitätsindex der Sonnenaktivität. Nach seiner Methode wurden an der Eidgenössischen Sternwarte bis zur Einstellung des Betriebs täglich Sonnenfleckenzählungen durchgeführt. Unter Wolfs Leitung entwickelte sich die Eidgenössische Sternwarte zudem rasch zu einem nationalen Angelpunkt der geodätischen Landvermessung, der Zeitmessung und der Meteorologie. Da astronomische Positions- und Zeitbestimmungen genaue Luftdruck- und Temperaturmessungen voraussetzen, wurde 1864 in der Sternwarte die Meteorologische Zentralanstalt (heute MeteoSchweiz) eingerichtet, die hier Wetterdaten aus der ganzen Schweiz sammelte und auswertete, bis sie 1881 zu einem selbständigen Bundesinstitut wurde.

Eidgenössische Sternwarte Observatorium Refraktor
Der Refraktor für die Sonnenbeobachtung im Kuppelraum des Observatoriumsturms. Foto 1911.

Die Überbauung der Umgebung der Sternwarte im 20. Jahrhundert beeinträchtigte die Beobachtungsmöglichkeiten immer mehr, so dass der Standort 1980 aufgegeben wurde. Nach der Renovation des Gebäudes 1995-97 wurde es Sitz des Collegium Helveticum. O.C.    

Altes und Neues Kantonsspital, Rämistrasse 100 / Gloriastrasse 19

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 01/02/2022 - 08:04

Nach dem liberalen Umsturz 1830 baute der Kanton nicht nur eine moderne Infrastruktur für Bildung und Verkehr auf, sondern auch für das Gesundheitswesen, mit der Einrichtung einer medizinischen Fakultät an der 1833 gegründeten Universität und eines Kantonsspitals. 1836 beschloss der Kantonsrat den Bau einer kantonalen Krankenanstalt für 150 Patienten, auf dem auch vom Land her gut erreichbaren ehemaligen Schanzenvorgelände der ersten Hangterrasse des Zürichbergs oberhalb der späteren Rämistrasse. Im Gegensatz zum bisherigen Spital in den Gebäuden des einstigen Predigerklosters sollte das neue Spital weniger der Versorgung und Verwahrung Kranker und Armer dienen als vielmehr der Behandlung heilbarer Patienten mit den Mitteln der universitären Medizin. Die 1837-42 nach Plänen von Gustav Albert Wegmann und Leonhard Zeugheer errichtete Spitalanlage gewann internationale Anerkennung. Der 178 Meter lange, symmetrisch aus einem dreigeschossigen, H-förmigen Mitteltrakt und zwei zweigeschossigen, L-förmigen Seitenflügeln bestehende Hauptbau beherbergte die Klinik für Innere Medizin und die Chirurgie.

Altes Kantonsspital
Im Vordergrund die Wässerwiese (heute Sportanlagen Rämistrasse 80) dahinter die lange Front des Kantonsspitals und das Anatomiegebäude. Foto um 1910.

Die Anatomie mit Hörsaal, Sammlungs- und Nebenräumen sowie die Abteilung für Infektionskrankheiten wurden aus hygienischen Gründen etwas abseits in eigenen Gebäuden untergebracht. Seit Mitte der 1870-er Jahre führten die zunehmende Spezialisierung der medizinischen Wissenschaften und die Ausweitung der Bettenzahl zur schrittweisen Überbauung der Hangzone hinter dem Hauptgebäude mit neuen Spezialkliniken.

Anatomiegebäude
Das Erscheinungsbild des Anatomiegebäudes entspricht dem ursprünglichen Zustand nur noch aussen.    

Nach längeren Diskussionen über eine grundlegende Modernisierung des Spitals wurde 1933/34 ein Ideenwettbewerb für einen Spitalneubau mit 1200 Betten beim Burghölzli ausgeschrieben. Durch die Verkürzung der Plattenstrasse und die Verlängerung der Gloriastrasse an die Rämistrasse schuf der Regierungsrat 1937 Raum für einen Spitalneubau am alten Standort in unmittelbarer Nähe zur Universität. Mit der Planung wurden die Preisträger des Ideenwettbewerbs beauftragt, die sich 1939 zur „Architektengemeinschaft für das Kantonsspital Zürich“ (AKZ) zusammenschlossen. Federführend waren Haefeli Moser Steiger (HMS: Max Ernst Haefeli, Werner M. Moser, Rudolf Steiger) und Hermann Fietz (1898-1977). Zur Organisation und architektonischen Bewältigung der vielfältigen Funktionen der Krankenversorgung, Lehre und Forschung eines modernen, effizienten Universitätsspitals gab es verschiedene, damals international diskutierte Konzepte (lineare oder kammartige Gebäudeanordnung, Block- oder Pavillonbau) und Vorbilder, darunter das von Alvar Aalto 1929-33 errichtete Sanatorium in Paimio, das Sanatorium Zonnestraal in Hilversum (1926-28) oder das Söderspital in Stockholm (1937-44).

Paimio Sanatorium
Abgewinkelte Front des der Sonne zugewandten, schmalen Betten- und Balkontrakts von Alvar Aaltos Sanatorium in Paimio. Foto um 1930.

