Als Sohn eines Auslandschweizers in New Jersey geboren, wuchs William Dunkel in Buenos Aires und Lausanne auf. Nach dem Studium in Dresden 1912-17 kam er als Maler, Reklamezeichner und Architekt in Düsseldorf in Kontakt mit Paul Klee, Otto Dix, Max Liebermann und Oskar Kokoschka. 1923 eröffnete er ein eigenes Architekturbüro und erlangte durch verschiedene Wettbewerbserfolge im Rheinland und Ruhrgebiet, wie etwa durch das Brückenkopfgebäude Rheinpark in Düsseldorf (1926), Bekanntheit.
Expressive Kohlezeichnung des Wettbewerbsprojekts zum Brückenkopfgebäude des Rheinparks in Düsseldorf, mit dem William Dunkel 1926 den 1. Preis gewann.
Als Professor 1929 nach Zürich berufen, unterrichtete er bis 1959 an der ETH und entwarf zahlreiche Bauten in der Schweiz und im Ausland, so zum Beispiel das Stadion Letzigrund in Zürich (1957-58) oder die National Bank of Iraq in Bagdad (1954).
Zu seinen Studenten zählten unter anderem Max Frisch und Jakob Zweifel. Dunkel, ein undogmatischer Vertreter des Neuen Bauens, verstand sein architektonisches Schaffen ähnlich wie Le Corbusier primär als künstlerischen Akt und blieb Zeit seines Lebens auf Distanz zu Rationalisten wie Walter Gropius oder Mies van der Rohe.
Dies wird am Geschäftshaus „Rämibühl“ wie auch an seinem 1961 vom Volk verworfenen Projekt für das neue Zürcher Stadttheater (Opernhaus), das sich an Alvar Aaltos Theater in Essen orientierte, deutlich. O.C.
Modell des 1961 erstprämierten Wettbewerbsprojekts von William Dunkel zum Neubau des Zürcher Stadttheaters.
Der Schriftsteller und Architekt Max Frisch (1911-1991) besuchte von 1924 bis 1930 das Realgymnasium der Kantonsschule Zürich.
Obwohl Frisch auch mehrere Jahre im Ausland gelebt hat (Rom, New York, Berlin), ist sein ganzes Leben eng mit seiner Geburtsstadt Zürich und insbesondere mit der Gegend um das Rämibühl-Areal verbunden. Aufgewachsen ist er an der Heliosstrasse 31 beim Hegibachplatz. Sein Vater Franz Bruno Frisch war ein zunächst erfolgreicher Architekt, der während der Wirtschaftsflaute im Ersten Weltkrieg allerdings arbeitslos wurde und sich nach dem Krieg mehr schlecht als recht als Immobilienmakler durchschlug.
Vom Frühjahr 1924 bis zum Herbst 1930 besuchte Frisch die Kantonsschule, Abteilung Realgymnasium – dieselbe Schule, die Elias Canetti von 1917 bis 1921 besucht hatte. Zum Teil hatte Frisch die gleichen Lehrer wie Canetti. Anders als bei letzterem war die Schulzeit für Frisch jedoch kein einschneidendes Ereignis in seinem Leben. Die wenigen Aussagen Frischs zu diesem Lebensabschnitt hat Julian Schütt in seiner massgeblichen Frisch-Biographie gesammelt und kundig ausgewertet.
„Ich habe keine intensive Erinnerung an diese Mittelschulzeit, also auch nicht die, dass es ein Schrecken war.“
(Heinz Ludwig Arnold: Gespräche mit Schriftstellern, München 1975, S. 10)
Anders als Canetti war Frisch kein herausragender Schüler, aber doch ein recht guter (er schloss die Matura mit einer 5 in den meisten Fächern ab). Besonders gern mochte er die Fächer Deutsch und Zeichnen, worin sich bereits seine spätere (doppelte) Berufswahl andeutet. Mühe hatte er mit Physik und Geographie.
Die eigentliche intellektuelle Inspirationsquelle jener Jahre war jedoch nicht die Schule, sondern das nahegelegene Schauspielhaus. Als Frisch fünfzehn war und die 3. Klasse des Gymnasiums besuchte, faszinierte ihn eine Aufführung von Schillers Die Räuber derart, dass er selbst Stücke zu schreiben begann. In kurzer Zeit entstanden bis zu einem halben Dutzend Theaterstücke, die Frisch zum Teil selbst in der Schule zur Aufführung brachte. Sie sind heute alle verschollen. Sein erstes Stück schickte er mit beneidenswertem Selbstbewusstsein gleich an den berühmtesten Theaterregisseur seiner Zeit, Max Reinhardt in Berlin. Er erhielt eine höfliche Absage.
Interessant ist, dass die Frage der Identität und des „Bildnisses“ – die beiden späteren Lebensthemen Frischs – sich bereits in der Schulzeit ein erstes Mal ankündigen. Gemäss seinem Biographen Julian Schütt empfand Frisch seine Schuljahre als „Jahre der Festlegungen, vorerst weniger der mentalen als der körperlichen Fixierungen, der schmerzhaft äusserlichen Bilder“. Eine Augenkrankheit im Kinderalter hatte bei Frisch zu einer Lähmung der Lider geführt, was ihm ein spöttisches, misstrauisches, arrogantes Aussehen verlieh. Auch litt Frisch an seiner in seinen Augen zu kleinen Nase und darunter, überhaupt auf ein bestimmtes Äusseres festgelegt zu sein.
Man kann das als typische Pubertätssorgen abtun, aber vielleicht besteht die Faszination von Frischs Werk gerade darin, dass es aufzeigt, wie uns diese vermeintlich bewältigten Jugendsorgen auch im Erwachsenenalter wieder einholen. Der fünfzigjährige Walter Faber, die Hauptfigur in Frischs Roman Homo faber, erinnert sich, als er sich in eine zwanzigjährige Frau verliebt, wieder an die jugendlichen Sorgen um sein Aussehen. Dabei war er von den genau gleichen Zweifeln betroffen, die auch den Mittelschüler Frisch beschäftigten (ausser dass Fabers Nase zu lang und nicht zu klein ist).
Ich war der einzige Gast, weil noch früh am Abend, und was mich irritierte, war lediglich der Spiegel, Spiegel im Goldrahmen. Ich sah mich, sooft ich aufblickte, sozusagen als Ahnenbild: Walter Faber, wie er Salat isst, im Goldrahmen. [...] ich sah ausgezeichnet aus. Ich bin nun einmal (das wusste ich auch ohne Spiegel) ein Mann in den besten Jahren, grau, aber sportlich. Ich halte nichts von schönen Männern. Dass meine Nase etwas lang ist, hat mich in der Pubertät beschäftigt, seither nicht mehr; [...] was mich irritierte, war einzig und allein dieses Lokal: wo man hinblickte, gab es Spiegel, ekelhaft [...].
"You are looking like -" Nur wegen dieser blöden Bemerkung von Williams (dabei mag er mich, das weiss ich!) blickte ich immer wieder, statt meinen Fisch zu essen, in diese lächerlichen Spiegel [...].
Max Frisch: Homo faber (1957), S. 98.
„Ich habe als Schüler erfahren, wie [meine Physiognomie] den einen oder anderen Lehrer verdrossen hat: ein mässiger Schüler und eine solche Arroganz.“
(Max Frisch: Montauk)
„Schreck: So und so sehe ich aus – Schreck, ein Gesicht zu haben: bestimmt, begrenzt, geprägt sein, gefangen sein, geboren sein.“
(Notizheft H.117, aufbewahrt im Max-Frisch-Archiv Zürich, zitiert nach: Schütt, Max Frisch, S. 65)
Frisch geht in dieselbe Klasse wie Werner Coninx, der Sohn des Gründers der Tages-Anzeiger AG. Mit diesem wird er sich erst nach seiner Schulzeit richtig befreunden. Der reiche Coninx finanziert Frisch dann dessen Architekturstudium. Die schwierige, ambivalente Freundschaft mit Coninx hat Frisch in seiner autobiographischen Erzählung Montauk beschrieben.
Nach der Matura studierte Frisch zunächst Germanistik an der Uni Zürich, musste sein Studium aus finanziellen Gründen jedoch abbrechen. Er arbeitete einige Jahre als Journalist und veröffentlichte erste Romane. Von 1936 bis 1940 studierte er Architektur an der ETH Zürich bei Otto Salvisberg und William Dunkel. Frisch arbeitete nur wenige Jahre als Architekt. Sein berühmtestes Bauwerk ist das Freibad Letzigraben, das von 1947 bis 1949 erstellt und 2006/07 saniert wurde. Frisch beschreibt die Bauarbeiten in seinem Tagebuch 1946-49.
Später hat sich Frisch vor allem theoretisch über Architektur geäussert. In den frühen 1950er-Jahren beteiligte er sich an der Seite von Armin Meili an der städteplanerischen Debatte um Wohnhochhäuser. Er schrieb dafür das Hörspiel Der Laie und die Architektur (1954). Ab 1964 sass Frisch in der Jury, die über einen Neubau des Schauspielhauses am Heimplatz befand. Aus dem Wettbewerb ging das Projekt des dänischen Architekten Jørn Utzon, der bereits das Sydney Opera House entworfen hatte, als Sieger hervor. Es sah einen Neubau am Standort des heutigen Kunsthaus-Erweiterungsbaus und einen verkehrsfreien Heimplatz vor. Das Projekt wurde 1970 beerdigt.
"ich schwitze; sogar Zürich bedrängt mich, Stadtrat Widmer war hier, ich habe als Preisrichter anzutreten im Wettbewerb für das neue Schauspielhaus, und anderes mehr, ich brauche nur nachzugeben, um meine Zeit als Maestro zu verbringen statt zu arbeiten - Noch arbeite ich..."
Max Frisch an Ingeborg Bachmann, Rom, 6. August 1962
Als Schriftsteller erlangte Frisch mit seinen Dramen, Romanen und den „Tagebüchern“ Weltruhm; mehrfach wurde er für den Nobelpreis nominiert. Als sich politisch dezidiert links verortender Intellektueller prägte er die Schweizer (und bundesrepublikanische) Politik und Gesellschaft über Jahrzehnte mit, wobei er sich in der bürgerlich dominierten Schweiz auch viele Feinde machte. Noch die aus seinem Nachlass edierten Werke erregen regelmässig die öffentliche Debatte (so sein 2015 erschienener Kommentar zur Fichen-Affäre: Ignoranz als Staatsschutz?)