Nach intensiver Auseinandersetzung mit den Funktionsabläufen des Kantonsspitals, Konzepten und Vorbildern entschied sich die AKZ für die Anordnung der Spezialkliniken und Funktionsbereiche als verbundene Block- und Pavillonbauten, die vertikale Stapelung gleicher Funktionen innerhalb der Bauten, die Minimierung stark frequentierter Wege von Personal und Patienten sowie die Schaffung einer den Heilungsprozess fördernden hellen, ruhigen und wohnlichen Atmosphäre durch Gliederung, Materialwahl und Orientierung der Krankenzimmer auf den Park hin. Zudem musste das neue Spital am bisherigen Standort sorgfältig in den städtebaulichen Kontext integriert werden und etappenweise so um die Altbauten herum entstehen, dass der Betrieb jederzeit gewährleistet werden konnte. Aus diesen Erfordernissen wurde eine strahlenförmig aufgebaute Anlage entwickelt, mit der Polyklinik parallel zur Rämistrasse, im rechten Winkel daran anschliessenden L-förmig um das alte Spital herumgeführten Bettentrakten und einer weiteren vom Gelenkpunkt hangwärts führenden Achse mit Einlieferungs-, Operations-, Pathologie-, Küchen- und Hörsaaltrakt. Auf diese Weise blieb auch der Spitalpark mit seinem alten Baumbestand erhalten.

Funktionsschema Kantonsspital
Hermann Fietz, Funktionsschema eines Spitals (oben) und dessen Anwendung auf die Situation in Zürich (unten). Die Adaption basiert auf der von Moser und Fietz während der Rückreise von Stockholm im März 1939 entwickelten Idee.

1942-51 wurde das damals grösste, auch der Arbeitsbeschaffung dienende Bauprojekt der Schweiz, trotz der in den ersten Jahren kriegsbedingten Materialknappheit für fast 100 Mio. Franken realisiert. Das alte Kantonsspital wurde 1951 mit Ausnahme des Anatomiegebäudes (Gloriastrasse 19) abgerissen. Die individuell gestalteten Bauten der Anlage werden durch die durchgängige Sichtbarmachung der Skelettkonstruktion und die Verwendung gleicher Materialien für die gleichen Funktionen als Einheit erfahrbar. Die Traufkante der direkt der ETH gegenüberliegenden, in den Formen der gemässigten Moderne gestalteten Polyklinik nimmt die Höhe der Strassenfront der Hochschule auf und schirmt vermittelnd den hochhausartigen Bettentrakt gegen die Rämistrasse ab. Über dem weiten, auch an der Fassade ablesbaren Stützenraster der Eingangshalle erhebt sich der kleinteilige Fensterraster der drei oberen Geschosse, während das zurückversetzte Dachgeschoss hinter der Kante der Dachterrasse verschwindet. Die Mittelachse der unprätentiös wirkenden Fassade wird durch das grosse Vordach des Haupteingangs und die Balkone darüber akzentuiert. Wiederholt werden das Balkonmotiv und die Fassadengliederung der Obergeschosse an der Front der niedrigeren, durch ein vorspringendes Treppenhaus abgetrennten Kantonsapotheke.

Kantonsspital Polykliniktrakt
Polyklinik und Kantonsapotheke, dahinter das hochhausartige Bettenhaus. Foto 1951.

Den grosszügigen, von Gustav Ammann (1885-1955) gestalteten Spitalpark rahmen die bis zu neun Geschosse hohen Bettenhäuser mit teilweise gedeckter Dachterrasse. Mittelgänge erschliessen die zum Park gelegenen Krankenzimmer und die rückwärtigen Diensträume des Personals. Die langen, durch den Fensterraster bestimmten Fassaden werden auf der Parkseite durch niedrigere Vorbauten mit Aufenthaltsbereichen für stationäre Patienten (Loggien, Balkone, Dachterrasse mit Pilzdach) aufgelockert, auf der Rückseite durch die vorspringenden, die Traufkante überragenden, Treppenhäuser.

Neues Kantonsspital
Das neue Kantonsspital: Dominant das Bettenhochhaus und der Bettentrakt als Rahmung des Spitalparks. Foto 1952.

Aussen wie innen werden die grossen Volumen und Flächen aufgebrochen und durch die variantenreiche Verwendung moderner und traditioneller Materialien, wie Beton, Kunststein, Marmor, Verputz, Terracotta, Holz und Glas in ornamental wirkender Weise strukturiert. Die technische Ausstattung sowie das ganze Mobiliar wurde von der AKZ in enger Zusammenarbeit mit dem medizinischen Personal entwickelt und die Anbringung von Skulpturen und Malereien gegen Sparforderungen durchgesetzt.

 

Neues Kantonsspital Polyklinik Eingangshalle
Foyer der Polyklinik mit dem eigens für das Kantonsspital entworfenen Mobiliar. Foto 1946.

Für das Personal plante die AKZ 1951 ein Hochhaus auf der Platte, das allerdings nicht mehr von ihr ausgeführt wurde. Die seit den 1960-er Jahren im Zuge der Erweiterung des Spitals vorgenommenen Neubauten, Verdichtungen und Aufstockungen haben die Struktur der Anlage und die sorgfältige Gliederung der verschiedenen Baukörper zunehmend verwischt und ein amorphes Konglomerat von Bauten entstehen lassen. O.C.