Es ist auf eine Art folgerichtig, dass Frischs Leben, das so eng mit der Gegend um den Rämihügel verbunden war, auch dort endete. Seinen letzten öffentlichen Auftritt hatte Frisch auf der Bühne des Schauspielhauses, anlässlich der Premiere seines Stücks Jonas und sein Veteran – einer Auseinandersetzung mit der Initiative zur Abschaffung der Schweizer Armee. Gestorben ist Frisch in seiner Wohnung beim Bahnhof Stadelhofen (Stadelhoferstrasse 28), wo heute eine Gedenktafel an ihn erinnert. C.V.
Der Geschäftshauskomplex besteht aus dem Vorderhaus an der Rämistrasse und dem durch einen Hof getrennten, tiefer liegenden Hinterhaus. Er wurde im Auftrag des Musikhauses Jecklin nach Plänen von William Dunkel 1957-58 durch die Ernst Göhner AG in den Formen der klassischen Moderne erbaut. An der Rämistrasse präsentiert er sich als kubisch wirkender, viergeschossiger Eisenbeton-Skelettbau über rechteckigem Grundriss mit zurückversetztem Attikageschoss. Über dem eng stehenden Stützenraster des strassen- und hofseitig verglasten Erdgeschosses rahmen hellgestrichene, vorkragende Betonscheiben die quadratischen, gelb gefassten Drehflügelfenster mit integriertem Sonnenschutz und Leichtmetallbrüstung der drei Obergeschosse. Im Gegensatz zu den transparent wirkenden Langseiten dominieren an den Schmalseiten die Betonflächen, die durch die in der Achse des zentralen Korridors ausgeschnittenen Fenster und die geschossübergreifenden Schlitze des Treppenhauses belebt werden. Das fein auskragende Vordach über den strassenseitigen Fenstern des Erdgeschosses schützt auch die an der unteren Schmalseite zum Haupteingang hinaufführende Freitreppe.
Während in den Obergeschossen Praxisräume, Büros, Ateliers und Werkstätten eingerichtet wurden, nahmen das Erdgeschoss und das gegen den Hof verglaste Untergeschoss bis 2003 das „Disco-Center Jecklin“ auf.
Der trapezförmige, vierstöckige Baukörper des Hinterhauses ist über eine zweigeschossige Hofunterkellerung mit dem Vorderhaus verbunden. Seine äussere Erscheinung wird bestimmt durch drei Betonwandscheiben in Gebäudehöhe – eine die Schmalseite bildend, je eine gegenüberliegend an den Trapezarmen – und die sie verbindenden Glasfronten, deren schmale Fensterachsen durch ein Raster filigraner Metallprofile und -panele strukturiert wird. OC.
In Feuerthalen als Sohn eines Schaffhauser Hutfabrikanten geboren, studierte Othmar Ammann nach dem Besuch der Industrieschule in Zürich (heute MNG) 1897-1902 Bauingenieurwesen am Eidgenössischen Polytechnikum (heute ETH). Bei Brückenbaufirmen in Brugg und Frankfurt sammelte er erste praktische Erfahrungen, bevor er 1904 in die USA reiste, um dort seine Kenntnisse zu vertiefen. In New York fand er sofort eine Anstellung als Assistant Engineer für mehrere Eisenbahnbrücken im Ingenieurbüro von Joseph Mayer. Das rasante Bevölkerungswachstum der aufstrebenden amerikanischen Wirtschaftsmetropole und die sich abzeichnende Motorisierung des Strassenverkehrs führten zu einer gewaltigen Nachfrage nach Infrastrukturbauten – Eisenbahntrassen, Strassen, Brücken, Tunnels.
In den folgenden Jahren arbeitete Ammann bei verschiedenen Stahlbaufirmen in Harrisburg, Chicago und Philadelphia. 1907 beauftragte ihn Frederic C. Kunz, neben Joseph Mayer einer der Spezialisten für Brücken mit grossen Spannweiten, mit der Bearbeitung der Werkpläne der vom österreichisch-amerikanischen Ingenieur Gustav Lindenthal (1850-1935) entworfenen Queensboro Bridge über den East River und delegierte ihn zur Untersuchung des Einsturzes der im Bau befindlichen Quebec Bridge über den Sankt-Lorenz-Strom. Der mustergültige Bericht empfahl Ammann für den Wiederaufbauentwurf der Brücke. 1912 stellte ihn Gustav Lindenthal, der damals bedeutendste Brückenbauer der USA, als stellvertretenden Chefingenieur ein und betraute ihn mit der Planung der Hell Gate Bridge über den East River, der mit 300 Metern Spannweite damals längsten Stahlfachwerkbogenbrücke. .