Eidgenössische Technische Hochschule (ETH), Rämistrasse 101

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 01/02/2022 - 07:40

Im Bestreben, das für eine erfolgreiche Industrialisierung der Schweiz erforderliche technische Personal und Wissen unabhängig vom Ausland auszubilden und zu entwickeln, beschlossen die eidgenössischen Räte 1854 die Gründung des Eidgenössischen Polytechnikums (seit 1905 ETH) in Zürich nach dem Vorbild der Pariser Ecole Polytechnique (1794/1804). Da nach der Niederschlagung der Revolution von 1848 zahlreiche namhafte Gelehrte und Wissenschaftler Deutschland verlassen mussten und bereit waren, in der liberalen Schweiz am Aufbau der neuen Hochschule mitzuwirken, gewann diese rasch einen guten Ruf und war ihrer Aufgabe, eine konkurrenzfähige technische Elite auszubilden, gewachsen. So nahm auch Gottfried Semper, der sich als Architekt in Dresden bereits einen Namen gemacht hatte, die ihm angebotene Professur 1854 an. Kurz darauf erhielt er den Auftrag, ein Projekt für das Schulgebäude von Polytechnikum und Universität auf dem ehemaligen Schanzengelände gegenüber dem neuen Kantonsspital auszuarbeiten. 1859-64 wurde der funktional gegliederte, über der Stadt thronende Neurenaissance-Bau mit vorgelagerter Terrasse und selbständigem Chemiegebäude an der Rämistrasse nach Sempers Plänen von Staatsbaumeister Johann Caspar Wolff (1818-91) realisiert.

ETH
Erhöhte Lage und zur Stadt orientierte Hauptfassade manifestieren die Bedeutung der ETH für Zürich und den Bundesstaat. Foto um 1905.

Die Fassaden der geschlossenen, viergeschossigen Vierflügelanlage mit zentralem Hof werden durch Mittelrisalite mit Eingängen und Treppenhäusern sowie Eckrisalite an den Längsseiten gegliedert. Die beiden unteren Geschosse sind durch die Rustikaquaderung zu einem mächtigen Sockel zusammengebunden. Darüber reihen sich die je nach Funktion des Gebäudeteils die unterschiedlich ausgebildeten Fensterachsen der beiden oberen Stockwerke. Im Westtrakt befanden sich die Lehrräume des Polytechnikums und hinter der Repräsentationsfassade des Mittelrisalits gegen die Stadt die Halle des Haupteingangs sowie die Räume der Schulleitung und die Aula.

ETH Semper-Bau
Die plastische Neurenaissance-Blendarchitektur des Mittelrisalits verleiht der Hauptfassade repräsentativen Charakter.

Der nördliche Flügel beherbergte die Zeichen- und Übungsräume – die von Semper entworfene Sgraffito-Dekoration der Fassade nimmt darauf Bezug – , der östliche die Sammlungen und der südliche die Universität. Im Zentrum der Anlage unterteilte eine eingeschossige Halle für die Antikensammlung den Hof und machte damit die humanistische Verwurzelung der technischen Ausbildung deutlich. Die von Semper geplante Ausmalung der repräsentativen Durchgangsräume ist nie ausgeführt worden. Einzig die Wand- und Deckengestaltung der Aula wurde vollständig nach seinen Vorgaben realisiert.

ETH Aula
Entwurf Sempers von 1865 für die Gestaltung der Aula: An der Wand hinter Rednertribüne und korinthischer Kolonnade Triumphbogenmotiv und mythologische Malereien.

Das starke Wachstum der Hochschule, technische Mängel am Bau und der Auszug der Universität in Karl Mosers 1914 eingeweihten Neubau, führten 1915-24 zur umfassenden Erneuerung und Erweiterung der Schulanlage nach Plänen von Gustav Gull: Das Chemiegebäude wurde abgebrochen, der Semper-Bau durch die L-förmige Verlängerung des südlichen und des nördlichen Flügels bis an die Rämistrasse erweitert und der alte Osttrakt durch einen wesentlich breiteren Gebäudeflügel mit diesen um ein Geschoss überragender, Kuppel bekrönter Mittelrotunde ersetzt. In deren über die Fassade vorspringendem Halbrund befindet sich hinter ionischen Kolossalsäulen das Auditorium Maximum, darüber die Bibliothek, darunter die Halle mit dem auf den neu entstandenen Vorhof zwischen Nord- und Südflügel gehenden Haupteingang. Die beiden Gebäudeflügel nehmen in den Risaliten gegen die Rämistrasse die ionischen Kolossalsäulen der Rotunde auf und rahmen mit vorspringenden, die Fassadenflucht der Risalite verlängernden Arkaden den Strassenraum und den Vorhof. Durch die axialsymmetrische, monumental wirkende, barocken Schlossanlagen ähnliche Komposition hat Gull das ETH-Gebäude von der Stadt zur Rämistrasse umorientiert.

ETH Rämistrasse
Die neue Hauptfront der ETH gegen die Rämistrasse. Foto vor 1938.

Anstelle der Antikenhalle setzte Gull eine über die ganze Gebäudehöhe reichende Halle zwischen die neu in die Höfe eingebauten Auditorien. Das komplexe Raumgefüge geschickt gestaffelter und verschränkter Arkaden und Kolonnaden öffnet die grosse Halle zu anderen Räumen, schafft Zonen unterschiedlichen Lichts und nimmt dadurch der Architektur die Schwere.

ETH Halle
Gulls Halle mit den Erschliessungsalerien und-emporen. Foto um 1943.

Unter den dem Semper-Bau angeglichenen Oberflächen aus Kunststein und Neurenaissance-Formen verbarg Gull das moderne Baumaterial, den Eisenbeton, der auch für die ursprünglich betonsichtig geplante Kuppel benützt wurde.

ETH Kuppelkonstruktion
Die sichtbare Betonaussenschale der Betonrippenkuppel mit kassettierten Füllungen wurde auf öffentlichen und politischen Druck mit Ziegeln verkleidet. Foto um 1971.

1964-77 wurde das ETH-Gebäude nach Plänen der Professoren Charles-Edouard Geisendorf (1913-85) und Alfred Roth (1903-98) nochmals erweitert, unter anderem durch die Hörsaaleinbauten in den beiden Innenhöfen und die Grossmensa unter der neuen Polyterrasse. O.C.   

Universität Zürich, Rämistrasse 71

Submitted by ottavio.clavuot on Sun, 01/02/2022 - 05:27

Nach dem Umsturz 1830 leiteten die Liberalen zur langfristigen Sicherung von Wohlstand und Demokratie eine umfassende Bildungsreform ein, zu der neben dem Ausbau der Volksschule auch die Gründung von Kantonsschule (Gymnasium) und Universität gehörten. 1833 nahm die Universität ihren Betrieb in Gebäuden der Fraumünsterabtei, dann im Hinteramt an der Augustinergasse auf. Erst 1864 erhielt sie im Südflügel der von Gottfried Semper für das Eidgenössische Polytechnikum (seit 1905 ETH) erbauten Anlage ein eigenes Schulgebäude. Das starke Wachstum der Universität führte seit 1897 zu Diskussionen über einen Neubau, doch erst nach der Standortwahl im Künstlergüetli auf dem ehemaligen Schanzengelände südlich der ETH und der Definition des Bauprogramms 1907, wurde in einem Architekturwettbewerb das Projekt von Curjel & Moser 1908 zur Ausführung bestimmt.

Künstlergüetli
Für den Bau der Universität abgebrochenen (von rechts): Gustav Wegmanns Ausstellungsbau der Künstlergesellschaft, das Restaurant „Künstlergüetli“ und die Blinden- und Taubstummenanstalt. Foto 1900.

Der 1911-14 realisierte Entwurf sah eine geschickt ins abfallende Gelände eingepasste, asymmetrische Anlage aus den zwei seitlich verschobenen Baukörpern des viergeschossigen Kollegiengebäudes und des dreigeschossigen Biologischen Instituts vor, deren Schnittstelle der stadtseitig 65 Meter hohe, in der Höhe gestaffelte, die Stadtsilhouette prägende Turm markiert.

Universität
Der sich von der symmetrischen Anlage der ETH abhebende, vor der Augenklinik frei ins Gelände eingepasste Gebäudekomplex der Universität. Jenseits der Rämistrasse das alte Kantonsspital. Foto um 1937.

Technisch bestimmen moderne Materialien – Eisenbeton, Stahl, Glas und Leimbinder – den Bau, optisch dominieren Verblendungen aus Verputz, Natur- und Kunststein sowie eine ausserordentlich reiche, mittelalterliche und barocke Elemente aufnehmende Jugendstil-Ornamentik. anz im Sinn des Jugendstils hat Karl Moser – wie im Fall des Kunsthauses – Aussenraum, Architektur, Bauschmuck (Skulptur und Malerei), Beleuchtungskörper und Mobiliar zu einem Gesamtkunstwerk gestaltet.

Universität Eingangshalle Künstergasse
Modifiziert umgesetzte Studie Karl Mosers für die Ausgestaltung der Eingangshalle zum Turm, um 1912.

Gartenterrasse, Bassins und Baumreihen, dazwischen die mit Treppen und Skulpturen dramatisch inszenierten Zugänge zu den plastisch kräftig gegliederten Haupteingängen, rahmen den Gebäudekomplex, dessen stark durchfensterte, über der Sockelzone von pilasterartig ausgebildeten Pfeilern gegliederte Fassaden mit darüberliegenden Mansardenwalmdächern der barocken Schlossarchitektur verpflichtet sind.

Universität Kollegiengebäude
Schlossartig wirkende Fassade gegen die Rämistrasse mit dem mit Treppen, Balustraden, Skulpturen und Kandelabern möblierten Vorplatz.

Das Kollegiengebäude umschliesst einen grossen Lichthof mit Glasbedachung, den sogenannten „Göttergarten“, auf den sich die umlaufenden, mit Kreuzgewölbe und romanisierenden Säulen an klösterliche Kreuzgänge erinnernden Wandelhallen in Arkaden öffnen. Gegen die Rämistrasse öffnet sich der Eingang im halbrund vorspringenden Vorbau, der hinter Kolossalarkaden die Aula, in der Winston Churchill am 19. September 1946 für ein vereintes Europa eintrat, und darunter den Grossen Hörsaal beherbergt. Gegenstück sind die im Halbkreis in den Lichthof ragenden Arkaden des zweiarmig-dreiläufigen Treppenaufgangs zur Aula.

Universität Lichthof
Der Lichthof des Kollegiengebäudes als Ausstellungsraum für die ursprünglich in Sempers Halle in der ETH aufgestellten Gipsabgüsse antiker Statuen. Foto 1914.

Gegen die Künstlergasse wird der Eingang zum Turm durch einen viergeschossigen, von der Tudor-Gotik inspirierten Scheinerker und einen vorgelagerten Säulenportikus markiert. Auch das ehemalige Biologische Institut umschliesst einen Lichthof mit Glasbedachung, in dem die zoologische Sammlung ausgestellt ist und über dem seit 1991 der von Ernst Gisel entworfene, auf vier Pfeiler abgestützte Hörsaal schwebt. Der von monumentalen, durch ein vorspringendes Bogendach verbundenen Doppelsäulen flankierte Eingang ist als Gegenstück des Treppenaufgangs zum Südportal der ETH gestaltet.

Universität Eingang Biologiegebäude
Floreale Formen schmücken den Eingang zum Biologischen Institut.