Nach dem kriegsbedingten Einbruch der Bautätigkeit 1917-19 arbeitete er an Lindenthals Projekt einer gigantischen, zweistöckigen Eisenbahn- und Strassenbrücke über den Hudson zwischen New Jersey und der 57. Strasse Manhattans. Da Ammann zur Überzeugung gelangte, dass Midtown Manhattan den Verkehr nicht aufnehmen könnte und der Bau nicht finanzierbar sei, kam es 1923 zum Bruch mit Lindenthal.
In den folgenden zwei Jahren plante und lobbyierte Ammann in Eigenregie für das Projekt einer Hängebrücke auf der Höhe der 179. Strasse, die mit 1067 Metern Länge alle bisherigen Hängebrücken um mehr als das Doppelte übertreffen sollte. Für das bei Hängebrücken grosser Spannweite schwierige Problem der Versteifung des Tragwerks entwickelte er die Idee, Stabilität durch Gewicht und Massenträgheit von Aufhängung und Fahrbahn statt durch zusätzliche Versteifungen zu erreichen. Dadurch konnten gleichzeitig Material, Gewicht und Kosten eingespart und Spannweiten massiv erhöht werden. Dies entsprach ganz Ammanns Ideal grösst-möglicher Einfachheit, Funktionalität und dadurch auch höchster ästhetischer Qualität. 1925 konnte er sich mit seinem Projekt durchsetzen: Er wurde zum Chefingenieur der Port Authority of New York and New Jersey ernannt, der für die Infrastruktur verantwortlichen Behörde. In dieser Stellung begann er 1927 den Bau der George Washington Bridge. Als der Ausbruch der Weltwirtschaftskrise nach 1929 Einsparungen erzwang, verzichtete er auf die ursprünglich geplante Verkleidung des Stahlfachwerks der Brückenpfeiler mit Betonplatten. Nicht zuletzt dadurch wurde das 1931 vom Gouverneur von New York, dem späteren US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt, eingeweihte Bauwerk zur stilbildenden Ikone des modernen Brückenbaus.
Gleichzeitig mit der George Washington Bridge baute Ammann die Goethals Bridge, die Outerbridge Crossing und die Bayonne Bridge, die mit 504 Metern Länge damals längste Stahlfachwerkbogenbrücke. Sein Wissen und seine Erfahrung fasste er in einem Buch zusammen, das rasch zum Standardwerk des Brückenbaus wurde.
Ab 1934 fungierte Ammann auch noch als Chefingenieur der Triborough Bridge and Tunnel Authority unter Robert Moses (1888-1981), der in dieser Zeit zum bedeutendsten Stadtplaner New Yorks aufstieg. Moses hatte bereits in den 1920er Jahren angefangen ein System von Parkways um New York herum anzulegen und begann nun die Umgestaltung New Yorks zu einer autogerechten Stadt mit dem Bau von Stadtautobahnen und Brücken, denen teilweise ganze Stadtquartiere weichen mussten, umzusetzen. Für ihn plante Ammann unter anderem die Triborough und die Bronx Whitestone Bridge.
Auch ausserhalb New Yorks war Ammann gefragt: So war er etwa 1931-37 als Berater auch massgeblich am Entwurf der Golden Gate Bridge in San Francisco beteiligt. Nach der Pensionierung 1939 tat er sich 1946 mit dem Betoningenieur Charles S. Whitney zusammen und gründete das weltweit tätige Büro Ammann & Whitney. Im Auftrag von Robert Moses realisierte der inzwischen in den Achtzigern Stehende 1959-64 die Verrazano Narrows Bridge zwischen Staten Island und Brooklyn. Mit dieser eleganten Brücke, deren Spannweite von 1298 Metern die der Golden Gate Bridge noch übertraf, krönte Ammann sein die städtebauliche Entwicklung New Yorks prägendes Wirken. O.C.
Nach dem liberalen Umsturz 1830 baute der Kanton nicht nur eine moderne Infrastruktur für Bildung und Verkehr auf, sondern auch für das Gesundheitswesen, mit der Einrichtung einer medizinischen Fakultät an der 1833 gegründeten Universität und eines Kantonsspitals. 1836 beschloss der Kantonsrat den Bau einer kantonalen Krankenanstalt für 150 Patienten, auf dem auch vom Land her gut erreichbaren ehemaligen Schanzenvorgelände der ersten Hangterrasse des Zürichbergs oberhalb der späteren Rämistrasse. Im Gegensatz zum bisherigen Spital in den Gebäuden des einstigen Predigerklosters sollte das neue Spital weniger der Versorgung und Verwahrung Kranker und Armer dienen als vielmehr der Behandlung heilbarer Patienten mit den Mitteln der universitären Medizin. Die 1837-42 nach Plänen von Gustav Albert Wegmann und Leonhard Zeugheer errichtete Spitalanlage gewann internationale Anerkennung. Der 178 Meter lange, symmetrisch aus einem dreigeschossigen, H-förmigen Mitteltrakt und zwei zweigeschossigen, L-förmigen Seitenflügeln bestehende Hauptbau beherbergte die Klinik für Innere Medizin und die Chirurgie.
Die Anatomie mit Hörsaal, Sammlungs- und Nebenräumen sowie die Abteilung für Infektionskrankheiten wurden aus hygienischen Gründen etwas abseits in eigenen Gebäuden untergebracht. Seit Mitte der 1870-er Jahre führten die zunehmende Spezialisierung der medizinischen Wissenschaften und die Ausweitung der Bettenzahl zur schrittweisen Überbauung der Hangzone hinter dem Hauptgebäude mit neuen Spezialkliniken.