Obwohl bereits Karl Moser gleich nach Abschluss der Bauarbeiten mehrere Erweiterungsideen entwickelte, so z.B. 1917 das Projekt einer achsensymmetrischen Verdoppelung der Anlage Richtung „Schanzenberg“, ist das Universitätsgebäude mit Ausnahme der von Moser entworfenen Möblierung bis heute weitgehend unverändert erhalten geblieben.

Karl Moser Erweiterungsprojekt Universität
Erweiterungsprojekt für die Universität. Tagebuchnotiz Karl Mosers, 1916.

Neben Ernst Gisels Hörsaaleinbau, stellt der der Neubau der seit 1914 vom Zürcher Frauenverein betriebenen Mensa unterhalb des Kollegiengebäudes 1968/69 nach Plänen von Werner Frei den grössten Eingriff dar. 2001/02 wurde sie im Zusammenhang mit dem Einbau eines unterirdischen Hörsaals durch Gigon/Guyer grundlegend erneuert, ihr Dach begrünt und die Liegewiese vor dem Kollegiengebäude durch ein rosafarbenes Wasserbecken ersetzt. O.C. 

Ehemalige Augenklinik, Rämistrasse 73

Submitted by ottavio.clavuot on Wed, 11/10/2021 - 06:29

Der repräsentative Bau der ehemaligen Augenklinik zwischen ETH und Universität ist Ausdruck des Erstarkens und der Auffächerung der universitären Medizin in Spezialdisziplinen. Mit der Entstehung der modernen Klinik im 19. Jahrhundert wurden Spitäler nicht mehr primär auf die Versorgung und Verwahrung physisch oder psychisch kranker Menschen, sondern auf die Behandlung heilbarer Kranker ausgerichtet. Das 1842 eröffnete Zürcher Kantonsspital beherbergte zwei Universitätskliniken: die Innere Medizin und die Chirurgie, der auch die Augenheilkunde zugeordnet war. Die grossen Fortschritte in der Ophthalmologie und die Spezialisierung einzelner Ärzte auf dieses Gebiet, führten in verschiedenen europäischen Ländern zur Gründung privater Augenkliniken, da die Augenärzte mit ihrer Forderung nach eigenen Lehrstühlen und eigenständigen Universitätskliniken vor 1850 nicht durchdrangen. Die Chirurgen fürchteten die neue Konkurrenz und die Regierungen die Kosten. In Zürich bewilligte der Regierungsrat nach mehrjährigem Ringen 1862 einen Lehrstuhl für Augenheilkunde mit zugehöriger Klinik in den Gebäuden des Universitätsspitals und berief den Zürcher Augenarzt Johann Friedrich Horner, der seit 1856 eine ausserordentlich erfolgreiche Privatklinik betrieben hatte. Erst 1889 konnte sich Horners Nachfolger Otto Haab mit der Forderung nach einem selbständigen Klinikbau durchsetzen, mit dessen Planung Kantonsbaumeister Otto Weber, ein Schüler Gottfried Sempers, beauftragt wurde. Angesichts des grossen Renommees der Zürcher Augenheilkunde und der unmittelbaren Nachbarschaft des Neubaus zu Sempers monumentalem Hochschulgebäude konnte Weber die Verantwortlichen von der repräsentativen Gestaltung des Klinikbaus als zweiflügligen, historistischen Palazzo mit vorgeschobenem, erhöhtem, mit korinthischen Säulen geschmücktem Mittelrisalit überzeugen.

ehem. Augenklinik
Strassenfront der ehemaligen Augenklinik mit dem nach Geschlechtern getrennten Garten.

Die teuern Sandsteinfassaden des 1892-96 ausgeführten Baus umschlossen eine an ausländischen Vorbildern orientierte, moderne, zweckmässige Spitalinfrastruktur: Wirtschaftsräume und Stallungen für die Versuchskaninchen im Kellergeschoss; repräsentatives Vestibül, Räume für Forschung, Lehre und Verwaltung sowie Warte- und Untersuchungszimmer im Erdgeschoss; stationärer Bereich für 57 Erwachsene und 11 Kinder mit zwei Operationssälen, Krankenzimmern und grosszügigen Korridoren als Aufenthaltsbereich in den Obergeschossen.

Rämistrasse 73 Operationssaal
Operationssaal. Foto 1909.

Die Klinik war vollständig elektrifiziert, verfügte über Warmwasser in den Zimmern, nach Geschlechtern getrennte sanitäre Anlagen und eine an hygienischen Kriterien orientierte Ausstattung. Die Patienten waren in den Betrieb der Klinik eingebunden und mussten, sofern es ihr Zustand erlaubte, Mitpatienten betreuen und bei der Bewirtschaftung und Reinigung mithelfen.

Rämistrasse 73 Patienten und Schwestern
Krankenschwestern mit kleinen Patienten. Foto 1909.

1953 zogen das Kunsthistorische Institut und die Archäologische Sammlung in das Gebäude der Augenklinik ein, nachdem diese in moderne Räume im neugebauten Kantonsspital umgezogen war. O.C.

Archäologische Sammlung Rämistrasse 73
Gipsabgusssammlung des Archäologischen Instituts im Treppenhaus und dem grosszügigen Korridor im 1. OG der ehemaligen Augenklinik.

Gottfried Semper (1803-79), Architekt und Publizist

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 20:09

In Altona (Hamburg) in einer wohlhabenden Fabrikantenfamilie geboren, studierte Gottfried Semper in Göttingen, München und Paris. Durch Beobachtungen auf seiner Grand Tour durch Italien und Griechenland 1830-34 konnte er den Streit um die Frage, ob antike Architektur und Skulptur einfarbig oder bunt gewesen seien, zugunsten der Polychromie entscheiden.