Nach längeren Diskussionen über eine grundlegende Modernisierung des Spitals wurde 1933/34 ein Ideenwettbewerb für einen Spitalneubau mit 1200 Betten beim Burghölzli ausgeschrieben. Durch die Verkürzung der Plattenstrasse und die Verlängerung der Gloriastrasse an die Rämistrasse schuf der Regierungsrat 1937 Raum für einen Spitalneubau am alten Standort in unmittelbarer Nähe zur Universität. Mit der Planung wurden die Preisträger des Ideenwettbewerbs beauftragt, die sich 1939 zur „Architektengemeinschaft für das Kantonsspital Zürich“ (AKZ) zusammenschlossen. Federführend waren Haefeli Moser Steiger (HMS: Max Ernst Haefeli, Werner M. Moser, Rudolf Steiger) und Hermann Fietz (1898-1977). Zur Organisation und architektonischen Bewältigung der vielfältigen Funktionen der Krankenversorgung, Lehre und Forschung eines modernen, effizienten Universitätsspitals gab es verschiedene, damals international diskutierte Konzepte (lineare oder kammartige Gebäudeanordnung, Block- oder Pavillonbau) und Vorbilder, darunter das von Alvar Aalto 1929-33 errichtete Sanatorium in Paimio, das Sanatorium Zonnestraal in Hilversum (1926-28) oder das Söderspital in Stockholm (1937-44).
Nach intensiver Auseinandersetzung mit den Funktionsabläufen des Kantonsspitals, Konzepten und Vorbildern entschied sich die AKZ für die Anordnung der Spezialkliniken und Funktionsbereiche als verbundene Block- und Pavillonbauten, die vertikale Stapelung gleicher Funktionen innerhalb der Bauten, die Minimierung stark frequentierter Wege von Personal und Patienten sowie die Schaffung einer den Heilungsprozess fördernden hellen, ruhigen und wohnlichen Atmosphäre durch Gliederung, Materialwahl und Orientierung der Krankenzimmer auf den Park hin. Zudem musste das neue Spital am bisherigen Standort sorgfältig in den städtebaulichen Kontext integriert werden und etappenweise so um die Altbauten herum entstehen, dass der Betrieb jederzeit gewährleistet werden konnte. Aus diesen Erfordernissen wurde eine strahlenförmig aufgebaute Anlage entwickelt, mit der Polyklinik parallel zur Rämistrasse, im rechten Winkel daran anschliessenden L-förmig um das alte Spital herumgeführten Bettentrakten und einer weiteren vom Gelenkpunkt hangwärts führenden Achse mit Einlieferungs-, Operations-, Pathologie-, Küchen- und Hörsaaltrakt. Auf diese Weise blieb auch der Spitalpark mit seinem alten Baumbestand erhalten.
1942-51 wurde das damals grösste, auch der Arbeitsbeschaffung dienende Bauprojekt der Schweiz, trotz der in den ersten Jahren kriegsbedingten Materialknappheit für fast 100 Mio. Franken realisiert. Das alte Kantonsspital wurde 1951 mit Ausnahme des Anatomiegebäudes (Gloriastrasse 19) abgerissen. Die individuell gestalteten Bauten der Anlage werden durch die durchgängige Sichtbarmachung der Skelettkonstruktion und die Verwendung gleicher Materialien für die gleichen Funktionen als Einheit erfahrbar. Die Traufkante der direkt der ETH gegenüberliegenden, in den Formen der gemässigten Moderne gestalteten Polyklinik nimmt die Höhe der Strassenfront der Hochschule auf und schirmt vermittelnd den hochhausartigen Bettentrakt gegen die Rämistrasse ab. Über dem weiten, auch an der Fassade ablesbaren Stützenraster der Eingangshalle erhebt sich der kleinteilige Fensterraster der drei oberen Geschosse, während das zurückversetzte Dachgeschoss hinter der Kante der Dachterrasse verschwindet. Die Mittelachse der unprätentiös wirkenden Fassade wird durch das grosse Vordach des Haupteingangs und die Balkone darüber akzentuiert. Wiederholt werden das Balkonmotiv und die Fassadengliederung der Obergeschosse an der Front der niedrigeren, durch ein vorspringendes Treppenhaus abgetrennten Kantonsapotheke.
Den grosszügigen, von Gustav Ammann (1885-1955) gestalteten Spitalpark rahmen die bis zu neun Geschosse hohen Bettenhäuser mit teilweise gedeckter Dachterrasse. Mittelgänge erschliessen die zum Park gelegenen Krankenzimmer und die rückwärtigen Diensträume des Personals. Die langen, durch den Fensterraster bestimmten Fassaden werden auf der Parkseite durch niedrigere Vorbauten mit Aufenthaltsbereichen für stationäre Patienten (Loggien, Balkone, Dachterrasse mit Pilzdach) aufgelockert, auf der Rückseite durch die vorspringenden, die Traufkante überragenden, Treppenhäuser.