Semper Polychromie
Sempers Rekonstruktion der farblichen Fassung des Gebälks des Athener Parthenons in der Schrift „Anwendung der Farben in der Architektur und Plastik des Alterthums … und des Mittelalters“. Kolorierte Lithografie, Dresden 1836.

1834-49 wirkte er als Architekturprofessor an der Akademie in Dresden, wo er unter anderem mit dem Bau des Hoftheaters (1836-41) Aufsehen erregte. Nach der Niederschlagung der Revolution 1849 floh Semper nach London. Richard Wagner, der Dresden 1849 ebenfalls verlassen musste und nach Zürich emigrierte, empfahl Semper mit Erfolg als Professor für das 1854 neu gegründete Eidgenössische Polytechnikum (seit 1905 ETH). Während seiner Zürcher Jahre 1855-71 baute Semper unter anderem den Kern das Hauptgebäudes der ETH (1859-64, mit Johann Kaspar Wolff), die Eidgenössische Sternwarte (1861-64), das Wohn- und Geschäftshaus Fierz (1865-67) sowie das Stadthaus in Winterthur (1865-69, durch einen Anbau 1932-34 stark beeinträchtigt).

Semper Stadthaus Winterthur
Semper gestaltete das Winterthurer Stadthaus als Monument der kommunalen Autonomie, indem er die Tempelfront des Haupteingangs auf ein hohes Podium mit doppelläufiger Freitreppe stellte. Foto 1904.

Auch nicht realisierte Projekte hinterliessen Spuren, wie etwa der Entwurf für den Bahnhof der NOB in Zürich 1861. Durch seine Lehrtätigkeit prägte er eine ganze Generation von Zürcher Architekten (ca. 220 Schüler), die im Stil der Semper‘schen Neurenaissance weiterbauten.

Semper Bahnhofprojekt 1861
Im Auftrag Alfred Eschers baute Jakob Friedrich Wanner (1830-1903) 1865-71 den Bahnhof der NOB (heute Hauptbahnhof) unter Verwendung von Sempers Projekt von 1861, das eine am Vorbild römischer Thermen orientierte Bahnhofhalle vorsah. Gottfried Semper, Projektzeichnung 1861.

Von grossem Einfluss waren auch seine Schriften, so das 1860-63 erschienene Hauptwerk Der Stil in den technischen und tektonischen Künsten, oder praktische Ästhetik, auf das später die niederländische Bewegung de Stijl direkten Bezug nahm. 1871-76 wirkte Semper bei der Erweiterung der kaiserlichen Hofburg in Wien (Neue Burg, Hofmuseen und Burgtheater) mit. In den letzten Lebensjahren konzentrierte er sich auf die Fertigstellung der Oper in Dresden (heute Semper-Oper), nachdem das von ihm errichtete Hoftheater 1869 abgebrannt war. O.C.

Gottfried Semper.

Gottfried Semper. Foto 1865.

Gustav Albert Wegmann (1812-58), Architekt

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 20:05

In Steckborn als Sohn eines württembergischen Kavallerie-Leutnants und einer Zürcher Bankierstochter geboren, studierte Gustav Albert Wegmann 1832-35 am Polytechnikum in Karlsruhe Architektur. Nach der Vertiefung seiner Ausbildung in München 1835-36, arbeitete er seit 1836 als Architekt in Zürich, wo er zusammen mit Ferdinand Stadler und Leonhard Zeugheer die Architekturszene bis zum Auftreten Gottfried Sempers dominierte. 1837 war er zusammen mit Carl Ferdinand von Ehrenberg Mitgründer der Gesellschaft Schweizerischer Ingenieure und Architekten (später Schweizerischer Ingenieur- und Architektenverein SIA).

Gustav Albert Wegmann
Gustav Albert Wegmann als planender Architekt mit Zirkel inszeniert. Anonym, Daguerreotypie, 1840-er Jahre.

Mit ausgesprochenem Sinn für zweckmässige Lösungen, Baumaterialien und Konstruktionen verstand er es, eigenständig die grosse Architektur seiner Zeit den bescheidenen Zürcher Verhältnissen anzupassen. Seine an Karl Friedrich Schinkels Berliner Bauakademie orientierte Alte Kantonsschule ist ein Paradebeispiel dafür. Er war mit den meisten zeitgenössischen Bauaufgaben vertraut und baute für das aufstrebende Bürgertum, den liberalen Staat und die rasch expandierende Wirtschaft.

Gewächshaus Botanischer Garten
Wegmanns grosses Gewächshaus im Botanischen Garten wurde 1977-79 zum Institutsgebäude des Völkerkundemuseums umfunktioniert. Rechnung für die Lieferung von Samen, 1862.

So errichtete er in Zürich etwa das Kantonsspital (1835-42, zusammen mit Leonhard Zeugheer, abgebrochen), die Mädchenschule beim Grossmünster (1850-53), das grosse Gewächshaus des neuen Botanischen Gartens auf dem mit der Entfestigung der Stadt aufgehobenen Bollwerks zur Katz (1836-38), den Bahnhof der Nordbahn (1846-47, abgebrochen), den Freimaurertempel auf dem Lindenhof (1851-54), die Villa Tobler-Stadler an der Winkelwiese (1852-55) oder dieTiefenhöfe am Neumarkt (heute Paradeplatz, 1855-59). O.C.

Grossmünster Mädchenschule
Das anstelle der ehemaligen Stiftsgebäude errichtete Mädchenschulhaus orientiert sich mit den neuromanischen Fassaden am Grossmünster und integriert in seinem Zentrum den rekonstruierten romanischen Kreuzgang. Foto 1913.
Tiefenhöfe

Die „Tiefenhöfe“ waren die ersten Geschäftshäuser am Paradeplatz, dem neuen Verkehrszentrum Zürichs nach 1830. Foto um 1867.

Wegmann Bahnhof Zürich
Wegmanns Nordbahn-Bahnhof (heute Hauptbahnhof) musste 1865 dem von Alfred Escher in Auftrag gegebenen Neubau Jakob Friedrich Wanners weichen. Lithografie eines unbekannten Künstlers, um 1847.

Kantonsschule Rämibühl

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:50

Die hohe Geburtenrate seit Anfang der 1940er Jahre, die in Zeiten des Wirtschaftswunders nach dem 2. Weltkrieg wachsende Nachfrage nach akademisch geschulten Arbeitskräften und der Umstand, dass nur die Städte Zürich und Winterthur (seit 1859) über Maturitätsschulen verfügten, veranlassten die Zürcher Regierung seit 1951 schrittweise zu einer Strategie des Ausbaus und der Dezentralisierung des Mittelschulwesens überzugehen. Durch den Bau von Kantonsschulen auf dem Land sollten regionale Chancenungleichheiten beseitigt, Begabungsreserven besser ausgeschöpft und die Landflucht gebremst werden. 1952 hiess das Volk die Gründung der Kantonsschule Zürcher Oberland gut, die 1955 in Wetzikon den Betrieb aufnehmen konnte. Der Raumnot der Stadtzürcher Kantonsschule (Alte und Neue Kantonsschule) sollte durch den Bau einer neuen Schulanlage für die Handelsschule und einen Teil des Realgymnasiums auf dem Freudenbergareal in der Enge sowie einen Neubau auf dem Rämibühlareal für den anderen Teil des Realgymnasiums, das Literargymnasium und die Oberrealschule (heute MNG) begegnet werden. Bis 1959 wurde das Projekt der Kantonsschule Freudenberg, deren Gebäude 1956-61 nach Plänen von Jacques Schader entstanden, verwirklicht.

Rämibühl Kataster Neuenschwander

Von Eduard Neuenschwander um Höhenlinien und Baumbestand ergänzter Katasterplan des Villenareals am Rämi, 1961.

Der im gleichen Jahr ausgeschriebene Planungswettbewerb für eine Kantonsschule auf dem 40‘850 m2 grossen Villenareal am Rämi beim „Sonnenbühl“, für das der Rektor des Realgymnasiums kurz zuvor die Bezeichnung „Rämibühl“ eingeführt hatte, gab als Bauprogramm für die drei Schulen mit rund 1750 Schülern zwei getrennte Schulhäuser, einen gemeinsam genutzten Naturwissenschaftstrakt, eine Turnanlage mit drei Hallen und Sportplätzen im Freien, eine Mensa sowie eine Aula bei möglichst weitgehender Schonung des alten Baumbestands vor. Eingereicht wurden 69 Projekte. Im August 1960 schlug das Preisgericht dem Regierungsrat vor, Eduard Neuenschwander mit der Weiterbearbeitung seines erstrangierten Projekts zu beauftragen.

Neuenschwander Rämibühl Modell

Modell des überarbeiteten Projekts der Kantonsschule Rämibühl von Eduard Neuenschwander, 1965.

KS Rämibühl - Luftaufnahme

Luftaufnahme der Kantonsschule Rämibühl von Süden, 1970.

Angesichts der hohen Kosten setzte dieser von Anfang an auf die Rationalisierung der Materialbeschaffung und des Bauablaufs sowie auf die Reduktion auf das funktional und konstruktiv Notwendige. Nachdem die Rämibühl-Vorlage am 25. Januar 1965 im Kantonsrat mit 122 zu 3 Stimmen verabschiedet worden war, musste sich das Vorhaben in der Öffentlichkeit gegen erheblichen Widerstand durchsetzen. Die Gegnerschaft bezog sich vor allem auf drei Punkte: die Kosten, den Standort und die Zerstörung des historischen Villenquartiers. So wurde argumentiert, die Baukosten seien viel zu hoch und würden zudem die Realisierung der weiteren Dezentralisierung des Zürcher Mittelschulwesens in Frage stellen. Mit dem Schlagwort „der falschen Schule am falschen Ort“ wurde der Anspruch der Universität auf das Rämibühlareal untermauert. Diese solle nicht im Strickhof, sondern im Hochschulquartier erweitert werden. Mit diesen Überlegungen verband sich teilweise auch die Kritik am Abbruch der Villen und am massiven Eingriff in die historisch gewachsene Parklandschaft.

Villenquartier am Rämibühl
Blick auf Villen und Gärten auf dem späteren Rämibühl. Luftaufnahme von Eduard Spelterini, 1903.

Die dem Komitee der Gegner mit einem eigenen Aktionskomitee begegnenden Befürworter des Projekts, allen voran die drei Schulleitungen und die Schülerschaft, engagierten sich mit grossem Einsatz im Abstimmungskampf und vermochten schliesslich – nicht zuletzt dank eines Schweiz weit Aufsehen erregenden Demonstrationszugs am 13. Mai – die Stimmbürger knapp von der Notwendigkeit des Neubaus zu überzeugen. So wurde das Projekt am 16. Mai 1965 mit 77‘276 gegen 70‘383 Stimmen angenommen. Nach dem Abbruch der Villen 1966 konnte mit dem Bau der Schulanlage begonnen werden, die im Herbst 1970, ein halbes Jahr früher als geplant, fertig gestellt war. O.C.