Aussen wie innen werden die grossen Volumen und Flächen aufgebrochen und durch die variantenreiche Verwendung moderner und traditioneller Materialien, wie Beton, Kunststein, Marmor, Verputz, Terracotta, Holz und Glas in ornamental wirkender Weise strukturiert. Die technische Ausstattung sowie das ganze Mobiliar wurde von der AKZ in enger Zusammenarbeit mit dem medizinischen Personal entwickelt und die Anbringung von Skulpturen und Malereien gegen Sparforderungen durchgesetzt.
Für das Personal plante die AKZ 1951 ein Hochhaus auf der Platte, das allerdings nicht mehr von ihr ausgeführt wurde. Die seit den 1960-er Jahren im Zuge der Erweiterung des Spitals vorgenommenen Neubauten, Verdichtungen und Aufstockungen haben die Struktur der Anlage und die sorgfältige Gliederung der verschiedenen Baukörper zunehmend verwischt und ein amorphes Konglomerat von Bauten entstehen lassen. O.C.
Als Sohn des damals führenden Aargauer Architekten Robert Moser (1833-1901) in Baden geboren, unternahm er nach dem Studium am Eidgenössischen Polytechnikum (ab 1905 ETH) 1878-82 und an der Pariser Ecole des Beaux Arts 1882-84 eine ausgedehnte Studienreise nach Italien. 1888 gründete er in Karlsruhe mit dem in St. Gallen als Sohn eines Textilkaufmanns geborenen, in Karlsruhe aufgewachsenen Robert Curjel (1859-1925) ein überaus erfolgreiches, gut vernetztes Architekturbüro, das seit 1892 auch in der Schweiz Niederlassungen hatte. Die Arbeit an den zahlreichen Bauprojekten des Büros wusste er mit Reisen nach Frankreich, England, Belgien, Deutschland, Österreich und Italien zu verbinden, auf denen er – ständig mit dem Zeichenstift unterwegs – sich mit historischen und aktuellen Bauten beschäftigte und Kontakte knüpfte.
Mit der Berufung an die ETH 1915, wo Moser zum wichtigsten Entwurfsprofessor neben Gustav Gull wurde, endete die Bürogemeinschaft mit Robert Curjel. Neben seiner Lehrtätigkeit betrieb Moser in Zürich ein eigenes Architekturbüro und arbeitete 1916-25 in verschiedenen städtischen Kommissionen an der Stadtplanung mit. Im Laufe seines Lebens beschäftigte er sich mit nahezu allen öffentlichen und privaten Bauaufgaben: Kirchen, Bahnhofs-, Schul- und Museumsbauten, Banken, Hotels, Wohn- und Geschäftshäusern, Villen und Siedlungen. Er verstand Architektur immer als eine gesellschaftliche und gestalterische Aufgabe, die es rational und undogmatisch, ausgehend von der geforderten Funktion und örtlich gegebenen Situation mit den zur Verfügung stehenden technischen Mitteln und Materialien im Zusammenwirken mit den anderen Künsten plastisch zu lösen galt. Bis zum Ersten Weltkrieg stand sein Schaffen in der Tradition des süddeutschen Jugendstils, der auf historische Stile zurückgreifende, strenge und schwere Formen bevorzugte. In Zürich dokumentieren die von ihm errichteten Gebäude für das Kunsthaus (1907-10) und die Universität (1911-14) diese Phase. In der Kirche Fluntern (1918-20) manifestiert sich Mosers Hinwendung zum Neuklassizismus.
Reisen in die Niederlande und nach Paris brachten ihn seit 1922 in Kontakt mit Bauten und Vertretern der frühen Moderne, wie Hendrik Petrus Berlage, Jakobus Johannes Pieter Oud, Mart Stam, Auguste Perret und Le Corbusier. Fasziniert von der Verwirklichung äusserster Sachlichkeit und Einfachheit in deren Bauten entwickelte er selbst eine den neuen Materialien und Konstruktionsmöglichkeiten entsprechende, durch einfache Körper und skulpturale Klarheit bestimmte Architektur. So errichtete er 1924-27 die Basler Antoniuskirche als reine, unverkleidete Eisenbetonkonstruktion – damals ein absolutes Novum in der Schweiz.
1928, im Jahr seines Rücktritts von der Lehrtätigkeit an der ETH, unterstützte er Sigfried Giedion und seine Schüler Max Ernst Haefeli, Rudolf Steiger und seinen Sohn Werner M. Moser bei der Gründung der CIAM (Congrès Internationaux d’ Architecture Moderne). Die der Entwicklung von Mosers Formensprache zugrunde liegende und in seiner Lehrtätigkeit immer wieder vertretene Überzeugung vom unbedingten Gegenwartsbezug der Architektur jenseits der Zwangsjacke einer erlernten Ästhetik macht ihn zu einem der Wegbereiter der pragmatisch orientierten Schweizer Moderne. O.C.
Die Gründung der Bürogemeinschaft Haefeli Moser Steiger (HMS) 1937 nach dem gemeinsamen Erfolg der drei Architekten im Wettbewerb für das Zürcher Kongresshaus, war nicht ganz zufällig. Bei aller Eigenständigkeit verbanden sie viele Gemeinsamkeiten: Werner M. Moser (1896-70), Max Ernst Haefeli (1901-76) und Rudolf Steiger (1900-82) gehörten derselben Generation an und waren Söhne künstlerisch engagierter Väter: der Architekten Karl Moser und Max Haefeli sowie des Kunstmalers und Flugpioniers Carl Steiger. Sie studierten miteinander an der ETH Architektur bei Karl Moser und sammelten nach dem Studienabschluss 1921/23 im Ausland Erfahrungen mit verschiedenen Ausprägungen modernen Architekturschaffens. Haefeli und Steiger unter anderem in Berlin, Werner Moser in den Niederlanden und den USA bei Frank Lloyd Wright (1923-26).
Zurück in Zürich gründeten sie in der 2. Hälfte der 1920-er Jahre eigene Architekturbüros und realisierten eigene Projekte: Max Ernst Haefeli etwa die Rotach-Häuser (Lux-Guyer-Weg 5-9) 1927-28 und Werner M. Moser die Villa Hagmann (Hegibachstrasse 131) 1928-30, beides typische Vertreter der klassischen Moderne, oder Rudolf Steiger zusammen mit Flora Steiger-Crawford und Carl Hubacher des Zett-Haus (Badenerstrasse 16-18) 1929-30, eines der ersten modernen Geschäftshäuser der Schweiz.
Gleichzeitig fanden sie sich immer wieder zu gemeinsamen Aktionen zusammen. 1927 gehörten sie zur Gruppe der Schweizer Architekten, die sich an der Werkbundausstellung in der Weissenhofsiedlung in Stuttgart beteiligte, und steuerten Möbelentwürfe und Gebrauchsdesign für die Wohnungen in Mies von der Rohes Appartementhaus bei. 1928 waren sie bei der Gründung des CIAM dabei. In den folgenden Jahren planten sie zusammen mit Paul Artaria, Carl Hubacher, Emil Roth und Hans Schmidt die Werkbundsiedlung „Neubühl“ (1928-31), ein Pionierprojekt des Neuen Bauens in Zürich, engagierten sich an den dortigen Wohnausstellungen (1931/33), setzten sich im Rahmen des CIAM mit städtebaulichen Fragen auseinander (1932-33), erarbeiten Siedlungspläne für Bern und den Grossraum Zürich (1933-36) und beteiligten sich an den Ausstellungen des Kunstgewerbemuseums Zürich zum neuen Schulhaus (1932) und zum neuen Bad (1934/35).
Die drei Architekten verband eine pragmatische, undogmatische Haltung gegenüber der architektonischen Moderne des Bauhauses oder Le Corbusiers. Die Entwicklung architektonischer Formen hatte in erster Linie den menschlichen Bedürfnissen und örtlichen Bedingungen zu genügen, d.h. der Bau sollte unabhängig von jedem Schematismus und Formalismus möglichst kostengünstig, effizient und unprätentiös die ihm zugedachten individuellen und gesellschaftlichen Aufgaben erfüllen und städtebaulich sorgfältig in die Umgebung integriert werden. Dabei konnten sowohl moderne als auch traditionelle Materialien und Konstruktionsweisen zum Einsatz kommen. „Flachdach oder Giebeldach? “ war aus dieser Perspektive keine Frage des Bekenntnisses für oder gegen die Moderne, sondern schlicht das Ergebnis eines offenen, funktions- und situationsbezogenen, konstruktions- und materialbedingten Gestaltungsprozesses.
Mit diesen Auffassungen verkörperten Haefeli, Moser und Steiger die typische Schweizer Moderne, wie sie dann auch in Bauten, wie dem Kongresshaus 1937-39, dem Grossprojekt des Kantonsspitals 1942-53, dem Hochhaus „Zur Palme“ (Bleicherweg 33), dem damals grössten Bürohaus der Schweiz, 1959-64 und einer vielfältigen Palette weiterer Bauwerke umgesetzt wurde. Ihre zu den bedeutendsten Schweizer Architekturbüros zählende Bürogemeinschaft bestand bis zu Werner M. Mosers Tod 1970. O.C.
Begleitet von einer an städtebauliche Konzepte der Zwischenkriegszeit, wie zum Beispiel Le Corbusiers „Ville Radieuse“, anknüpfenden, intensiven Debatte über das Hochhaus als Mittel gegen die Zersiedelung der Landschaft und der Gestaltung des städtischen Raums, entstanden in den 1950er Jahren die ersten Hochhäuser in Zürich: neben dem Bürohochhaus „Zur Bastei“ am Schanzengraben (1953-55), den Wohnhochhäusern am Letzigraben (1951-55), unter anderem auch das Schwesternwohnheim des neuen Kantonsspitals auf der Platte. Das 1956-59 von Jakob Zweifel (1921-2010), einem Schüler Hans Hofmanns und William Dunkels, errichtete, bereits 1951 von der „Architektengemeinschaft für das Kantonsspital Zürich“ (AKZ) geplante, 54 m hohe Punkthochhaus setzt auf der Platte einen markanten städtebaulichen Akzent.