Video file
Fernsehen SRF, Antenne vom 12. Mai 1965 zur Rämibühl-Abstimmung. Erhaltenes Beitragsfragment.

Alte Kantonsschule, Rämistrasse 59

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:36

Mit dem nach der liberalen Revolution 1832 vom Grossen Rat beschlossenen Unterrichtsgesetz wurde die obligatorische Volksschule eingeführt und die Rechtsgrundlage geschaffen für die Gründung der Kantonsschule und der Universität. So nahm die Kantonsschule Zürich 1833 den Schulbetrieb in zwei selbständigen Abteilungen auf: dem neuhumanistischen Gymnasium (heute Real- und Literargymnasium) und der berufsbildenden Industrieschule (heute MNG Rämibühl). Bis zum Bau eines neuen Schulgebäudes für 300 bis 400 Schüler auf dem Rämibollwerk 1839-42 war die Kantonsschule im alten, 1844 abgebrochenen Stiftsgebäude beim Grossmünster untergebracht. Lange umstritten waren Standort und Architekturstil des Schulhausneubaus. Der schliesslich beauftragte Gustav Albert Wegmann nutzte die prominente Lage auf dem einstigen Bollwerk zur machtvollen Inszenierung des liberalen Bildungsgedankens und des neuhumanistischen Bildungsideals. Erschlossen wird der gesockelte, viergeschossige, klassizistische Kubus mit einem von Blechzinnen verdeckten, zum Innenhof geneigten Pultdach talwärts von einer breiten Freitreppe, die vom Exerzier- und Turnplatz (heute Erweiterungsbau des Kunsthauses) zum Schulgebäude hinaufführte.

Alte Kantonschule

Alte Kantonsschule mit Turnschopf, Turnplatz und Wolfbach-Bassin, Zeichnung von Siegfried, um 1849. Koloriertes Aquatintablatt, erschienen bei Heinrich Füssli & Cie., 1850.

Der dem Bau zugrunde liegende Raster von acht mal sieben bis auf die Portale identischen Fensterachsen wird in der strengen, nur sparsam mit dekorativen Terracotta-Elementen belebten Geometrie der Fassaden- und Fenstereinteilung sichtbar. Die Schulzimmer sind um einen Innenhof angeordnet, der für die Belichtung der Korridore sorgt. Als Vorbild für die Gesamtform, die Stockwerkzahl, die Fassadengliederung sowie für die Grösse und Form der Fenster dieses Pioniers des Schulhausbaus diente Wegmann die 1832-35 von Karl Friedrich Schinkel als Sichtbacksteinbau errichtete Bauakademie in Berlin. Nicht übernommen hat Wegmann Konstruktion und Material seines Vorbilds. Da Ziegel in Zürich um 1840 noch nicht in der erforderlichen Qualität produziert wurden und der Regierungsrat verputzte Mauerflächen wünschte, wählte Wegmann die traditionelle Holzsprengwerkkonstruktion. O.C.

Alte Kantonschule

Alte Kantonsschule, Südfassade mit vorgelagerter Freitreppe.

Neue Kantonsschule, Rämistrasse 74/76

Submitted by admin on Sun, 06/06/2021 - 18:04

Das allgemeine Bevölkerungswachstum, die Gründung des schweizerischen Bundesstaates 1848 und der daraus resultierende wirtschaftliche Aufschwung führten zur raschen Zunahme der Zahl der Kantonsschüler auf 860 im Jahr 1904/05. Der zunehmenden Raumnot und dem Druck, im Interesse der Konkurrenzfähigkeit im globalen Wettbewerb die Qualität der höheren Bildung zu stärken, begegnete die Zürcher Regierung 1906-09 mit dem Bau der „Neuen Kantonsschule“ auf der Wässerwiese oberhalb des Altbaus. Die von Kantonsbaumeister Hermann Fietz (1869-1931) errichtete neubarocke Vierflügelanlage diente der Kantonsschule und dem Chemischen Institut der Universität.

Neue Kantonschule
Universitäts- und Kantonsschulbau, im Vordergrund der Flügel der Neuen Kantonsschule, 1909.

Diese Doppelfunktion manifestiert sich in den beiden mit Jugendstil-Elementen reich geschmückten Portalrisaliten der durch Freitreppen erschlossenen Repräsentationsfassade gegen die Rämistrasse.

Neue Kantonschule Portal
Portal der Kantonsschule.

Während das Realgymnasium in der Alten Kantonsschule verblieb, bezogen die Industrieschule (heute MNG) und die von dieser 1904 organisatorisch abgetrennte Handelsschule (heute Wirtschaftsgymnasium Enge) das neue Gebäude, das auch die naturwissenschaftlichen Fachzimmer der ganzen Kantonsschule beherbergte.

Rämibühl Neue KS Chemielabor
Chemielabor der Kantonsschule, 1965.

Mit dem Bau der Kantonsschule Rämibühl ging das ganze Gebäude 1970 an die Universität über und wurde 2002–04 für das Rechtswissenschaftliche Institut saniert und um einen von Santiago Calatrava (*1951) konzipierten Hofeinbau für die Bibliothek erweitert. O.C.

Kantonschule Rämibühl
Santiago Calatrava, Hofeinbau für die Bibliothek des Rechtswissenschaftlichen Instituts.