Der für 250 Pflegerinnen geplante Wohnturm verfügt über dem Eingangsgeschoss über 18 Wohngeschosse mit je 14 Zimmern und einen Dachgarten. Die Fenster der Zimmer reihen sich an den Längsseiten hinter schmalen vertikalen Bändern aus Stahlbeton, die am oberen Ende abgeknickt die Dachterrasse räumlich fassen und beschatten. Die Schmalseiten werden durch breite Stahlbetonbänder in Zimmertiefe gefasst. Dazwischen öffnen sich auf der Südseite die wechselweise vorkragenden Panoramafenster der doppelgeschossigen Aufenthaltsräume mit innerer Galerie und Balkon, auf der Nordseite die Balkone des offenen Treppenhauses. Das differenzierte Spiel zwischen den Betonbändern der Tragkonstruktion, den dahinter angeordneten Glasflächen der Fenster und den Rahmen aus Aluminium und Beton lockert die Fassadenflächen und die kantige Silhouette auf und verleiht dem Gebäude Leichtigkeit. O.C.
Als Sohn eines in Lengnau gebürtigen Textilunternehmers in Prag geboren, wandte sich Sigfried Giedion nach dem Ingenieurstudium in Wien der Kunstgeschichte zu und doktorierte 1922 bei Heinrich Wölflin in München mit einer grundlegenden Arbeit über den europäischen Klassizismus. 1923 entwickelte sich aus dem Besuch bei Walter Gropius in Weimar und bei Le Corbusier in Paris eine Freundschaft mit den beiden sowie ein lebenslanges Engagement für eine neue Architektur. Mit ihnen, Karl Moser und weiteren Architektenfreunden gründete er 1928 die CIAM (Congrès Internationaux d’ Architecture Moderne), als deren Generalsekretär er für die Verbreitung der Konzepte des Neuen Bauens sorgte.
Auch förderte er die Realisierung von Projekten, die dem neuen Geist verpflichtet waren: in Zürich z.B. als Mitinitiant der Werkbund-Siedlung „Neubühl“ (1930-1932), als Bauherr der eigenen Mehrfamilienhäuser im Doldertal (1932-1936) und als Mitbegründer der „Wohnbedarf AG“ (1932).
1938 vermittelte ihm Gropius eine Professur in Harvard und ermöglichte ihm dadurch der im Korsett der „Geistigen Landesverteidigung“ auf das Heimatliche setzenden Schweiz zu entfliehen. In den USA verfasste Giedion 1941 mit „Space, Time and Architecture“ die wirkungsmächtigste Apologie der modernen Architektur, der er nach dem Zweiten Weltkrieg 1948 mit „Mechanization Takes Command“ eine Kritik des Fortschrittsglaubens und der Allmacht technisch-wissenschaftlicher Rationalität gegenüberstellte. Giedion, seit 1946 einflussreicher Dozent an der ETH, war überzeugt von der revolutionierenden Kraft wissenschaftlich-technischer Rationalität, aber auch von der Unabdingbarkeit einer in der Geschichte wurzelnden kulturellen Humanität. So setzte er sich ein für die rationalistische Interpretation der Moderne – vertreten durch Le Corbusier und die Bauhaus-Architekten Walter Gropius und Ludwig Mies van der Rohe – wie für deren organische Spielart – verkörpert durch Alvar Aalto –, kämpfte für die Erhaltung der die Atmosphäre einer Stadt bestimmenden „anonymen Architektur“ und forderte eine die sozio-ökonomischen und psychischen Bedürfnisse versöhnende Stadtplanung. O.C.
1898 in Kuortane geboren, gründete Alvar Aalto nach dem Architekturstudium an der Technischen Hochschule von Helsinki 1923 ein eigenes Büro. Ende der 1920er Jahre etablierte er sich als Pionier des Neuen Bauens in Finnland. Grossen Einfluss gewann er in der Schweiz, mit der ihn viele Freundschaften (neben Sigfried Giedion vor allem Alfred Roth, Max Bill und Ernst Gisel) sowie zahlreiche Besuche verbanden und wo – seit dem Finnischen Winterkrieg 1939/40 noch verstärkt – seine Heimat grosse Sympathie genoss. Seit 1929 propagierte ihn Sigfried Giedion unermüdlich als bedeutenden Vertreter der modernen Architektur und trug so nicht unwesentlich zu Aaltos internationalem Ruhm bei.
Dank Giedions Vermittlung wurde 1934-74 für über dreissig junge Schweizer Architekten, so auch für Eduard Neuenschwander, ein Praktikum bei Aalto zum prägenden Erlebnis.
Aaltos Schaffen gründete in der Auffassung, Architektur sei keine rein praktisch-technische, sondern primär eine dem Menschen und dessen psychischen und sozialen Bedürfnissen verpflichtete Aufgabe. Theorien, Raster und Modul – die Instrumente der rationalistischen Moderne Le Corbusiers und der Bauhaus-Architekten – als Grundlage des Entwurfs verwerfend entwickelte er intuitiv Formen, die sich organisch aus der Bauaufgabe und der landschaftlichen Umgebung ergaben und beide harmonisch miteinander verbanden. Die so gefundene Formensprache bestimmte den Bau bis ins Detail, oft bis zum eigens entworfenen Mobiliar. O.C.